1 Einleitung: Unsere sozio-ökologische Krise

Vortrag auf dem 12. Kongress für psychodynamisches Coaching „Umbruch – Der Beitrag psychodynamischen Coachings zur nachhaltigen Transformation“ am 02.–03.06.2023 in Kassel.

Von welcher Art ist die sozio-ökologische Krise, auf die eine große Transformation – bzw. vielmehr Transformationen – im Sinne eines „Great Mindshift“ (Göpel 2016) die Antwort liefern sollen? Im Jahr 2000 rief der Geochemiker Paul Crutzen gemeinsam mit Eugene F. Stoermer das „Anthropozän“ aus (Stoermer et al. 2000; Crutzen 2016; Steffen et al. 2007): Es ist definitorisch eine neue geochronologische Epoche. Es löst die vorausgehende Epoche – das Holozän – ab und ist dadurch charakterisiert, dass der Mensch zum prägendsten Einflussfaktor der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde geworden ist. Die Ausrufung des Anthropozäns zeigt besonders deutlich die enorme Auswirkung, die wir Menschen auf unser Erdsystem haben, doch wie sieht die daraus resultierende sozio-ökologische Krise in materieller Hinsicht aus? Hier hilft die Verbindung der beiden Konzepte der Planetary Boundaries (Rockström et al. 2009, 2010) und der Doughnut Economics (Raworth 2017) weiter (s. Abb. 1). Im Rahmen umfassender erdsystemwissenschaftlicher Forschung haben Rockström et al. zentrale Umweltbeeinträchtigungen identifiziert, für die bestimmte Schwellwerte nicht überschritten werden dürfen, wenn die Menschheit ihre eigenen Lebensgrundlagen (safe operating space) nicht empfindlich gefährden will. Dabei sind bereits jetzt diese Schwellwerte für Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Stickstoff- und Phosphornutzung und Landnutzungswandel drastisch überschritten. Die Doughnut Economics von Raworth verdeutlichen im Gegenzug, welche wichtigen menschlichen Bedürfnisse für alle Menschen erfüllt sein sollten. Von diesen Bedürfnissen sind z. B. politische Mitbestimmung, Gendergerechtigkeit, Gesundheit, aber auch materielle Bedürfnisse wie Zugang zu Nahrung, Wasser und Energie für viele Menschen noch bedeutend im Mangel.

Abb. 1
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Übersicht Planetary Boundaries von Johan Rockström et al. und Doughnut Economics von Kate Raworth. Während die Menschheit wichtige planetare Grenzen im äußeren Kreis bereits überschritten hat, sind menschliche Bedürfnisse im inneren Kreis unerfüllt

In materieller Hinsicht besteht unsere sozio-ökologische Krise also in dem Dilemma, dass die Menschheit die Tragfähigkeitsgrenzen des Erdsystems bereits jetzt drastisch überstrapaziert hat, während es gleichzeitig noch nicht einmal gelungen ist, zentrale Bedürfnisse für die gesamte Weltbevölkerung zu sichern. Dieses Dilemma hat mehrere Ursachen, von denen eine der wichtigsten selbstverständlich darin zu suchen ist, dass die reichen Gesellschaften des „überentwickelten“ globalen Nordens sich in einem erheblichen Ausmaß Ressourcen angeeignet haben. Dies geschah und geschieht unter Ausschluss, bzw. (neo‑)kolonialer Ausbeutung, der „unterentwickelten“ Gesellschaften des globalen Südens (z. B. Gonzalez 2015). Aus diesem Grund besteht von Anfang an ein Spannungsverhältnis im Begriff „nachhaltige Entwicklung“, in dem – stark vereinfacht ausgedrückt – der globale Norden eher die ökologische Krise auf die politische Agenda brachte, während der globale Süden die Notwendigkeit der eigenen sozio-ökonomischen Entwicklung betonte (z. B. Fukuda-Parr und Muchhala 2020). Der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ wurde daher vielfach als Oxymoron kritisiert (z. B. Brown 2011); weiter führt jedoch eine Synthese. So ist Stirling (Unversity of Sussex) Recht zu gebenFootnote 2, wenn er die Frage danach, was nachhaltige Entwicklung auf der globalen Ebene lösen möchte, mit einer „Überwindung der kolonialen Moderne“ beantwortet, die sowohl zu Umweltausbeutung als auch zur Ausbeutung des globalen Südens führte.

2 Nachhaltigkeit: Eine begriffliche Einordnung

Aufbauend auf dieser Skizzierung unserer sozio-ökologischen Krise möchte ich nun eine Erörterung derjenigen Vision vornehmen, die selbige überwinden möchte: Nachhaltigkeit bzw. Transformationen hin zu Nachhaltigkeit. Das Konzept der Nachhaltigkeit wird vielfach für seine Vagheit kritisiert, und viele raten dazu, es durch andere Konzepte, wie z. B. Resilienz, zu ersetzen (vgl. Johnston et al. 2007). Wichtiger ist es, (1) mit dem Grundvokabular der Nachhaltigkeitswissenschaft sicher umgehen zu können und (2) dieses Vokabular auf den jeweiligen Handlungskontext (in diesem Fall Organisationsentwicklung und Coaching) beziehen zu können, denn jenseits eines Kontexts machen Nachhaltigkeitsdefinitionen wenig Sinn.

2.1 Kurzer geschichtlicher Rückblick

Ausgehend vom Erscheinen des Begriffs in der sächsischen Forstwissenschaft des frühen 18. Jahrhunderts und in grundlegend disruptiven Werken wie Carson (1962) und des Club of Rome (Meadows et al. 1972) entwickelte sich der Begriff vor allem entlang der UN-Konferenzen (Stockholm 1972, Rio de Janeiro 1992, Johannesburg 2002). Die sicher berühmteste Definition findet sich im Bericht der World Commission on Environment and Development (Brundtland-Kommission): Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung, die gegenwärtigen Generationen eine Bedürfnisbefriedigung erlaubt, welche zukünftige Generationen hinsichtlich der Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht einschränkt. Wichtiger als eine vertiefende geschichtliche Einführung (vgl. Kehnel 2021; Grober 2010) erscheint mir, den Titel des Brundtland Berichts hervorzugeben: „Our Common Future“. Dieses Thema verstärkt sich nochmals im Abschlussbericht der UN Conference on Sustainable Development (UNCSD), der Rio+20 Konferenz, der den Titel „The Future we want“ trägt. Dies verdeutlicht, dass Nachhaltigkeitsforschung als Nachdenken über wünschbare und lebbare Zukünfte verstanden werden kann. Ein Zusammenhang, den ich gerade im Kontext von Organisationsentwicklung und Coaching sehr wichtig finde.

2.2 Normative Zielsetzung

Um hier abzukürzen, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die umfassendste Architektur normativer Nachhaltigkeitsziele die Agenda 2030 ist. Beschlossen wurde diese im Rahmen der UN-Vollversammlung am 25. September 2015 unter dem Titel „Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development“, was erneut auf das Reflektieren wünschbarer und lebbarer Zukünfte verweist. Aus der übergeordneten Logik des 5P Prinzips (People, Planet, Prosperity, Peace and Partnerships) wurden 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) abgeleitet, die bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen (s. Abb. 2). Diese untergliedern sich wiederum in 169 Unterziele (Targets).

Abb. 2
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Die Agenda 2030. 5P Prinzip (People, Planet, Prosperity, Peace and Partnerships), 17 SDGs, 169 Targets. Zeithorizont: 2015 bis 2030

Bei den Verhandlungen um die Agenda 2030 zeigte sich erneut der angesprochene Nord-Süd-Diskurs, denn es war die kolumbianische Kommission, die anregte, die vorherige Entwicklungsagenda der Millenium Development Goals (MDGs) durch die SDGs zu ersetzen (Fukada-Parr und Muchhala 2020; vgl. aber Denk 2020). Wenn man so will, wurde also die Weltgemeinschaft insgesamt in die Pflicht genommen, die sozio-ökologische Krise zu überwinden, statt weiterhin ein verantwortungsloses Wirtschaften im globalen Norden durch eine Transferagenda im globalen Süden kompensieren zu wollen. Die Agenda 2030 betont damit die Verantwortlichkeit aller Staaten, vor allem aber auch die Verantwortung sämtlicher Akteur:innen in Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit. Sie wird oft dafür gelobt, als globale Nachhaltigkeitsagenda umfassender zu sein als die Entwicklungsagenda der MDGs. Darüber hinaus ist sie durch eine stringente Indikatorik, klare Zuständigkeiten (custodian agencies) und die Verpflichtung zu nationaler Strategieentwicklung und Monitoring konkreter als frühere Policies der globalen Umweltgovernance; gleichzeitig bleiben die bisher erreichten Transformationen hinter dem Erwarteten zurück (Biermann et al. 2022). Während die Agenda 2030 also festlegt, was die Weltgesellschaft für die Zukunft erreichen will, ist zu klären, anhand welcher Strategien es erreicht werden kann.

2.3 Konzeptionen

Zwischen normativen Zielsetzungen und konkreten Handlungsstrategien stehen konzeptionelle Vorstellungen darüber, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen sei. Es ist wichtig, diese Vorstellungen zu kennen, abgrenzen zu können und sie nicht mit Strategien zu verwechseln. Denn während Nachhaltigkeitsstrategien handlungsleitend sind, sind es konzeptionelle Vorstellungen nicht.

Die vermutlich bekannteste Konzeption ist das sogenannte Drei-Säulen-Modell, das Ökologie, Ökonomie und Soziales zu „Säulen“ der Nachhaltigkeit erklärt. Aufgrund der ungeklärten Zielkonflikte zwischen Umwelt‑, Sozial- und wirtschaftlichem Kapital, der Frage nach der Priorisierung der Kapitalien, der beschränkten Umsetzbarkeit und vieler weitere Einwände verbrämen Ott und Döring (2011, S. 39) berechtigterweise das Konzept als „großen ‚Weichspüler‘ der Nachhaltigkeitsidee“. Etwas weiter geht das Triple-Bottom-Line Prinzip (z. B. Slaper und Hall 2011). Dieses Prinzip deklariert eine Entwicklung dann als nachhaltig, wenn sie umweltverträglich, sozialverträglich und ökonomisch rentabel ist. Doch auch Triple-Bottom-Line legt die Idee eines „grünen Business-as-usual“ nahe und fordert eine gesellschaftliche Transformation höchstens indirekt.

Weiter gehen sogenannte nested concepts, die die drei Kapitalien nicht als unabhängig sehen, sondern betonen, dass die Ökonomie in das soziale System, dieses wiederum in das Umweltsystem eingebettet sind, woraus sich eine klare Priorität ergibt, zunächst die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Sogenannte integrative Konzepte, wie etwa das Integrative Konzept nachhaltiger Entwicklung (IKoNE, Kopfmüller et al. 2001) verbinden allgemeine Nachhaltigkeitsziele (z. B. Existenzsicherung, Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials und Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten) mit Mindestanforderungen, welche die Ziele konkretisieren. Zusätzlich verstärkt sich in den letzten Jahren der Diskurs um eine integrative Bioethik. Diese setzt sich kritisch mit dem Anthropozentrismus auseinander und will diesen teilweise überwinden. In diesem Kontext entstehen trans-anthropozentrische Konzepte, die z. B. auch Tiere in die Nachhaltigkeitskonzeption einbeziehen (Rupprecht et al. 2020).

Etwas vereinfachend kann gesagt werden, dass sich diese Konzepte in drei wichtigen Leitfragen unterscheiden: (1) wer berücksichtig ist (nur Menschen, oder auch Nicht-Menschen), (2) was berücksichtigt ist (z. B. die Kapitalien Umwelt, Soziales, Wirtschaft, wie bei Triple-Bottom Line, oder auch Entwicklung, wie bei IKoNE), (3) wie sich die vertretenen Kapitalien zueinander verhalten. Hinsichtlich der letzten Frage ist die Unterscheidung in starke und schwache Nachhaltigkeit eminent wichtig (Ott und Döring 2011). Schwache Nachhaltigkeit deklariert die Kapitalien als substituierbar, kompensierbar und diskontierbar. Verlorenes Umweltkapital kann und darf also durch ökonomisches Kapital „ersetzt“ werden, künftige Generationen dürfen für den Verlust von Umweltkapital ökonomisch „entschädigt“ werden, und ein heutiger Verbrauch von Umweltkapital wirkt in der Zukunft wegen des Wirtschaftswachstums monetär nur minder schwer. Gerade die letzte Unterscheidung ist im Kontext von Unternehmen besonders wichtig.

2.4 Strategien

Aus meiner Sicht ist ein Verständnis der unterschiedlichen konzeptionellen Entwürfe grundlegend, um die Diskussionen um Nachhaltigkeit professionell mitgestalten zu können (einführend: Grunwald und Kopfmüller 2012). Gleichzeitig ist es wichtig, dass diese Konzepte – eventuell mit Ausnahme integrativer Konzepte – selbst nicht handlungsleitend sind. Sie klären also, was unter Nachhaltigkeit verstanden wird, machen aber weder politische Aussagen (z. B. zur Transformation der Marktwirtschaft) noch leiten sie einen strategischen Entwurf an (z. B. wie eine Mobilitätswende bezogen auf Unternehmen aussehen könnte). Als Bindeglied zwischen konzeptionellem Entwurf und konkreten, kontextbezogenen Instrumenten einer Transformation stehen drei grundlegende Strategien: Effizienz, Konsistenz, Suffizienz. Gerade bezogen auf Unternehmen und deren Beratung gehören sie zum Grundvokabular. Effizienz bedeutet konstanten Konsum bei Reduktion der dafür erforderlichen Ressourcen, Konsistenz bedeutet konstanten Konsum bei Einsatz gleichbleibend hoher, aber „besserer“ Ressourcen, Suffizienz bedeutet eine Verminderung des Konsums. Der Nachteil von Effizienz liegt in den sogenannten Rebound-Effekten. Die Effizienzsteigerung wird oft durch eine Erhöhung des Konsums nachteilig kompensiert (Guzzo et al. 2023). Ein wichtiges Instrument von Konsistenzstrategien sind erneuerbare Rohstoffe und Energien sowie die Schließung von Stoffkreisläufen, die allerdings in globaler Perspektive noch ausbaufähig erscheint (Haas et al. 2015). Suffizienz, also eine Konsumminderung, erscheint gerade im Kontext von Unternehmen, die ja in der Regel an einer Ausweitung des Konsums Interesse haben, problematisch. Sie verweist einerseits häufig auf post-, a‑, de-growth oder steady-state economics, wie z. B. bei Jackson (2016) oder Paech (2012).

Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sind selbstverständlich keine sich wechselseitig ausschließenden Strategien, sondern können in vielen Kontexten kombiniert werden. Genauso wenig sind sie schon operationalisierte Strategien nachhaltiger Transformationen an sich. Sie leiten eher eine Diskussion auf dem Weg zu einer operationellen Strategie an. In einem spezifischen Kontext, z. B. eines Unternehmens mit einer bestimmten Produktionsstruktur und damit auch eines bestimmten Profils eingesetzter Produktionsfaktoren, wird es immer eines kontextspezifischen Fachwissens und spezialisierter Instrumente bedürfen, um die finale Strategie zu entwerfen.

3 Zur Rolle von Unternehmen in Nachhaltigkeitstransformationen

Nachdem nun die Ausgangsproblematik der sozio-ökologischen Krise einerseits sowie Leitdimensionen der Nachhaltigkeitsdebatte andererseits umrissen sind, wird man sich aus Sicht der Organisationsentwicklung und des Coachings sicher wünschen, eine möglichst konkrete Charakterisierung der strategischen Rolle von Unternehmen an die Hand zu bekommen. Leider ist deren Rolle hinsichtlich sozial-ökologischer Transformationen weit weniger verstanden, als wünschenswert wäre (Mio et al. 2020). Verwunderlich ist dies nicht, denn Unternehmen sind keine in sich homogene Gruppe, sondern jeweils höchst individuell. Sie umfassen transnationale Konzerne, kleine Startups, traditionelle Familienunternehmen, innovative first movers, B‑corps, social entrepreneurs, ecopreneurs etc. Konzerne wie exxon Mobile haben jahrzehntelang Klimaleugnung finanziert, während sie gleichzeitig die eigenen küstennahen Infrastrukturen für den Meerespiegelanstieg vorbereitet haben (Schätzing 2022, S. 44 f.). B‑corps wie die Suchmaschine Ecosia (www.ecosia.org) spenden 80 % der Einnahmeüberschüsse an gemeinnützige Naturschutzorganisationen. Unternehmen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihres Produktionsmodells, ihrer Größe, der Reichweite ihrer Lieferketten, ihrer Absatzmärkte, ihrer Rechtsnatur, ihres Firmenmodells, sondern auch hinsichtlich stärker personenbezogener Aspekte wie der Organisationskultur, des Führungsstils und der persönlichen (ethischen) Einstellung der Unternehmensführung.

Diesen personenbezogenen Merkmalen kommt, um dies gleich vorwegzunehmen, eine große Bedeutung zu (z. B. Haldar 2019). An genau dieser Stelle verorte ich die spezifischen Chancen von Organisationsentwicklung und Coaching. Denn während diese auf makrosozialere Prozesse, wie z. B. Wirtschaftspolitik, Gesetzgebung oder Anreizstrukturen keinerlei Einfluss nehmen können, können sie dies bezüglich Organisationskultur, Führungsstil und z. T. persönlicher Einstellungen sehr wohl.

3.1 Potenziale von Unternehmen

Zunächst ist zu fragen, ob es spezifische Potenziale gibt, die Unternehmen einbringen könn(t)en, um nachhaltige Transformationen durchzuführen oder zu unterstützen. Sachs (2012, S. 2211) schreibt z. B. multinationalen Unternehmen folgende Potenziale zu: „worldwide reach, cutting-edge technologies, and massive capacity to reach large-scale solutions, which are all essential to success“. Hinzu kommen weitere Faktoren. Zunächst haben Unternehmen und Unternehmensverbände sicherlich politischen Einfluss. Dazu kommt auch ein Einfluss auf Konsument:innen, denn seit dem Say’schen Theorem ist bekannt, dass Unternehmen mit ihrem Angebot nicht nur auf die Nachfrage reagieren, sondern sich ihre eigene Nachfrage (z. B. über Werbe- und Marketingstrategien) selbst schaffen. Damit können sie auch eine Nachfrage nach nachhaltigen Produkten generieren. Dies geschieht z. B. im Bereich der plant-based meat alternatives (PBMA). So hat die Firma Friesland Campina ihre PBMA Marke Valess mit 3 Mio. € offensiv an den Markt gebracht (Tziva et al. 2020). Nicht genug betont werden kann das Potenzial des Unterlassungshandelns! Leider gibt es nach wie vor viele Unternehmen, die Umwelt- und Sozialstandards umgehen, unterminieren oder greenwashen (Marquis et al. 2016). Zuletzt sind Unternehmen auch eine Lebenswelt, in der wir als Individuen viel Zeit verbringen und dort in unseren Alltagspraktiken behindert oder unterstützt werden können, selbst nachhaltig zu handeln.

3.2 Unternehmen in der Agenda 2030

Wie eingangs erläutert, nimmt die Agenda 2030 letztlich sämtliche Akteur:innen in die Pflicht, die sozial-ökologische Beziehungen gestalten, also auch Unternehmen. Am zentralsten werden Unternehmen durch SDG 12 Sustainable Production and Consumption. So heißt es in SDG 12.6: Encourage companies to adopt sustainable practices and integrate sustainability information into their reporting cycle. Innerhalb der EU existiert z. B. für Unternehmen das Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). An EMAS teilnehmende Unternehmen müssen eine Umwelterklärung veröffentlichen, in der sie u. a. über ihre Auswirkungen auf die Umwelt berichten. Als solches stellt EMAS ein sog. NEPI (New Environmental Policy Instrument) dar, die im Gegensatz zu legislativen Instrumenten wie Lieferketten- und Corporate Social Responsability-Gesetzen eher auf Anreizstrukturen beruhen (Jordan et al. 2003). Unternehmen werden aber auch durch weitere Targets in die Pflicht genommen; prominent sind hierbei:

  • SDG 8.8: Protect labor rights and promote safe and secure working environments for all workers, including migrant workers, in particular women migrants and those in precarious employment,

  • SDG 9.2: Promote inclusive and sustainable industrialization and foster innovation,

  • SDG 17.16: Enhance the global partnership for sustainable development, complemented by multi-stakeholder partnerships that mobilize and share knowledge, expertise, technology, and financial resources,

  • SDG 5.5: Ensure women’s full and effective participation and equal opportunities for leadership at all levels of decision-making in political, economic, and public life.

3.3 Anspruchsgruppen, Motivatoren und hinderliche Faktoren

Beim Versuch, eine Überleitung der Nachhaltigkeitsagenda über die spezifische Situation von Unternehmen hin zur Frage zu entwickeln, wie Organisationsentwicklung und Coaching auf Nachhaltigkeitstransformationen hinwirken können, ist eine motivationale Klärung sehr wichtig. Klöckner (2015) wird nicht müde, auf die Zielgruppenorientierung bei der Planung von Nachhaltigkeitsinterventionen hinzuweisen. Unternehmen werden durch verschiedene Anspruchsgruppen motiviert, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern. Dies sind zunächst der Staat und dessen behördliche Verwaltung, hinzu kommen Konsument:innen, die nachhaltigere Produkte nachfragen, Mitarbeiter:innen, die in einigen Ländern und in Abhängigkeit ihrer beruflichen Situation zunehmend weniger in Unternehmen mit schlechter Nachhaltigkeitsperformance arbeiten möchten; Anspruchsgruppen können aber auch betroffene umgebende Gemeinschaften sein, hinzu kommen die Zivilgesellschaft und in einigen Fällen Aktionär:innen. Zuletzt spielt jedoch auch die Unternehmensleitung mit ihrer intrinsischen Motivation eine große Rolle (Haldar 2019). Eine echt nachhaltigere Produktion kann aus der Motivation einer Gewinnsteigerung, aus einer Verbesserung der Public Relations des Unternehmens, aus dem Erwerb von Subventionen bzw. der Vermeidung von Sanktionen stammen. NEPIs haben auf Branchen oft eine normative Wirkung, indem sie eingehalten werden, um damit ein legislatives Eingreifen des Staats zu verhindern (Evans 2011). Unternehmen versuchen, Umweltstandards einzuhalten, Wettbewerbsvorteile zu generieren, Lieferketten resilienter zu machen und Kosten zu reduzieren. Über diese allgemeine Nennung von Faktoren hinaus ist aus meiner Sicht keine weitere Konkretisierung ohne Berücksichtigung des Kontexts eines spezifischen Unternehmens möglich.

Barrieren und hinderliche Faktoren können einerseits naheliegende Aspekte sein, also finanzielle Vorbehalte, z. T. hohe Transaktionskosten, Investitionsrisiken, ein Mangel an Bewusstsein und Wissen, ein Mangel an Willen und Bereitschaft, interne Transformationswiderstände, der Wettbewerbsdruck wachstumsorientierter Märkte und mangelnder Zugang zu Technologien und Infrastrukturen; andererseits gibt es auch weniger bekannte Hürden. Das sind z. B. mangelnde Bereitschaft und Transparenz von Subunternehmern, die Teil der Lieferkette sind, hinzu kommen die Komplexität der Performanzmetriken und des Nachhaltigkeitsreportings. Zuletzt existiert in einigen Fällen ein komplexer regulatorischer Rahmen, der in manchen Fällen (s. oben) Nachhaltigkeitsinnovationen unterbindet. Zuletzt ist entscheidend, ob zusätzliche Produktionskosten entstehen, und wenn ja, ob die zusätzliche Zahlungsbereitschaft diese übersteigen (Leal Filho et al. 2022; Das et al. 2020). So bietet z. B. die Firma Regionique (www.regionique.de) Müslisorten an, deren Zutaten ausschließlich aus Deutschland kommen. Diese haben jedoch gegenüber Müslimarken, die gefriergetrocknetes Obst aus Asien nutzen, preisliche Nachteile. Auch diese hinderlichen Faktoren sind im Kontext des jeweiligen Unternehmens zu klären, wenn eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit gelingen soll.

3.4 Typologie nachhaltigkeitsbezogener Unternehmen

Bevor in Abschn. 4 und 5 ein Versuch unternommen werden kann, eine Anleitung zu geben, wie Unternehmen hinsichtlich Nachhaltigkeitstransformationen beraten werden bzw. die Unternehmensleitung und Führungskräfte dementsprechend gecoachet werden können, empfiehlt sich ein weiterer Schritt. Ich möchte mich dabei einer Typologie nachhaltigkeitsbezogener Unternehmen bedienen, die in Kongruenz zu den Interventionsstrategien der nachhaltigkeitsbezogenen Psychologie (Klöckner 2015; Abrahamse; 2019) gebracht werden können. Eine solche Typologie findet sich z. B. bei Walley and Taylor (2002). Die Autor:innen beziehen sich auf die Soziologie von Anthony Giddens, die Handlung stets als dynamischen Prozess zwischen Individuum und Sozialstruktur sieht. Damit bestimmt sich die Frage, ob und in welcher Weise Unternehmen nachhaltig(er) handeln, anhand motivationaler Faktorenkomplexe und struktureller Einflüsse. In motivationaler Hinsicht können Unternehmer:innen eher einer ökonomischen Orientierung folgen, dann ist eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit durch erhoffte zusätzliche Unternehmensgewinne motiviert. Sie können aber auch einer Nachhaltigkeitsorientierung folgen, dann möchten sie tatsächlich nachhaltiger wirtschaften. In sozialstruktureller Hinsicht unterscheiden die Autorinnen zwischen weichen und harten strukturellen Einflüssen. Zu den harten strukturellen Einflüssen zählen u. a. staatliche Regulierung und wirtschaftliche Anreize sowie andere markt- und wertorientierte Signale von grünen Verbrauchern. Weiche strukturelle Einflüsse sind z. B. Familie und Freunde, frühere Erfahrungen, persönliche Netzwerke und Bildung. Daraus ergeben sich vier Idealtypen nachhaltigkeitsbezogener Unternehmen (s. Abb. 3):

  1. 1.

    Der innovative opportunist ist im Grunde ein finanziell motivierter Unternehmer, der eine bestimmte Nische oder Geschäftsmöglichkeit ausnutzen will, die sich aus den Anforderungen der Nachhaltigkeit ergibt (ein Beispiel ist die Konventionalisierung der Biolandwirtschaft).

  2. 2.

    Dem gegenüber steht der visionary champion, der eine starke Nachhaltigkeitsorientierung hat. Diese Art von Unternehmer hat eine Vision von einer nachhaltigen Zukunft, die einen harten Strukturwandel anstrebt (B-Corps wären ein Beispiel).

  3. 3.

    Der ethical maverick orientiert sich ebenfalls an der Nachhaltigkeit, wird aber von eher weichen strukturellen Faktoren motiviert, wie etwa von früheren Erfahrungen, Familie und Freunden, Bildung und persönlichen Netzwerken (man denke an traditionelle Familienunternehmer:innen, deren Kinder den Umstieg auf Photovoltaik am Abendessenstisch anregen).

  4. 4.

    Zuletzt findet sich der ad hoc enviropreneur, dem es wiederum um eher ökonomische Anreize geht und der sich hinsichtlich Nachhaltigkeit z. B. an innerfamiliärem Druck orientiert.

Abb. 3
figure 3

Typologie nachhaltigkeitsbezogener Unternehmen, leicht verändert nach Walley and Taylor (2002). Vier Idealtypen im Kontext motivationaler und struktureller Faktoren

Ausgehend von dieser Typologie möchte ich nun im letzten Abschnitt des Beitrags aufzuzeigen versuchen, wie die Anforderungen der Agenda 2030 in Unternehmen durch Organisationsentwicklung und Coaching angeregt und begleitet werden können, indem die gegebenen Instrumente der Psychologie Nachhaltiger Entwicklung (Klöckner 2015; Abrahamse 2019; Hunecke 2022) genutzt werden.

4 Psychologie der Nachhaltigen Entwicklung

Es gibt zwei umfassende Ansätze der Psychologie nachhaltiger Entwicklung, die im Folgenden vorgestellt werden. Der erste Ansatz ist von Klöckner (2015) exzellent umrissen worden (vgl. aber auch Abrahamse 2019). Wenn man so will, handelt es sich dabei um einen behavioristischen Ansatz, in dem Sinne, dass psychologische und sozialpsychologische Handlungsmodelle eingesetzt werden, um ein aus Sicht der Nachhaltigkeitsforschung wünschenswertes Verhalten zu triggern. Einen etwas anderen Weg geht Hunecke (2022), der ressourcenorientiert denkt. Er konzentriert sich auf die Frage, welche psychischen Ressourcen zur Verfügung stehen, suffizient(er) zu handeln, und wie diese in unseren verschiedenen Lebenswelten gestärkt werden können. Für die Ausarbeitung einer konkreten Strategie aus der innerbetrieblichen Perspektive helfen die neuen Beiträge von Sassen (2023) und Platschke (2022), zur Nachhaltigkeits-Governance Fischer (2017).

4.1 Behavoristischer Ansatz

Der Ansatz, der von Klöckner (2015) zusammenfassend vorgestellt wird, kann als behavioristischer Ansatz bezeichnet werden, insofern die dort vorgestellten Interventionsmodelle darauf abzielen, über motivationale Faktoren ein bestimmtes, als nachhaltig interpretiertes Verhalten zu induzieren oder wahrscheinlicher zu machen. Verwendet werden klassische psychologische bzw. sozialpsychologische Modelle. Hinsichtlich der Nachhaltigkeitsforschung ist der Ansatz relativ offen, ist also auf Effizienz‑, Konsistenz- und Suffizienzstrategien anwendbar. Dasselbe gilt auch hinsichtlich der „Stärke“ der Nachhaltigkeitskonzeption, also schwächste, schwache und stärkste Nachhaltigkeit. Ein Schwerpunkt ist sicherlich SDG 12: Sustainable Production and Consumption, wobei gerade der nachhaltige Konsum im Vordergrund steht. Da allerdings auch Modelle der gesundheitsbezogenen Verhaltensänderung (z. B. Prochaska und Velicer 1997) thematisiert werden, finden sich auch Beiträge zu SDG 3, z. B. Target 3.5: Prevent and treat substance abuse.

4.1.1 Ansatz

Klöckner betont die Wichtigkeit, hinsichtlich der Förderung oder Verstärkung eines erwünschten Zielverhaltens zunächst eine Zielgruppenorientierung vorzunehmen. Diese kann verschiedenen Kriterien folgen (z. B. geographische, demographische, sozialstrukturelle Merkmale, aber auch Werteorientierungen und Lebensstile). Nach einer Zielgruppenanalyse unter Berücksichtigung von deren umweltbezogenen Weltanschauungen und Werten (z. B. New Environmental Paradigm; Dunlap 2008) folgt eine Analyse des Goal Framings, wozu ältere Modelle (z. B. Fietkau und Kessel 1981), aber auch jüngere, wie Chakraborty et al. (2017) herangezogen werden (s. Abb. 4). Anschließend wird ein Verhaltensmodell gewählt, das zur Zielgruppe, deren Weltanschauungen und Werten sowie zu der spezifischen Zielsetzung passt.

Abb. 4
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Goal Framing Ansatz der nachhaltigkeitsbezogenen Psychologie. Hedonische, Normative und Nutzenziele wirken auf nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten ein (nach Chakraborty et al. 2017)

4.1.2 Struktur

Chakraborty et al. (2017) zeigen, dass es drei Arten von Zielen gibt, die auf nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten einwirken können: Hedonische Ziele dienen dem unmittelbaren Lustempfinden (Konsum der veganen Poke-Bowl in der Kantine, weil sie am besten schmeckt), normative Ziele dienen der Erfüllung sozialer Normen (Wahl des veganen Menüs aus Angst vor Ächtung durch vegane Kolleg:innen; vgl. Thøgersen 2006), Nutzenziele optimieren ein utilitaristisches Kalkül (Verzehr des veganen Essens, weil es in der Kantine das billigste ist). Im nächsten Schritt werden klassische psychologische und sozialpsychologische Ansätze gewählt, die zum Teil auf die Nachhaltigkeitspsychologie angepasst sind.

4.1.3 Bezüge zu Unternehmen

Ich möchte diese Ansätze nun wieder auf die in Abschn. 3.3. entwickelte Unternehmenstypologie (Walley and Taylor 2002; s. Abb. 3) zurückführen. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit sind in der Tendenz beim ad hoc enviropreneur sicher die schwächste, beim innovative opportunist schwache, beim ethical maverick schwache bis starke und beim visionary champion starke Nachhaltigkeitskonzeptionen zu vermuten. Ich postuliere, dass sich der visionary champion und ethical maverick eher durch normative Überzeugungen gegenüber Nachhaltigkeit auszeichnen. Der innovative opportunist ist hingegen eher durch Nutzenkalküle zur Transformation zu bewegen, während der ad hoc enviropreneur durch Nutzenkalküle, ggf. aber auch hedonische Hemmfaktoren charakterisiert ist.

Dementsprechend wären die Ansatzpunkte (vgl. Tab. 1) bei der Beratung des visionary champion in der NAT/VBNT zu suchen. Es ist zu vermuten, dass visionary champions die innovators der DOIT darstellen, von denen aus Nachhaltigkeitsinnovationen weitere Akteure erreichen. Aufgrund der hohen intrinsischen Motivation ist eine Überredungsstrategie sicher selten erforderlich. Ähnliches gilt für den ethical maverick, der ggf. durch die WOI unterstützt werden könnte. Der innovative opportunist hingegen blickt eher auf Unternehmensgewinne, weswegen hier laut Klöckner (2015) die TPB am besten passt sowie die WOI, falls eine Überzeugungsleistung zu erbringen ist. Der ad hoc enviropreneur ist in dieser Hinsicht unser „Sorgenkind“. Es ist plausibel, anzunehmen, dass hedonische Hemmfaktoren an nur wenig nachhaltigen Praktiken festhalten und nur sehr zögerlich eine Transformation angehen. Insofern wäre die IT hier ein guter Ansatzpunkt, wo es um singuläre Entscheidungen, die TTM/SRBC, wo es um Veränderungsprozesse geht. Die CDT wäre das Mittel der Wahl, klassische veränderungsaversive Sein-Sollens-Fehlschlüsse („Haben wir schon immer so gemacht!“) zu hebeln.

Tab. 1 Strategien des behavioristischen Ansatzes nach Klöckner (2015): Entscheidungs‑, Veränderung- und Überredungstheorien und deren Bezug zu Nachhaltigkeitstransformationen in Unternehmen

4.2 Ressourcenorientierter Ansatz

Der Ansatz von Hunecke (2022) ist sowohl von der Zielsetzung als auch vom Instrumentarium her anders. Hinsichtlich der Zielsetzung geht es ihm weniger um die Förderung von Effizienz und Konsistenzstrategien, sondern explizit um Suffizienz. Statt unmittelbar im Rahmen von Interventionen auf die Verhaltensebene einwirken zu wollen, wählt er einen Weg über psychische Ressourcen – und stellt damit ein vermutlich noch geeigneteres Brückenkonzept zur Coachingpraxis her. Hinsichtlich der Nachhaltigkeitsforschung spricht er sich konzeptionell eindeutig für starke Nachhaltigkeitskonzepte, Suffizienzstrategien und integrative Ansätze aus. Aufgrund der Tatsache, dass ein Ressourcenorientierter Ansatz nicht ausschließlich die Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens fördert (SDG 12: Sustainable Production and Consumption), sondern gleichzeitig auf eine psychische Stärkung und ein Empowerment der Mitarbeiter:innen abzielt, erfüllt der Ansatz gleichzeitig die Logik von SDG 8 einer menschenwürdigen Arbeit.

4.2.1 Ansatz

Sein Ansatzpunkt ist die Brüchigkeit der Konsumerlebnisgesellschaft, die persönliche Erfüllung in einem permanenten Mehr an materiellen Dingen sucht und damit unsere Lebensgrundlagen gefährdet (vgl. Abschn. 1). Er positioniert sich klar zu einem Weniger-ist-Mehr, also zu einer Suffizienz-orientierten Lebensführung. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass ein Übergang zu einer solchen Lebensweise hohe transaktionale und transformative Kosten für uns bedeutet, und schließt daran die Frage an, welche Ressourcen zur Verfügung stünden, um diese Kosten aufbringen zu können. Er knüpft dabei an die Erkenntnisse der Positiven Psychologie (Seligmann 2012) und an die Ergebnisse der neueren Glücksforschung an. Ausgehend davon gelingt ein Leben nicht dann, wenn wir immer mehr konsumieren, sondern wenn ein ausgewogenes Verhältnis zwischen hedonischen Zielen (Vergnügen), deontologischen Zielen (Handlungsintegrität) und eudaimonischen Zielen (Sinnhaftigkeit) vorliegt. Jeder dieser Aspekte ist mit spezifischen positiven Emotionen verbunden und kann auf spezifische Ressourcen zurückgreifen, die ihn ermöglichen.

4.2.2 Struktur

Hunecke postuliert unter Rückgriff auf belegende theoretische und evidenzbasierte Literatur, dass es sechs psychische Ressourcen gibt, die uns unterstützen können, unsere Lebensführung Suffizienz-orientierter zu gestalten und damit nachhaltiger zu leben. Tab. 2 fasst diese Ressourcen zusammen.

Tab. 2 Konzeption der psychischen Ressourcen zur Förderung nachhaltiger Lebensstile (nach Hunecke 2022, S. 87)

Diesem Ansatz zufolge gelingt es uns also dann, Suffizienz-orientierter zu leben, unser persönliches Glück weniger im Konsum-Erleben, sondern vielmehr in einer integralen Lebensführung zu suchen und damit nachhaltiger zu leben, wenn wir die sechs psychischen Ressourcen: Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinnkonstruktion und Solidarität mobilisieren können. Dabei geht Hunecke davon aus, dass sich diese Ressourcen gemäß den Ansätzen von Hobfoll (1989) und Fredrickson (2001) erhalten und wechselseitig stärken. Im weiteren Verlauf erörtert Hunecke dann, wie diese sechs psychischen Ressourcen in unseren Lebenswelten (z. B. Schulen und Hochschulen, Wohnquartiere, Non-Profit-Organisationen, Unternehmen) und bestimmten Praxisfeldern (z. B. Nachhaltigkeitscoaching und Gesundheitsförderung) gestärkt werden können.

4.2.3 Bezüge zu Unternehmen

Damit möchte ich nun erörtern, wie der Ansatz in Organisationsentwicklung und Coaching eingesetzt werden könnte. Hunecke zeigt auf, dass gerade die Ressourcen Selbstwirksamkeit, Solidarität, Sinnkonstruktion und Achtsamkeit in Unternehmen gefördert werden können. Dies erfolgt idealerweise in Verbindung mit anderen Interventionen der Organisationsentwicklung und des Change-Managements und nicht unabhängig davon. Begünstigend wirken ein grundsätzlich transformationaler Führungsstil und eine begünstigende, wertschätzende und empowernde Unternehmenskultur.

An dieser Stelle müssen wir uns vergegenständlichen, wie eine ressourcenorientierte Strategie im Kontext von Organisationsentwicklung und Coaching konkret aussieht. Im Rahmen solcher Beratungsprozesse soll eine Ressourcenstärkung herbeigeführt werden, die einerseits arbeitspsychologische und -soziologische Ziele hat (z. B. Stressreduktion, Verbesserung der Kooperation), anderseits eine Suffizienz-orientierung innerhalb der Lebenswelt Unternehmen fördert. Der neuralgische Punkt ist dabei in erster Linie die Unternehmensführung, die derartige Interventionen umsetzen muss, aber auch die Mitarbeiter:innen, die sie zulassen müssen, ohne sie als (unerwünschte) Manipulation zu empfinden, was kognitive Dissonanzen mit der wahrgenommenen Unternehmenskultur erzeugen würde. Darüber hinaus wird hier aus meiner Sicht eher der Aspekt der innerbetrieblichen Nachhaltigkeit angesprochen als z. B. der Aspekt des sustainable supply chain managements. Während die positiven Auswirkungen z. B. von Achtsamkeitstrainings auf Stresserleben und Arbeitszufriedenheit (zumindest kurz- bis mittelfristig) nachgewiesen sind (z. B. Vonderlin et al. 2020), benötigt eine explizite Nachhaltigkeitswirkung jedoch noch eine empirische Basis. Gleichzeitig ist zu beachten, dass gemäß der Soziologie von Giddens nicht „nur“ am Individuum angesetzt werden darf, sondern auch strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden müssen, nachhaltiger zu handeln (z. B. vegetarische Optionen in der Betriebskantine, Mülltrennungssysteme etc.). Dennoch ist ein solcher ressourcenorientierter Ansatz äußerst vielversprechend und mit den Praxisfeldern der Organisationsentwicklung und des Coachings gut vereinbar.

5 Diskussion

Meines Wissens existieren nicht viele Versuche, die die Anforderungen sozial-ökologischer Transformationen mit psychologischen Konzepten, die der Organisationsentwicklung und dem Coaching dienen, auf die spezifischen Anforderungen an und in Unternehmen beziehen (vgl. aber Osranek 2017). Ich habe hier einen solchen Versuch unternommen, von dem ich sehr hoffe, dass er für die Beratungs- und Coachingpraxis hilfreich ist. Sowohl mit Blick auf den ressourcenorientierten als auch den behavioristischen Ansatz ist es wichtig, nicht unterkomplex zu denken. Es ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich, Nachhaltigkeitstransformation in Unternehmen allein aus den hier beschriebenen psychologischen und sozialpsychologischen Konzepten her zu induzieren. Mit Sicherheit wird man die betriebswirtschaftliche Sichtweise hierbei berücksichtigen müssen und dabei betriebsinterne Expert:innen „mit ins Boot holen“ müssen. Hier helfen die Werke von Sassen (2023), Platschke (2022) und Fischer (2017) weiter. Gleichzeitig sollte aber die Rolle des Coachings und der Organisationsentwicklung nicht unterschätzt werden. Diese beruht zum Teil eben darauf, mit innovativen Impulsen, die „quer“ zur internen Logik liegen, neue Ideen, Entwicklungen und Diskurse zu initiieren. Gerade für diese Rolle versucht mein Beitrag, entsprechende Expert:innen sprechfähig zu machen.

Gerade hinsichtlich eines ressourcenorientierten Ansatzes (Abschn. 4.2) sind viele Fragen offen. Diese sind jedoch nicht als Kritik zu verstehen, sondern vielmehr als Vorschläge einer Forschungsagenda, denn der Ansatz wurde im Jahr 2022 veröffentlicht und hatte noch kaum Zeit, diese Fragen zu klären. Zunächst fragt sich, auf welcher Ebene unternehmerischer Nachhaltigkeit angesetzt werden kann. Kann die Nachhaltigkeit hinsichtlich des Produkts oder der Produktion verbessert werden, oder adressiert der Ansatz nicht eher innerbetriebliches Nachhaltigkeitsmanagement? Zu prüfen bleibt auch, ob die psychischen Ressourcen tatsächlich genutzt werden können, die Führungsebene zu überzeugen, oder ob sie nicht eher illustrativen Eingang in den CSR-Bericht finden. Damit verbunden ist auch die Frage nach der Durchsetzungskraft psychischer Ressourcen gegenüber „härteren“ Umständen (wie Marktmechanismen, Policies etc.). Offen ist auch, welche Unternehmen mit dem Ansatz anzusprechen sind. Erreicht er vor allem B‑Corps, Social Entrepreneurs, Ecopreneurs, zukunftsbezogene Startups oder auch traditionsreiche größere Unternehmen? Auch hinsichtlich der konkret einsetzbaren Instrumente bleiben Fragen offen. Welche Instrumente fördern psychische Ressourcen tatsächlich so, dass sich die Nachhaltigkeitsbilanz verbessert und dies dauerhaft? In diesen Aspekten und weiteren ist dem Ansatz sicherlich in der Zukunft mehr aussagekräftige Empirie zu wünschen. Studien wie Osnarek (2017) machen dazu Beiträge.

In konzeptioneller Hinsicht hingegen ist zu klären, wie sich die Idee der Suffizienz überhaupt mit der Logik wachstumsorientierter Unternehmen vereinbaren lässt (und ob dies das Ziel ist). Einen Ansatzpunkt bietet hierzu die Ressource der Genussfähigkeit i. S. v. Savouring. Unternehmen könnten qualitativ höherwertige Produkte anbieten, die die angesprochene Erlebnisqualität statt -quantität erlauben und von den Konsument:innen mit einer hinreichend hohen Zahlungsbereitschaft honoriert werden.

Darüber hinaus sollte nicht missachtet werden, inwiefern die Thematisierung einer Nachhaltigkeitsagenda seitens der Organisationsentwicklung bzw. des Coachings überhaupt möglich bzw. akzeptabel ist. Systemtheoretische Ansätze wie der von Niklas Luhmann beschreiben Bewusstsein als selbstreferentiell geschlossenes, autopoietisches System, in das die Umwelt nicht unmittelbar zielsetzend einwirken kann. Darüber hinaus widerspricht es dem Ethos vieler Unternehmensberater:innen und Coaches, Zielsetzungen vorzuschlagen, die von den zu Beratenden nicht selbst eingebracht werden. Hierzu wird jede beratende Person eine persönliche Entscheidung treffen müssen. Sowieso hat aus meiner Sicht keiner der beiden Ansätze weder die Absicht noch die Möglichkeit, Unternehmen bzw. Coachees gegen deren Willen zu einer Nachhaltigkeitsagenda zu beeinflussen. Soll dies das Ziel sein, dann ist die geeignete Ebene die nachhaltigkeitsbezogene Legislation sowie die Gerichtsbarkeit. Im Rahmen von Organisationsentwicklung und Coaching können jedoch Impulse gesetzt werden und ohnehin vorhandene Motivationen für sozial-ökologische Transformationen verstärkt und unterstützt werden. Damit entsteht für Berater:innen die Frage, wie eine solche Unterstützung aus Sicht der Nachhaltigkeitsforschung und -psychologie gestaltet werden kann, worauf dieser Beitrag einen Vorschlag entwickelt hat.

6 Schlussfolgerung

Die Agenda 2030 sieht sämtliche Akteur:innen der Gegenwartsgesellschaft in der Verantwortung, an der als wünschbar und lebbar identifizierten Zukunft, die die 17 SDGs umreißen, mitzuarbeiten. Dies betrifft Unternehmen, aber auch Organisationsentwicklungen und Coachings. Wie letztere in ihren Beratungsprozessen vorgehen können, wurde hier umrissen, wobei ein spezifisches Augenmerk eben auf Nachhaltigkeitsprozesse im Rahmen von Beratungen in Unternehmen und nicht auf allgemeine Nachhaltigkeitscoachings im Rahmen der Erwachsenenbildung oder der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) gelegt wurde, die selbstverständlich gesondert davon existieren und im Rahmen der UN-Weltdekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ (2005 bis 2014) verstärkt wurden.

Beim Thema Nachhaltigkeit darf nicht vergessen werden, dass im Anthropozän, in dem die Appropriation natürlicher Ressourcen umfassendste Ausmaße angenommen hat und viele Auswirkungen auf das Erdsystem mit fernen Orten telegekoppelt sind, Produktion und Konsum keine rein individuellen Angelegenheiten mehr sind. Natürliche Quellen sind erschöpft, natürliche Senken sind überlastet, Ressourcen sind keineswegs mehr ubiquitär. Mit anderen Worten, der Konsum meiner Mitmenschen betrifft mich immer mehr, und so tut es auch die Produktion von Unternehmen; damit gehen sie mich also etwas an und können nicht länger als „Privatsache“ dem gesellschaftlichen Diskurs entzogen werden. Erfreulicherweise wird dies auch für Unternehmen spürbar, die nicht mehr nur durch den Staat, sondern zunehmend auch durch andere Akteur:innen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsbilanz befragt werden. Während Greenwashing nach wie vor ein Problem ist, so nimmt doch die Anzahl der Unternehmen, denen es um echte Nachhaltigkeit geht, in einigen Ländern erfreulicherweise zu.

Diese Unternehmen fragen fachbezogene Beratungen nach, was sich im Entstehen entsprechender sehr junger Fachliteratur (z. B. Sassen 2023; Platschke 2022; Fischer 2017), aber auch im Entstehen entsprechender Beratungsagenturen zeigt. Unternehmensberater:innen und Coaches können hier positiv einwirken, wenn sie über das entsprechende Instrumentarium verfügen. Dazu soll dieser Artikel einen Beitrag leisten. Er zeigte auf, wie sich aus unserer globalen sozial-ökologischen Krise spezifische normative Ziele, Konzeptionen und Strategien der Nachhaltigkeitsforschung ergeben, wo Unternehmen in diesem Kontext situiert sind und welche Zugänge aus Sicht der Psychologie Nachhaltiger Entwicklung existieren, die in Beratungsprozessen genutzt werden können. Nun ist es Aufgabe der Forschung zu Organisationsentwicklung, Supervision und Coaching, die skizzierten Empirielücken zu schließen und aufzuzeigen, wie hilfreich diese Zugänge tatsächlich sind und wie sie adaptiert und modifiziert werden können.