Kaspar, Roman, Julia Simonson, Clemens Tesch-Römer, Michael Wagner und Susanne Zank (Hrsg.): Hohes Alter in Deutschland. Schriften zu Gesundheit und Gesellschaft. Berlin: Springer Nature 2023. 300 Seiten. ISBN: 978-3-662-66629‑6. Preis: € 53,49.

Es gibt in der deutschen empirischen Alter(n)sforschung bedeutsame Klassiker: die Bonner Altersstudie (BOLSA) über die „Formen seelischen Alterns“ und die Berliner Altersstudie und heute der Deutsche Alterssurvey (DEAS) und der Survey of Health, Ageing an Retirement in Europe (SHARE). Und es gibt eine Fülle sozialwissenschaftlicher Daten, die für die Alter(n)sforschung relevant sind, wie z. B. der Deutsche Freiwilligensurvey (DFS) oder das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Auch in internationaler Sicht gibt es in anderen Ländern Altersberichte und Alternsstudien.

Die Studie D80+ „Hohes Alter in Deutschland“ ist ein neuer, höchst relevanter Datensatz, der wichtig ist für vielerlei sozialpolitische Diskurse. Ausgangspunkt war die Kölner NRW80+-Studie. In Form von D80+-Kurzberichten wurden von Beginn an themenbezogene Ergebnisse gut aufbereitet öffentlich dargelegt. Die NRW-Studie und die Deutschland-Studie sowie die einschlägigen international orientierten wissenschaftlichen Journal-Publikationen zu diesen Datensätzen sind jeweils auf der Homepage von Ceres der Universität zu Köln und des DZA in Berlin gut dokumentiert. Das vorliegende Buch kann nun quasi als Gesamtzusammenstellung verstanden werden.

Nachdem einleitend (die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Band) mit Rückblick auf die bisherigen wichtigsten Datensätze (S. 1 f.) der Datensatz der Studie D80+ auf der Basis des CHAPO-Modells (S. 3), das in Köln im Rahmen des NRW-Graduiertenkollegs „Wohlbefinden bis ins hohe Alter“ als transaktionales (oder „entwicklungskontextualistisches“) und schon in der älteren Theoriegeschichte der Gerontologie verankertes Person-Umwelt-Modell (mit Blick auf Lebensmöglichkeiten und Lebensereignisse) hinsichtlich der methodischen Anlage (S. 3 ff.), Stichprobenstruktur, Methodendesign knapp geschildert wird, wird die Differenzierung der Analyse nach soziodemografischen Merkmalen skizziert (S. 6–8).

Es folgen sodann einzelne Auswertungskapitel zu den thematisch relevanten Forschungsfragestellen, zunächst zu den wahrgenommenen Auswirkungen der Coronapandemie auf die Lebenssituation älterer Menschen (S. 11 ff.). Ein weiteres Thema ist sodann die Situation der Einkommen der Hochaltrigen in Deutschland (S. 41 ff.). Es folgen passend Kapitel zur sozialen Eingebundenheit (S. 119 ff.) und zur digitalen Teilhabe in der Hochaltrigkeit (S. 145 ff.), sodann ein Kapitel zu Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit und zur subjektiven Gesundheit (S. 63 ff.) sowie zur Einsamkeit in der Hochaltrigkeit (S. 89 ff.). Das nächste Kapitel diskutiert die Auswirkungen kognitiver Einschränkungen (Demenz) auf Lebensqualität und Versorgung (S. 173 ff.). Das nachfolgende Kapitel behandelt sodann Alltagskompetenzen und das Wohnumfeld hochaltriger Menschen in Deutschland (S. 197 ff.). Zwei Kapitel kommen noch hinzu: nämlich zu den Werthaltungen hochaltriger Menschen und ihren Wünschen für die eigene Lebenssituation und das gesellschaftliche Zusammenleben (S. 219 ff.) sowie zu der Lebenszufriedenheit und zum subjektiven Wohlbefinden in der Hochaltrigkeit (S. 255 ff.). Am Ende wird von allen Autorinnen und Autoren ein Schlusskapitel über „Gutes Leben im hoher Alter: Fazit und Implikationen“ (S. 289 ff.) vorgelegt.

Das Buch ist sehr gut (lesbar) geschrieben. Es ist didaktisch außerordentlich lektürefreundlich „designed“ mit Kästen zu Kernaussagen zu Beginn, kurzen Kästen zu besonderen Befunden etc. Das Buch erscheint als eine absichtsvoll niedrigschwellige Datenberichterstattung, wodurch sich Menschen, vor allem wohl auch die verantwortliche Politik, ohne große fachwissenschaftliche Kompetenzprofile ein Bild von der Wirklichkeit machen können. Das BMFSFJ (als Förderer) berichtet(e) mehrfach über Highlights der Studie D80+. Auch die Medien, als Teil des politischen Systems, können sich hier bedienen.

Das Buch stellt erste, weitgehend, aber nicht nur, deskriptive empirische Befundelandschaften in kompakter Form dar. Vertiefende und komplexere statistische Auswertungen werden notwendig sein. Betont wird auch die Notwendigkeit einer nachhaltigen und effektiven Infrastruktur zur weiteren, auch öffentlichen Nutzung der Daten (S. 8, S. 299 f.).

Einige auf die gesellschaftspolitische Einbettung bezogene Reflexionen sollen nun noch angeführt werden. Es werden nur wenige und auch nicht allzu tiefgreifend elaborierte „politische Implikationen“ (S. 250 f., nicht ganz so explizit auf den S. 276 ff.) gezogen. Man wird aus den Ergebnissen als empirische Befunde aber weitreichende Schlüsse ziehen müssen. Das wird die Sozialwissenschaft aber weder der Politik noch dem Privatbürger allein überlassen können. Sie muss m. E. selbst die normative Diskussion als Kritische Theorie führen, indem die Befunde im Lichte der „juridischen Substanz“ vor-rechtlicher Gestaltungsideen als „objektiver Geist“ und als transzendentale Voraussetzung (im Sinne des Böckenförde-Theorems im Lichte von Durkheims Theorem der nichtkontraktuellen Voraussetzungen der Vertragsgesellschaft als Gegenstand der Ordnung der Freiheit durch den sozialen Rechtsstaat) unserer Rechtsregime, der Rechtsphilosophie und Ethik des überpositiven Rechts folgend, diskutiert werden. Dies ist der Maßstab, an dem eine prädikative Evaluation der sozialen Wirklichkeit vorgenommen werden kann.

Der Forschungsband zur Studie D80+ greift durchaus passend zu dieser Reflexion zum Ende hin die Kategorie des guten Lebens auf. Dies geschieht kurz und nicht allzu tief und breit durchdrungen im Lichte relevanter Diskurse. Es findet keine vertiefende Diskussion statt. Was fehlt ist eine Explikation aus der Sicht der politischen Philosophie der Polis und, aus der Sicht der Rechtsphilosophie und Ethik, eine hermeneutische Darlegung der sozialrechtlichen Regime, wodurch der Werterahmen hergeleitet werden kann, um „das Gute des guten Lebens“ zu explizieren.

Dies bedeutet nicht, dass die Daten der Sozialforschung unwichtig sind. Nein, sie sind die notwendigen Grundlagen. Doch die Daten sprechen nicht von sich aus zu uns. Man wird sie zum Sprechen bringen müssen, und dies im Lichte relevanter Erkenntnisinteressen, normativ bedeutsamer Ideen, rechtlicher Vorgaben, moralischer Maßstäbe. Dies führt uns in die „Ageism“-Debatte. So lassen sich auch die Grenzen solcher quantitativen Datensätze aufzeigen, denn das Problem verweist uns auf die performative Bedeutung von generativen Praktiken im epistemischen Analyserahmen von Habitus, der (auch positiven, weil aktualgenetisch fassbaren) Subjektivierungsregime und der Dispositivordnungen, die eher im Forschungsrahmen qualitativer Studien und von psychodynamischen Tiefenstrukturbohrungen exploriert werden können.

Vielleicht müsste man jedoch wohl auch wiederum diese kritischen Hinweise, die als Ergänzung zu einer sehr positiven Rezeption der Qualität des Buches angebracht wurden, mit Blick auf die „poetische Strategie“ in der zielgruppen- und diskurszielorientierten Konzeption des Buches wiederum zurücknehmen, denn (1) kann ein Buch begrenzten Volumens nicht alles Erwünschte erfüllen und (2) kann man auch nicht etwas zwingend erwarten, wenn es gar nicht beabsichtigt und versprochen worden ist und sich die Autorinnen und Autoren auf die Position eines positiven Empirismus zurückbeziehen.