Die Beiträge des offenen Heftes greifen ganz unterschiedliche Themen auf und basieren auf unterschiedlichen theoretischen, methodologischen sowie methodischen Zugängen. In den Aufsätzen geht es um theoretische Ansätze zur Erklärung gesellschaftlicher Transformationsprozesse, um soziotechnischen Wandel und dessen Beschreibung und Erklärung, das subjektive Empfinden sozialer Sicherheit im Kontext verschiedener sozialstaatlicher Sicherungsmodelle, die Gestaltung europäischen Rechts durch den Europäischen Gerichtshof und um Religion als Erklärungsvariable für Vorbehalte gegenüber Homosexualität. Sucht man nach einer gemeinsamen Klammer, so ist zumindest zu konstatieren, dass es in den Beiträgen um Prozesse sozialen Wandels geht, denen die Autoren und Autorinnen unter je eigenen Fragestellungen nachgehen. Die meisten Beiträge verlassen dabei den nationalen Interpretationsrahmen sozialer Phänomene und sind international vergleichend angelegt. So vielfältig die Themen, so unterschiedlich sind auch die theoretischen Zugänge: Makrosoziologische und gesellschaftstheoretische Überlegungen stehen neben akteurstheoretischen Ansätzen, wobei in nahezu allen Beiträgen für eine Integration verschiedener theoretischer Perspektiven plädiert wird und Defizite bei der bisherigen Bearbeitung der Themen aufgezeigt werden.

Dem gegenwärtig sehr prominenten Thema „soziale Sicherheit“ gehen Steffen Mau, Jan Mewes und Nadine M. Schöneck auf Basis einer statistischen Analyse des European Social Survey (2008) nach. Im Kern bewegt die Autoren und die Autorin die Frage, inwieweit sozialstaatliche Sicherungssysteme subjektive Sicherheit zu produzieren vermögen. Damit erfolgt gewissermaßen ein Perspektivenwechsel zum Mainstream der Debatte um den Um- und Abbau des Wohlfahrtsstaates, in dem vor allem die Gefährdungen und Risiken thematisiert werden. Dass sich objektive soziale Sicherheit nicht umstandslos in eine Wahrnehmung subjektiver Sicherheit umsetzt, ist eine wiederholt belegte These. Umstritten ist die Frage, warum das so ist. In einem Vergleich von 20 Ländern Europas prüfen die Autoren, welchen Einfluss insbesondere arbeitsmarktliche Regulierungen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen der Einkommenssicherung und Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung auf die Wahrnehmung subjektiver Sicherheit haben. Erwartet wird, dass in diesen drei zentralen Feldern wohlfahrtsstaatlicher Regulierung ein positiver Effekt auf subjektive Sicherheit festzustellen ist. Nach statistischer Prüfung der Zusammenhänge kommen die Autoren zu dem interessanten Befund, dass sich bezüglich der Einkommenssicherung und Gesundheitsversorgung deutlich positive Effekte erkennen lassen, der Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktregulierung und Bewertung von Beschäftigungssicherheit jedoch nicht eindeutig ist. So zeigt sich im Ländervergleich das Paradoxon, dass in Ländern mit einem hohen Wert des Employment Protection Index häufiger von Arbeitsplatzängsten berichtet wird als in Ländern, in denen das Regulierungsniveau am Arbeitsmarkt geringer ist. Die ökonomische Gesamtlage der Länder stellt sich hier offensichtlich als die entscheidende intervenierende Variable heraus. Sozialstaatsleistungen und hoher Wohlstand wirken in Kombination unsicherheitsreduzierend. Der Ländervergleich zeigt auch sehr anschaulich die Unterschiede im sozialen Sicherungsniveau und subjektiven Sicherheitsempfinden in Europa. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass subjektive Sicherheit oder Unsicherheit nur begrenzt durch das staatliche Interventionsniveau erklärbar sind. Was das für die Sozialpolitik bedeutet, muss an anderer Stelle diskutiert werden.

Einem ganz anderen Thema, aber ebenfalls mit Bezug auf Europa – der proeuropäischen Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof –, widmet sich der Beitrag von Martin Höpner. Er geht von der These aus, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Instanz ist, in der Recht nicht nur auf Basis europäischer Verträge umgesetzt, sondern Rechtsfortbildung betrieben wird, also Grundsätze europäischer Rechtsprechung generiert und geschaffen werden, die daran orientiert sind, die Integration Europas voranzutreiben. Der EuGH schafft damit proaktiv einen europäischen Rechtsraum, der auch der nationalen Rechtsprechung Grenzen setzt. Die interessante Frage ist nun, wie dies zu erklären ist. Höpner verweist auf strukturelle Ursachen für diese besondere Bedeutung des EuGH, die als „Gelegenheitsstrukturen“ thematisiert werden. Diese Strukturen erklären aber nicht, warum die Spielräume von den Richtern auch extensiv genutzt werden. Um sich dieser Frage zu nähern, ist – so seine These – ein akteursbezogener Blick notwendig. Analysiert werden daher in dem Beitrag die intrinsischen Motivationen der Richter, die zum einen darauf beruhen, dass die Richter des EuGH in gewissem Maße vorgeprägt sind und Selbstselektionsprozesse bei der Übernahme des Richteramts festzustellen sind. Ein spezifisches Vorverständnis der Richter ergibt sich daraus, dass monistische und progressive Vorstellungen von Völkerrecht und Europarecht darauf abzielen, etwas Neues und normativ Überlegenes zu schaffen, um damit politische Transformationen zu stabilisieren, aber auch voranzutreiben. Selbstselektionseffekte werden darin gesehen, dass Personen, die dieses Vorverständnis teilen, sich auf Europäisches Recht oder Völkerrecht spezialisieren. Zum anderen wird mit Rückgriff auf gruppensoziologische Ansätze herausgearbeitet, dass sich im EuGH eine spezifische Gruppenidentität herausbildet, die erhebliche Sozialisationseffekte hat. Die Ausbildung eines „Korpsgeistes“, die öffentliche (und stolze) Kommunikation über das spezifische Vorverständnis der Rechtsfortbildung und nicht zuletzt die Belohnung der Richter durch Zuschreibung von Status werden hier als Aspekte benannt und an verschiedenen Beispielen anschaulich beschrieben. Der EuGH erhält damit eine herausragende Bedeutung als Motor im europäischen Integrationsprozess, mag man das nun kritisch sehen oder auch nicht.

Homonegativität, also eine negative und vorurteilsbeladene Einstellung gegenüber Homosexuellen, ist das Thema des Beitrages von Sebastian Jäckle und Georg Wenzelburger. Auch in diesem Beitrag wird eine international vergleichende Perspektive eingenommen. Anhand von Daten des World Value Survey diskutieren die Autoren die Frage, inwiefern Religionszugehörigkeit und die Religiosität eines Individuums dessen Homonegativität zu erklären vermag. Die Annahme ist, dass Religionen in einer Skala der Homonegativität abgebildet werden können, an deren einem Ende der Islam und der Katholizismus und am anderen Ende Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus und Atheismus (als Nicht-Religion) verortet werden können. Ein zweiter Argumentationsstrang ist, dass neben der Religion auch der Modernisierungsgrad eines Landes zu berücksichtigen ist (Wirtschaftsleistung, gesetzliche Regelungen in Bezug auf Homosexualität etc.). In verschiedenen Modellen werden die herausgearbeiteten möglichen erklärenden Variablen (auch unter Berücksichtigung soziodemografischer Merkmale) für Homonegativität in einer Mehrebenenanalyse getestet. Im Ergebnis kommen die Autoren – auch unter Benennung von methodischen Problemen in der Datenbasis – zu dem Schluss, dass individuelle soziodemografische Merkmale die Homonegativität von Individuen beeinflussen, aber eben auch die Religiosität und Religionszugehörigkeit entscheidende Faktoren sind, die jedoch im Ländervergleich durch den Entwicklungsstand eines Landes und die aktuelle Gesetzeslage modifiziert werden. Die nachgewiesenen Interaktionseffekte zeigen, dass die Religion nicht direkt und linear auf negative Einstellungen zu Homosexualität wirkt.

Ulrich Dolata befasst sich in seinem Beitrag mit dem Wandel von Organisationsmustern, Akteurskonstellationen und institutionalisierten Regeln in verschiedenen Wirtschaftssektoren, die durch technische Innovationen initiiert werden. Soziotechnische und sozioökonomische Transformationsprozesse konzipiert er als Prozesse graduellen Wandels und grenzt sich damit von Auffassungen ab, die von radikalen Brüchen durch innovative Technologien ausgehen. Am Beispiel des Pharmasektors und der Musikindustrie werden die Konsequenzen neuer Technologien – wie der Bio- und Gentechnologie sowie des Internets – für regulative Rahmenbedingungen, Akteurskonstellationen und Interaktionsmuster, Produkte und Geschäftsmodelle veranschaulicht. Inspiriert durch die von Kathleen Thelen und Wolfgang Streeck vorgeschlagenen „Modi graduellen Wandels“ (Layering, Conversion, Displacement, Drift, Exhaustion) und deren These eines inkrementellen institutionellen Wandels präzisiert Dolata mit Bezug auf die Besonderheiten technologischer Innovationen dieses Erklärungsmodell in drei Schritten. Erstens wird herausgearbeitet, dass technologische Innovationen in „offenen Such- und Experimentierprozessen verfeinert, erneuert, umgedeutet oder auch revidiert und verstetigt“ werden und damit „graduelle“ Transformationsprozesse darstellen. Zweitens wird aufgezeigt, dass sich die von Thelen und Streeck vorgeschlagenen Modi graduellen Wandels gegenseitig nicht ausschließen, sondern sich verschränken und in einer je spezifischen Kombination auftreten können. Dies führt den Autor, drittens, dazu, vier verschiedene Varianten gradueller Transformation, die als „stilisierte Typen“ gedacht werden, zu identifizieren und ausführlich zu veranschaulichen. Damit wird deutlich, dass sich der durch technologische Entwicklungen initiierte institutionelle sozioökonomische Wandel in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren differenziert vollzieht. Dolata entwirft ein analytisches Konzept zur Analyse soziotechnischen und sozioökonomischen Wandels, das es erlaubt, Entwicklungen in unterschiedlichen Branchen zur rekonstruieren und diese Transformationsprozesse kategorial zu beschreiben.

Transformationsprozesse sind auch das Thema des Beitrags von Raj Kollmorgen, allerdings in einem anderen, übergreifenden Kontext gesamtgesellschaftlicher Transformation und aus einer Perspektive, die danach fragt, mit welchen theoretischen Zugängen und Modellen Prozesse gesellschaftlicher Transformation insbesondere postsozialistischer Länder erklärt werden können. Der Autor begibt sich auf der Basis einer umfangreichen Literaturrecherche auf die Spurensuche danach, welche theoretischen und konzeptionellen Entwicklungen sich in den letzten 20 Jahren in der Transformationsforschung nachvollziehen lassen. Er argumentiert, dass die Ausgangspunkte der Debatte um postsozialistische Transformation – die Modernisierungstheorie und der Transitionsansatz – Erweiterungen erfahren haben und in einer zweiten „Generation“ der Transformationsforschung eine Vielzahl von neuen Ansätzen entwickelt wurde. Aus einer langen Liste neuerer Überlegungen greift der Autor drei Entwicklungsrichtungen heraus (postkommunistische Ansätze, steuerungstheoretische Überlegungen und Europäisierungsansätze), die in ihren Grundzügen und den auch in sich differenten Zugängen skizziert werden. Resümierend wird aufgezeigt, dass diese theoretischen Beschreibungen des „zweiten Jahrzehnts“ der Transformationsanalyse Defizite der ersten Phase zu überwinden vermögen, weil sie a) weniger nach den Defekten als nach den Chancen postsozialistischer Gesellschaften zur selbstbestimmten Transformation fragen, b) zeitlich und räumlich stärker kontextualisieren und eine komparative Perspektive einnehmen und c) unterschiedliche Theorien miteinander kombinieren und damit auch eine Mehrebenenanalyse erlauben. Kritisch sieht der Autor allerdings, dass man vor der „Aufgabe einer Theorie der Gesellschaftstransformation“ zurückschreckt. Folgerichtig endet der Aufsatz mit der Benennung der Herausforderungen für eine solche Theorie der Gesellschaftstransformation oder des sozialen Wandels, die nicht nur Transformationsprozesse in postsozialistischen Ländern zum Gegenstand hat, sondern die Entwicklung der „weltgesellschaftlichen Moderne“.

Das Heft beschließt ein Review-Essay von Georg Vobruba über neuere Publikationen zur Geschichte und gesellschaftspolitischen Rolle der sogenannten Intellektuellen, die das Bild und die Entwicklung dieser Moderne maßgeblich mitgeprägt haben, in der globalisierten Wissensgesellschaft aber zum Auslaufmodell zu werden scheinen. Die Suche nach theoretischen Beschreibungen aktueller Entwicklungen geht also weiter; die Texte dieses Heftes bieten einige Inspirationen, liefern aber ebenso interessante empirische Befunde zu aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen, mit denen sich eine soziologische Auseinandersetzung lohnt.

Karin Lohr