Andreas Hepps Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft, 2021 im Halem Verlag erschienen, ist die Übersetzung seines Buchs deep mediatization (2019). Eine Übersetzung, die in vielerlei Hinsicht Sinn ergibt, nicht zuletzt, weil nun schon der Titel das zentrale Erkenntnisinteresse direkt benennt: Es geht um Prozesse. Offensichtlich ist dies für die Rekonstruktion des Weges, also den Anfängen und Skizzen möglicher Zukünfte einer digitalen Gesellschaft. Inspirierend ist es aber insbesondere für die Gegenwart, die sich als Kaleidoskop ungleicher Akteure und ungleichzeitiger Entwicklungen, machtvoller Diskurse und lebensweltlicher Ambivalenzen präsentiert. Andreas Hepp geht es hier um das große Ganze. Erfreulicherweise sucht und findet er dieses nicht in einer lauten Diagnose, sondern im Gespräch mit anderen Kommunikationswissenschaftler:innen, Soziolog:innen und Philosoph:innen.

Der Gegenwart attestiert Hepp eine tiefgreifende Mediatisierung, womit ein Transformationsprozess gemeint ist, der auf eine Gesellschaft in der „digitale Medien und Infrastrukturen wirklich die Basis jeglicher sozialen Praktiken sind“ (S. 10) zuläuft. Kultur und Gesellschaft werden also nicht eingefroren, um Einzelphänomene zu extrahieren, sondern Muster der Veränderung nachgezeichnet. In systematischer Hinsicht setzt Hepp damit nahtlos am Konzept des Metaprozesses an, wie es seit Jahrzehnten im Mediatisierungsdiskurs konturiert wird. Am Ende des Weges wartet keine „Generation x, y“ und keine „Gesellschaft a oder b“. Nach The mediated construction of realiy (Couldry & Hepp 2017) liegt der Schwerpunkt in dieser Publikation auf dem Zusammenbringen analytischer Befunde und sozialwissenschaftlicher Perspektiven. Dadurch erschließt Hepp das Potenzial der Mediatisierungsforschung, nämlich auf Basis eines unprätentiösen Kommunikations- und Medienbegriffs differente Studien miteinander in Beziehung setzen zu können. Eine große Stärke der Mediatisierungsforschung, die in der Vergangenheit allzu selten monografisch bearbeitet wurde.

Das Buch eröffnet mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe und einer knappen Einleitung, die Schlaglichter auf Phänomene und Diskurse der Digitalisierung wirft. Die Argumentation beginnt im zweiten Kapitel mit der Rekonstruktion von Entstehungskontexten digitaler Medien und Infrastrukturen, wobei Argumente der politischen Ökonomie und Hepps eigene Forschungsarbeiten zu Pioniergemeinschaften im Zentrum stehen. Diese deskriptiv angelegte Rückschau wird jeweils bis in die Gegenwart hinein verfolgt, die schließlich anhand fünf quantitativer Trends – Differenzierung, Konnektivität, Omnipräsenz, Innovationstempo und Datafizierung (S. 70) – konturiert wird.

In den Kapiteln 3 und 4 werden analytischer Zugriff und Dimensionierung erläutert. Basierend auf einer „materialistische[n] Phänomenologie“ (S. 29) versteht Hepp Medien als ineinandergreifende Prozesse von Materialisierung und Institutionalisierung (S. 107), als Artikulationen und Re-Artikulationen (S. 103), die „Kommunikation und Wahrnehmung prägen“ (S. 88). Dieser Argumentationsschritt ist zentral, weil die Analyse von Medien als Prozessen damit hin zu einem „praxistheoretische[n] Verständnis“ (S. 150) geöffnet und gleichzeitig an der „Interpretation und de[m] Verständnis[..] durch menschliche Akteure“ (S. 30) festgehalten wird. Analysegegenstände sind daher Materialität und Symbole, Tätigkeiten und Bedeutung. Vertikalität und Dynamik gewinnt die Prozessbeobachtung durch den schon in früheren Publikationen entwickelten figurationsanalytischen Ansatz. Dieser erfordert eine relationale Betrachtungsweise, die zu konsequenter Skalierung empirischer Phänomene verpflichtet und den Blick auf Wechselwirkungen zwischen Metaprozessen (insbesondere Ökonomisierung und Mediatisierung) lenkt. Operationalisiert wird der Ansatz etwa durch die heuristische Unterscheidung in Medienumgebungen, -ensembles und -repertoires. Die zentrale Qualität digitaler Medien, jenes Merkmal, das sie von vorgängigen Formen unterscheidet, wird abschließend über die gesamte analytische Matrix gespannt: Es ist das beschleunigte Verhältnis von Institutionalisierung und Materialisierung, das durch „eine kontinuierliche technologiebasierte Beobachtung sozialer Praktiken […] deren Veränderung über die Weiterentwicklung dieser Technologien in dieselben [einschreibt, PG]“ (S. 157).

Auf dieser Basis stellen die folgenden Kapitel ein Panorama empirischer Befunde zusammen. So werden aus gesellschaftlicher Perspektive (Kap. 5) mythische Diskurse (in Anlehnung an R. Barthes) als Institutionalisierung von Digitalisierung besprochen; Formen hybrider Agency (mit Bezügen zu D. Gunkel, W. Rammert) als Materialisierung öffentlicher Diskurse, journalistischer Praktiken und familiärer Beziehungen diskutiert. Die individuelle, alltagsweltliche Perspektive (Kap. 6) ist primär durch Ambivalenzen in der Eröffnung und Versiegelung von Handlungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Wie angedeutet ist dabei vor allem die interpretative Offenheit inspirierend. Etwa wenn die gesellschaftliche und lebensweltliche Relevanz digitaler Infrastrukturen und Daten mittels Arbeiten zu Überwachungskapitalismus oder Datenkolonialismus beschrieben, für gesellschaftliche Überwachungsregime (Umgebungsüberwachung statt Panoptikum, S. 175) und individuelle Überwachungspraktiken (Interveillance, S. 234) herausgearbeitet wird.

Im Abschlusskapitel fragt Hepp nach dem „guten Leben“ und zeigt, was eine allzu selbstverständliche Frage für Wissenschaftspraxis und -prosa bedeutet: Den Wechsel von Deskription zu Normativität, vom analytischen Konstatieren zum individuellen und gesellschaftlichen Können, Wollen und Gestalten. Im Anschluss an Beate Rössler wird „das gute Leben“ als Dreiklang aus Autonomie, Selbstbestimmung und Sinnstiftung (S. 258, 267) gefasst und kritisch rekonstruiert, in welchem Verhältnis die gegenwärtigen Mythen und Organisationsformen dazu stehen. Grundtenor ist dabei erfreulicherweise nicht die Klage, sondern die Alternative. Hepp versammelt eine ganze Reihe von zivilgesellschaftlichen Projekten und NGOs, Organisationsformen und Praktiken, Geschäfts- und Designmodellen, um zu demonstrieren, „dass Überwachungskapitalismus und Datenkolonialismus nicht die notwendigen Folgen einer tiefgreifenden Mediatisierung sind.“ (S. 265).

Dieses letzte Kapitel bringt die Stärke des Buches auf den Punkt: Mediatisierung „läuft nicht per Autopilot“ (S. 266), der Digitalisierung ist kein Sachzwang inhärent, Prozesse sind vielschichtig. Sicherlich lassen sich die empirischen Beispiele vertiefen und erweitern, auch mag man mitunter eine klarere Positionierung vermissen. Etwa mit Blick auf das Verhältnis von theoretischem und praktischem Wissen: Wessen Interpretations- und Deutungsrahmen legt eine relationale materialistische Phänomenologie an, um die (wohltuende) Distanz zur symmetrischen Ontologie zu behalten? Auch der Übergang zu normativen Bewertungen eröffnet Horizonte, die es zu diskutieren gilt. Insbesondere mit Blick auf die kritische Analyse von Macht: Wie verhält sich etwa die kulturelle Macht der Mythen und Imaginaries zur technischen Reproduktion einzelner Praktiken? Und auch wenn die Frankfurter Schule aus heutiger Sicht eine Reihe zu glatter Erzählungen hervorgebracht hat, bedarf die Dialektik der Aufklärung, die Geschichte der Rationalität, nun nicht eines Kapitels zur Digitalisierung? Was bedeutet Entfremdung im Überwachungskapitalismus und was ist eine Kulturindustrie 2.0? Und welche Formen von (tiefer?) Herrschaft gehen mit Prozessen des Datenkolonialismus einher?

Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft ist eine Studie, die weder kleinteilig, noch von geringer Reichweite; weder theoretisch dogmatisch noch empirisch eindimensional beschreibt, auf welche Weise Digitalisierung Kommunikation und Medien, Gesellschaft und Kultur verändert. Die Relevanz für die disziplinäre Debatte ist damit angezeigt. Das Buch ist überdies hervorragend als Einführungsliteratur zur „Digitalisierung“ geeignet (insb. Kap. 2 und 7). Weiterführend bietet es sich für eine vertiefte Diskussion um interdisziplinäre Schnittstellen an, in systematischer (Kap. 3 und 4) und empirischer (Kap. 5 und 6) Hinsicht.