1 Vorgesetztenwechsel im höheren Management – Worum geht es?

Top-Führungskräfte haben eine Schlüsselfunktion in der Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens inne. Sie übernehmen die Ergebnisverantwortung für die zentralen Geschäftsbereiche oder Funktionen des Unternehmens. Durch ihr tägliches Handeln, insbesondere durch ihre strategischen Entscheidungen, gestalterischen Impulse und letztlich durch die von ihnen gelieferten Ergebnisse manifestiert sich der Erfolg oder Misserfolg ihres Verantwortungsbereichs. Sie führen dedizierte Handlungsaufträge aus und können Paradigmen verkörpern. Zur Umsetzung ihrer Agenda benötigen sie gut aufgestellte, motivierte und leistungsstarke Teams. Erbringen der geforderten Leistungen und Ergebnisse sowie Aufbau und Aufrechterhaltung von Macht sind ihre wesentlichen Erfolgsfaktoren. Schlüsselfaktoren für beides sind neben einer guten Synchronisation mit dem eigenen Vorgesetzten die richtigen Führungskräfte auf der nächsten Ebene.

Mit personellen Neubesetzungen auf den oberen beiden Managementebenen werden somit entscheidende Weichen für die zukünftige strategische Ausrichtung, die kulturelle Gestaltung, aber auch das Leistungs‑, Innovations- und Resilienz-Potenzial eines Unternehmens oder -bereichs gestellt. Vorgesetztenwechsel im höheren Management können aus verschiedenen Anlässen hervorgehen und unterschiedlich ausgestaltet werden:

  • Der bisherige Vorgesetzte wechselt in einen anderen Unternehmensbereich oder verlässt das Unternehmen, entweder aus Eigenmotivation, aus Altersgründen oder aufgrund einer durch das Unternehmen vorangetriebenen Trennung. In einem solchen Fall kann der Nachfolger ein extern eingestellter Kandidat, ein interner Kandidat aus einem anderen Unternehmensbereich oder auch ein Mitarbeiter aus dem Team sein, der nun aufsteigt und zum Vorgesetzten der bisherigen Kollegen wird.

  • Durch eine Reorganisation werden Abteilungen oder Bereiche aufgelöst und Mitarbeiter wie Führungskräfte neuen Organisationszweigen zugeordnet.

  • Alternativ können auch traditionelle durch moderne Organisationsformen ersetzt werden, in denen fachliche und disziplinarische Berichtslinien an unterschiedliche Vorgesetzte definiert werden oder agile Projektstrukturen alteingesessene Linienführung ersetzen.

  • In manchen Organisationen können zwei oder mehrere Rollen gleichzeitig an Führungskräfte übertragen werden, die in jeder Rolle an einen anderen Vorgesetzten berichten, was teilweise zu unterschiedlichen Zielsetzungen und damit zu natürlichen Konflikten und Spannungen im System führen kann.

  • Auch ein eigener Positionswechsel innerhalb eines Unternehmens ist typischerweise mit einem Vorgesetztenwechsel verbunden. Aber da der zukünftige Vorgesetzte in der Regel in den Auswahlprozess involviert und von vornherein bekannt ist, soll dieser Fall hier nicht näher betrachtet werden.

2 Theoretische Einordnung

Ein Vorgesetztenwechsel im höheren Management geht sowohl aus Sicht des Unternehmens als auch aus Sicht des neuen Vorgesetzten sowie des Mitarbeiters, der selbst Führungskraft ist, mit mehreren Aufgabenstellungen einher, die in einem Anpassungsprozess zu bewältigen sind. Diese Anpassungsprozesse sollen zunächst aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven heraus beschrieben und betrachtet werden.

2.1 Betriebswirtschaftliche Perspektive

Eine personelle Veränderung auf den obersten Ebenen eines Unternehmens stellt aufgrund der dargestellten Tragweite der Implikationen häufig eine systemische Veränderung im Sinne eines Paradigmenwechsels dar, der mit Anpassungsleistungen aller Beteiligten einhergeht, bis ein neuer stabiler Zustand erreicht ist. Folgende Komponenten sind dabei aus betriebswirtschaftlicher Perspektive relevant:

Die Zielsetzung, an der der Erfolg eines Unternehmens oder -bereichs gemessen wird, muss sich regelmäßig – und in zunehmend kürzeren zeitlichen Abständen – an die veränderten Markt- und Umfeldbedingungen anpassen, damit das Unternehmen profitabel und konkurrenzfähig bleibt. Neben technologischem Fortschritt und einer bis zumindest zum Jahr 2020 ständig fortschreitenden Globalisierung stellen auch zunehmend unerwartet eintretende Mikro- und Makroereignisse Unternehmen vor die Herausforderung, sich schnell anpassen und neue Lösungswege kreieren zu müssen (z. B. die Coronapandemie, Umweltereignisse und -katastrophen, der Ukrainekrieg und die folgende Energiekrise, Lieferkettenengpässe, aber auch die wachsende Zahl an regulatorischen und Nachhaltigkeits-Anforderungen, die von Unternehmen in Deutschland und Europa zu erfüllen sind).

Unternehmen reagieren mit der Anpassung z. B. ihrer Produkte, Dienstleistungen, ihrer Vertriebswege, Beschaffungslogistik oder internen Kontrollmechanismen auf diese externen Anforderungen, was häufig auch mit der Anpassung von Rollen, Qualifikationen, Mitarbeiterstrukturen, aber auch der Aufbau- und Ablauforganisation einhergeht. Damit werden früher gängige lange Zyklen von kürzeren Anpassungs- und längeren Stabilitätsphasen zunehmend abgelöst durch sehr kurze Change-Zyklen, bis hin zu einem Modus permanenter Veränderung, der Führungskräfte und Mitarbeiter vor größere psychologische Herausforderungen stellt (Kotter 1996, 2015). Dies führt zu einer Unternehmenskultur, die einem starken Wandel unterzogen ist, gleichzeitig aber einen festen Identitäts- und Markenkern benötigt, um für Kunden, Mitarbeiter und auch Investoren mittel- und langfristig attraktiv zu bleiben.

Fachkräftemangel und knapper werdende Zahlen an Nachwuchskandidaten, die aufgrund der Konkurrenz um Mitarbeiter schwieriger zu gewinnen sind, aber im Zuge des demographischen Wandels ganz andere Ansprüche an ihren Arbeitgeber mit sich bringen als ältere Generationen von Arbeitnehmern, stellen ebenfalls Anpassungsanforderungen an das Top Management von Unternehmen, da diese das Unternehmen für unterschiedliche Generationen von Arbeitnehmern attraktiv machen müssen.

Die typische Dynamik von Anpassungsprozessen führt zunächst zu Unsicherheit, abnehmender Mitarbeiterzufriedenheit sowie Produktivitäts- und Ergebniseinbußen, sodass es gilt, im Zuge kürzerer Change-Zyklen diese Negativausschläge möglichst gering zu halten und möglichst schnell wieder zu einem stabilen Zustand zu gelangen.

Neben dieser unternehmensspezifischen Dynamik sich verändernder Rahmenbedingungen und schnell anzupassender interner Strukturen und Abläufe ist zu berücksichtigen, dass damit auch häufige personelle Umstrukturierungen einhergehen, was zu neuen Führungsdyaden sowie Teamzusammensetzungen führt, die bei jeder Veränderung die typischen Teamentwicklungsphasen, z. B. nach Tuckman (1965), durchlaufen. Damit wird eine positive Einstellung gegenüber Veränderungen sowie die Fähigkeit, sich selbst und die eigenen Mitarbeiter schnell und effektiv an Veränderungen anzupassen, zu einer neuen Schlüsselqualifikation, die manche Führungskräfte nicht als Kernkompetenz mitbringen, wenn sie in der Phase als Manager sozialisiert wurden, in der Leistungssteigerung durch Skalierungseffekte und Effizienz sowie technologischer Fortschritt noch die Hauptabgrenzungsfaktoren zur Konkurrenz darstellten.

Zusammenfassend lässt sich postulieren, dass Veränderungszyklen in Unternehmen häufiger auftreten und in kürzeren Zeitabschnitten erfolgreich bewältigt werden müssen, was eine hohe Bereitschaft zu Veränderungen sowie auf Veränderung zugeschnittene Kompetenzen und Vorgehensweisen bei allen Beteiligten erforderlich macht. Die Veränderungsprozesse selbst müssen zunehmend ergebnisoffener gestaltet werden und auch disruptive, systemverändernde oder -sprengende Verläufe mit sich bringen.

2.2 Netzwerke, Macht und Unternehmenspolitik

In Unternehmen wächst die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern häufig über Jahre, teilweise über Jahrzehnte, und es kristallisieren sich feste Netzwerke heraus, in denen sich nach und nach eine eigene Subkultur aufgrund ähnlicher Arbeitsweisen, Zielvorstellungen oder gemeinsamer Erlebnisse, gemeisterter Krisen oder erfolgreich abgeschlossener Projekte bildet. Häufig finden Karriereentwicklungen innerhalb dieser gewachsenen Netzwerke statt, und Netzwerke selbst festigen sich aufgrund paralleler, miteinander verzahnter Karriereverläufe.

Netzwerke bedeuten auch Kristallisation von Machtverhältnissen. Die Machtallokation innerhalb der Führungsetagen von Unternehmen bedingt in Form von Politik als gerichteter Verwendung von Macht (Fallgatter 2020, S. 435) den Verlauf von Entscheidungsprozessen, z. B. über Strategie und Ziele der Organisation, Allokation von Budgets und Personal, aber auch über die Verteilung von Belohnungen und Belastungen. „Obwohl es Konsensbereiche gibt, ist immer wieder mit Konflikten zu rechnen. Sie werden im politischen Prozess – offen oder verdeckt, rücksichtsvoll oder rücksichtslos – ausgetragen und mit bindenden Entscheidungen abgeschlossen. Politik ist für soziale Systeme unabdingbar“ (Scholl und Loos 2018, S. 345). Die gewählte Organisationsstruktur sowie die etablierte Unternehmenskultur bestimmen darüber, welche Formen der Machtausübung primär zum Einsatz kommen: Legitimationsmacht, Belohnungsmacht, Macht durch Drohung, referenzielle Macht oder Expertenmacht (French und Raven 1959).

Ein geschickter und erfolgreicher Umgang mit den Instrumenten der Macht ist eine conditio sine qua non für den längerfristigen Verbleib im oberen Management eines Unternehmens. Zu den wesentlichen Fähigkeiten und Eigenschaften zur Einflussnahme zählen soziale Intelligenz, interpersoneller Einfluss, Netzwerkfähigkeit und Integrität (Ferris et al. 2005). Machtausübung kann jedoch auch zur Durchsetzung eigener Interessen genutzt werden, was auch in Konflikt zu den übergeordneten Unternehmensinteressen stehen kann und das Ziel hat, die eigene Position innerhalb des Unternehmens zu festigen oder auszubauen. In diesem Fall wird eher der Begriff „Mikropolitik“ verwendet (Küpper und Felsch 2000).

2.3 Inter- und intraindividuelle Perspektiven: Differentielle und psychodynamische Faktoren

Neben den geschilderten betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Dynamiken der Mikro- und Makropolitik beeinflussen auch intrapsychische und interindividuelle Faktoren das Ergebnis eines Führungswechsels. Nach dem LMX-Ansatz (Leader-Member-Exchange; vgl. Graen und Uhl-Bien 1995) steht die Beziehungsqualität zwischen Führungskraft und Mitarbeiter im Mittelpunkt, wobei der Ansatz davon ausgeht, dass diese Beziehungen unterschiedlich gut ausgeprägt sind. Dimensionen wie professioneller Respekt, positiver emotionaler Affekt, Loyalität und ein Beitrag zur gemeinsamen Aufgabe tragen zu einem guten Verhältnis bei.

Schuh (2014) sieht den Person-Supervisor-Fit als förderlich für eine produktive Zusammenarbeit und damit für Zufriedenheit und Leistung, wobei sowohl eine supplementäre (hohe Ähnlichkeit in wesentlichen Dimensionen wie Alter, Persönlichkeit, Werten und Einstellungen) als auch eine komplementäre Passung erfolgversprechend sind. Demnach beruhen dyadische Beziehungen auf Vertrauen, Respekt, Loyalität, Zuneigung, Intimität, Unterstützung, Offenheit und Ehrlichkeit, wobei diese Aspekte sehr eng miteinander verbunden sind. Neben den Persönlichkeitseigenschaften und Werten spielt auch die Kompatibilität des Arbeitsstils eine wichtige Rolle. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Passung zwischen Führungskräften und der existierenden bzw. angestrebten Kultur.

Für den Aufbau einer positiven Arbeitsbeziehung sind die ersten Begegnungen sowie die ersten Bewährungsproben in den ersten drei bis sechs Monaten der Zusammenarbeit entscheidend. Hierbei spielen neben den gemeinsam bewältigten Aufgaben auch persönliche Erwartungen an den anderen sowie unbewusste Dynamiken und Übertragungsphänomene aus früher erlebten dyadischen Beziehungen, sei es im beruflichen, aber auch im persönlichen sozialen Kontext, eine wichtige Rolle (von Rosenstiel 2014).

Eingespielte und gut „funktionierende“ Interaktionsmuster mit bisherigen Vorgesetzten führen in der Zusammenarbeit mit einer neuen Führungskraft, insbesondere, wenn diese andere Persönlichkeitseigenschaften, Präferenzen oder Arbeitsweisen hat, nicht mehr zum selben positiven Ergebnis, sondern können auf Unverständnis oder Irritationen stoßen, was beim Manager selbst zu Verunsicherung, Anspannung oder Ärger führen kann. Daher müssen vorhandene eingeschwungene Interaktionsmuster verlernt und nach und nach durch neue Muster ersetzt werden. Je bewusster dieser Prozess auf beiden Seiten gestaltet und durch Feedback begleitet wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Anpassung auch bei unterschiedlichen Charakteren oder Arbeitsstilen gelingt.

3 Phasenverlauf

Das folgende prototypische Phasenmodell wurde durch die Autorin als Praxisbeitrag aus der Sicht der begleitenden Personalabteilung auf Basis langjähriger eigener Erfahrung mit Management-Wechseln in einem internationalen Konzern entwickelt.

Die beidseitige Anpassung an einen Führungswechsel im oberen Management verläuft typischerweise in mehreren Phasen, bis nach etwa ein bis zwei Jahren ein neuer stabiler Zustand erreicht ist, wenn er nicht durch einen weiteren Führungswechsel überlagert wird. Im Verlauf dieser Zeit kann es auch zur Trennung kommen, die sowohl von der Führungskraft als auch vom Mitarbeiter initiiert werden kann (s. Abb. 1). Der Prozess wird in der Regel durch die Bekanntgabe der Personalie des neuen Top Managers, häufig verbunden auch mit einer Restrukturierung, eingeleitet. Nach der schriftlichen oder mündlichen Bekanntgabe findet bei den betroffenen Führungskräften auf der nächsten Ebene unmittelbar eine erste Einschätzung und Hypothesenbildung statt. Falls das Führungsteam den neuen Top-Manager bereits kennt, reflektieren die Einzelnen ihre bisherigen Begegnungen und überlegen, wie sie die Beziehung sowie die mögliche Zusammenarbeit einschätzen und bewerten. Dazu werden auch Kollegen und andere Netzwerkpartner befragt, die bereits mehr Erfahrungen mit der Person haben. Bei negativem Eindruck werden erste „Plan B“-Szenarien in der persönlichen Betrachtung durchgespielt und unter Umständen bereits erste Sondierungsgespräche in anderen Bereichen oder mit anderen Firmen oder Personalberatern geführt.

Abb. 1
figure 1

Typischer Phasenverlauf der Anpassung nach einem Führungswechsel (eigenes Modell)

In der zweiten Phase führen der neue Top-Manager und die aktuellen Führungskräfte erste Kennenlerngespräche, in denen der Top-Manager die persönlichen und die unternehmensseitigen Zielsetzungen und Erwartungshaltungen skizziert und die Führungskraft ihrerseits Aussagen zur bisherigen Aufgabe, zu eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten, aber auch Erwartungen und Befürchtungen äußert. Diese Gespräche tragen entscheidend zur Bildung eines ersten Eindrucks bei und legen den Grundstock für die neue Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung. Falls große Diskrepanzen in den Zielsetzungen oder Erwartungshaltungen deutlich werden, kann dies bereits zu Trennungsüberlegungen führen, wobei der Top-Manager nach Alternativen für die zu besetzende Rolle und die Führungskraft nach alternativen Rollen und Einsatzmöglichkeiten Ausschau halten wird.

Nach der Sondierungsphase beginnt der Top-Manager mit der konkreten Ausgestaltung seines neuen Bereichs, d. h. der Festlegung oder Umgestaltung der Aufbauorganisation und der Bestätigung oder Benennung der Führungskräfte der nächsten Ebene. Diese Phase findet typischerweise in engem Austausch mit dem Vorstand, aber zunächst unter Verschluss statt, bis die Ziel-Organisation in einer weiteren offiziellen Kommunikation bekannt gegeben wird, wobei betroffene Führungskräfte in der Regel kurz vor der offiziellen Bekanntgabe über die Entscheidungen im Zweiergespräch informiert werden, die sie persönlich betreffen. Je nachdem, ob a) die Rolle unverändert fortgesetzt werden soll, b) einer inhaltlichen oder organisatorischen Veränderung unterliegt, die ausgestaltet werden muss, oder c) die unmittelbare oder perspektivische Trennung von der Führungskraft mitgeteilt wird, ergeben sich in der nächsten Phase IV unterschiedliche Aufgabenstellungen.

Im Trennungsfall übernimmt die Personalabteilung den Prozess und sucht nach innerbetrieblichen Lösungen, bietet einen Vergleich mit Abfindung und je nach Situation eine Outplacement-Unterstützung an oder bereitet – je nach Land und Rechtsgrundlage – die Kündigung vor.

In den übrigen Fällen gestalten die Führungskräfte nach Unternehmensvorgaben ihren Arbeitsbereich und bauen im besten Fall eine tragfähige, vertrauensvolle Beziehung zum Top-Manager auf. Dieser wird nach angemessener Zeit Leistung in Form von Ergebnissen und Mitarbeiterzufriedenheit, aber ebenso Loyalität und Verlässlichkeit einfordern, und es ergeben sich Schlüsselsituationen im Arbeitsalltag, in denen sich neue Spielregeln und Reaktionsmuster herausbilden bzw. miteinander ausgehandelt werden. Vor allem in dieser Phase kann begleitendes Coaching einen wichtigen Wertbeitrag liefern.

Innerhalb einer längeren Bewährungsphase, die in der Regel zwischen 6 und 24 Monaten dauert, stabilisiert sich entweder die neu etablierte Führungsbeziehung, oder es treten tiefer liegende Spannungen bzw. Unterschiede in Zielsetzungen und Erwartungshaltungen, Arbeitsweisen, Persönlichkeitseigenschaften oder Konfliktbewältigungsstrategien hervor, die die Arbeitsbeziehung trüben oder destabilisieren können. Auch inhaltlich erfolgt der Beweis, ob die Führungskraft die erwarteten Ergebnisse in der vorgesehenen Zeit, Quantität oder Qualität abzuliefern vermag bzw. in der Lage ist, auf Anforderung nachzubessern. Gelingt dies nicht, kann es zu einer zweiten Trennungswelle kommen, die in ihrer Ausgestaltung der Dynamik von Phase III ähnelt.

Wie bereits dargestellt, ist davon auszugehen, dass sich die Zyklusdauer eher verkürzt bzw. zunehmend häufiger durch externe Anforderungen einer weiteren Anpassung überlagert werden. Diese Anpassungszyklen werden jedoch in stabilen Beziehungen zwischen Top Management und der nächsten Ebene anders durchlaufen als nach einem Führungskräftewechsel, in gewachsenen Beziehungen steht die inhaltliche Anpassung deutlich stärker im Vordergrund.

Die emotionale Dynamik der ersten beiden Phasen kann dem Trauer-Modell von Kübler-Ross (1969) ähneln, wenn die angekündigte Personalie oder neue Organisationsform inhaltlich oder personell von der betroffenen Führungskraft als unerwünscht, negativ oder sogar kränkend empfunden wird.

4 Mögliche Coaching-Interventionen

Coaching im Top-Management unterscheidet sich sowohl in der Thematik als auch in der Vorgehensweise vom Coaching für Mitarbeiter oder das mittlere Management (Böning 2018), was auch hier zu unterschiedlichen Ansätzen für die Begleitung eines neuen Top Managers im ersten Jahr und der der nächsten Führungsebene führt. Im Folgenden werden die Interventionsmöglichkeiten für die zweite Führungsebene betrachtet.

Führungskräfte-Coaching wird in der Regel nicht ab der ersten Phase des Führungskräftewechsels angefragt, es sei denn, dass eine beteiligte Führungskraft sich bereits in einem laufenden Coaching-Prozess befindet, der dazu genutzt werden kann, die Veränderung zu begleiten. Im häufigeren Fall wird die Personalabteilung professionelle Coaches hinzuziehen, sobald sich Schwierigkeiten abzeichnen, sei es in der Form von Leistungs- oder Ergebnisdefiziten, anstehenden Trennungen und Neuorientierung oder auch, wenn der Anpassungsprozess in der vierten Phase ins Stocken gerät und ungünstige Nebenwirkungen auf das Tagesgeschäft erkennbar werden.

Nach einer Auftragsklärung zwischen der Führungskraft, dem Vorgesetzten und der Personalabteilung sowie nach Festlegung der individuellen Ziele des Coaching-Prozesses ist eine Situationsklärung aus systemischer und aus individueller Sicht angebracht; hierbei sind auch psychodynamische Aspekte zu berücksichtigen. Methodisch bieten sich zur Klärung der Rollen- und Machtverteilung vor und nach dem Führungswechsel ein Soziogramm, im speziellen ein Rollogramm (Beumer 2013), sowie eine szenische Aufstellung entweder mit Personen oder Symbolfiguren an, während ein Arbeitspanorama (Schreyögg 2012) hilfreich sein kann, psychodynamische Parallelen sowie Assoziationen zu früheren Begegnungen im privaten oder beruflichen Umfeld zu klären.

Eine frühe Weichenstellung im Coaching-Ansatz ergibt sich aus der ersten subjektiven Einschätzung der Situation durch die Führungskraft. Falls der neue Vorgesetzte einen positiven ersten Eindruck erzeugt hat und die Veränderung vor allem als eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung gesehen wird, wird sich der Coaching-Prozess auf Herstellen von Rapport und einer tragfähigen Beziehung sowie das Aushandeln von Zielen, Prioritäten und Regeln der Zusammenarbeit fokussieren.

In diesem Fall ähnelt er im Aufbau und in der Themenfokussierung der Begleitung einer neuen Führungskraft in den ersten 100 Tagen, wie er von Astrid Schreyögg (2010) ausführlich beschrieben wurde, insbesondere im Fall einer Reorganisation oder Restrukturierung. Da in diesem speziellen Fall jedoch der Vorgesetzte zunächst wechselt und der Mitarbeiter – als Coachee – eine Anpassungsleistung aus der bestehenden Rolle heraus zu erbringen hat, ist es in der ersten Phase des Prozesses vor allem wichtig, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der bisherigen und der neuen Führungskraft sowie dem Arbeits-Setting und den unternehmensseitig veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen herauszuarbeiten und auf Basis der Unterschiede Handlungsmöglichkeiten und Veränderungsoptionen zu eruieren. Sobald die neue Beziehung gefestigt ist, kann die Coaching-Begleitung beendet werden, typischerweise nach sechs bis 12 Monaten, mit einer optionalen Zielkontrolle nach weiteren drei bis sechs Monaten.

Falls der Vorgesetztenwechsel jedoch als ungünstig oder bedrohlich eingeschätzt wird, erfordert dies einen differenzierten Coaching-Ansatz, der eine persönliche Standortbestimmung und Zielklärung sowie Szenarientechniken enthalten kann. Je nach Zielrichtung kann sich das Coaching auf Korrektur des ersten Eindrucks, einen positiven Aufbau der Beziehung oder das Erlernen neuer Interaktionsmuster konzentrieren, um Erlebens- und Handlungsräume zu erweitern und einen besseren LMX-Fit zu erreichen, oder aber auch bereits in einem frühen Stadium die Erarbeitung einer Exit-Strategie ermöglichen.

Wird das Verhalten des neuen Vorgesetzten oder auch der neue zugewiesene Aufgabenbereich oder der Schnitt der Aufbauorganisation als Karriere-Rückschritt oder sogar als persönliche Entmachtung, Kränkung oder Mobbing empfunden, empfiehlt sich der Gestalt-Coaching-Ansatz von Bachmann (2021) für narzisstisch gekränkte Führungskräfte, mit dem das persönliche Empfinden von Verletzung strukturiert in einem mehrphasigen Ansatz durchgearbeitet und somit unvollendete Kontaktprozesse abgeschlossen werden, sodass der Coachee für sich passende zukunftsgerichtete Lösungsansätze entwerfen kann.

Coaching kann generell bei Change-Prozessen eine sinnvolle Unterstützung darstellen (Bickerich und Michel 2018), und in dieser Konstellation können auch Anforderungen des Konfliktcoachings eine Rolle spielen, je nachdem, wie sich die Beziehung zwischen Top-Manager und Führungskraft sowie das wechselseitige Verständnis der Ausgestaltung der Rolle ab der Phase III entwickeln. Nicht zu unterschätzen als Impulsgeber für einen konstruktiven Coaching-Prozess ist die Arbeit mit den in der Organisation und bei den einzelnen Akteuren zu erwartenden Widerständen entlang des Anpassungsprozesses (Möller 2019).

Im Verlauf der Phasen II bis IV stellen regelmäßige Rückkopplungsschleifen über zirkuläre Fragen im Coaching-Prozess darüber, welche Einstellungs- und Verhaltensänderungen welche Wirkung beim Vorgesetzten sowie im systemischen Setting erzielt haben oder zukünftig erzielen könnten, ein wichtiges Begleitinstrument für den Coachee dar, die helfen, Arbeitshypothesen fortlaufend zu verfeinern und eigenes Verhalten zu optimieren, aber auch zu prüfen, ob die Anforderungen weiterhin kongruent mit den eigenen Zielen und Wertvorstellungen sind.

Wenn sich im Verlauf der Phasen II bis IV herauskristallisiert, dass die Anpassung nicht erfolgreich verläuft, oder der Coachee selbst den Wunsch entwickelt, das Setting zu verlassen, so ändert sich auch die Coaching-Intervention hin zum Charakter einer Entscheidungsfindung, Krisenintervention oder auch Trennungs- bzw. Outplacement-Beratung. Diese Phase beginnt mit einer erneuten Standortbestimmung hinsichtlich der Ziele, Wünsche, Motivationen und Fähigkeiten des Coachees und dem Abgleich alternativer beruflicher Szenarien innerhalb oder außerhalb des Unternehmens sowie der schrittweisen Begleitung des Realisierungsprozesses. Trennungs- und Outplacement-Beratung wurde z. B. durch Boenig (2015) detailliert beschrieben, daher sei hier nur auf die dort aufgeführte Methodik verwiesen.

5 Fazit

Prozessunterstützung durch Coaching bei Führungskräftewechseln im Top Management folgt keiner Standard-Vorgehensweise, sondern orientiert sich sehr individuell an der Zielsetzung der Coachees sowie an den gegebenen situativen Rahmenbedingungen und persönlichen Bedarfen, kann aber dennoch spezifische Muster und Entwicklungsverläufe antizipieren und prophylaktisch bearbeiten. Für bestimmte Teilprozesse und Fragestellungen sind verschiedene bewährte Coaching-Interventionen entlang des dargestellten Phasenverlaufs der Anpassung an die neue Führungskraft und Organisationsstruktur einzeln und in Kombination miteinander sinnvoll einsetzbar.