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Mysterium tremendum und mysterium fascinans

Die emotionale Dimension politischer ‚Religionen‘

Mysterium Tremendum and Mysterium Fascinans. The emotional dimension of ‘political religions’

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Österreichische Zeitschrift für Soziologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Die Geschichte der westlichen Moderne kann nicht als einfacher, linear-fort-schreitender Prozess der Säkularisierung beschrieben werden, sondern weist vielfältige, teilweise auch widersprüchliche Tendenzen der Säkularisierung und Resakralisierung auf. Dabei trat die „Wiederverzauberung“ einerseits im spezifischen Gewand traditioneller Religionen auf, andererseits übernahmen jedoch weltliche Ersatzbildungen für die Religion — sei es die Wissenschaft oder seien es politische Bewegungen — Inhalte und Funktionen traditioneller Religionen. Politische ‘Religionen’ übernahmen, transformierten und amalgamierten nicht nur die Inhalte christlicher Texte und Vorstellungen und bedienten sich christlicher Riten und Symboliken, sondern sie erfüllten für ihre „Gläubigen“ auch eine Reihe von Funktionen. Eine zentrale Funktion sowohl von traditionellen religiösen Bewegungen als auch von politischen ‘Religionen’ lag schließlich in dem Vermögen, einerseits Emotionen hervorzurufen und andererseits dem Individuum ein Forum zu bieten, Emotionen, häufig in Form von Ritus und Kult, zu ‘leben’ und in legitimierter Weise artikulieren zu können. Politischen ‘Religionen’ gelingt es also, wie Eric Voegelin bereits unterstrich, ihre Mitglieder affektuell zu binden. Im vorliegenden Artikel werden zunächst die emotionale Dimension von Religionen sowie die Beziehung von Emotion und politischer ‘Religion’ herausgearbeitet und diese anschließend anhand der politischen ‘Religion’ des Sowjetkommunismus bis zu Stalins Tod mit Hilfe literarischer und autobiographischer Texte nachgezeichnet.

Abstract

The history of Western modernity must not only be regarded as a linear process of secularisation: even the “classics” of sociology like Emile Durkheim, Max Weber, and Georg Simmel have dealt with the ambiguities of the modern age, thereby referring to both the “disenchantment” and the “re-enchantment”. Worldly replacements such as science and political movements partly took over the function and the meaning of traditional religions. Political ‘religions’ not only adopted, transformed and amalgamated the contents of Christian texts and imaginations and used Christian rites and symbols, but also fulfilled special functions for their “believers”. One of the most important functions both of traditional religions and political ‘religion’ is to evoke emotions and to give opportunities to act on emotions. The article deals with the relationship between traditional ‘religions’ and political ‘religions’ with regard to emotions. In this context, the political ‘religion’ of Soviet communism until Stalin’s death is examined.

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Haring, S.A. Mysterium tremendum und mysterium fascinans . ÖZS 33, 43–62 (2008). https://doi.org/10.1007/s11614-008-0017-9

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