Carsten C. Schermuly (2023): New Work Dystopia: Scheitern im Wandel und wie es besser geht. Freiburg: Haufe, 216 S., 29,99 €.

Reisen Sie mit nach Pirmasens ins Firmenimperium der Familie Kaltenburg – und lernen Sie, was Sie in Bezug auf New Work alles falsch machen können. So könnte der Trailer zu dem neuen Buch von Carsten C. Schermuly lauten. Es ist das Gegenstück zu seinem 2022 im selben Verlag erschienenen Buch „New Work Utopia“, das am fiktiven Unternehmensbeispiel „Stärkande“ gelingende New Work-Praktiken erläutert. Warum nun die Dystopie folgt, erläutert Schermuly im Vorwort.

Anschließend geht es weiter mit einem Beziehungsaufbau – die Lesenden erhalten ausführliche Einblicke in die Familie Kaltenburg und ihr gleichnamiges Großunternehmen. Cartoonistisch vom Autor selbst untermalt, werden sie nicht nur charakterisiert, sondern auch verbildlicht mit einem Ausblick auf das, was folgen wird, als Firmenpatriarch Alfred von New Work hörte. Auch die Unternehmensgeschichte von Kaltenburg spielt eine relevante Rolle und fließt immer wieder ein; so widmet sich ein Kapitel den Geschäftsbereichen und ihrer historischen Entwicklung. Teil 2 des quadrologisch aufgebauten Buches widmet sich der Gegenwart der Kaltenburger und zeigt die acht Axiome der Organisation Kaltenburg und ihrer Mitarbeitenden auf. Kontrolle, Überlebenshaltung, DEAD-Werte und rote Karten wie beim Fußballspiel paaren sich bei Kaltenburg mit Arbeitsgarantie für die gesamte Familie. Der Mensch als Maschine. Im dritten Teil des Buches folgt die Transformation zu New Work – flexibel interpretiert vom Firmenchef selbst. In einzelnen Kapiteln beleuchtet der Autor unterschiedliche New Work-Ansätze und skizziert die Umsetzung Kaltenburgs sowie die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden.

Zwar ausnahmsweise nicht in der Familie, jedoch im Freundeskreis befindet sich die (un-)abhängige Unternehmensberatung, die den Prozess zur New Work-Transformation begleitet, unterstützt von der Kontroll-App Piter. Mitarbeitenden-Befragungen, Empowerment-Ansätze und strukturierte Umsetzungskonzepte unter Berücksichtigung aller Variablen werden im ersten bis dritten Teil des Buches nicht erörtert, stattdessen geht es um Gewinnmaximierung, um das Gefühl von Kontrollverlust bei Mitarbeitenden und um eine Arbeitsatmosphäre, die sich mit jedem fehlgeleiteten New Work-Schritt verschlimmert. Die Reise nach New Work führt hierdurch in unterschiedliche Richtungen: Während Mitarbeitende Stress, Druck und Kontrolle durch die Maßnahmen wie Großraumbüros und Vertrauensarbeitszeit erleben, erfreut sich Patriarch Alfred mit Gefolge der vermeintlich erfolgreichen Umsetzung der Konzepte, da sie zu Gewinnmaximierung führen. New Work ist, was Umsatz steigert und gerade passt.

Der vierte und letzte Teil des Buches beginnt mit dem Ende – dem Ende Alfreds. Doch jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne, und so sieht Schermuly hier die Chance gekommen, die Organisation Kaltenburg doch noch voranzutreiben und das Klima aus der Eiszeit in einen lauen Frühlingsabend zu verändern, um New Work wegzubringen vom „Synonym für gescheiterte organisationale Transformationen“ (S. 13). Hierfür folgen Tipps zu psychologischem Empowerment, dem New Work-Barometer, der Delphi-Methode und zu Weiterem.

Interessant ist der Rundumblick auf einen – fiktiven – Großkonzern, der auch die Entwicklung der historisch gewachsenen Firmenkultur sowie regionale Besonderheiten umfasst. Schwieriger zu verkraften ist der Bruch vom dritten zum vierten Teil: Nachdem die Reise Kaltenburgs über die Jahre teils humoristisch mit etwas Dramatik von den Lesenden begleitet wurde und zum Mitleiden mit den Mitarbeitenden einlud, geht es nun ziemlich nüchtern zu Theorien und Fakten über. Dies ist zwar verpackt in einen Brief an den Geschäftsführer, doch wer diesen aus der Vorgeschichte kennt, ist sich sicher: Begriffe wie psychologisches Empowerment wird er nicht einordnen können. Demgegenüber punktet das Vorgängerbuch „New Work Utopia“ mit einer deutlicheren Verschmelzung von Theorie und Praxis, während sich „New Work Dystopia“ zwischenzeitlich fast wie ein Roman, im vierten Teil dann jedoch eher wie ein – anschaulich geschriebenes – Sachbuch liest. Die dargestellten Ansätze, aus dem herrschaftsorientierten Kaltenburg ein Unternehmen mit psychologischem Empowerment zu machen, bieten dem Leser Informationen über zahlreiche Konzepte und Umsetzungsmöglichkeiten; so werden z. B. auch der richtige Zeitpunkt für New Work-Maßnahmen sowie die Unternehmenskultur thematisiert.

Deutlich erkennbar ist die intrinsische Überzeugung des Autors zu New Work als ganzheitlicher Unternehmenshaltung anstelle von containerisierter Instrumentalisierung; wer sich hierauf einlässt, kann trotz der „Dystopia“ im Titel manche wertvolle Lernerfahrungen machen. Überzeugend ist auch die klare und humorvolle Sprache, die die für Führungskräfte und Firmeninhaber schwere Kost des Scheiterns leichter verdauen lässt, falls Anteile der eigenen Organisation in Kaltenburg erkannt werden. Die lockere Schreibweise, die hochwertige Inhalte mit Reflexivität und Esprit verbindet, macht das Buch auch zu einer gut zu konsumierenden Lektüre nach Feierabend. Es eignet sich sowohl als Single wie auch in der schlüssigen Partnerschaft mit dem Vorgänger „New Work Utopia“ für Beratende, HR-Mitarbeitende und Coaches, aber auch für Führungskräfte wie Mittelständler, die wissen wollen, wie New Work-Praktiken (besser nicht) umgesetzt werden könnten oder bislang an der Umsetzung gescheitert sind.