„Die Medien“ und „den Journalismus“ zu kritisieren ist zum einen und im Sinne der Kritischen Theorie ein aufklärerisches Projekt. Zum anderen haben mit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zwei prominente Vertreter der Kritischen Theorie die „Dialektik der Aufklärung“ (1944) thematisiert und verdeutlicht, wie gefährdet das „Projekt Aufklärung“ ist.

Angesichts der in den letzten Jahren lauter werdenden „Medienkritik von rechts“ und der Reaktivierung von „Kampf-Begriffen“ wie „Lügenpresse“ und „Systemmedien“ ist es wichtig, wissenschaftlich zu klären, was Kritik ist und wer mit welchen politischen Zielen vor Augen welche Medien wofür kritisiert. Und es ist immer wieder wichtig, Medienkritik wie auch wissenschaftliche Kritik theoretisch zu fundieren und empirische Belege für zu kritisierende Medieninhalte zur Diskussion zu stellen.

Umso erfreulicher ist, dass es diesen vom Trierer Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Bucher herausgegebenen Band gibt. Er kommt zur rechten Zeit! Das Buch versammelt 20 Beiträge. Sie beruhen größtenteils auf Vorträgen, die 2018 während der Tagung der DGPuK-Fachgruppe Mediensprache und Mediendiskurse gehalten worden sind. Bedauerlicherweise nicht dabei ist die Keynote „From Critique to Design“ des 2019 verstorbenen Semiotikers Gunther Kress. Doch würdigt Bucher im einführenden Beitrag dessen für die Medienwissenschaft so wichtige Forschung zu Multimodality und Kress’ Verständnis von Design als schöpferisch-konstruktive und soziale Praxis.

Der Band zielt darauf ab, neue Konstellationen und Praktiken der Medienkritik in – global betrachtet – wenig regulierten Kommunikationsverhältnissen zu erfassen. Er ist in fünf übergeordnete Kapitel gegliedert. Im Kapitel I werden „Theoretische Grundlagen“ gelegt. Deutlich ist durch die Beiträge von Margarete Jäger, Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), sowie Christian Pentzold der Schwerpunkt auf Kritischen Diskurstheorien und der Critical Discourse Analysis (CDA) als einer wichtigen, inzwischen auch in der Kommunikationswissenschaft etablierten Methode der Medien- und Gesellschaftskritik. In diesem ersten Kapitel befindet sich zudem der höchst lesenswerte Aufsatz des Herausgebers Hans-Jürgen Bucher, lesenswert deswegen, weil Bucher Antworten auf die immer wieder gestellten Fragen zum Verhältnis von Journalismus, Medienkritik und Konstruktivismus liefert, stringent argumentiert und damit Vorurteilen wie Missverständnissen entgegenarbeitet. Auf Basis des kommunikativen Konstruktivismus und unter Berücksichtigung von Strukturen, Institutionen und Formaten widmet sich Bucher der „Dialogizität, Normativität, Prozeduralität“ als Voraussetzungen einer konstruktivistischen Medienkritik. Auch für ihn ist die Kritische Diskursanalyse eine sehr geeignete Methode der konstruktivistischen Medienkritik. Diese zielt darauf ab, den gesamten „Prozess medialer Wissenskonstruktion von Genese, Prüfung, Aufbereitung, Distribution und Rezeption“ zu untersuchen, „statt die Qualität medialer Repräsentationen als Korrespondenz-Ergebnis auf ihren Realitätsgehalt hin zu beurteilen“ (S. 64).

Dass Medienkritik zu großen Teilen Journalismus-Kritik ist, belegt das vom Umfang her stärkste Kapitel II. Hier geht es um die Vorwürfe gegenüber dem Berufsstand, die aus ganz unterschiedlichen theoretischen wie politischen Perspektiven erhoben werden (Haarkötter), um das partielle Versagen des Journalismus in Krisensituationen (Schiffer), um Lokal- und Social-Media Journalismus (Wagner und Michel) sowie das Ersetzen eigenständiger journalistischer Recherche durch Wikipedia-Nutzung (Gredel).

Nicht ganz leicht abzugrenzen ist die von WissenschaftlerInnen untersuchte Kritik am Journalismus von der in Kapitel IV behandelten „Medienkritik von Seiten der Wissenschaft“. Der erste Beitrag gibt eine Einführung in die Wissenschaftskommunikationsforschung (Mede/Schäfer), bietet eine praktische Übersicht über „Dimensionen und Bezugspunkte der Kritik von Wissenschaftskommunikation“ und erläutert die Unterschiede zwischen „PUS“, „PEST“ und „SPC“ als „normative Referenzrahmen“. Hinter diesen Akronymen verbergen sich verschiedene Ansätze der Klassifizierung von Wissenschaftskommunikation.

Empirische Belege für die vieldiskutierten Diskursverschiebungen und die Ideologisierung der Medienkritik, um die es dann im folgenden Kapitel V geht, bieten bereits der Beitrag zur „Objektivität der Ukraine-Berichterstattung“ (Krüger/Mundt) sowie die vergleichende Analyse des „deutschen Einwanderungsdiskurses“ in den Wochenzeitungen Junge Freiheit und Die Zeit (Humm/Humm).

Ein weiterer wichtiger Akteur erhält neben Journalismus und Wissenschaft ein eigenes übergeordnetes Kapitel: „Das kritische Publikum“. Hier wird der Band seinem Anspruch gerecht, der durch die Digitalisierung forcierten Entgrenzung und Dynamisierung der Medienkritik Rechnung zu tragen. Denn statt vom Publikum in der Einzahl von Publika in der Mehrzahl zu sprechen und die mehr oder weniger aktiven, digitalen ProduserInnen zu würdigen, ist inzwischen kommunikationswissenschaftlicher common sense. So widmen sich die AutorInnen „der Medienkritik als Selbstermächtigung“ (Horz), „Kommentarforen als Orten der Medienkritik“ (Kaltwasser) sowie der Medienkritik via Facebook (Pfurtscheller) und YouTube (Meier). Alle vier Beiträge nehmen dabei öffentlich-rechtliche Angebote in den Blick und thematisieren die Medienkritik von rechts.

Deutlich wird im Kapitel III „Das kritische Publikum“ wie im abschließenden Kapitel V, in dem es um „Medienkritik und Ideologie“ geht, dass Medienkritik zwar von allen Seiten geübt wird und zu einer Art „Breitensport“ geworden ist, doch vor allem die „populistische Medienkritik von rechts“ in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Nicht selten bildet sie den Ausgangspunkt für hate speech gegenüber JournalistInnen und PolitikerInnen. Franziska Rauchut befasst sich mit den alten/neuen Anti-FeministInnen und den rückwärtsgewandten Diskursen, die seit den 1990er-Jahren erkennbar angestiegen sind, inzwischen aber auch Gegenreaktionen und Solidarisierungen hervorrufen. Dass es sich bei „alternativen“ Medien längst nicht mehr nur um linke, emanzipatorische Gegenöffentlichkeiten handelt, thematisiert Markus Linden in seiner Analyse von NuoViso, KenFM und CompactTV; im letzten, stärker sprachwissenschaftlich fundierten Beitrag Trierer MedienwissenschaftlerInnen geht es dann um die „diskursiven Auswirkungen populistischer Medienkritik von rechts“ (Barth/Christ/Diederich).

Wie so oft bei Sammelbänden gelingt die Zuordnung der Beiträge zu übergeordneten Kapiteln manchmal nicht so ganz, was aber gar nicht gegen die einzelnen Beiträge oder die grundsätzliche Komposition spricht. Nur zwei Texten ist die „Renovierung“ oder Neuausrichtung auf das Thema Kritik anzumerken. Was aber für den Band einnimmt, ist seine Aktualität, die Vielfalt der Perspektiven, die sich in der Kapitelstruktur und -benennung ebenso widerspiegelt wie in den unterschiedlichen disziplinären Bezügen, vor allem aber die nachvollziehbare konstruktivistische und diskurstheoretische Fundierung von Medienkritik, die der Herausgeber vornimmt.

So schafft der Band theoretische Grundlagen für eine reflektierte, gegenwärtige Entwicklungen berücksichtigende Medienkritik und belegt zugleich empirisch die Vielfalt der Erscheinungsformen von Kritik. Dass in vielen Beiträgen die Medienkritik von rechts untersucht wurde, muss zwar als Beleg für das Erstarken rechter Positionen im gesamtgesellschaftlichen Diskurs genommen werden, es zeigt aber auch, dass wissenschaftliche Kritik rechter Medienkritik nicht nur nötig, sondern auch möglich ist – und hoffentlich viele LeserInnen findet.