Wie sollte man am besten über den öffentlichen Rundfunk sprechen, wenn man über seine Begründung reden will? Wie lässt sich die Organisation des öffentlichen Rundfunks verständlich machen und woran kann eingeschätzt werden, inwiefern sie wünschenswert, richtig und gerechtfertigt ist? Mit diesen Fragen der Legitimität beschäftigt sich Corinne Schweizer in ihrer an der Universität Zürich eingereichten publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Dissertation.

Die Autorin hält die einschlägigen Argumentationslinien und Begründungen des öffentlichen Rundfunks für verbesserungsbedürftig. Darunter versteht sie die Marktversagensargumente oder die gesellschaftsorientierten Argumente, die die Unverzichtbarkeit des öffentlichen Rundfunks aufgrund seiner wichtigen gesellschaftlichen Funktionen hervorheben. Als Alternative schlägt Schweizer einen öffentlichen Diskurs vor, aus dem sich herauskristallisieren muss, dass eine Mehrheit der Gesellschaft oder der Politik ein öffentliches Rundfunkmodell als legitim bzw. wünschenswert, gerecht und richtig ansieht. Die Autorin argumentiert, dass der öffentliche Diskurs Leitbegriffe erfordere. Zurzeit sei „Public Value“ der Leitbegriff. Public Value reiche aber nicht aus, um die Legitimität des öffentlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter zu erhöhen. Vielmehr sei eine Erweiterung erforderlich. Schweizer schlägt dafür den Begriff „Media Commons“ vor. Der Begriff reduziert die Legitimität des öffentlichen Rundfunks nicht auf eine Evaluation seiner Leistung. Vielmehr erweitert er die Perspektive durch die „Art und Weise, wie Medieninhalte hergestellt und zugänglich gemacht werden“ (S. 50), und auch über die Personen, die an Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Zudem verbindet Schweizer den „Commons“-Begriff mit der Frage, was ein gutes Leben oder eine gesellschaftliche Ordnung ausmacht, übersetzt ihn mit „Allmende“, „Allgemeingut“ und „Gemeinwohl“ sowie mit „öffentlichen Gütern“ und „öffentlichen Interessen“. Konzeptionell bezieht sich „Commons“ auf Ressourcen und darauf, bestimmte Ressourcen zu teilen und den Zugang zu den geteilten Ressourcen und ihrer Bewirtschaftung zu regeln, sowie auf Dilemmata („Tragödien“), die mit der Nutzung, Erhaltung und Schaffung der geteilten Ressourcen einhergehen. Den Medienbezug stellt Schweizer über „Informationen, Wissen, Kultur sowie die Möglichkeit gesellschaftlicher Deliberation“ her und darüber, dass „Medienorganisationen, die den Zugang zu diesen Ressourcen ermöglichen, selbst Commons sind oder zumindest Commons bereitstellen“ (S. 55).

Auf Basis einer ausführlichen theoretischen Analyse und mehrerer Commons- und Ressourcen-Konzepte macht Schweizer einige „konzeptionelle Stolpersteine“ (S. 82–85) aus. Daraus leitet sie fünf Analyseperspektiven ab: Aufgabe, Organisationsstruktur, Kollaboration, Zugang zu Inhalten, Outcome. Schweizer stellt mehrere Hypothesen über die Eignung des öffentlichen Rundfunks als Media Commons auf und darüber, wie die empirischen Unterschiede zwischen öffentlichen Rundfunkorganisationen erklärt werden können. Die Vorgehensweise mündet in eine empirische Forschung, die den größten Teil der Studie ausmacht. Die Autorin untersucht, ob die Organisationen des öffentlichen Rundfunks in verschiedenen Ländern dem Leitbegriff „Media Commons“ entsprechen. Sie vergleicht dazu 30 öffentliche Rundfunkorganisationen aus 16 Ländern. Der Vergleich umfasst Rundfunkorganisationen aus den europäischen Ländern Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden und Schweiz sowie aus Australien, Kanada und Neuseeland. Unter Anwendung der Qualitative Comparative Analysis evaluiert Schweizer die Rundfunkorganisationen, ordnet sie nach „Tragödie“, „Grenzfall“ oder „Media Commons“ ein und führt dann die Hypothesentests durch. Im Ergebnis zeigt sie, dass ein Drittel der Rundfunkorganisationen einem Media Commons entsprechen. Es gibt viele Grenzfälle, aber keine „Tragödie“. In der Regel entsprechen die Organisationen des öffentlichen Rundfunks bei der Organisationsstruktur, beim Zugang zu den Inhalten und beim Outcome einem Media Commons. Defizite macht Schweizer bei der Kollaboration aus.

Die Forschungsarbeit von Corinne Schweizer liefert eine informative und vergleichende Analyse zu den Organisationen des öffentlichen Rundfunks. Es gibt zwar einige kritische Punkte, die bezüglich der Methodik diskussionswürdig sind. Sie betreffen vor allem ihr Verständnis des auf Garrett Hardin und Elinor Ostrom zurückgehenden Commons-Begriffs, die Gewichtung der Analyseperspektiven, die geringe Berücksichtigung ordnungspolitischer Fragen der Governance, Eigentumsform und öffentlichen Finanzierung des öffentlichen Rundfunks sowie weiterer organisationsbezogener Fragen und nicht zuletzt das enge Verständnis des Public-Value-Begriffs. Einige dieser kritischen Punkte prägen auch die Diskurse zum öffentlichen Rundfunk. Gleichwohl betrachtet der Rezensent das Anliegen von Schweizer sehr positiv, einen besseren sprachlichen Rahmen zu finden, um in den öffentlichen Diskursen den Wert der mit dem öffentlichen Rundfunk verbundenen besonderen Organisationsformen herauszustellen (u. a. Gewährleistung publizistischer Gleichwertigkeiten von Inhalten, interne Regelungen zur Einhaltung und Klärung ethischer Konflikte, Unabhängigkeit von Politik und Wirtschaft). Insoweit bleibt abzuwarten, wie die Organisationen des öffentlichen Rundfunks die Vorschläge und Ergebnisse von Schweizers Forschungen für ihre zukünftigen Kommunikationsstrategien aufnehmen. Ihre Analyseperspektive erweitert jedenfalls den Blick auf die Medienorganisationen und regt dazu an, mehr darüber nachzudenken, wie sich die organisatorischen Besonderheiten in der öffentlichen Rundfunkpraxis besser kommunizieren lassen.