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Ein „neuer Geist des Kapitalismus“?

Paradoxien der Selbstverantwortung

A new spirit of capitalism? Paradoxes of self-responsibility

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Österreichische Zeitschrift für Soziologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Beitrag rekonstruiert die konzeptionelle Anlage der Studie „Ein neuer Geist des Kapitalismus“ von Boltanski und Chiapello. Mit der Künstler-und der Sozialkritik werden zwei zentrale Diskussionsstränge des Buches nachgezeichnet und um Argumente aus der deutschsprachigen Wirtschafts-und Arbeitssoziologie mit dem Ziel erweitert, zentrale Aspekte der ‘französischen’ Studie in den hiesigen Diskussionskontext einzurücken. Über Boltanski und Chiapello hinausgehend wird dabei die These vertreten, dass es nicht die „Netzwerkpolis“, sondern semantische Figuren wie „Selbstverantwortung“ und „die Macht des Marktes“ sind, welche die aktuellen Umbrüche in der Sphäre der Erwerbsarbeit und der Sozialpolitik normativ einbetten. Mit dem Bedeutungsgewinn der genannten semantischen Figuren ist, so die zweite These des Beitrags, eine strukturell folgenreiche Reorientierung von Zurechnungen verknüpft. Die stärkere Betonung von Selbstzurechnung konfrontiert die Normadressaten der Individualisierungssemantik mit vielfältigen Paradoxien.

Abstract

The paper aims to reconstruct the conceptual design of Boltanski and Chiapello’s ‘New Spirit of Capitalism’. Especially, it addresses the concepts of artists’ and social critique in this study and contextualizes them with current debates in German-language industrial and economic sociology. Going beyond the framework of Boltanski and Chiapello, the paper argues that it is less the justificatory regime of networks and projects which legitimates current changes in the spheres of work and social policy, but semantic figures such as “self-responsibility”, accountability and the “power of the market”. Through the increasing centrality of these semantic figures in public discourse, prevalent modes of ascription of actions to individuals change. However, the institutionalised emphasis on self-accountability generates new paradoxes for social subjects who are addressed by norms and justificatory regimes.

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Für wichtige Hinweise und klärende Diskussionen danke ich Silviana Galassi, Birgit Geissler, Ursula Mense-Petermann, Stephan Voswinkel und den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern.

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Wagner, G. Ein „neuer Geist des Kapitalismus“?. ÖZS 32, 3–24 (2007). https://doi.org/10.1007/s11614-007-0018-0

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