Einen besseren Themenschwerpunkt für das erste Heft der OSC in neuer Herausgeberschaft kann es nicht geben: Es werden die Prozesse rund um den Abschied, den Verzicht und den Übergang in Führung und Beratung in Organisationen in den Blick genommen.

Doch zunächst gilt es, Astrid Schreyögg, die im letzten Heft sich offiziell als Herausgeberin verabschiedet hat, zu würdigen. Sie hat diese Zeitschrift 1994 begründet und 22 Jahre lang erfolgreich führend herausgegeben. Dafür sei ihr an dieser Stelle auf das Herzlichste gedankt! Die OSC hat sich unter ihrer Chefherausgeberschaft zu einem viel beachteten und gelesenen Diskussionsforum für eine qualifizierte Beratungspraxis entwickelt. Nun hat sie entschieden, zum Beginn des Jahres 2017 die Chefherausgeberschaft in meine Hände zu übergeben. Die Kontinuität der Zeitschrift ist durch Christoph Schmidt-Lellek gewährleistet, der seit den Anfängen Mitherausgeber ist und als Redakteur die Entwicklung dieser Zeitschrift maßgeblich mitgeprägt hat und diese Funktionen auch weiterhin wahrnehmen wird.

Astrid Schreyögg, eine umtriebige Frau, leitet seit 40 Jahren Ausbildungsgruppen für Supervision und Coaching in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien und Italien. Sie ist eine vielgelesene Autorin zahlreicher Publikationen in Sammelbänden und Fachzeitschriften, Autorin von Lehrbüchern über Supervision und Coaching, Verfasserin hoch instruktiver Lehrbriefe und anderer Lehrmaterialien. Astrid Schreyögg imponiert durch die Fülle der Praxisfelder, die sie gut kennt, ob das Gesundheitswesen, die Kulturindustrie, die psychosoziale Landschaft oder die Wirtschaftsunternehmen. Sie ist eine Verfechterin gemischter Lerngruppen, und ihre branchenübergreifende Expertise bereichert ihre Theorie und Praxis. Viele kennen sie durch die zahlreichen Lehr- und Beratungsaufträge im In- und Ausland und durch ihre prägnanten Vorträge auf vielen Fachkongressen. Dabei weiß Astrid Schreyögg durchaus zu provozieren – sie ist eine Streiterin für die Psychologie, eine Mahnerin der Qualität in Supervision und Coaching und eine nicht müde werdende Kritikerin der Quacksalberei, die unsere Zunft in Verruf bringen könnte. Es ist mir eine Ehre, ihr nun in der Funktion als Herausgeberin der OSC nachzufolgen.

Die OSC soll nun weiterhin vor allem die Brücke zwischen Grundlagenwissenschaft und angewandter Wissenschaft hin zu einer professionellen Praxis schlagen. Neben einem Schwerpunktthema bietet der offene Teil eines Heftes Raum für konzeptionelle Überlegungen, innovative Praxisberichte, neue Beratungsmethoden und feldspezifische Interventionen. Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen sind gleichermaßen eingeladen, Forschungsergebnisse, Case Studies und Erfahrungsberichte per E‑Mail an die Redaktion zu schicken. Auf diese Weise wird der qualitativ hochwertige Diskurs in der Beratungswissenschaft weiter gefördert und kann die prominente Rolle, die den unterschiedlichen Beratungsformaten als Antworten auf die Herausforderungen moderner Arbeitswelten zukommt, sichtbarer werden.

1 Zu diesem Heft

„Abdanken“ ist – soziologisch gesprochen – ein Begriff, der auf eine Statuspassage verweist. Solche Passagen gibt es viele, der gesamte Lebenslauf eines Menschen lässt sich als Abfolge von Statuspassagen beschreiben. In dem vorliegenden Heft legen wir den Fokus auf das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Statuspassagen gehen mit einer besonderen Vulnerabilität der Passierenden einher und benötigen deshalb besondere soziale Unterstützung, kognitiv, emotional und praktisch – auch durch Beratung. Dabei macht es einen Unterschied, ob ein Statuswechsel freiwillig erfolgt oder erzwungen wird. Statuspassagen sind Zeiten, in denen die Passierenden ihr Leben neu ordnen, die Geschichte ihres bisherigen Lebens bilanzieren und ein möglichst stimmiges Narrativ, stimmig für sie selbst und ihre Mitmenschen, entwerfen. Gelingt das nicht, kommt es zu keiner Passage, sondern zu einem Bruch.

Das Abdanken als ein freiwilliger Verzicht auf Ämter und Rollen, die mit Macht und Einfluss verknüpft sind, ist inzwischen ein eher ungewöhnlicher Akt. Häufiger finden wir die banale Form des Rücktritts, die oft eine Verknüpfung mit der Frage von Sieg oder Niederlage impliziert. Abzudanken hat dagegen eine tiefe persönliche und soziale Bedeutung: Der Verzicht auf Macht und Einfluss ist bewusst mit dem Risiko des Objekt- und Bedeutungsverlusts verknüpft und mit den damit einhergehenden Prozessen von Trauer und Verunsicherung. Der Übergang in den Ruhestand wird zu Recht als kritisches Lebensereignis betrachtet. Einige reagieren mit Hyperaktivität, andere implodieren eher – eine andere Form der Abwehrformation. Das soziale Netzwerk wird mit Eintritt in den Ruhestand dünner.

Das gekonnte Abdanken beinhaltet eher die Bereitschaft, sich in einen persönlichen Transformationsprozess zu begeben und einen solchen gleichzeitig für die Organisationen, die verlassen werden, zu ermöglichen. In diesem Sinne ist das Abdanken eine echte „Kunst“, da sie schöpferische Prozesse für alle Beteiligten in Gang setzen kann. Ein „guter“ Abschied berührt die Sehnsucht vieler Menschen nach dem guten Ende und schafft Freiräume für alle Beteiligten. Dazu gehören auch entsprechende Zeremonien des Abschieds und der Trennung.

Wie sieht die Kultur des Abdankens in Organisationen aus? Denise Hinn stellt das systematisierende Konzept der Outplacement-Beratung vor. Unterschiedliche Ausprägungen werden vorgestellt, unterschiedliche Definitionen und Vorgehensweisen dargestellt und der Stand der Forschung wird aufgezeigt.

Dem „Abdanken“ von Betriebsratsvorsitzenden widmet sich der Beitrag von Erhard Tietel. Er zeigt das sich wandelnde Selbstverständnis von Betriebsräten auf, diskutiert deren modernes Rollenverständnis und geht der Frage nach, wie der Ausstieg aus einer Funktion, die auf Zeit angelegt ist, gelingen kann. Unsere Wirtschaft orientiert sich eher an der Vorstellung des „Immer-Weiter-Machens“, des Expandierens und der ständigen Perfektionierung als an der Möglichkeit des Endes und der Begrenzung. Freiwillige Abschiede werden oft eher als Niederlagen oder als Scheitern gedeutet. Abdankung, die immer auch das souveräne Moment des Verzichts auf Macht, Einfluss, Geld und soziale Kontakte bedeutet, sichert dagegen die Integrität. Sie ist eine Demonstration der persönlichen und politischen Autonomie und trägt als solche potentiell ein veränderndes Element in sich. Durch das Abdanken wird die Fähigkeit der Distanz zur Macht und zur eigenen Rolle in der Organisation demonstriert.

Ulrich Beumer und Peter Boback zeigen die Spezifik später Existenzgründungen im reifen Erwachsenenalter zwischen dem fünfzigsten und dem sechzigsten Lebensjahr auf. Sie kontextualisieren einen individuellen Ablösungs- und Trennungsschritt mit dem Entwicklungszyklus beruflicher Entwicklung.

Eva Jaeggi widmet sich der Frage nach der Dankbarkeit, die im Wort „Abdanken“ ja versteckt enthalten ist. Sie geht den Fragen nach, was Dankbarkeit eigentlich ist, wie sie entsteht oder nicht entsteht und ob man diese lernen und damit einen Abschied in Würde vorbereiten kann.

In einem Praxisbericht erörtert Rolf Haubl das Abdanken und Nachfolgeprozesse in Familienunternehmen, deren Gelingen nur allzu oft über Weiterleben oder Tod einer familiengeführten Organisation entscheidet. Er stellt empirisch gestützte Überlegungen an, wie in dem Spannungsfeld zwischen Liebe und Geld Nachfolgeprozesse in mittelständischen Familienunternehmen psychodynamisch verstanden werden können. Seine Konzeption kann direkt in der Nachfolgeberatung mitbedacht werden, was mit einigen Praxisbeispielen veranschaulicht wird.

In der Rubrik „Diskurs“ werden zwei Beiträge geboten: Sandra Ohly erörtert anhand von exemplarischen Forschungsarbeiten den Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung. Sie argumentiert, dass Zufriedenheit allein nicht ausreicht, um gute Arbeitsleistungen zu gewährleisten; vielmehr eröffnet ein Fokus auf Energie als hoch aktivierter affektiver Zustand neue Möglichkeiten, Wohlbefinden bei der Arbeit und Arbeitsleistung zu fördern.

Robert Erlinghagen, Ullrich Beumer und Edeltrud Freitag-Becker setzen sich mit dem „korrekten Verrat“ auseinander: Wann muss Coaching gezielte Regelverletzungen begehen? Der Kontrakt beschreibt Regeln und Rahmen. Das Überschreiten des vermeintlichen Einverständnisses und der wahrgenommenen Grenzen ist manchmal – so die Autoren – notwendig, um im Sinne der Zielsetzung resp. der Aufgabenstellung der Organisation tätig bleiben zu können.

Eine neue Rubrik in der OSC werden Filmanalysen sein. Das Medium Film ist in besonderer Weise geeignet, unterschiedliche Lebenswelten, Kulturen, Konfliktkonstellationen, Veränderungsprozesse usw. erlebbar zu machen und ein Verstehen zu ermöglichen. Den Anfang macht in diesem Heft eine Auskopplung aus dem von Thomas Giernalczyk und mir herausgegebenen Buch „Organisationskulturen im Spielfilm“ zur Organisationskultur im Strafvollzug. Organisationen bilden spezifische Miniaturgesellschaften. Sie schaffen ihre eigene Realität, die sich vor allem zeigt in der Art, zu denken und sich miteinander in Beziehung zu setzen. Die Muster der Organisationskulturen sind nur dialogisch erschließbar, nur interpretativ zugänglich. Das Medium Film bietet sich hier besonders an, sich anrühren zu lassen, um zu verstehen. Deshalb fühlen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, für zukünftige Hefte eingeladen, sich mit eigenen Filmanalysen zu den vielfältigen beratungsrelevanten Themen (wie z. B. Führungsthemen, Gruppen- und Teamdynamiken, neue Arbeitsformen, Konfliktmuster, Familiendynamiken) zu beteiligen!

Uns allen einen guten Neubeginn wünscht

Heidi Möller