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Bildwahrnehmung – Bildinterpretation

Segmentanalyse als methodischer Zugang zur Erschließung bildlichen Sinns

Perceiving, describing, and interpreting pictures

Visual segment analysis as approach to analyse pictorial meaning

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Österreichische Zeitschrift für Soziologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Beitrag stellt die visuelle Segmentanalyse als einen bild- und symboltheoretisch begründeten sowie methodisch ausgearbeiteten Zugang zu Bildern im Rahmen der interpretativen Soziologie sowie der sich gegenwärtig dynamisch entwickelnden visuellen Soziologie vor. Er folgt der Frage, wie visuelle Wahrnehmungen in beschreibende und interpretierende Sprache transformiert werden können, ohne den spezifisch bildlichen Sinn dabei zu verfehlen. Die Diskussion dieser Frage schließt an die Unterscheidung zwischen präsentativen und diskursiven Formen der Symbolisierung von Susanne Langer an. Dabei wird auf das Potential der Sprache, nicht nur Aussagesätze in diskursiver Form, sondern auch bildanschauliche Beschreibungen präsentativ hervorzubringen, rekurriert. An einem konkreten Bildbeispiel wird gezeigt, wie mit einer Segmentanalyse rekonstruiert werden kann, in welcher Weise aus der Beziehung und (formalen) Organisiertheit verschiedener Bildelemente in einer Gesamtkomposition (Imdahl) beim Betrachten (also wahrnehmend) eine Bildgestalt entsteht, die zum Teil bestimmbare, zum Teil unbestimmt bleibende Bedeutungs- und Sinnbezüge in diskursiven Verweisungszusammenhängen generiert.

Abstract

The contribution presents visual segment analysis as an approach to methodically interpret pictures in the context of interpretive sociology and visual sociology, which is theoretically based in picture theories as well as symbol theory. This article focuses on the widely discussed challenge of how to address visual perception by verbal description and interpretation in a way that the specific pictorial meaning is not missed but pointed out. The considerations about how to deal with this question follow the distinction between the presentational and discursive form of symbolisation by Susanne Langer, and draw on the potential of language not only to discursively create propositional evidence, but to let emerge imagination in a presentational form. With an exemplary analysis of a photograph it will be shown, how we can reconstruct the way in which aBildgestalt emerges, which is based in a complex interplay between the formal organisation of different pictorial elements within a composition (Imdahl) and the activities of subjects assigning meaning to what they see in a process of looking.

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Notes

  1. Hierbei handelt es sich um ein großes Feld mit stetig wachsender Literatur. An dieser Stelle ist kein Einblick und schon gar kein Überblick über die interdisziplinär breit gestreuten Zugänge und Debatten möglich. Es seien lediglich die für meinen Ansatz wichtigen Ausgangspunkte mit zum Teil ähnlichen, zum Teil auch divergierenden theoretisch-methodologischen Positionen genannt (vgl. Boehm1994; Mitchell1987; Bredekamp2004; Sachs-Hombach und Rehkämper2004; Mirzoeff2002; Evans und Hall1999). Für den Beginn der soziologischen Diskussion über Bilder steht z. B. Becker1974 sowie Goffman1981. Weitere Literatur siehe in Breckner2010.

  2. Theoretisch-methodologische Argumentationen bezüglich der Aspekte und Dimensionen sozialer Welten, die es über einen visuellen Zugang zu erschließen gilt, werden derzeit in der interpretativen Soziologie bzw. Wissenssoziologie vornehmlich entlang bekannter ‚Schulen‘ entwickelt. Zu nennen sind hier die visuelle Wissenssoziologie, dieVideographie, Medienanalysen als Symbolanalyse in Anlehnung an Müller-Doohm bzw. als Gattungsanalyse in Anlehnung an Luckmann, bildanalytische Zugänge in der Tradition der objektiven Hermeneutik, die dokumentarische Methode der Bild- und Videointerpretation sowie meine ebenfalls wissenssoziologisch angelegte, spezifisch symbol- und bedeutungstheoretisch fundierte visuelle Segmentanalyse (Breckner2003,2010). Auch hierzu ist in diesem Rahmen kein Literaturüberblick möglich.

  3. Zur theoretisch-methodologischen Begründung der Segmentanalyse vgl. Breckner2010, wo auch detaillierte Beschreibungen des methodischen Vorgehens anhand konkreter Bildanalysen zu finden sind.

  4. Vgl. exemplarisch Kemal und Gaskell1991, Boehm und Pfotenhauer1995, aus soziologisch-ethnomethodologischer Perspektive Hirschauer2001.

  5. MitBedeutung ist in diesem Zusammenhang die Referenzrelation von Bedeutungseinheiten gemeint. Im Fall von Bildern sind dies Segmente, die sich entlang von Figuren, Linien, Kontrasten etc. identifizieren lassen.Sinn meint den manifesten und latenten thematischen Gehalt, der durch eine spezifische Referenzrelation entsteht. Bedeutung und Sinn lassen sich begrifflich trotz sehr langer sprachtheoretischer Diskussionen nicht trennscharf voneinander abgrenzen. In Analyseprozessen bezieht sich die Sinninterpretation in der Regel auf die Rekonstruktion der Bedeutungsbezüge, die wiederum erst in einem spezifischen Sinnhorizont erkennbar werden. Deshalb nenne ich Bedeutung und Sinn meist in einem Atemzug, um die verschiedenen semiotischen Dimensionen anzudeuten, sie aber nicht strikt voneinander zu trennen.

  6. In bestimmten Bildern kann man sehen, wie eine Farbe klingt, spüren, wie sich die sichtbare Oberfläche (z. B. eines Tierfelles) anfühlt oder ein dargestelltes Obst, Tier etc. riecht.

  7. Die Imdahl folgende Analyse der auf ,Feldlinien‘ basierenden planimetrischen Bildkomposition erweist sich immer wieder als ausgesprochen produktiv. Inwiefern die feldbasierte planimetrische Struktur allerdings als Universalprinzip der bildlichen Bedeutungskonstitution angenommen werden kann, ist meines Erachtens noch zu diskutieren.

  8. Fritz Schütze und Gabriele Rosenthal haben diesen Gedanken in ihre gestalttheoretisch fundierten erzählanalytischen Konzepte vor allem in der Figur des ,szenischen Erinnerns‘ bereits aufgenommen (vgl. Schütze1987; Rosenthal1995).

  9. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich von den von Panofsky (1985) vorgeschlagenen ersten Schritten der ,vorikonographischen‘ Erfassung eines Bildes insofern, als zwar in einer ersten Beschreibung auch sachhaltige Bezüge noch ohne interpretativ plausibilisierten Aussagezusammenhang aufgenommen werden. Es werden darüber hinaus aber auch ausdrücklich jene Eindrücke artikuliert, die aus imaginativen, affektiven und möglicherweise auch leiblichen Prozessen hervorgehen, welche von Interpretationsvorgängen, die im Alltag ständig stattfinden, letztlich nicht zu trennen sind. Sie lassen sich davon nur insoweit unterscheiden, als hier Wahrnehmungsprozesse fokussiert werden und das, was dabei geschieht, noch nicht durch eine systematische Analyse kontrolliert, sondern beschreibend festzuhalten versucht wird.

  10. In der Regel erfordert eine hohe Anzahl von Segmenten eine längere Interpretationszeit, weil mit jedem Segment mehr Interpretationsmöglichkeiten entwickelt werden. Es gilt, die Herausforderung zu bewältigen, mit der Fülle der möglichen Bedeutungs- und Sinnbezüge den Blick auf den Gesamtzusammenhang eines Bildes nicht zu verlieren und mit dem Blick auf Details über ihren Zusammenhang vertiefende Hypothesenlinien zu entwickeln und zu plausibilisieren.

  11. Sollte dieser Aspekt für eine Interpretation relevant werden, können Recherchen zu Kleidungsstilen in bestimmten historischen Zeiträumen eine genauere Bestimmung ermöglichen. Hier sei lediglich auf das indexikalische Potential hingewiesen.

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Breckner, R. Bildwahrnehmung – Bildinterpretation. Österreich Z Soziol 37, 143–164 (2012). https://doi.org/10.1007/s11614-012-0026-6

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