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Zeitungsberichte im Alltagsgespräch

Mediennutzung, Medienwirkung und Kommunikation im Kaiserreich

Newspaper stories in everyday conversations. Media use, media effects, and communication in the Wilhelmine empire

  • Aufsätze und Berichte
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Publizistik Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassungen

Der Artikel untersucht Mediennutzung und Medienwirkung im Kaiserreich. Er prüft anhand von Polizeiberichten, die heimlich in Kneipen angefertigt wurden, ob und wie Unter- und Mittelschichten über die Zeitungsmeldungen kommunizierten. Eine Analyse von Gesprächen über ausgewählte Skandale ergänzt und vertieft diesen Fokus, der in Beziehung zu unterschiedlichen Ansätzen der Medienwirkungsforschung gesetzt wird. Als Hauptergebnis lässt sich für die Jahrzehnte um 1900 eine starke Medienwirkung ausmachen. Die Kneipengäste griffen schnell und ausführlich Medienthemen auf und entwickelten daraus politische Gespräche. Alle geprüften Skandalfälle fanden sich in verschiedenen Unterhaltungen wieder. Aus den Spitzelberichten lassen sich erstaunlich detaillierte Kenntnisse bei den Mediennutzern nachweisen, selbst wenn die Ereignisse nicht unmittelbar ihrer Lebenswelt nahe standen. Insbesondere die Arbeiter übernahmen zwar häufig Positionen aus der sozialdemokratischen Presse, zeigten dabei aber zugleich eine eigensinnige Aneignung. Die Zeitungsmeldungen wurden mit persönlichen Erfahrungen verbunden, spielerisch-humorvoll gewendet oder mit emotionalen Affekten übersteigert.

Abstract

The article analyses media use and media effects in the Wilhelmine empire. Based on secret police reports covering conversations in pubs, it tackles the question if and how the working and lower middle classes talked about newspaper stories. An analysis of conversations about selected scandals complements this focus, which is also discussed in relation to various theories of media effects. The study highlights the strong influence of the media in the decades around 1900. People in pubs quickly and extensively picked up topics covered in the press and used them in political conversations. All of the selected scandals were also debated in pubs. Newspaper readers had an astonishingly detailed knowledge even of events unrelated to their everyday life. Workers in particular often adopted the arguments presented in the Social Democratic press. However, they appropriated news quite often in a self-willed and unconventional way. News reports were connected with personal experiences, twisted in a playful and humorous way, or loaded with emotional exaggerations.

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Dr. Frank Bösch ist Juniorprofessor für Mediengeschichte am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum.

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Bösch, F. Zeitungsberichte im Alltagsgespräch. Pub 49, 319–336 (2004). https://doi.org/10.1007/s11616-004-0074-4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/s11616-004-0074-4

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