Welche Kommunikationsstrategien setzen Kommunikationswissenschaftler*innen ein, um Macht im wissenschaftlichen Feld zu akkumulieren, und welche individuellen und strukturellen Faktoren beeinflussen die Anwendung der Kommunikationsstrategien? Dies sind die übergeordneten Forschungsfragen, denen sich Franziska Thiele in ihrer Dissertation widmet. Sie reichte die Monografie 2020 an der Universität Rostock ein, die Gutachterinnen waren Elisabeth Prommer und Stefanie Averbeck-Lietz. Um die Forschungsfragen zu beantworten, führte Franziska Thiele im Rahmen des DFG-Projektes „Mediatisierte Wissenschaftskommunikation in post-normalen und traditionellen Forschungsfeldern: Feldspezifische Mediatisierung“ 16 medienbiografische und rekonstruktive Interviews mit Doktorand*innen, Postdoktorand*innen und Professor*innen in Deutschland und der Schweiz durch.

Franziska Thiele legt eine sehr gut strukturierte und flüssig geschriebene Monografie vor, die sich mit einem für unser Fach und dessen (personelle) Weiterentwicklung wichtigen Thematik beschäftigt: Was zeichnet die Kommunikationswissenschaft als Wissenschaftsfeld aus, wie agieren wir als Wissenschaftler*innen, welche Faktoren beeinflussen den wissenschaftlichen Werdegang? Ihre Arbeit schlägt mit diesem Fokus eine Brücke zwischen der fachgeschichtlichen und wissenschaftssoziologischen Auseinandersetzung mit der Kommunikationswissenschaft als Beruf. In diesem Berufsfeld sei „die Professur (…) für Nachwuchswissenschaftler*innen die beste Option zum Erhalt einer dauerhaften Anstellung im Wissenschaftsbetrieb“ und damit das Karriereziel (S. 3).

Die Autorin beginnt mit einer allgemeinen Einführung in neuere Entwicklungen im Wissenschaftsfeld und leitet zur Kommunikationswissenschaft als Wissenschaftsfeld über. Diese Kapitel sind lesenswert, liefern sie doch einen knappen, aber übersichtlichen Überblick über zentrale Entwicklungslinien und Kennzeichen unseres Fachs.

Theoretisch basiert die Dissertation auf der Feldtheorie Pierre Bourdieus und des digitalen Kapitals nach Sora Park. Kommunikationsstrategien können eingesetzt werden, um Sichtbarkeit zu erhören, Aufmerksamkeit zu erzeugen, Kapital zu mehren und die Reputation zu steigern (S. 59). Unter Kommunikationsstrategien fasst Franziska Thiele jegliche Kommunikationsvarianten im Wissenschaftsfeld (S. 63), vom Halten von Vorträgen über das Schreiben von Drittmittelanträgen oder die Nutzung von Onlinemedien zur professionellen Selbstdarstellung. Ihre übergeordneten forschungsleitenden Fragen überführt sie in vier Forschungsfragen, die sie in den Kapiteln 7 bis 9 beantwortet. Hier fallen drei Aspekte auf, die den positiven Eindruck der Dissertation etwas schmälern: Erstens beginnt Franziska Thiele mit der Darstellung der Befunde der individuellen Einflussfaktoren (Kapitel 7), stellt erst im Anschluss (Kapitel 8) die eingesetzten Kommunikationsstrategien und strukturelle Einflussfaktoren (Kapitel 9) vor. Für das Verständnis der Befunde und das Nachvollziehen der Argumentation wäre eine umgekehrte Reihenfolge von den Kommunikationsstrategien zu den Faktoren, die deren Anwendung beeinflussen, günstiger gewesen. So fragen sich die Leser*innen u. U. inwiefern die Karrieremotivation zum Beispiel den Austausch mit Kolleg*innen bestimmt. Zweitens wählt Franziska Thiele ein forschungsethisches Vorgehen, das allen Ansprüchen an eine sehr gute wissenschaftliche Arbeit Genüge tut. Sie anonymisiert die Interviews nicht nur, sondern weist nur die Zugehörigkeit zu einer Statusgruppe im Ergebnisteil aus. Alle soziodemographischen Daten, die einen Rückschluss auf die Stichprobe zulassen würden, werden gelöscht. Stattdessen kollektiviert sie die Statusgruppen und spricht zum Beispiel von den Doktorandinnen und den Professoren, wobei sie bewusst die weibliche oder männliche Form für die kollektiven Bezeichnungen wählt. Gleichzeitig verweist sie u. a. darauf, dass Alter und Geschlecht den Einsatz von Kommunikationsstrategien auf der individuellen Ebene beeinflussen. Daher hätte eine Mischform, die zumindest Alter und Geschlecht nennt, dabei geholfen, die Aussagen einzuordnen. Zudem wären so Unterschiede in den Statusgruppen deutlicher geworden, denn gewiss setzen nicht alle Doktorand*innen oder Professor*innen Kommunikationsstrategien im gleichen Maß ein. Drittens fällt die Antwort auf die Forschungsfrage vier nach den Unterschieden zwischen den Kommunikationsstrategien der befragten Kommunikationswissenschaftler*innen im Vergleich zu Natur‑, Lebens- und Ingenieurwissenschaftler*innen sehr knapp aus. Die Spezifika des jeweiligen Fachs als Wissenschaftsfeld werden nur angerissen. Hinweise auf die Zusammensetzung der Teilstichprobe jenseits der Kommunikationswissenschaft fehlen hier leider.

Fazit: Wie sollte ich kommunizieren, um in der Kommunikationswissenschaft erfolgreich zu sein? Wer Handlungsempfehlungen sucht, welche Kommunikationsstrategien sich für die Machtakkumulation eignen und welche vielleicht eher nicht genutzt werden sollten, wird (leider) nicht fündig. Stattdessen liefert Franziska Thiele eine lesenswerte, aktuelle und damit für das Selbstverständnis der Kommunikationswissenschaft (was macht uns als Fach aus?) zentrale Monografie, die jedem und jeder Nachwuchswissenschaftler*in ans Herz gelegt sei – gerade jenen, die vielleicht an einem kleinen Fachstandort tätig sind und denen manche Einblicke in Kommunikationsstrategien aufgrund fehlender Vernetzung (z. B. innerhalb des Mittelbaus) verwehrt bleiben. Franziska Thiele zeichnet den Status quo wissenschaftlicher Karrierewege und Arbeitsweisen nach und legt offen, was es heißt, Wissenschaft als Beruf zu betreiben. Sie zeichnet ein realistisches Bild für alle Qualifikationsstufen und liefert damit einen Baustein, der dabei helfen kann, eine bewusste Entscheidung für oder gegen das „Karriereziel Professor*in“ zu treffen.