Seit inzwischen mehr als drei Jahrzehnten haben sich im Zuge der Digitalisierung völlig neue, virtuelle Kommunikationsformen herausgebildet. Vieles ist Wirklichkeit geworden, was zuvor im Bereich der Sciencefiction angesiedelt schien. Die Etablierung der digitalen Kommunikationsmedien bedeutet dabei nicht nur die Erschließung zusätzlicher Kommunikationskanäle. Es handelt sich nicht nur um veränderte Formen und Wege des Realitätszugangs. Durch die Verschränkung der analogen mit der virtuellen Welt entsteht etwas völlig Andersartiges (Pörksen 2018). Wir erleben eine Veränderung der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit (Berger und Luckmann 1970). Gesellschaftliche Strukturen, soziale Beziehungen und individuelles Handeln und Erleben werden neu konfiguriert. Veränderte strukturelle Figurationen der sozialen Beziehungen kristallisieren sich in gesellschaftlichen Teilbereichen heraus und werden durch deren Beschreibungen aus den verschiedenen Perspektiven langsam fassbarer (Elias 1997).

Die Umgestaltung der Arbeitswelt infolge der Digitalisierung, mit der sich die Beiträge dieses Heftes befassen, ist in diese Entwicklung eingebettet und stellt selbst eine ihrer stärksten Antriebsquellen dar. Es lohnt deshalb ein kurzer Blick auf einige Aspekte der technologischen Umbrüche, die die Entwicklung des virtuellen Arbeitens und der Führung auf Distanz bestimmen.

Im Kern hat sich mit der Etablierung des Internets eine radikale Entgrenzung von Raum und Zeit vollzogen, in deren Folge wir eine Nivellierung der unterschiedlichen räumlichen und sozialen Distanzen erleben. Entfernte geografische und soziale Räume rücken ungeahnt nah heran, benachbarte Räume rücken von uns ab. Alles ist gleichermaßen einen Mausklick weit entfernt. Auf der einen Seite werden Veranstaltungen, die zuvor „hinter verschlossenen Türen“ stattfanden, im Livestream geteilt und sind zugleich noch Jahre später im Internet abrufbar. Institutionen machen über ihre Websites informative Dokumente für jeden zugänglich, die zuvor nur wenigen – durch Mitgliedschaften legitimierten – Personen offenstanden, und bieten vielen Akteuren neue Möglichkeiten der Anschlusskommunikation. Auf der anderen Seite suchen und finden wir nun auch Antworten auf alltägliche Fragen im Internet. Die Öffnungszeiten des Hausarztes oder neue Kochrezepte sind uns am schnellsten über den Internetzugriff verfügbar, nicht etwa durch Nachfragen bei Familienmitgliedern, Freunden oder Nachbarn. Die abnehmende Notwendigkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme dünnt die Nahbeziehungen aus. So entstehen neue Nähe-Distanz-Relationen in allen sozialen Beziehungen.

Das Internet erschließt allerdings nicht nur dem Einzelnen die Welt, sondern bahnt in umgekehrter Richtung ebenso der „Welt“ den Zugriff auf die Individuen. Das Smartphone ist Symbol und wirksamstes Medium dieser allseitigen Erreichbarkeit (Markowetz 2015). Es fungiert als universelles Tor zur Welt wie auch als Tür in die Lebenswelt des Individuums – und erweist sich als trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe die Internetanbieter personenbezogene Nutzerdaten sammeln, um das je individuelle Kaufverhalten der Kunden zu beeinflussen (Zuboff 2018). Der durch den Internetzugang gewonnene Zuwachs an Eigenständigkeit wird konterkariert durch die digitalen Programme, an deren Gängelband die Nutzer Klick für Klick durch festgelegte Informations- und Zustimmungsabläufe geschleust werden, die keine Widerrede dulden. Das Internet ist nicht einfach ein zusätzlicher Informationskanal und Zugang zur Welt, sondern hat sich zur entscheidenden Infrastruktur der gesellschaftlichen Kommunikation entwickelt, der sich niemand mehr entziehen kann.

Die Dominanz des Internets zeitigt längst auch ihren Niederschlag in der konkreten Gestaltung der Städte. Seit die Plattformökonomien mit den Marktplätzen der Städte erfolgreich konkurrieren, greift die Verschränkung von digitaler und analoger Welt in das Leben der Stadtbewohner und damit direkt in die Gestaltung der Ortschaften ein. Die Plattformbetreiber entscheiden über Freigabe, Platzierung und Priorisierung der kostenpflichtigen Anzeigen im digitalen Stadtplan von Google Maps. Wer dort nicht gelistet ist, wird von den Kunden nicht „entdeckt“ und steht in Gefahr, mangels Umsatzes schließlich den Standort aufgeben zu müssen (Simanowski 2022). Die Betreiber der Plattformen bieten keine Informationen als Dienstleistung auf dem Markt an, wie es den Nutzern erscheinen mag, die sich für Hotels, Restaurants oder den nächsten Drogeriemarkt interessieren. Durch den Vorrang des Digitalen vor dem Raum haben sich die Plattformen selbst zu privaten globalen Marktplätzen entwickelt.

Als Folge der Verschränkung der alten und der digitalen Medien lässt sich zudem ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit feststellen (Seeliger und Sevignani 2021). Dieser Strukturwandel besteht nicht darin, dass die Zeitungen nun auch in einer App auf dem Handy gelesen werden können. Angestoßen durch die Social Media, durch die jeder potenziell zum Autor wird, entsteht eine Vielzahl von Kommunikationskanälen und -foren voneinander abgekoppelter Teilöffentlichkeiten und separater Diskursgemeinschaften, die die Tendenz zur Abschließung in den sogenannten „Kommunikationsblasen“ in sich tragen. Diese Veränderungen können die bisherigen Leitmedien nicht mehr integrieren. Die von Algorithmen getriebene „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ der digitalen Medien erzeugt ein Tempo, das fundierte Recherche nicht mehr erlaubt und die journalistische Arbeit untergräbt. In der Zersplitterung in Teilöffentlichkeiten und der Verschiebung der Definitionsmacht des Agenda Setting aus der politischen Sphäre in die ökonomische Sphäre der Plattformbetreiber zeigt sich eine neue Figuration der Öffentlichkeit.

Im Mittelpunt des vorliegen Heftes steht die Frage, wie sich die durch die Verschränkung von analoger und virtueller Welt ausgelösten Veränderungen auf die Prozessabläufe und Interaktionsformen der Arbeitssphäre auswirken, die durch die Coronakrise einen ungeahnten Schub erfahren haben. Welchen Einfluss haben die virtuellen Kommunikationsformen auf die Arbeitsleistung und die Arbeitsbeziehungen? Worin bestehen die Eigenheiten der virtuellen Meetings im Unterschied zu Teamarbeiten in Präsenz? Mit welchen Anforderungen sind virtuelles Arbeiten und Führung auf Distanz konfrontiert? Und welche Themen und Aufgaben resultieren daraus für die Beratung? Die in diesem Heft versammelten Aufsätze reflektieren diese Fragen und tragen dazu bei, die Erfahrungen mit der neuen Realität zu beschreiben und zu verstehen. Gerade für die Arbeitswelt ist die Herausbildung neuer sozialer und institutioneller Figurationen analytisch zu fassen.

In einer empirischen Untersuchung zur Teamarbeit können Thomas Bachmann, Annika Bloch und Katherina Quispe Bravo zeigen, dass sich das Erleben, das Verhalten und die Arbeitsergebnisse in virtuellen Meetings messbar von denen in Präsenzmeetings unterscheiden. Die Studie belegt damit, dass virtuelle Meetings nicht nur anstrengender sind, sondern auch, dass die Teamleistungen hinter denen der Präsenzmeetings zurückbleiben. Ihre Forschungen bieten darüber hinaus überraschende Einsichten in die unterschiedlichen Interaktionsmuster in virtuellen Teambesprechungen und Präsenzmeetings. Im Vergleich zu einem Präsenzmeeting ergreifen die Teilnehmer:innen einer virtuellen Konferenz seltener das Wort, sprechen dann aber länger. Die Erkenntnisse verweisen damit auf jeweils unterschiedliche Gruppendynamiken in den virtuellen oder analogen Settings.

Sebastian Kunert untersucht in seinem Artikel die Besonderheiten von virtuellen Konferenzformaten. Ein kurzer Rückblick auf die ersten Vorstöße in die Technik des „Bildfernsprechdienstes“ wie auch auf die ersten Theoriemodelle zur elektronisch vermittelten Kommunikation aus der ersten Hälfte bzw. der Mitte des 20. Jahrhunderts offenbart, dass die grundlegenden Erkenntnisse zur Psychologie mediengestützter Kommunikation unverändert Bestand haben, ihnen heute allerdings eine unvergleichlich größere Bedeutung zukommt. In einem differenzierten Vergleich von Online-Meetings und Präsenztreffen beschreibt der Autor die zentralen Charakteristika von Online-Meetings. Aus verschiedenen psychologischen Perspektiven analysiert er die technischen, psychischen und sozialen Voraussetzungen und das Potenzial von virtuellen Konferenzformaten, aber auch ihre Kostenseite und Grenzen. Aus dieser Übersicht lassen sich schließlich konkrete Anhaltspunkte für die praktische Auswahl der geeigneten Formate ableiten.

Bernhard Schullan nimmt die Frage in den Fokus, worin sich das Führungsverhalten in Präsenz und das Führungsverhalten im virtuellen Raum voneinander unterscheiden. Seinen Überlegungen legt der Autor den Kompetenzatlas für Führungskräfte von Erpenbeck und Heyse zugrunde, der der Kommunikationskompetenz eine herausragende Bedeutung zuweist. Mit Rückgriff auf psychoanalytische Konzepte hebt der Autor heraus, dass Führung in hohem Maße darin besteht, die Beziehung zwischen Führungskraft und Geführten zu gestalten. Ihn interessiert deshalb, in welcher Weise das jeweilige Setting, virtuell oder in Präsenz, die Wirksamkeit von Führung beeinflusst. Anhand des Kommunikationsmodells von Owen Hargie analysiert er ein breites Spektrum der verschiedenen Kommunikationsdimensionen. Die erhöhten und spezifischen Ansprüche an virtuelle Führung unterfüttert er mit konkreten Beispielen und pragmatischen Hinweisen. Diese Einblicke sind für Führungskräfte hilfreich und auch für Berater:innen sehr aufschlussreich, die Führungskräfte begleiten.

In ihrem Beitrag berichten Freimut Schirrmacher und Alexander Pfurr über die Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung zur Personalführung in der Logistikbranche unter den Distanzbedingungen der Pandemie. Die pandemiebedingten Veränderungen betreffen nicht nur die Anpassung an die neuen technischen Voraussetzungen der virtuellen Kommunikation, sondern fordern auch das bisher etablierte Führungsverständnis heraus, das sich in der Logistikbranche häufig noch an Mustern hierarchiebezogener Personalführung orientiert. Führung auf Distanz erfordert jedoch eine egalitärere Kommunikation und die Bereitschaft, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren. Die Studie führt zu dem Schluss, dass sich die Führungskräfte zwar den veränderten Anforderungen durch eine pragmatische Handlungsreflexivität annähern. Für eine „Führung auf Augenhöhe“ öffnen sie sich aber kaum. Die Notwendigkeit zur Selbstreflexion der eigenen Muster im Führungsverhalten wird nicht gesehen, und die Bereitschaft für eine reflexive Beratung ist gering. Die Logistikunternehmen stehen damit in Gefahr, im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter:innen ihr Potenzial nicht auszuschöpfen.

Neben dem Themenschwerpunkt sind die drei folgenden Beiträge anderen Themen gewidmet: Sirkka Klöpper-Mauermann untersucht die Frage: „Wie Beratung in der Fremdsprache gelingt“. Vor dem Hintergrund linguistischer und supervisorischer Überlegungen lässt uns die Autorin an ihrem beraterischen Umgang mit sprachlichen Unsicherheiten teilhaben. Weil der Konnotationshorizont der Wörter immer wieder abgeglichen werden muss, spielt das Nachfragen eine besonders wichtige Rolle. Es öffnet zugleich den Raum für weitere Reflexion und befördert eine fruchtbare beraterische Verlangsamung. Unwillkürlich treten zudem die körpersprachlichen Aspekte als eigenständige und unterstützende Dimension der Kommunikation in die Aufmerksamkeit. Als Schlüssel für die Verständigung identifiziert die Autorin ein aktives Bemühen um Präsenz im Kontakt zur Klientin: Aus einem reflektierten Umgang mit Unsicherheit und Fremdheitserfahrungen entstehen Chancen für die Verständigung. An dieser Stelle treffen sich die Erfahrungen der Beratung in einer fremden Sprache mit denen der virtuellen Kommunikation.

In einer qualitativen Studie haben Ben van den Assem, Jonathan Passmore und Victor Dulewicz den Einsatz von Achtsamkeit in der Praxis der Coaching-Supervision untersucht, um zu erfahren, welchen Einfluss Achtsamkeit auf deren Qualitätsentwicklung nimmt. Mit Bezug auf die verschiedenen Achtsamkeitskonzepte wurden in qualitativen Tiefeninterviews mit erfahrenen Coaching-Supervisoren die wichtigen Achtsamkeits-Themen ermittelt. Auf der Basis der Ergebnisse schlagen die Autoren ein interaktives Rahmenkonzept für Coach-Supervisoren vor, um die Arbeitsbeziehung zwischen Supervisor und Supervisand zu erleichtern.

Die neuen Belastungen der Mitarbeitenden, die vorwiegend im Homeoffice arbeiten, werden inzwischen vielfach diskutiert. Franz Schiermayr und Charlotte Sweet haben auf der Basis ihrer qualitativen Studie ein Instrument entwickelt, das den von ihnen identifizierten Belastungsfaktoren wie dem Mangel an Selbstorganisation, Kommunikation und Zugehörigkeit entgegenwirkt. Dabei handelt es sich um einen neunzigminütigen Workshop, in dem sie das Konzept einer Systemic Personal Assistance Service Solution (S.P.A.S.S.) zur Anwendung bringen. Das entwickelte Workshop-Design, das sowohl online wie auch in Präsenz durchgeführt werden kann, fördert die innerbetriebliche Kommunikation und unterstützt die Mitarbeiten darin, ihre Arbeitssituation eigenständig mitzugestalten und die Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit anzuheben.

Den Abschluss bildet ein Praxisbericht zu unserem Themenschwerpunkt von Stefanie Hansen-Heidelk: Im Zuge der Covid-Pandemie sind auch die Mitarbeitenden der Berliner Stadtreinigung (BSR) so weit wie möglich in den Modus des mobilen Arbeitens gewechselt. Die Erfahrung hat eine neue Realität geschaffen, die vor der Pandemie undenkbar schien. Mit dem Auftrag, die Vor- und Nachteile des mobilen Arbeitens für die Abläufe des Unternehmens und für die Mitarbeitenden zu ermitteln, hat die Autorin eine repräsentative Befragung unter den Mitarbeitenden der BSR durchgeführt. Ziel der Studie war es, die spezifischen Bedarfslagen der unterschiedlichen Rollenträger und Mitarbeitergruppen zu erkunden und dabei auch die private Lebenssituation der Beschäftigten zu berücksichtigen. Wieviel Präsenztage bzw. Homeofficetage werden als zweckmäßig und optimal eingeschätzt? Welche Mitarbeitenden sind bereit, auch gänzlich auf einen festen Büroplatz zu verzichten? Das Ergebnis war erstaunlich einheitlich unter den unterschiedlichen Beschäftigtengruppen.