Zusammenfassung
Die Kommunikationswissenschaft professionalisiert sich zusehends und steigert offenbar ihre Forschungs- und Publikationstätigkeit. Allerdings fehlten bislang belastbare empirische Daten, die belegen, was augenscheinlich wahrzunehmen ist. In einer Mitgliederbefragung 2010 zur Forschungstätigkeit innerhalb der Fachgesellschaft konnten Altmeppen et al. (2011) einen Status quo ausmachen, der zweierlei deutlich zeigt: Die deutsche Kommunikationswissenschaft erweitert ihre Forschungstätigkeit und differenziert sich inhaltlich und methodisch weiter aus. Zugleich aber verdeutlichen die Daten, dass das bisher bestehende Instrument zur Erhebung der Forschungstätigkeit der thematischen, theoretischen und methodischen Vielfalt des Faches nicht mehr gerecht werden kann. Dieser Befund stellt das Fach vor eine besondere Herausforderung. Es gilt, die inhaltlichen und methodischen Richtungen unter dem Dach der Kommunikationswissenschaft neu zu systematisieren und zu strukturieren, um bei der Abbildung der Forschungstätigkeit großen Linien ebenso wie Nebenstrecken gerecht zu werden. Anhand der 2010 erhobenen Daten und ausgehend von bisherigen inhaltlichen Kategorien wird in diesem Beitrag ein Instrument entwickelt, das dazu dienen soll, die Forschung des Faches in ihrem Facettenreichtum nach innen wie nach außen in langfristig wiederholten Erhebungen abzubilden und dabei der dem Fach innewohnenden Dynamik Rechnung zu tragen.
Abstract
Communication Science appears to become more and more professionalized and seems to increase its research activities and publications. Yet there are no far empirical data to support what seems to be evident. In a survey among DGPuK members in 2010, Altmeppen et al. (2011) found a status quo that shows two interesting aspects: German Communication Science has extended its research activity and, at the same time, differentiated itself substantively and methodically. The data also show that the survey instrument used in the past does not grasp the discipline’s thematic, theoretic, and methodical diversity any more. This finding is a challenge to the field: Communication Science must find a way to systematize and structure itself in order to gather all thematic and methodic directions under one umbrella, considering both the broad avenues and the side roads. Based on the 2010 data and the existing survey categories, this paper develops an empirical instrument that can be used to examine, in a long term design, the research activities in Communication Science and demonstrate, to the discipline itself and to outside observers, its multifarious facets and its dynamic.
Notes
Peiser, Hastall und Donsbach führten 2003 eine Mitgliederbefragung innerhalb der DGPuK durch, deren Ziel es war, die Ausrichtung, die Struktur und das Selbstverständnis der Fachgesellschaft zu untersuchen.
Auf eine wissenschaftstheoretische Einordnung und Verankerung der Studie wurde bewusst verzichtet, weil die deskriptive Darstellung des Faches im Vordergrund stehen sollte und dabei großes Gewicht auf den Anteil induktiver Datengenerierung gelegt wurde.
Im Folgenden wird aus Gründen der erhöhten Lesbarkeit die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind stets Frauen und Männer gemeint.
Eine zunehmende Ausdifferenzierung konstatierten bereits Peiser, Hastall und Donsbach aufgrund der Befunde einer ersten Mitgliederbefragung der DGPuK aus dem Jahr 2003 (Peiser et al. 2003, S. 310).
Die Befragten hatten die Möglichkeit, für jedes der bis zu zehn differenziert erfassten Forschungsprojekte jeweils drei Theorien, drei Methoden, zwei Themen und einen Forschungsbereich nennen. Eine offene Kategorie erlaubte es, sonstige Spezifizierungen je Dimension anzugeben. Diese wurden nachcodiert. Die auffälligen Häufungen in den Ergebnissen (vgl. Kap. 3) ergeben sich durch die mögliche mehrfache Nennung verschiedener Themen, Methoden und Theorien je Forschungsprojekt.
Beispiele für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage, wer die Kommunikationswissenschaftler sind, was sie erforschen, wie sie ihren Weg in die Wissenschaft gefunden haben oder wie sie sich und ihre Forschung verstehen, sind die Studien von Hohlfeld und Neuberger 1998; Brosius 1998; Lauf 2001 (hier liegt der Schwerpunkt auf Publikationen deutschsprachiger Fachvertreter in internationalen Fachzeitschriften); Peiser et al. 2003; Donsbach et al. 2005; Prommer et al. 2006; Meyen 2007; Meyen und Löblich 2007; Brosius und Haas 2009; Huber 2010; Löblich 2010; Riesmeyer und Huber 2011.
Zum Zeitpunkt der Erhebung im Sommer 2010 hatte die DGPuK 836 Mitglieder (vgl. Altmeppen et al. 2011, S. 376).
2003 bestanden in der DGPuK folgende Fachgruppen: Computervermittelte Kommunikation, Journalistik/ Journalismusforschung, Kommunikation und Politik, Kommunikations- und Medienethik, Kommunikationsgeschichte, Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht, Medienökonomie, Medienpädagogik, Methoden der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, PR und Organisationskommunikation, Rezeptions- und Wirkungsforschung (zunächst unter dem Namen „Rezeptionsforschung“, ab 2007 „Rezeptions- und Wirkungsforschung“), Soziologie der Medienkommunikation, Visuelle Kommunikation; bis 2012 kamen die beiden Fachgruppen Mediensprache – Mediendiskurse (2008) und Internationale und interkulturelle Kommunikation (2010) hinzu.
Nennen konnten die Befragten sowohl Qualifikationsarbeiten als auch eigene Abschlussarbeiten, Lehrforschungsprojekte, empirische Projekte einzelner Lehrstühle, Kooperationsprojekte, Auftragsforschung, Forschungsprogramme etc.; wichtig war allein die eigenständige Arbeit bzw. Mitarbeit an dem Projekt.
Zudem konnten in den vergangenen Jahren beachtlich viele Neugründungen oder Erweiterungen von Instituten und Studiengängen an Universitäten und Fachhochschulen verzeichnet werden, etwa in Augsburg, Friedrichshafen, Hohenheim, Tübingen und Passau, um nur einige zu nennen. Auch diese Entwicklung kann als Indikator für eine stetige Ausweitung der Forschungsaktivität im Fach interpretiert werden.
Knapp 80 % der Befragten promovierten in den Jahren 1991 bis 2010, gut 20 % dagegen datieren ihre Promotion in den Zeitraum von 1964 bis 1989 (32 Befragte machten hierzu keine Angabe; n = 156). Bei den Habilitationen stehen sogar 85 % in den Jahren 1991–2010 gut 15 % in den Jahren 1970–1990 gegenüber (141 der Befragten machten hier keine Angaben; n = 47). Der Verdacht liegt nahe, dass der gestiegene prozentuale Anteil an Promotionen und Habilitationen in den vergangenen 20 Jahren mit der hohen Anzahl junger Befragter zu tun hat: Möglicherweise haben überwiegend junge Mitglieder der DGPuK an der Befragung teilgenommen. Tatsächlich weicht der Altersdurchschnitt der Befragten mit 41,05 Jahren um sieben Jahre vom Durchschnittsalter der DGPuK-Mitglieder ab, die im Mittel gut 48 Jahre alt sind (von 331 der 887 DGPuK-Mitglieder haben die Mitgliederdateien keine Angaben zum Alter, n = 556).
Huber sieht unter Verweis auf Peiser, Hastall und Donsbach (2003) die Verwissenschaftlichung darin, dass sich die Mitglieder der DGPuK vermehrt in der Wissenschaft verorten und nicht in der Medienpraxis (Huber 2010, S. 34). Den Beleg für die gesteuerte Standardisierung sieht sie in den Debatten um und der Verabschiedung von Selbstverständnispapieren (Huber 2010, S. 34).
Die auffällige Häufung ergibt sich durch die besondere Anlage der Untersuchung, die je Forschungsprojekt eine Vielzahl von Themen, Methoden und Theorien erlaubte; vgl. hierzu Anm. 5.
Ein Forschungsprojekt, das einen internationalen Vergleich von Medieninhalten zum Thema „Eurokrise“ anstellt, kann beispielsweise der Themenunterkategorie „Politik als Medieninhalt“ und der Oberkategorie „spezifischer Medieninhalt“ sowie dem Forschungsbereich „Politische Kommunikation“ zugeordnet werden. Die Methode ist eine quantitative Inhaltsanalyse (als weitere Methode kann die qualitative Befragung angegeben werden), und als Theorie wird „Framing“ als Wirkungstheorie angewandt. Forschungsdesign ist ein internationaler Vergleich.
Die mangelnde Trennschärfe liegt in erster Linie daran, dass die Ausprägungslisten der einzelnen Dimensionen immer wieder unsystematisch um neue Begriffe ergänzt wurden.
So kann ein und der derselbe Gegenstand aus völlig unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Beispielsweise kann ein Forschungsprojekt Gewalt in Medien aus der Perspektive der Medienethik ebenso wie aus der Perspektive der Nutzungs- oder Wirkungsforschung untersuchen.
Allerdings sollte seine Anwendung dem jeweiligen Zweck entsprechend (Reviewverfahren oder Befragung) angepasst werden. Während es für ein Reviewverfahren sinnvoll erscheint, je Forschungsprojekt bis zu drei Themen, Theorien und Methoden zu erfassen, kann eine Befragung mit Blick auf quantitative Auswertungsmöglichkeiten beispielweise je Forschungsprojekt ein Hauptthema und ein oder zwei Nebenthemen erfragen, eine dominierende Theorie und zwei ergänzende Theorien sowie die dominierende Methode und zwei ergänzende Methoden.
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Altmeppen, KD., Franzetti, A. & Kössler, T. Das Fach Kommunikationswissenschaft. Publizistik 58, 45–68 (2013). https://doi.org/10.1007/s11616-012-0166-5
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11616-012-0166-5
Schlüsselwörter
- Kommunikationswissenschaftliche Forschungsaktivität
- DGPuK-Mitgliederbefragung
- Fachsystematisierung
- Instrumententwicklung