Whistleblowing als Kommunikationspraxis, die das öffentliche Alarmschlagen und das Aufdecken von Missständen zum Ziel hat, ist für den Journalismus von zentraler Bedeutung. Als Quellen für die Berichterstattung unterliegen Whistleblower einem besonderen Schutzanspruch, wenn sie mit Redaktionen kommunizieren. Die Möglichkeit, anonym bleiben zu können, ist dabei essentiell für diese Akteursgruppe. Sichere Kanäle für den persönlichen Austausch mit Journalistinnen und Journalisten, aber auch für die Übertragung von Daten zur Verfügung zu stellen, ist ein Bestandteil redaktioneller Verantwortung. Philip Di Salvo, PostDoc an der Università della Svizzera Italiana, setzt mit seiner Studie dort an und analysiert verschiedene Whistleblowing-Plattformen und die Nutzung von Verschlüsselungstools im Journalismus. Das Ergebnis seiner qualitativen Untersuchung ist eine erste Taxonomie sowie eine allgemeine Reflexion über die Zusammenarbeit von Journalistinnen und Journalisten mit IT-Spezialisten sowie über das Verhältnis von Journalismus und Aktivismus. Die Frage nach Informationssicherheit als Bestandteil von Kommunikationsfreiheit im Netz steht als professionsethischer Orientierungspunkt dabei im Vordergrund.

Di Salvo führt gut nachvollziehbar in das Themenfeld ein, er ruft insbesondere nochmal die Arbeit von WikiLeaks seit 2006 und die zentralen Entwicklungen der 2010er-Jahre in diesem Bereich auf – mit Manning und Snowden als prominenten Akteuren. Er beobachtet eine wachsende Bedeutung von „whistleblowing-based journalism“ und zeitgleich größer werdende Probleme für den Quellenschutz aufgrund von strengerer Überwachungsgesetzgebung, auch für Journalistinnen und Journalisten in demokratischen Ländern.

Das Buch überzeugt auch durch den klaren Aufbau und die angemessen zugeschnittene theoretische Kontextualisierung, die Di Salvo vorgenommen hat. Konzept und Praxis des Whistleblowings und seine Ausprägungen im Kontext der Digitalisierung werden so breit wie nötig und so kompakt wie möglich eingeführt. Die Bedeutung von Leaks für die Nachrichtenproduktion wird ebenso verdeutlicht wie die Verknüpfung von Hackerethik, technologischen Möglichkeiten und journalistischer Praxis – als Reaktion auf neue Herausforderungen im Bereich der Sicherheit und der Gewährleistung des Quellenschutzes. Di Salvo berücksichtigt dabei auch die Positionen der UNESCO und verschiedener journalistischer Interessenvertretungen, die sich nach den Snowden-Enthüllungen von 2013 verstärkt für besseren Schutz digitaler Kommunikation aussprechen. In der Überleitung zum dritten Kapitel, in dem ausgehend von der Gründung von Cryptome im Jahr 1996 auf die Entwicklung, die Standardisierung und Ausdifferenzierung von Whistleblower-Plattformen eingegangen wird, werden die am häufigsten verwendeten Verschlüsselungs-Tools vorgestellt: PGP („Pretty Good Privacy“) für sichere Email-Kommunikation, der TOR-Browser, OTR („Off-the-Record“) für die Nutzung von Chats, die Signal-App, die neben verschlüsselter Messenger-Kommunikation auch Zensurumgehung möglich macht, sowie Tails, ein über den USB-Stick auf jedem Rechner nutzbares Betriebssystem.

21 verschiedene Whistleblower-Plattformen aus 15 Ländern hat Di Salvo in seine Analyse einbezogen. Im Methodenteil erklärt er sein Sampling und die konkreten Arbeitsschritte: Die Nutzung eines standardisierten Fragebogens und die daran anschließende Durchführung von qualitativen Interviews, sowie die Auswertung selbiger nach den Prinzipien der Grounded Theory. Im Vordergrund der Studie stehen redaktionelle Nutzungspraktiken, Strukturen, Veröffentlichungspräferenzen und Haltungen der Betreiber der Plattformen. Ein Fokus liegt darauf, wie sie sich im Vergleich zu WikiLeaks selbst verorten und wie sie das Verhältnis zwischen Journalismus und Aktivismus betrachten. Herausforderungen und Lösungsansätze mit Blick auf Sicherheitsfragen und Feldzugang werden reflektiert.

Di Salvos Taxonomie beschreibt auf dieser Basis vier verschiedene Typen: (1) „Publishing platforms“, die unabhängig arbeiten, eigene Inhalte veröffentlichen oder Medien geleakte Informationen liefern, wie beispielsweise BalkanLeaks; (2) „Collaborative platforms“, die nicht eigenständig publizieren, sondern mit Journalistinnen und Journalisten kooperieren, wie beispielsweise ExpoLeaks; (3) „Multistakeholder platforms“, die ihre Tools und Kanäle verschiedenen Partnerorganisationen zur Verfügung stellen und sich selbst als Brücken zwischen Whistleblowing und Journalismus betrachten, wie beispielsweise MexicoLeaks; sowie (4) „Media platforms“, die von traditionellen Nachrichtenmedien selbst betrieben werden, wie beispielsweise der digitale Briefkasten der Wochenzeitung Die Zeit. In diesem Zusammenhang ist es Di Salvo wichtig festzuhalten, dass diese Kategorien nicht langfristig festgeschrieben sind, dass einzelne Plattformen – ähnlich wie WikiLeaks, das den Akteuren im Feld als Modell und Inspiration, aber auch zur Abgrenzung der eigenen Services dient – auch in eine entsprechend andere Richtung weiterentwickelt werden können. Positiv hervorzuheben ist hier auch, dass der Autor, der diese Studie im Jahr 2015 durchgeführt hat, die danach folgenden Entwicklungen zumindest knapp in die Aufbereitung für diese Publikation einbezogen hat. Bei der Selbstverortung der Akteure im Grenzbereich zwischen Journalismus und Aktivismus werden sowohl Abgrenzungen als auch Überschneidungen deutlich – beispielsweise im journalistischen Einsatz gegen Zensur und für den Erhalt der Pressefreiheit.

Die vorliegende Analyse liefert insgesamt eine klare Bestandsaufnahme und gibt sowohl auf theoretischer Ebene als auch mit Bezug auf digitale Tools und Kommunikationsmöglichkeiten wichtige Impulse. Nicht zuletzt tragen der angenehme Schreibstil des Autors, der auch journalistisch arbeitet (etwa für Wired, Motherboard und The Conversation), die klare Struktur und der zum erneuten Nachschlagen hilfreiche Index dazu bei, dass die gewonnenen Erkenntnisse gut vermittelt werden und zu weiterer Forschung zum Umgang mit Whistleblowing-Plattformen, Insider-Quellen und Leaks im Journalismus anregen.