Ausgangspunkt des Sammelbandes sind für die Herausgeberinnen die dramatischen Bedeutungsveränderungen des Fleisches: Aus einem begehrenswerten Lebensmittel mit hohem sozialem Prestige ist ein vieldiskutiertes gesundheitliches, ethisches und ökologisches „Problem“ geworden. Der Band hat insgesamt 466 Seiten mit 19 Beiträgen von Autor_innen verschiedener Disziplinen: Agrar‑, Umwelt‑, Ernährungs- und Kulturwissenschaften, Regionalforschung, Philosophie, Geografie, Soziologie. Sie sind an Hochschulen wissenschaftlich tätig, aber auch an privatwirtschaftlichen Einrichtungen für Forschung, Entwicklung, Beratung und Politik. Leider offenbart sich dies erst nach eigenen Recherchen, da das ansonsten übliche Autor_innenverzeichnis fehlt.

Im ersten Themenblock wird ein kritischer Blick auf die ethischen Konflikte der Fleischerzeugung gerichtet. Bernhard Hörning macht anhand landwirtschaftlicher Statistiken deutlich, dass die Mehrheit der Nutztiere immer häufiger in immer größeren Beständen unter intensiven Bedingungen gehalten werden – mit schädigenden Folgen für Tiergesundheit, Tiergerechtigkeit und Ökologie. Susanne von Münchhausen, Andrea Fink-Keßler und Anna Härting stellen die Ergebnisse einer internationalen Fallstudie dar, die zeigt, wie es landwirtschaftlichen Betrieben trotz mancher Widrigkeiten gelingen kann, sich jenseits industrieller Massenfleischproduktion am Markt mit einer alternativen ökologisch und ethisch wertebasierten Fleischerzeugung zu etablieren. Nora Klopp und Franz-Theo Gottwald diskutieren ethische Aspekte des Umgangs mit Schweinen. Dazu gehören Fragen der Zuchtethik, der Haltungsethik, der Transport- und Schlachtethik, der Arbeitsethik und der Verbraucherethik. Erstaunlich ist, dass bei der Problematisierung der Arbeitsbedingungen in Fleischbetrieben die psychischen Belastungen der industriellen Tötungsarbeiten hier nicht in den Blick geraten. Ob Tierwohllabel ein Ansatzpunkt sein können, die vorliegenden Konflikte zu lösen, dazu sind die Autor_innen skeptisch. Wiebke Wellbrock und Andrea Knierim stellen ihre Studie zur öffentlichen Verhandlung des Buches „Die Wegwerfkuh“ vor, in dem u. a. am Beispiel der Bullenkälber die Effizienzsteigerungen der hochspezialisierten Milchwirtschaft kritisiert werden. Anhand der Untersuchung von Online-Kommentaren zu diesem Buch weisen sie nach, dass das kritisch gelabelte Paradigma der Bioökonomie als Frame wenig gewinnbringend ist, um ethische Konflikte der Milchwirtschaft zu klären.

Der zweite Themenblock widmet sich dem Konsum des Fleisches und dem Diskurs dazu. Fabio Franzese und Johanna Schütz liefern aus ernährungsmedizinischer Perspektive Daten zum Fleischkonsum in Europa bei den Über-50-Jährigen. Länderübergreifend zeigt sich der bekannte Gender-Bias. Die Menge des Fleischkonsums ist hingegen länderspezifisch unterschiedlich. Kausalitäten zwischen Wohlstand des Landes und Fleischmengen sind nicht nachweisbar. Jaya Bowry eröffnet auf der Grundlage von Interviews mit fast ausschließlich männlichen Fußballfans kulturwissenschaftliche Einblicke in die Symbolik von Bratwurst und Bier als prominentem „rituellem Mahl“ in Fußballstadien, wobei hier das Ausbleiben der Reflexion geschlechtlicher Symboliken erstaunt. Vor dem theoretischen Hintergrund der Human Animal Studies geht Christina Schröder diskursanalytisch der Frage nach, wie die Essbarkeit von Tieren in Online-Foren konstruiert wird. Nachweisbar ist die erfolgreiche sprachliche und faktische Herstellung der Differenz zwischen Nutz- und Haustieren zur Legitimierung des Fleischkonsums, aber auch die Entwicklung einer neuen Wissensordnung, in der diese Differenz sich verflüssigt. Larissa Deppisch zeichnet mit Bezug auf Foucaults Konzept der Biopolitik den „Rassediskurs ohne Rasse(begriff)“ (233) in der medialen Aufbereitung der politischen Forderung nach mehr Schweinefleisch in der Gemeinschaftsverpflegung nach. Verena Fingerlein und Jasmin Godemann arbeiten mit Blick auf vorliegende Studien zu medialen Diskursen zu Fleisch und fleischloser Ernährung heraus, wie sich die öffentliche Thematisierung zu Fleisch in den letzten zwei Jahrzehnten verändert hat. Während zunächst Verbraucher_innen als Opfer von „Fleischskandalen“ erscheinen, werden sie später stärker als Konsumierende verantwortlich gemacht. Eine weitere Diskursanalyse zur Thematisierung des Fleisches in Schulbüchern wird von Sabine Lippert und David Ulrich vorgelegt, die zeigt, dass konfliktvermeidende Darstellungen zur Fleischproduktion dominieren. Probleme der Massentierhaltung werden zwar angesprochen, aber auf die Verantwortlichkeit des Individuums reduziert und ihrer politökonomischen Entstehungsbedingungen entledigt.

In einem dritten Themenblock geht es um In-Vitro-Fleisch. Birgit Beck systematisiert die Pro- und Contra-Argumente für diese Lebensmitteltechnologie und kann damit aufzeigen, dass diese weniger rational, sondern vor allem wertetheoretisch getragen sind. Während sie aus einer anthropozentrischen Perspektive befürwortet wird, erfährt sie aus einer biozentrischen Perspektive Ablehnung. Aus tierethischer Perspektive erscheint die Entwicklung ambivalent. Eine ähnliche Stoßrichtung hat der Beitrag von Roland Lippert und Minna Kanerva, die die Stimmungen zum In-Vitro-Fleisch sondieren und vermuten, dass die nachweisbaren diversen Vorbehalte gegen dieses Lebensmittel erst dann nachlassen, wenn es nicht mehr als „Fleisch“ assoziiert wird.

Der letzte Themenblock umfasst Beiträge zum Vegetarismus und Veganismus. Daniel Witte untersucht mit Bezug auf die Theoriekonzepte von Elias und Bourdieu die öffentliche Verhandlung zur fleischverzichtenden Ernährungsweise wie sie sich in Bestsellern zur Fleischkritik, aber auch in der Zeitschrift „Beef“ abbildet. Dass der Tonfall bei den fleischbefürwortenden Fraktionen radikaler und polemischer ist, verweist darauf, dass beim Vegetarismus „weit mehr „auf dem Spiel“ steht als lediglich bestimmte Ernährungsvorlieben“, sondern das grundsätzliche „Verhältnis von Mensch und Tier“ (369). Beate Gebhardt, Daniela Müssig und Kathrin Mikulasch nehmen aus der Perspektive der Marktforschung Gesundheitsversprechen veganer Produkte und Gesundheitserwartungen der Käufer_innen mithilfe einer Online-Kundenbefragung und einer Werbungsanalyse in den Blick. Esther Seha problematisiert das Konzept des „politischen Konsums“ beispielhaft an der „Veggie-Day-Kampagne“ der Grünen, der es nicht gelang, den Streit um eine persönliche Ernährungsauflage in die notwendige Diskussion zum grundsätzlichen Problem des Fleischkonsums zu transferieren. Alexandra Rabensteiner verfolgt schließlich die Neuaushandlung des Fleischkonsums angesichts seiner massiven Imageverschlechterungen. Anhand der Diskursanalyse prominenter Fleisch-Magazine rekonstruiert sie, wie dort Erzählungen angeboten werden, mit denen sich der Fleischkonsum rechtfertigen lässt. Dabei werden die aktuellen Problem-Narrative nicht vermieden, sondern offensiv aufgenommen und der Fleischverzehr als „notwendige und natürliche Praxis bestimmter Personengruppen – männlich und hochrangig –“ (439) präsentiert.

Erfreulich ist, dass Genderfragen präsent sind und gleich zwei Buchbeiträge sich speziell mit ihnen beschäftigen. Martin Winter diskutiert die Vergeschlechtlichung des Veganismus. Die soziale Brisanz des männlichen Veganismus besteht schließlich darin, wie vegane Männer sich des Verweiblichungsverdachts entledigen können, wenn doch der Fleischkonsum so sehr für „Manneskraft“ steht. Winters These ist, dass der derzeitige Boom des Veganismus auf das Emulgieren von zwei hegemonialen Diskurssträngen zurückzuführen ist: die individualisierte Gesundheitsverantwortung in einer neoliberalen Gesellschaft und die erfolgreiche symbolische Aufladung des Verzichts auf Tierisches als Zeichen männlicher Stärke und Überlegenheit. Damit offenbart sich der männliche Veganismus in seiner Kombination mit Fitnessimperativen als Arena der Reproduktion hegemonialer Männlichkeit. Sebastian Moser zeichnet ethnografisch nach, welche Rolle die Frau des Fleischers in einem handwerklichen Fleischereibetrieb innehat. Sie stellt an der Verkaufstheke die entscheidende Vertrauens-Vermittlerin zwischen Kundschaft und dem männlichen Handwerk auf der Hinterbühne des Betriebs dar, die nicht einsehbar ist. Gerade dort, wo das Fleisch weiterverarbeitet ist wie bei der Wurst, was Misstrauen bei den Kaufenden auslösen kann, bürgt sie als Person für „Anständigkeit“ der Arbeit ihres Mannes.

Der Band eröffnet ein disziplinär breites und detailreiches Panorama zum Fleischthema für alle jene, die daran interessiert sind, die Umbrüche in Praxis und Politik des Fleischessens und -erzeugens empirisch zu erfassen und theoretisch zu ergründen. Fischkonsum wie auch der Konsum weiterer tierlicher Produkte fehlen jedoch, auch das Schlachten als elementare Bedingung des Fleischkonsums wird nur ganz am Rande gestreift. Schön wäre es gewesen, wenn die Herausgeberinnen am Ende Erkenntnisgewinne des Bandes für eine „in die Zukunft gerichtete Diskussion“ (7) zur Fleischproduktion und zum Fleischkonsum, wie sie sich diese in der Einleitung wünschen, verdichtet hätten. Aber gerade weil die Beiträge so disziplinär sind und ihre Gegenstände, Fragestellungen und Erkenntnisinteressen so heterogen, wäre das eine kaum leistbare Herkulesaufgabe gewesen.