Zusammenfassung
Die Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland wurden nach der Deutschen Einheit als Übergangsstadium verstanden; insbesondere Mentalitätsunterschiede sollten sich im Laufe der Jahre angleichen. Der Beitrag analysiert, wie Ost- und Westdeutsche das Verhältnis zueinander wahrnehmen und inwiefern sich hier Kohortenunterschiede zeigen. Konzeptionell unterscheiden wir drei zentrale Hypothesen, die jeweils eigene empirische Muster nahelegen. Die Sozialisationshypothese geht davon aus, dass es durch die deutsche Teilung einerseits, aber auch durch das Aufwachsen im Staatssozialismus und die Transformationserfahrungen in Ostdeutschland andererseits wahrnehmungsprägende Erfahrungen gibt, die allerdings für nachfolgende Kohorten an Relevanz verlieren. Die Othering-Hypothese besagt, dass sich Ost-West-Differenzen durch Reaktanz auf die (auch diskursive) Dominanz der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft immer wieder erneuern und somit für alle Altersgruppen in Ost und West salient bleiben. Die These ostdeutscher Persistenz und Verhärtung schließlich vermutet, dass es nicht zwingend darauf ankommt, selbst in der DDR gelebt zu haben, sondern dass ein ostdeutsches Narrativ in Familien und sozialen Netzwerken weitergegeben wird. Die Salienz des Themas sollte demnach vor allem im Osten nach wie vor hoch sein. Mit neuen Daten aus dem Jahr 2022 können wir zeigen, dass die deutsch-deutschen Trennlinien in der Kohortenfolge unter jungen Westdeutschen verblassen, bei den jungen Ostdeutschen dagegen ein Fortwirken von Unterschieds- und Konfliktwahrnehmungen erkennbar ist. Die Ergebnisse deuten auf die These der ostdeutschen Persistenz und Verhärtung hin, wohingegen für die Westdeutschen die Sozialisationshypothese plausibel erscheint.
Abstract
The differences and inequalities between the former East and West Germany were understood as a transitional stage after German unification; in particular, differences in mentality were expected to converge over the years. The aim of this article is to use new data to examine cohort differences in how Germans living in the former East and West perceive each other. Conceptually, we distinguish three central hypotheses, each suggesting its own empirical patterns. The socialization hypothesis assumes that growing up in a divided country—and in particular for the former East Germans who experienced state socialism and the transformation—has led to attitudes that lose their relevance for subsequent cohorts. The othering hypothesis states that East–West differences are constantly renewed through reactance to (discursive) dominance of the Western German majority society and thus remain salient for all age groups in the East and the West. Finally, the thesis of East German persistence and hardening assumes that it is not necessarily important to have lived in the German Democratic Republic oneself, but that an East German narrative is passed on in families and social networks. The salience of the topic should therefore still be high in the East. With original survey data from 2022, we can show that the German–German dividing lines in the cohort sequence fade among young Western Germans, whereas among young Eastern Germans a persistence of perceptions of difference and conflict is discernible. The results point to the thesis of East German persistence and hardening, whereas for Western Germans the pattern of the socialization hypothesis is plausible.
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1 Einleitung
Das Ziel der „Vollendung der deutschen Einheit“, das in politischen Jubiläumsreden immer wieder proklamiert wird, richtet sich nicht nur auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, sondern auch auf ein mentales Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland. Grundlegende Mentalitätsunterschiede und Grenzziehungen gelten als problematisch, weil sie Spannungen und Konflikte zwischen zwei Teilgesellschaften befeuern können. Die „Mauer in den Köpfen“ solle abgebaut werden, so eine regelmäßige politische Forderung.
In den ersten beiden Dekaden nach der Wiedervereinigung wurde vor allem die „Ostalgie“ (Neller 2000) als problematischer Rückbezug auf die DDR angesehen, welcher den Weg in die innere Einheit blockiere. Als ursächlich dafür galten die (positiven) Retrospektivbewertungen der DDR und die Schwierigkeiten des „Ankommens“ in einer neuen Gesellschaft. Die These lautete: Wer noch an der DDR hängt und das alte Leben vermisst, der pflegt auch ein skeptisches und abgrenzendes Selbstverständnis gegenüber dem Westen und der neuen Bundesrepublik. Ein wichtiges Thema des wissenschaftlichen Diskurses war dabei, ob ein „Ostbewusstsein“, verstanden als ein gemeinsames teilnationales Sonderbewusstsein, vor allem ein „Produkt der DDR-Erfahrung“ oder ein „Produkt der Wiedervereinigung“ sei (Pollack und Pickel 1998; Woderich 1999). Bis in die frühen 2000er-Jahre ging man davon aus, dass sich dieses „Ostbewusstsein“ über die Zeit auswachsen würde, einerseits, weil die Prägekraft der Erfahrungen in der DDR mit der Zeit abnehme, andererseits, weil die Narben der Wiedervereinigung und der Transformationszeit in den Hintergrund treten würden. Die Erwartung war, dass sich die Bewusstseinslagen in Ost und West annähern würden.
Diese Diskussion hat sich in den letzten Jahren verschoben, weil erkennbar wurde, dass sich ostdeutsche „mentale Lagen“ verfestigen. Ostdeutsche Identität oder ein ostdeutsches Bewusstsein wird im öffentlichen Diskurs vermehrt zum Thema gemacht. Umfragen zeigen regelmäßig, dass sich viele Menschen in Ostdeutschland als „ostdeutsch“ beschreiben und neue Formen der identitätsbezogenen Mobilisierung entstanden sind. Seit den 1990er-Jahren bis 2020 sind es durchweg über zwei Drittel der ostdeutschen Bevölkerung, die eine Verbundenheit mit Ostdeutschland (im Sinne einer regionalen Verbundenheit) artikulieren (Kollmorgen 2022), allerdings zeigen manche Studien auch eine leichte Abschwächung im zeitlichen Verlauf (Sozialreport 2014, S. 33). Diese Entwicklung kann kaum mehr aus den unmittelbaren Wendeerfahrungen oder dem Rückbezug auf die DDR erklärt werden, auch ökonomische Erklärungen, die sich auf Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und ökonomische Härten beziehen, büßen mit der Zeit an Erklärungskraft ein (Pollack 2020).
Nun wird darüber diskutiert, ob wir es mit neuen sozialen oder kulturellen Grenzziehungen zu tun haben, die auf persistenten Selbst- und Fremdidentifikationen im Verhältnis von Ost- und Westdeutschen beruhen (Ahbe 2004; Kollmorgen 2011; Foroutan und Hensel 2020; Oschmann 2023). Eine zentrale These ist, dass der Osten durch den (dominanten) Westen als „anders“ und „abweichend“ konstruiert wird, woraus sich ein ostdeutsches Gegengefühl ergibt, das mit der verstärkten Betonung von Andersartigkeit oder mit mentalem Rückzug einhergeht. Qualitative Studien zur ostdeutschen Identitätsbildung haben gezeigt, dass Zuschreibungen der Andersartigkeit reproduziert und weitergegeben werden und empfundene (symbolische) Abwertungen das Gefühl von Zusammengehörigkeit verstärken können (Kubiak 2018).
Angesichts dieser Diskussionen stellt sich die soziologisch spannende Frage, ob die Differenz zwischen Ost- und Westdeutschland nach wie vor ein Thema ist, und wenn ja, für wen. Wir beleuchten mittels quantitativer Befragungsdaten, wie Ost- und Westdeutsche das Verhältnis zueinander wahrnehmen: Sehen sie auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch Unterschiede oder gar Konflikte zwischen Ost und West? Welche möglichen Gründe lassen sich dafür benennen? Besonderen Fokus legen wir auf die altersmäßige Strukturierung und beleuchten, ob solche Alteritäts- und Konfliktwahrnehmungen in der Kohortenabfolge verblassen. Zur Beantwortung dieser Fragen nutzen wir neu erhobene Daten aus dem Jahr 2022.
Im Folgenden skizzieren wir zunächst in der gebotenen Kürze die Konturen der Vereinigungsforschung der 1990er- und 2000er-Jahre anhand zentraler Argumentationslinien und stellen die Annahmen der Sozialisationshypothese, der Othering-These und der These der ostdeutschen Verhärtung vor, die jeweils unterschiedliche Muster nahelegen. Anschließend präsentieren wir Daten und Methoden und nähern uns dem Zusammenhang zwischen Alter und dem Ost-West-Verhältnis deskriptiv und regressionsanalytisch. Zum Ende diskutieren wir weitergehende Überlegungen zu Ursachen und Mechanismen, die eine Orientierung für weitere Forschung bieten können.
2 Konturen der Vereinigungsforschung
Die „Vereinigungsforschung“ hat in den 1990er-Jahren wissenschaftlich eine große Rolle gespielt. Durch die eigens eingerichtete Kommission für die Erforschung des Sozialen und Politischen Wandels in den Neuen Bundesländern (KSPW) wurden unmittelbar nach der Wiedervereinigung zahlreiche Projekte der Transformationsforschung auf den Weg gebracht, aus denen eine Vielzahl an Publikationen hervorgingen (Ziegler 2005). Wichtiger Bezugspunkt war die Vorstellung der nachholenden Modernisierung, die von einer Angleichung der Mentalitäten, Orientierungen und Habitusformen ausging (Zapf 1991): Die Ost-West-Angleichung könne nicht auf politische und ökonomische Aspekte beschränkt bleiben, sondern erstrecke sich letztlich – so auch die normative Forderung – auf das gesamte „Menschenwerk“ (Miegel 1994, S. 7). Der „objektiven Modernisierung“ würde die „subjektive Modernisierung“ folgen.
Gemäß modernisierungstheoretischer Lesart ging es um die (nachholende) Verwestlichung des Ostens, also um das Abräumen typisch DDR-geprägter oder ostdeutscher Traditionsbestände, auch im Hinblick auf soziale und kulturelle Bewusstseinsformen. Das Verschwinden von Unterschieden, ob bei der ökonomischen Entwicklung, im Parteiensystem, der Lebenszufriedenheit oder im Hinblick auf kulturelle Differenzen, wurde sogar als Indiz für den Vereinigungserfolg verstanden, eine eigenständige ostdeutsche Identitätsbildung oder ein Bewusstsein der Ostdeutschen als Gruppe galt hingegen als Integrationsbremse. Die Brüche und Spannungen im Vereinigungsprozess wurden vor allem als „Anpassungskonflikte“ interpretiert, die „nachholende Abstandnahme“, also die Betonung von Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland, als ein Problem im Übergang (Zapf 1994, S. 134). Insgesamt dominierte eine optimistische Sicht, die davon ausging, dass sich die Adaptation vor allem in der Ablösung der älteren durch die jüngeren Alterskohorten ergibt (Zapf 1993, S. 46).
Als Vorbedingung für die Mentalitätsangleichung wurden oft ökonomische Aufhol- und Angleichungsprozesse angesehen. Dieser Sicht entsprechend waren die Unterschiede in den Bewusstseinsformen zwischen Ost- und Westdeutschland vor allem ökonomisch und sozial begründet (Situationshypothese), entweder mit Verweis auf die insgesamt schlechtere ökonomische Lage oder auf die relative Deprivation gegenüber der westdeutschen Referenzgesellschaft (Walz und Brunner 1998; Pickel und Pickel 2023). Sozioökonomische Problemlagen, biografische „Verluste“ und die ökonomischen Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland galten vor allem während der Transformationsphase als wesentliche Faktoren zur Erklärung einer mentalen Distanz zwischen Ost und West (Neller 2006, S. 68 f.). Damit ging die Erwartung einher, dass sich mit einer Verbesserung der ökonomischen Lage auch die kulturell-mentalen Unterschiede abmildern sollten.
Allerdings war die modernisierungstheoretische Lesart des Vereinigungsprozesses schon in den 1990er-Jahren nicht völlig unumstritten (Bulmahn 1996).Footnote 1 So gab es Stimmen, die vor einer möglichen „Mentalitätsverfestigung“ oder der dauerhaften „Subkulturalisierung“ Ostdeutschlands warnten (Pawlowski et al. 1992). Tatsächlich legten empirische Ergebnisse zunächst nahe, dass sich Ost und West über die Zeit annäherten und es ein bis zwei Generationen bedürfe, bis die Unterschiede in den Einstellungen und Wahrnehmungen völlig verschwunden seien (Alesina und Fuchs-Schündeln 2007). Zum Ende der Nuller-Jahre mehrten sich jedoch die Indizien, dass Mentalitätsunterschiede zwischen den einstmals getrennten Landesteilen nicht so schnell verschwinden würden (Heitmeyer 2009, S. 21).Footnote 2 Forschungen zum sozialisatorischen Erbe des Sozialismus und der postsozialistischen Transformation weisen mit einer breiteren und auch international vergleichenden Perspektive darauf hin, dass es einen langen Schatten des Lebens in sozialistischen Gesellschaften gibt, der auf Mentalitäten, Narrative und politische Kulturen wirkt (Pop-Eleches und Tucker 2017; Hilmar 2021; Bondar und Fuchs-Schündeln 2023).Footnote 3 Allerdings sind solche Kontinuitäten der Identitätskonstruktion recht heterogen: Sie können sich aus Abwertungserfahrungen ergeben, aber auch mit Umdeutungen und positiven Identifikationen verbunden sein; zum Teil gibt es auch eine Ablehnung der Identifikation als Ostdeutsche (Flack 2016; Kubiak 2018; Vogel und Leser 2020).
Dass es auch heute noch Ost-West-Unterschiede gibt, zeigt sich deutlich bei der gesamtdeutschen Kartierung ökonomischer Indikatoren, der politischen Kultur oder auch von Werten und Einstellungen, bei denen sich die Umrisse der ehemaligen DDR immer noch gut abbilden (Pickel und Pickel 2023). Ob bei Einkommen und Vermögen, Vertrauen in politische Institutionen, demografischem Verhalten oder der Religiosität, in vielerlei Hinsicht lassen sich Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland feststellen. Frappierend ist zudem die Unterrepräsentation von Ostdeutschen innerhalb der gesamtdeutschen Eliten, aber auch unter den Eliten in Ostdeutschland (Vogel und Zajak 2020). Trotz großer Aufholleistung und tiefgreifender Transformationen ist auch über 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung davon auszugehen, dass sozialstrukturelle und mentale Unterschiede fortbestehen und das gesellschaftliche Gefüge insgesamt prägen (Mau 2019). Zwar sind die ökonomischen und sozialen Unterschiede deutlich geringer geworden, aber der Aufholprozess hat sich deutlich verlangsamt (Schnabl und Sepp 2019; Priem et al. 2020).Footnote 4 Immer noch stimmt ein Drittel der Ostdeutschen der Aussage zu, sie seien „Bürger zweiter Klasse“, was die These des allmählichen Zusammenwachsens mit Fragezeichen versieht (Foroutan et al. 2019, S. 22).
Wir wollen uns im Folgenden mit der Frage der Kohortendifferenzen deutsch-deutscher Wahrnehmungsunterschiede beschäftigen: Wie nehmen die jeweiligen Geburtskohorten die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen und die Konflikthaftigkeit im Verhältnis von Ost und West wahr? Wir stellen damit die Frage ökonomischer Ungleichgewichte in den ostdeutschen Bundesländern zurück und rücken alters- oder kohortenbezogene Differenzen in den Vordergrund. Zentral ist dabei, ob im Kohortenvergleich eine Abschwächung oder Kontinuität von Unterschieds- und Konfliktwahrnehmungen zu beobachten ist. Sichtet man die einschlägigen Erklärungen zu unterschiedlichen Identitäten und Bewusstseinsformen in Ost- und Westdeutschland, die über unmittelbare sozioökonomische Aspekte hinausreichen, so sind vor allem drei Ansätze für unseren Zusammenhang relevant: die Sozialisationshypothese, die Othering-Hypothese und die These ostdeutscher Persistenz und Verhärtung. Alle drei Thesen lassen unterschiedliche Muster im Kohorten- und Ost-West-Vergleich erwarten.
Sozialisationshypothese
Diese These geht davon aus, dass es durch das Aufwachsen im Staatssozialismus ansozialisierte Bewusstseinsformen und Orientierungen gibt, die sich mit der Wiedervereinigung nicht einfach abstreifen lassen (Arzheimer 2005). Aufgrund der prägenden Rolle der primären politischen Sozialisation gibt es eine „sozialisatorische Mitgift“ der DDR (Ahbe 2010). Allerdings werden der DDR keine dauerhaften „Sozialisationserfolge“ zugeschrieben und schon gar keine, die über die unmittelbaren DDR-Kohorten hinausreichen sollten (Westle 2004); ähnlich wie es die Modernisierungstheorie prognostiziert hatte. Entsprechend zeigen sich hinsichtlich politischer Orientierungen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen vor allem bei den älteren Kohorten, während sie bei den jüngeren verwischen (Sack 2017). Auch die Identifikation mit der DDR und ihren Bürgern nimmt über die Zeit ab, besonders jüngere Kohorten neigen im wiedervereinigten Deutschland zur Assimilation, also zur Aufgabe eines spezifischen DDR-Bezugs (Becker 2023). Die „Nachwendegenerationen“, die im vereinten Deutschland aufwachsen, sollten deutlich weniger „ostdeutsch“ geprägt sein. Entsprechend galt für die 1990er- und Nuller-Jahre, dass sich vor allem die Älteren durch eine überdurchschnittliche Verbundenheit mit Ostdeutschland auszeichneten, bei den unter 30-Jährigen schmolz diese deutlich ab (Sozialreport 2014, S. 31). Für Westdeutschland lässt sich anhand der Sozialisationshypothese ebenfalls annehmen, dass die deutsch-deutsche Teilung und die Wiedervereinigung als soziale Erfahrungen und Identitätsanker zunehmend in den Hintergrund treten, womöglich aber auch insgesamt keine so bedeutsame Rolle spielen. Hier ist anzunehmen, dass die Salienz möglicher Ost-West-Differenzen umso geringer ist, je jünger die Kohorten sind. Für nachwachsende westdeutsche Kohorten ohne persönliche Erfahrung der deutschen Teilung sollten Differenz- und Konfliktbewusstsein daher deutlich schwächer ausgeprägt sein. Auch wenn die Nachwendegenerationen in Ost und West also vielleicht noch nicht völlig geeint sind, dürfte die „Mauer in den Köpfen“ nicht mehr ganz so hoch sein (Faus und Storks 2019).
Othering-Hypothese
Zu einer gegenteiligen Annahme kommen Thesen, die von einer beständig reproduzierten kulturell-symbolischen und politischen Codierung von Ost-West-Unterschieden ausgehen. Ganz unabhängig von tatsächlichen materiellen Lagen und ökonomischer (Un‑)Zufriedenheit wird hier angenommen, dass sich Ost-West-Zuschreibungen und Differenzempfindungen immer wieder erneuern, etwa dadurch, dass es bei den Ostdeutschen vor dem Hintergrund von Anpassungserwartungen durch eine westdeutsche Mehrheitsgesellschaft zu Formen der Reaktanz und Mentalitätsverfestigung kommt. Aus einer solchen Perspektive gilt das Ostdeutsch-Sein häufig als Resultat einer westdeutschen Zuschreibung, die den Osten als fremd und sich selbst als Normalität konstruiert. Das hierbei zum Tragen kommende, dem postkolonialen Diskurs entlehnte Verständnis des „Othering“ geht davon aus, dass Ostdeutsche für die westdeutsche Normgesellschaft so etwas wie „Fremde“ oder „symbolische Ausländer“ seien (Pates und Schochow 2012) und sich dieses „Othering“ im Wechselspiel von Fremd- und Selbstzuschreibung vollzieht. Oft wird auch von einer diskursiven und medialen Subalternisierung im Sinne einer „Exotisierung“ der Ostdeutschen und der Betonung ihrer vermeintlichen Besonderheiten, Abweichungen und Anomalien gegenüber Westdeutschland gesprochen (Kollmorgen 2007, 2011). Ostdeutsche Identität oder die Identifizierung als ostdeutsch wäre so vor allem eine Reaktion auf bis heute anhaltende Abwertungserfahrungen; auf eine negative Fremdzuschreibung folgte eine positiv besetzte Selbstidentifikation (Ahbe 2004; Wendl 2010; Kubiak 2018; Vogel und Leser 2020).Footnote 5 Dies gelte auch für diejenigen jungen Ostdeutschen, die zwar im vereinigten Deutschland geboren sind, aber sagen, dass ihre Herkunft für sie immer noch von Bedeutung ist (Faus und Storks 2019). Besonders stark zugespitzt findet sich eine solche Sichtweise in Dirk Oschmanns (2023) Bestseller „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“, der mit der These aufwartet, der Westen produziere stigmatisierende Bilder über den Osten – als rückständig, renitent, nicht demokratiefähig, unkultiviert und barbarisch – und erfinde damit die Ostdeutschen überhaupt erst. Eine selbstabgrenzende Identitätsbestimmung der Ostdeutschen sei vor allem eine Folge westdeutscher Attribuierungen.
Ostdeutsche Persistenz- und Verhärtungsthese
Die dritte These ist die der narrativen Weitergabe sozialer Erfahrungen, kollektiver Bewusstseinsformen und historischer Traumata. Sie ist auf Ostdeutschland ausgerichtet, ein entsprechendes Pendant für Westdeutschland anders als bei der Othering-Hypothese findet sich nicht. Hier geht es um das „Weiterleben“ eines soziokulturellen Eigensinns in Ostdeutschland, relativ unabhängig von Kohortenzugehörigkeit und ökonomischer Lage. Statt zu Mentalitätsangleichung im Sinne der Modernisierungstheorie kommt es gemäß dieser Annahme zu mentalen Verfestigungen. Die These besagt also, dass es nicht zwingend darauf ankommt, selbst in der DDR gelebt zu haben oder den historischen Umbruch biografisch verarbeiten zu müssen, sondern dass in den Wohnstuben und an den Küchentischen ein ostdeutsches Narrativ einen festen Platz gefunden hat. Narrativ hergestellt wird beispielsweise der kognitive Ordnungsbezug einer Ost-West-Unterscheidung, aber auch eine bestimmte Erinnerung an die DDR und eine Imagination des Ostens (Rippl et al. 2018). Kollektive Narrative, wie sie in lokalen Kontexten, Freundschaftsnetzwerken, am Arbeitsplatz oder im Familienkreis weitergegeben werden, sind zudem für Fragen von Identität, biografischer Selbstverortung und Gefühle von Zugehörigkeit von Bedeutung (Haag 2017, 2022). Ostdeutsche Umbruchs- oder Abwertungserfahrungen werden dergestalt an die jüngeren Generationen ohne eigene DDR- oder Transformationserlebnisse weitergegeben, die dieses Wissen neu kontextualisieren und mit eigenen Wirklichkeiten abgleichen. Ein Ostdeutsch-Sein prägt sich ein, spezifisch ostdeutsche Mentalitätslagen verhärten sich. Etwas anders gelagert ist die Annahme einer festgesetzten Unmutskultur, wie sie etwa Detlef Pollack (2020) diagnostiziert. Er vertritt die These, den Ostdeutschen gehe es nach einer Durststrecke zwar recht gut, sie hätten sich aber in einer Jammerecke eingerichtet. Hier dominiere die Affektlage des Ressentiments, die es kaum erlaube, tatsächliche oder vermeintliche Kränkungen der Vergangenheit zu überwinden (Pollack 2020, S. 210). Statt die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu sehen, verlege man sich auf die „Kultivierung der ostdeutschen Identität“ und richte sich in der Haltung des Gekränkt-Seins ein (Pollack 2020, S. 223), die auch an die nachfolgenden Kohorten weitergegeben wird.
Alle drei Thesen legen jeweils andere Muster nahe. Die Sozialisationshypothese geht von einem Rückgang der wahrgenommenen Differenzen und Konflikte über die Kohorten aus – in Ost wie in West. In dem Maße, wie die deutsche Teilung zeitlich wegrückt und die Sozialisation im geteilten Deutschland in den Hintergrund tritt, sollten Gefühle von Anderssein und eines konfliktären Verhältnisses verblassen. Die zweite These, die Othering-Hypothese, thematisiert eine sich immer wieder aktualisierende Differenz, die auch Folgen für Selbst- und Fremdzuschreibungen hat. Gemäß dieser These ist es der kulturell und diskursiv dominante Westen, der mit dem Osten sein Gegenbild erzeugt, während die Ostdeutschen diese Zuschreibungen annehmen. Danach wäre dann sowohl im Osten als auch im Westen damit zu rechnen, dass Unterschiede und Konflikte in der Kohortenfolge salient bleiben. Mit dem dritten Ansatz, der ostdeutschen Persistenz- und Verhärtungsthese, kann man mutmaßen, dass in der ostdeutschen Bevölkerung eigenständige Identitätsbezüge eingewurzelt sind, die mit Transformationshärten und Erfahrungen sozialer und kultureller Deklassierung zu tun haben aber trotz einer verbesserten ökonomischen Lage fortbestehen. Für Westdeutschland wäre hingegen eher von einem Abschmelzen von Differenz- und Konfliktwahrnehmungen im Sinne der Sozialisationshypothese auszugehen. Die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft kultiviert gerade keine eigenständige Erzählung des Westdeutsch-Seins.
3 Daten
Unsere Analysen basieren auf der bundesweiten Umfrage Ungleichheit und Konflikt, für die das Meinungsforschungsinstitut infas zwischen Mai und Juli 2022 rund 2500 Personen ab 16 Jahren zu ihren gesellschaftspolitischen Einstellungen und ihren Lebensbedingungen befragt hat.Footnote 6 Neben der Aktualität haben die Daten den Vorteil, dass geeignete Indikatoren für Alteritäts- und Konfliktwahrnehmungen zur Verfügung stehen. Zudem können Ost- und Westdeutsche nach ihrem Wohnort vor der Wende klassifiziert werden, wodurch ein spezifisch ostdeutscher Sozialisationshintergrund besser abgebildet werden kann als durch den in vielen anderen Studien genutzten aktuellen Wohnort. Einen „ostdeutschen Hintergrund“ hat in unserer Analyse eine Person, die entweder am 1. November 1989 in der DDR gelebt hat oder, wenn sie nach 1989 geboren wurde, mindestens ein Elternteil besitzt, das zu diesem Zeitpunkt in der DDR lebte.Footnote 7 Eine solche Definition besitzt einige Unschärfen, beispielsweise werden diejenigen, die die DDR vor 1989 verlassen haben, nicht als Ostdeutsche identifiziert. Für sie, so könnte man jedoch argumentieren, spielen die in Ostdeutschland prägenden Jahre der Transformation in den 1990er-Jahren auch keine so wichtige Rolle.
Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen zwei Wahrnehmungen des Ost-West-Verhältnisses. Die Alteritätswahrnehmung, also die wahrgenommene Andersartigkeit von Ostdeutschen oder Westdeutschen, messen wir über die Aussage: „Ostdeutsche und Westdeutsche unterscheiden sich heute immer noch in vielen Dingen“. Befragte konnten ihre Zustimmung oder Ablehnung zu dieser Aussage auf einer fünfstufigen Skala zum Ausdruck bringen: stimme voll und ganz zu, stimme eher zu, teils/teils, stimme eher nicht zu, stimme überhaupt nicht zu. Für die Konfliktwahrnehmung nutzen wir die Antwort auf die Frage, wie stark die befragte Person die Konflikte zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen einschätzt. Die Antwortmöglichkeiten waren hier: sehr stark, eher stark, eher schwach, keine Konflikte. Für unsere deskriptiven Analysen indizieren die Antworten „sehr stark“ und „eher stark“ die Wahrnehmung eines starken Konfliktes, während eine Alteritätswahrnehmung durch die Antworten „stimme voll und ganz zu“ und „stimme eher zu“ angezeigt wird.
Als zentrale erklärende Variable dient uns die Geburtskohorte. Wir unterscheiden in Ost- und Westdeutschland vier Gruppen (siehe Tab. 1): diejenigen, die bis 1950 geboren sind und so der Nachkriegs- und Aufbaugeneration zugerechnet werden können; die „Babyboomer“, die zwischen 1951 und 1970 geboren sind; diejenigen, die die geteilten deutschen Staaten nur noch als Kinder oder Jugendliche erlebt haben und zwischen 1971 und 1988 geboren sind; und schließlich die Nachwendegeneration, also diejenigen, die ab 1989 geborenen. Die politische Sozialisation und formativen Jahre der Aufbau- und Babyboomer-Generation fanden in der DDR und in der BRD im geteilten Deutschland statt. Für sie gehörte die Blockkonfrontation zum Alltag. Für die ostdeutsche Wendegeneration war der Systemumbruch mit existenziellen Unsicherheiten, aber auch neuen Freiheiten erfahrungsprägend, während die westdeutsche Wendegeneration keine gleichartige Umbruchserfahrung zu verarbeiten hatte. Unsere jüngsten Geburtskohorten, die ost- und westdeutschen Nachwendegenerationen, sind im wiedervereinigten Deutschland geboren und aufgewachsen und kennen die DDR oder die getrennten deutschen Staaten nur aus den Medien und den Erzählungen von Familienangehörigen (zur Typologie der Generationen in Ost und West siehe auch Schmidt 2023).Footnote 8 Da wir Querschnittsdaten benutzen, können wir Kohorten- und Alterseffekte aber streng genommen nicht unterscheiden.
In den multivariaten Analysen nehmen wir die Konfliktwahrnehmung binär (ja/nein) auf und rechnen logistische Regressionen, wohingegen wir die Unterschiedswahrnehmung mit allen Ausprägungen der Skala modellieren und lineare Regressionsmodelle schätzen.Footnote 9 Weiterhin kontrollieren wir für den Bildungsabschluss, die subjektive wirtschaftliche Lage und das Geschlecht der Befragten. Mit der subjektiven Lage können wir ermitteln, inwieweit (wahrgenommene) nachteilige soziale Lagen, deren Bedeutung auch in modernisierungstheoretischen Ansätzen hervorgehoben wird, für die Einschätzung des Ost-West-Verhältnisses relevant sind. Den Bildungsabschluss operationalisieren wir dreistufig und unterscheiden niedrige Bildung (höchstens Hauptschule oder Polytechnische Oberschule der 8. oder 9. Klasse), mittlere Bildung (Mittlere Reife oder die Polytechnische Oberschule mit dem Abschluss der 10. Klasse) und hohe Bildung ([Fach-]Abitur oder Abschluss der 12. Klasse der Erweiterten Oberschule). Ebenfalls dreistufig erfassen wir, wie die Befragungsperson ihre wirtschaftliche Lage einschätzt (gut, teils/teils und schlecht). Zusätzlich betrachten wir den Urbanitätsgrad des Wohnortes der Befragten, um mögliche Stadt-Land-Unterschiede zu berücksichtigen. Wir unterscheiden zwischen Großstadt, den Vororten oder Rändern von Großstädten, Klein- oder Mittelstädten sowie Dörfern. Zuletzt kontrollieren wir für einen möglichen Migrationshintergrund der Befragten, indem wir Informationen darüber nutzen, ob die Eltern in Deutschland oder anderswo geboren wurden.
4 Ergebnisse
Betrachtet man die Alteritäts- und Konfliktwahrnehmungen zunächst deskriptiv, fällt auf, dass sich Wahrnehmungen je nachdem, ob man ost- oder westdeutsch sozialisiert wurde, massiv unterscheiden (Abb. 1). Eine Mehrheit der Ostdeutschen, nämlich 60 %, nimmt Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen wahr. Bei den Westdeutschen ist es nur eine Minderheit von 41 %. Noch deutlicher wird das Ost-West-Gefälle bei den Konfliktwahrnehmungen. Während die Hälfte der Ostdeutschen der Ansicht ist, dass es sehr starke oder eher starke Konflikte zwischen beiden Gruppen gibt, kommt nur ein Viertel der Westdeutschen zu dieser Einschätzung.Footnote 10 Ostdeutsch sozialisierte Menschen sehen also nicht nur häufiger Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen, sondern nehmen auch mehr Konflikte zwischen beiden Gruppen wahr. Solche Sichtweisen sind unter jenen mit westdeutscher Sozialisation viel seltener zu finden. Für die Ostdeutschen insgesamt ergeben sich damit erste Indizien für die fortbestehende Relevanz des Themas im Sinne der ostdeutschen Verhärtungsthese.
Interessant ist nun der Vergleich der Kohorten, denn nach der Sozialisationshypothese wäre zu erwarten, dass in der ost- und westdeutschen Nachwendegeneration, also bei denjenigen, die nicht durch Sozialisation im geteilten Deutschland oder im Systemumbruch geprägt wurden, die Alteritäts- und Konfliktwahrnehmungen verblasst sind. Für die Ostdeutschen lässt sich ein solches Verblassen aber nicht feststellen. Vielmehr zeigt sich eine erstaunliche Kontinuität, bei der sich die jüngeren Kohorten nicht signifikant von der Aufbau- und Nachkriegskohorte unterscheiden (siehe Abb. 2). Differenzen zwischen Ost und West werden in der ältesten Kohorte von 62 % wahrgenommen, in der jüngsten von 65 %. Gleiches gilt für die Wahrnehmung von Konflikten zwischen Ost- und Westdeutschen: 56 % der ältesten Befragten sehen solche Konflikte, aber auch 61 % der jüngsten. Unter den jüngeren Ostdeutschen ist also, allen Erwartungen der kulturellen Angleichung zum Trotz, keine verminderte Sensibilität für Unterschiede oder Konflikte zwischen den einstmals getrennten Landesteilen zu erkennen. Mehr noch: Gegenüber der Babyboomer- und der Wendegeneration zeigt die Nachwendegeneration sogar eine häufigere Alteritäts- und Konfliktwahrnehmung, wenngleich diese Unterschiede nicht statistisch signifikant sind. Diese Ergebnisse liegen quer zur Sozialisationshypothese und deuten auf eine Verfestigung ganz unabhängig von eigenen, unmittelbaren DDR- und Transformationserfahrungen hin. Ursächlich dafür können die mit der Othering-Hypothese oder die mit der ostdeutschen Persistenzhypothese verbundenen Erklärungen sein.
Unter Westdeutschen sieht das empirische Muster ganz anders aus und entspricht weitgehend der Sozialisationshypothese. Hier werden Alteritäts- und Konfliktwahrnehmungen tatsächlich über Altersgruppen hinweg signifikant seltener. Eine sich fortsetzende „Veranderung“ der Ostdeutschen durch „den Westen“ im Sinne von Dirk Oschmann (2023) ist nicht zu erkennen. Während in der ältesten Kohorte 48 % Unterschiede zwischen Ost und West erkennen, sind es in der jüngsten Generation nur noch 32 %. Die Konfliktwahrnehmungen sinken sogar noch deutlicher von 36 auf 16 %, sodass man davon ausgehen kann, dass das Ost-West-Thema in den jüngeren westdeutschen Kohorten sukzessive an Relevanz verliert. Die Unterschiedlichkeit, die die Ostdeutschen noch in großer Zahl für sich reklamieren, ist für junge Westdeutsche kaum mehr sichtbar und nachempfindbar. Gerade in der jüngsten Kohorte zeigt sich damit ein besonders starkes Ost-West-Gefälle in den Einschätzungen. Ost- und Westdeutsche liegen hier 33 Prozentpunkte (Alteritätswahrnehmung) und 45 Prozentpunkte (Konfliktwahrnehmungen) auseinander. Der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschen vergrößert sich also in der Nachwendegeneration.Footnote 11
Um zu prüfen, ob die empirischen Muster stabil bleiben, wenn wir die sozialstrukturelle Komposition der Befragten kontrollieren, fundieren wir unsere Ergebnisse durch multivariate Regressionsanalysen. In den Tab. 2 und 3 sind die regressionsanalytischen Befunde jeweils unter Kontrolle von subjektiver wirtschaftlicher Lage, Bildung, Geschlecht, dem Urbanitätsgrad des Wohnortes sowie dem Migrationshintergrund dargestellt. Es zeigt sich, dass sich die zunächst deskriptiv dargestellten Ergebnisse auch regressionsanalytisch als robust erweisen. Es bestätigt sich, dass die jüngsten Westdeutschen seltener Unterschiede und Konflikte wahrnehmen als die ältesten Westdeutschen und dass diese Differenzen auch unter Kontrolle zentraler sozioökonomischer und demografischer Faktoren signifikant bleiben. Es kommt also in der Kohortenabfolge zu einem klaren Abschmelzen von Differenz- und Konfliktwahrnehmungen. Für die Ostdeutschen lassen sich hingegen über die Kohorten hinweg keine signifikanten Unterschiede feststellen, was dafür spricht, dass junge und ältere Ostdeutsche gleichermaßen Unterschiede und Konflikte in Bezug auf Westdeutschen wahrnehmen. Zwar tendieren die jüngsten Ostdeutschen im Vergleich zu den ältesten Ostdeutschen sogar zu einer verstärkten Konfliktwahrnehmung, diese Differenz ist aber nicht statistisch belastbar. Aufgrund dieser sehr unterschiedlichen Alterseffekte unter Ost- und Westdeutschen öffnet sich in der Nachwendegeneration eine Schere in den Wahrnehmungen: Mit einer Wahrscheinlichkeit von über 60 % berichten junge Ostdeutsche von starken Konflikten, im Westen kommen Angehörige derselben Altersgruppe hingegen nicht einmal mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % zu einer ähnlichen Einschätzung (ohne Abbildung)Footnote 12.
In Bezug auf die Kontrollvariablen zeigen die Modelle, dass sich Menschen in unterschiedlichen wirtschaftlichen Lagen nicht signifikant unterscheiden, wenn es um die Einschätzung des Ost-West-Verhältnisses geht, was gegen die Annahme spricht, dass die soziale Lage als Faktor zur Erklärung unterschiedlicher Wahrnehmungen maßgeblich ist. Anders sieht es hingegen bei der Bildung aus: Höhergebildete nehmen seltener Unterschiede und Konflikte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen wahr als Menschen mit einfacher Bildung. Die Sensibilität für Gruppendifferenzen scheint also bei denjenigen geringer zu sein, die aufgrund ihres Humankapitals tendenziell besser mit den Folgen von Transformationsprozessen umgehen können (siehe auch Kriesi et al. 2012). Zwischen Männern und Frauen zeigen sich im Wesentlichen keine signifikanten Unterschiede mit Blick auf Alteritäts- und Konfliktwahrnehmung. Einzig westdeutsche Frauen nehmen häufiger Konflikte wahr als westdeutsche Männer. Auch der Wohnort und die damit verbundene Frage nach der Zugänglichkeit öffentlicher Infrastrukturen spielt für die Einschätzung des Ost-West-Verhältnisses keine wichtige Rolle. Lediglich Ostdeutsche in Vororten und Großstadtrandlagen nehmen weniger stark Konflikte als Ostdeutsche in Großstädten wahr. Zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte zeigen sich keine Unterschiede in der Beurteilung des Ost-West-Verhältnisses.
5 Fazit und Diskussion
Im vorliegenden Beitrag haben wir untersucht, ob Differenzen und Konflikte zwischen Ost und West auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung für die Menschen noch eine Rolle spielen. Unser Hauptbefund lautet: Unter jüngeren Westdeutschen verblassen die deutsch-deutschen Trennlinien in der Kohortenfolge, bei den Ostdeutschen ist dagegen ein Fortwirken von Unterschieds- und Konfliktwahrnehmungen erkennbar. Die Sozialisationshypothese, die von abnehmenden Alteritäts- und Konfliktwahrnehmungen ausgeht, scheint nur im Westen zutreffend zu sein. Was die Othering-Hypothese angeht, so zeigt sich zumindest aus der Sicht jüngerer westdeutscher Kohorten ein nur geringes Unterscheidungsbewusstsein. Dies spricht gegen die Annahme, Ostdeutsche würden von vielen Westdeutschen als grundsätzlich anders gesehen und entsprechend kulturell und diskursiv verstanden. Die anhaltend starke Betonung von Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen und die anhaltend hohe Konfliktwahrnehmung auch unter den jüngeren ostdeutschen Befragten liefern Indizien für eine einseitige kulturelle Persistenz der Ost-West-Differenz, die eher unserer dritten These entspricht. Darin wurde angenommen, dass sich ostdeutsche Sichtweisen und Mentalitäten durch die intergenerationelle Weitergabe von DDR- und Transformationserfahrungen verhärten.
In unseren Analysen haben wir festgestellt, dass die ostdeutsche Nachwendegeneration sogar häufiger Unterschiede und Konflikte wahrnimmt als ihre Vorgänger. Auch wenn sich diese ostdeutschen Kohortenunterschiede nicht als statistisch signifikant erwiesen, könnten wir es hier dennoch mit den ersten Anzeichen einer Entwicklung zu mehr Alteritäts- und Konfliktsensibilität unter jungen Ostdeutschen zu tun haben, für die es in den genannten Thesen keine guten Erklärungen gibt. Insgesamt ergibt sich damit vor allem für die Jüngeren die paradoxe Situation, dass Ostdeutsche nach wie vor Unterschiede wahrnehmen, welche die Westdeutschen kaum noch erkennen. Aus ostdeutscher Sicht handelt es sich um eine Negation von selbst wahrgenommener Alterität durch die „andere“ Gruppe. Westdeutsche begegnen dem Insistieren auf Andersartigkeit der Ostdeutschen nur achselzuckend, was auch die Kommunikation um das deutsch-deutsche Binnenverhältnis verkompliziert.
Unser Beitrag rekonstruiert zunächst einmal ein „soziologisches Rätsel“. Die sehr deutlichen, auch in den jüngeren Kohorten auffindbaren Ost-West-Differenzen in der Konfliktwahrnehmung und der Differenzempfindung sprechen für die Persistenzthese. Es scheint so zu sein, dass sich ostdeutsche Bewusstseins- und Identitätsformen verstetigen, was sich weniger durch Modernisierungstheorie als durch die Mentalitäts- und politische Kulturforschung erklären lässt, etwa durch die Vorstellung von verfestigten und habituell eingeprägten Deutungskulturen (Rohe 1987). Wir können nicht genau sagen, inwieweit mediale Zuschreibungen oder öffentliche Diskurse zu diesen unterschiedlichen Wahrnehmungswelten beitragen, beispielsweise indem Ostdeutsche die eigenen Lebenswelten und Perspektiven wenig gespiegelt sehen und dadurch einen stärkeren Binnenbezug ausbilden. Möglich ist darüber hinaus auch eine zunehmende Aufladung der identifikatorischen Bedeutung eines „Ostbewusstseins“ (Schönian 2020), das in letzter Zeit auch kulturell und medial stärker bearbeitet wurde, etwa in Form von Büchern, Musik oder auf Social-Media-Plattformen.
Was könnten weitere Gründe dafür sein, dass Nachwendekohorten Ost-West-Unterschiede (zunehmend) für bedeutsam halten? Stand für die in der DDR sozialisierten Jahrgänge noch das „Einfädeln“ und „Ankommen“ im Vordergrund, könnte dies in den jüngeren Geburtskohorten neu und anders konnotiert werden. Die Anpassungsleistungen der Altvorderen erschienen aus ihrer Sicht als kritikwürdig und die Bereitschaft zur Markierung von Differenz würde steigen. Man kann auch mit der „Kulturkonflikttheorie“ (siehe Stonequist 1937; Park 1950) der Chicagoer Schule mutmaßen, dass, ähnlich wie bei migrantischen Gruppen, kulturelle Konflikte eher in den nachfolgenden Generationen auftreten. In der Migrationsforschung wurde gezeigt, dass die „zweite Generation“, also diejenigen, die bereits in Deutschland geboren wurden und strukturell besser integriert sind, sich der Mehrheitsgesellschaft zwar eher zugehörig fühlen als noch ihre Eltern (z. Β. Sürig und Wilmes 2015). Aber besonders türkisch- oder arabischstämmige junge Menschen nehmen Diskriminierung und Benachteiligung seitens der Mehrheitsgesellschaft in der Generationenabfolge stärker wahr und greifen diese, anders noch als ihre Elterngeneration, verstärkt an (Visser 2016; Gerhards und Buchmayr 2018; Ohnmacht und Yıldız 2021). Gefühle von Andersartigkeit, das Beharren auf Differenz oder die Politisierung von strukturellen Ungleichheiten treten erst mit „generationeller Verzögerung“ auf, es entsteht ein größeres Bewusstsein von Spannungen zwischen einer „Adoptivkultur“ und sozialisierten Denkweisen und Orientierungen, die im familiären Kontext eine Rolle spielen. Nicht zuletzt ließe sich auch annehmen, dass Spannungen mit gelungener Integration stärker sichtbar werden, weil minoritäre Gruppen erst dann ihre Ansprüche und differenten Erfahrungen stärker artikulieren können (El-Mafaalani 2018). So gesehen wäre die in den jüngsten Kohorten erkennbare Reklamation ostdeutscher Unterschiedlichkeit eine nachgelagerte Bewusstwerdung unterdrückter Konflikthaftigkeit.
Eine weitere Deutung eines neuen „Ostbewusstseins“ könnte sein, dass die Ost-West-Differenz selbst zur Chiffre eines weiter gefassten „Kulturkampfes“ geworden ist, der sich auf das Ringen um liberale Werte, Fragen nationaler Identität und den Umgang mit Migration bezieht. Eine solche Deutung zeigt sich in dem Bespielen einer identitätspolitischen Aufladung des Ostdeutsch-Seins von politischen Akteuren wie PEGIDA oder der Alternative für Deutschland (AfD), aber auch in einzelnen Wortmeldungen ostdeutscher Spitzenpolitiker zum Krieg Russlands gegen die Ukraine, zum Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk oder zur gendergerechten Sprache. Rechtspopulistische Akteure, darunter etliche Westdeutsche, haben „Ostdeutschland-Rufe“ auf die Straße gebracht und Slogans wie „DDR 2.0“ oder „Vollende die Wende“ als Reminiszenz einer spezifischen ostdeutschen Erfahrung politisch aufgeladen. Gleichzeitig erzielt die AfD gerade unter vielen jungen Wählern in ländlichen ostdeutschen Regionen ein überdurchschnittliches Ergebnis (Haffert und Mitteregger 2023).Footnote 13 Der Bezug zu Ostdeutschland fungiert dabei vornehmlich als Token für grundlegendere Wertekonflikte.Footnote 14 Spezifischer auf die Transformationserfahrung zugeschnitten sind Erklärungen, die das „Nachahmungsimperativ“ der postsozialistischen Transformation als inhärent enttäuschungsanfällig charakterisieren (Krastev und Holmes 2019). Da man fortwährend an den Idealen des „liberalen Westens“ gemessen wird, entsteht ein Insuffizienzgefühl, das dann mit zeitlicher Verzögerung zu Abstandnahme und Rückbesinnung auf eigene Identitätsbestände führen kann. Identität oder das Empfinden von Unterschiedlichkeit sind nicht einfach nur da, sie werden auf unterschiedlichen Ebenen diskursiv hergestellt und reproduziert.Footnote 15
Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob es zukünftig nicht auch zu einer neuerlichen Betonung der Differenz aus westdeutscher Sicht kommen könnte. Die „Problemzone“ des Ostens könnte in den Wahrnehmungen vor allem dann entstehen, wenn es markante Abweichungen von der westdeutschen Referenzgesellschaft gibt, so etwa bei den politischen Orientierungen und der politischen Kultur. Der gegenwärtig gewichtigste Unterschied wird mit dem Bild des „braunen Ostens“ hergestellt, welches zwar schon in den 1990er-Jahren entstand, sich mit dem Aufstieg der AfD und ihrer Radikalisierung in den ostdeutschen Bundesländern aber noch einmal verstärkt hat. Vor allem die politischen Entwicklungen in den ostdeutschen Bundesländern werden mit Sorge beobachtet – aus dieser Perspektive erscheint der Osten als fremd und eben doch anders. Sollten politische Akteure diese Differenz des Ostens zunehmend auch öffentlich inszenieren, könnte sich auch aus westdeutscher Sicht die Ost-West-Differenz neu aktualisieren. Für die Frage der „inneren Einheit“ ist entscheidend, ob Unterschiedswahrnehmungen zum Teil eines auf Abgrenzung setzenden Identitätskonflikts werden oder sich als regionale Identitäten auskristallisieren (und damit auch normalisieren). Im ersten Fall hätten wir es mit neuen Formen der rivalisierenden Selbstbehauptung und der mentalen Dissoziation zu tun, im zweiten Fall mit ostdeutscher Identität als einem regional und biografisch gebundenen Herkunftsbewusstsein, in dem sich spezifische soziale und historische Erfahrungsschichten ablagern.
Notes
In der Forschung wurden Fragen der ostdeutschen Identität kontrovers diskutiert, unter anderem im Hinblick auf ihre Trägerschichten, ihr regressives Potenzial, ihre psychologischen Reproduktionsweisen und die politischen Akteure ihrer Konstruktion (Kanning und Mummendey 1993; Pollack 1998; Pollack und Pickel 1998; Woderich 1999).
Im Jahr 2008 stimmten rund 60 % der Westdeutschen der Aussage zu, dass Ost- und Westdeutschland zusammengewachsen sind. Unter den Ostdeutschen lag die Zustimmung mit rund 41 % deutlich niedriger. Darüber hinaus waren mehr als zwei Drittel der Ostdeutschen der Meinung, dass Ost- und Westdeutsche immer noch grundverschieden sind. Diese Einschätzung teilten damals etwa 55 % der Westdeutschen.
Es gibt aber auch wichtige historische Hinweise bei der Beurteilung unmittelbarer „Systemeffekte“ (Becker et al. 2020).
Interessanterweise hat sich die subjektive Einschätzung der eigenen oder der gesamtdeutschen Wirtschaftslage deutlich verbessert: Hier zeigen sich kaum noch bedeutsame Ost-West-Differenzen (Neumann 2020, S. 81). Anders ist dies bei Indikatoren gefühlter Nachteilslagen oder relativer Deprivation.
In Studien ist beispielsweise gezeigt worden, dass es einen diskursiven Ausschluss des Ostdeutsch-Seins aus den hegemonialen Normen und Narrativen der bundesrepublikanischen Gesellschaft gibt (Kubiak 2018). Trotz einer „Einheitsfiktion“ bliebe der Status Ostdeutschlands und der Ostdeutschen ungeklärt und werde vor allem als Abweichung verstanden. Prominenz hat in diesem Zusammenhang die These erlangt, es gäbe wichtige Ähnlichkeiten zwischen der migrantischen Bevölkerung und den Ostdeutschen, und zwar dahingehend, dass beide nichtdominante Gruppen wären, denen mit einer Anpassungserwartung begegnet würde und die mit sozialer, kultureller und identifikativer Abwertung konfrontiert seien (Foroutan und Kubiak 2018).
Die Umfrage erfolgte telefonisch im Dual-Frame-Modus mit einem Mobilfunkanteil von 38 % und einem Festnetzanteil von 62 %. Beiden telefonischen Auswahlrahmen lag das Gabler-Häder-Verfahren zugrunde (Häder und Gabler 1998; für nähere Hinweise zu Daten und Gewichtung siehe infas 2022). Zum Ausgleich von Designeffekten und zur Randanpassung an den Mikrozensus wurde von infas ein kombiniertes Design- und Redressmentgewicht erstellt, mit dem unsere Analysen gewichtet wurden. Durch die Gewichtung entspricht die Verteilung unserer Daten hinsichtlich Geschlecht, Bundesland, Haushaltsgröße, Schul- und Ausbildungsabschluss, Erwerbstatus und beruflicher Stellung der Verteilung des Mikrozensus.
Befragte, die im November 1989 anderswo gelebt haben, und Befragte, die nach 1989 geboren wurden und deren Eltern im November 1989 woanders gelebt haben, werden über ihren eigenen aktuellen Wohnort als ost- oder westdeutsch definiert. Es handelt sich aber nur um wenige Fälle. Wir haben die statistischen Modelle auch mit einer alternativen Identifikation von Ostdeutschen geschätzt, die sich am aktuellen Wohnort orientiert. Die Ergebnisse sind grosso modo ähnlich.
Über die Definition der Babyboomer gibt es unterschiedliche Auffassungen, wir orientieren uns hier an Katja Schmidts (2023) Typologie, die die späten Babyboomer als Kohorte bis Ende der 1960er-Jahre definiert. Für die Nachwendegeneration im Osten haben wir nur sehr wenige Personen erfasst (n = 50), dennoch halten wir diese konzeptionell hergeleitete Unterscheidung für aufschlussreich.
Beide Originalvariablen weisen ein ordinales Skalenniveau auf, was die Anwendung von ordinalen logistischen Modellen oder multinomialen Modellen nahelegt. Für beide abhängigen Variablen haben wir deshalb sowohl ordinale als auch multinomiale Modelle gerechnet, um die Ergebnisse abzusichern. Die Befunde unterscheiden sich dabei nicht wesentlich. Aufgrund der besseren Interpretierbarkeit werden im Ergebnisteil die logistischen und linearen Regressionen dargestellt.
Sowohl bei der Alteritäts- als auch bei der Konfliktwahrnehmung sind die angesprochenen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen statistisch signifikant (p < 0,05).
Die Ost-West-Differenz in der Konfliktwahrnehmung ist in der jüngsten Kohorte signifikant größer als in allen älteren Kohorten (p < 0,05). Bei der Alteritätswahrnehmung können wir (schwach) signifikante Unterschiede der Ost-West-Differenz nur zwischen der jüngsten und zweitjüngsten Kohorte feststellen (p < 0,10).
Diese Werte („average predictive margins“) wurden auf der Basis eines für Ost- und Westdeutsche gepoolten binären logistischen Regressionsmodells unter Kontrolle von wirtschaftlicher Lage, Bildung, Geschlecht, Urbanitätsgrad und Migrationshintergrund ermittelt.
Andere Akteure, so beispielsweise der sächsische Ministerpräsidenten Kretschmer, reklamieren „andere ostdeutsche Meinungen“ etwa zur Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Der Ministerpräsident Sachen-Anhalts Reiner Haseloff findet, die „Gendersprache“ sei vor allem eine westdeutsche Sache, auf die man in Ostdeutschland kritisch schaue. Hier findet eine Differenzmarkierung zwischen Ost- und Westdeutschen vor dem Hintergrund allgemeiner Werteauseinandersetzungen statt.
Das erkennt man schon daran, dass die Bezugnahme auf eine ostdeutsche Identität oder ein ostdeutsches Anderssein durch die AfD vor allem von in Westdeutschland aufgewachsenen und sozialisierten Politikern vorangetrieben wird.
Von einer Abgrenzungsidentität oder einer dauerhaften Subkulturalisierung kann man vermutlich nicht sprechen. Politisch ist die Ost-West-Differenz bislang nur wenig aufgeladen worden. Dies hat vor allem damit zu tun, dass sich das Ostdeutsch-Sein nicht an äußerlich leicht erkennbaren Zeichen oder Chiffren festmacht, was einerseits verhindert, dass dieses Merkmal diskriminatorisch leicht genutzt werden kann, andererseits führt dies aber dazu, dass es im Bemühen um Diversität und Repräsentation weitgehend übergangen wird. Wäre „ostdeutsch“ als Merkmal leicht „lesbar“, hätte es seinen Eingang in den Katalog anerkennungswürdiger Diversitätsmerkmale sicher schon längst gefunden.
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Mau, S., Lux, T. & Heide, J. Ost- und Westdeutsche für immer? Zu Wahrnehmungen von Unterschieden und Konflikten zwischen Ost- und Westdeutschen. Köln Z Soziol 76, 1–23 (2024). https://doi.org/10.1007/s11577-024-00949-z
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