Die sich dynamisierende Arbeitswelt fordert den Einzelnen, die Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes heraus. Mitunter führt sie zu Krisen und zu Brüchen in der beruflichen Entwicklung. Lineare berufliche Verläufe stellen heute eher die Ausnahme als die Regel der Berufsbiografien dar. Normalarbeitsverhältnisse werden weniger, Patchworkkarrieren (Abwechslung von Phasen der Arbeit und anderen Aktivitäten, wie Weiterbildung, Kindererziehungszeiten, Weltumseglung) und Kombinationsbiografien (mehrere Aktivitäten parallel) dagegen mehr. Als Antwort darauf boomt das Format der Karriereberatung. Fragen der Neuorientierung, der „richtigen“ Aus- und Weiterbildung, aber auch der Verlust des Arbeitsplatzes, eine nicht erfolgte Beförderung, das Scheitern in einer Funktion oder als Selbstständiger, stellen kritische Lebensereignisse in Biographien dar, die berufliche Neuorientierungen erforderlich machen. Gerade Führungskräfte müssen sich der Herausforderung stellen, offene Laufbahnen zu gestalten. Diese bieten viel Gestaltungsspielraum, bergen aber auch die Gefahr des Scheiterns. Um die Beschäftigungsfähigkeit (employability) zu sichern und Anpassungsfähigkeit an sich dauernd wandelnde Bedingungen der Arbeitnehmer/innen und der Führungskräfte zu erhalten, können durch kompetente Beratung Optimismus, Selbstwirksamkeit, Proaktivität und das Kohärenzgefühl gesteigert werden. Das vorliegende Heft hat das Format der Karriereberatung als Schwerpunkt gewählt und stellt theoretische Konzepte sowie Beratungspraxis vor und gibt konkrete Hinweise darauf, wie Beratungsprozesse so gestaltet werden können, dass sie die Ressourcen aktivieren, die zur Bewältigung der beruflichen Herausforderungen beigetragen können.

Im Diskurs zur Karriereberatung wird in diesem Zusammenhang von proteischen Entwicklungen gesprochen. Karrieren lassen sich unter Anlehnung an Proteus aus der griechischen Mythologie als die Fähigkeit arbeitender Menschen auffassen, sich immer wieder geänderten Arbeitsbedingungen aktiv anzupassen und die daraus entstehenden unterschiedlichen Identitäten sicher handzuhaben.

Kornelia Rappe-Giesecke skizziert in ihrem Artikel Triadische Karriereberatung die Geschichte des Begriffs Karriere und die Auseinandersetzung der wissenschaftlichen Disziplinen mit dem Phänomen. Sie stellt ein interdisziplinäres Modell vor, das die Laufbahn, die professionelle und die persönliche Entwicklung in ihren Wechselwirkungen erfasst; sie zeigt die Anwendbarkeit dieses Modells in der Beratungspraxis und grenzt das Beratungsformat Karriereberatung von anderen Formaten ab.

Die Auswirkungen des Wertewandels in einem Organisationstypus (Hochschule) und einer Profession (Wissenschaft) auf individuelle Karrieren zeigt der Artikel von Elisabeth Fuchs-Brüninghoff über Karriereberatung in Entscheidungs- und Übergangsphasen von Wissenschaftskarrieren. Sie beschreibt, welches Wissen Berater in diesem Feld brauchen und wie sie vorgehen können.

Wenn es in Beratungsanfragen von hoch qualifizierten Wissensarbeitern vermehrt nicht mehr um Aufstieg geht, sondern darum, „einen guten Platz für sich zu finden“ außerhalb des derzeitigen, nicht nur Arbeit gebenden, sondern auch existentielle Krisen befördernden Unternehmens, dann sind Berater gefragt, ihre Konzepte, ihre Settings und ihre Rolle zu überprüfen. Mechtild Beucke-Galm stellt am Beispiel von drei Fallvignetten vor, wie sich Dauer, Ablauf und Vorgehen in ihrer Beratungspraxis in den letzten zehn Jahren verändert haben.

Wie man Karriereberatung im Auftrag von Organisationen und eben nicht von Einzelklienten, wie in den vorigen Artikeln geschildert, produktiv gestalten kann, zeigt Katja Kantelberg am Beispiel der Arbeit mit Stipendiaten einer Stiftung. Wie kann die Beratungsarchitektur und das Design gestaltet werden, wenn man enge zeitliche Vorgaben hat und mit einer Gruppe von Klienten arbeitet?

Goethes Italienreise von 1786 als Reisekur, die Seelentherapie und Karriereplanung zugleich war, aus heutiger Perspektive zu analysieren, liefert verblüffende Ergebnisse für die Gestaltung radikaler Umbruchsituationen. Michael Giesecke beschreibt, wie Goethe die Auswirkungen der frühen oder zu frühen Erfolge, die Zweifel an der richtigen Wahl seiner Profession, den Überdruss über die Funktion des Ministers und die Stagnation in der persönlichen Entwicklung mit Mitte Dreißig durch Ausstieg, Reisen und die Schaffung ungewöhnlicher Settings bearbeitet.

Im offenen Teil dieses Heftes finden Sie folgende Beiträge:

Die Flüchtlingskrise, wie sie gern genannt wird, stellt Supervisor/innen vor große Aufgaben. In ihrem Praxisbericht beschreibt Celina Rodriguez Drescher ihre Beratungserfahrungen in einer Erstaufnahmeunterkunft mit einer psychodynamischen Perspektive und gibt damit Anregungen für diese herausfordernden Aufträge, seien sie nun ehrenamtlich erbracht oder mit einem Honorar vergütet.

Claus Nowak geht in seinem provokanten Diskurs-Beitrag dem inflationär genutzten Begriff „systemisch“ auf den Grund und konfrontiert alle, die sich leichtfertig „Systemiker“ nennen, mit harscher Kritik. Sein Beitrag kann helfen, systemisches Arbeiten inhaltlich genauer zu fassen und davon wegzukommen, den Begriff „systemisch“ als reine Floskel oder Füllsel zu missbrauchen, nur weil er so modisch ist und gern genommen und gekauft wird.

In unserer Rubrik Filmanalyse beschäftigt sich Agnes Büchele mit der Satire „Der Teufel trägt Prada“. Sie führt die Leser/innen ins Zentrum der Modewelt und erarbeitet anhand des nahezu parodistisch anmutenden weiblichen Führungsstils in einer weiblich geprägten Organisationskultur zentrale Fragen der Identifikation mit dem Unternehmen und der Anerkennungsproblematik. Weiblicher Führungsstil in weiblich dominierten, stark hierarchischen Kulturen wird mit Erkenntnissen der Genderforschung verknüpft, und es wird hinter die Klischees über Frauen und Schönheitsideale geschaut. Aber auch eine Vision wird sichtbar: durchsetzungsfähige Frauen, die erfolgreich sind und dem Unternehmen dienen, aber auch ihre Werte und Individualität behaupten.