FormalPara Schrape, Jan-Felix:

Digitale Transformation. Bielefeld: transcript Verlag 2021. 264 Seiten. ISBN: 978-3-8252-5580‑0. Preis: € 22,00.

Die digitale Transformation ist seit geraumer Zeit ein wichtiges Thema für die Soziologie, das allerdings erheblichen Konjunkturen der Aufmerksamkeit unterliegt. In den letzten zehn Jahren waren es insbesondere digitale Plattformen und die auf ihnen anfallenden sogenannten Big Data, die aus der Perspektive verschiedener soziologischer Teildisziplinen, von der Mediensoziologie über die politische Soziologie bis zur Arbeits- und Techniksoziologie, behandelt wurden. Die Erfahrungen in der Coronapandemie haben das Interesse an möglichen gesellschaftlichen Veränderungen als Folge digitaler Mediennutzung noch einmal verstärkt. Seit der Veröffentlichung von Chat-GPT im Herbst 2022 sind wiederum Folgen der Verbreitung Künstlicher Intelligenz in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, die einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zu signalisieren scheinen. Trotz vieler Einzelstudien zu Aspekten des digitalen Wandels und einigen Versuchen der gesellschaftstheoretischen Einordnung mangelt es bislang an Beiträgen, die konkrete empirische Befunde mit theoretischen Überlegungen dazu verknüpfen, was jenseits aufgeregter Medienberichterstattung und politisch-opportunistischer Problemdiagnosen tatsächlich gesellschaftlich folgenreiche Veränderungen sein könnten, die mit der Digitalisierung einhergehen.

In diese Lücke stößt das Buch von Jan-Felix Schrape, das in zentrale Aspekte der digitalen Transformation einführt. Diese Einführung erfolgt aus einer dezidiert techniksoziologischen Perspektive, die langfristigen soziotechnischen Wandel als Normalität betrachtet und vor diesem Hintergrund davon ausgeht, dass auch die digitale Transformation kein disruptiver Bruch, sondern ein inkrementeller Veränderungsprozess ist, der allerdings im letzten Jahrzehnt zunehmend in der Gesellschaft als gesamtgesellschaftlich folgenreich thematisiert wird.

Nach einer Einleitung, die die Frage nach dem tatsächlich Neuen der digitalen Transformation in grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Technik und Gesellschaft einordnet, bietet das zweite Kapitel zunächst eine Einführung in Grundlagen der Techniksoziologie. Sie orientiert sich überwiegend an der einschlägigen deutschsprachigen Literatur und stellt verschiedene Technikbegriffe, techniksoziologische Positionen zum Verhältnis von Technik und Gesellschaft sowie Phasenmodelle der technischen Entwicklung vor. Im dritten Kapitel wird die Digitalisierung als soziotechnischer Transformationsprozess beschrieben, der mit der Erfindung des Computers und der Idee der Informationsgesellschaft einsetzt. Über die beginnende Computerisierung des Alltags in den 1980er-Jahren und die allmähliche Verbreitung des Internets ab den 1990er-Jahren führt dieser Prozess bis zum Aufstieg der Plattformunternehmen und des sogenannten Web 2.0 in den 2000er-Jahren und zur ausdrücklichen Thematisierung dieser Transformation und ihrer gesamtgesellschaftlichen Ausmaße in jüngster Zeit. Die beiden darauffolgenden Kapitel nehmen dann soziotechnische Veränderungen in den Blick, die sich gegenwärtig bereits klar abzeichnen, und systematisieren diese entlang der Unterscheidung von gesellschaftlicher Koordination und Kommunikation. Im vierten Kapitel finden sich dementsprechend knappe Darstellungen zu Veränderungen in den Bereichen Märkte, Arbeit, formale Organisationen und soziale Bewegungen. Dagegen geht es im fünften Kapitel in erster Linie um die digitale Transformation öffentlicher Kommunikation, für die fünf Kerndynamiken identifiziert werden, die sich zum Teil über mehrere Jahrzehnte entfaltet haben: die Plattformisierung von Medienstrukturen, die Individualisierung von Medienrepertoires, die Pluralisierung von Öffentlichkeitsarenen, die wachsende Rolle technischer Strukturierungsleistungen für die Frage öffentlicher Sichtbarkeit sowie als Ergebnis eine dynamisierte gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion.

Als Buch für die Lehre hat der Band viele Stärken. Er besitzt nicht nur ein übersichtliches Layout, sondern bietet auch viele nützliche Tabellen, die zentrale Punkte systematisieren. Zur Illustration langfristiger Trends werden wiederholt empirische Daten herangezogen, und auch wenn diese relativ schnell ihre Aktualität einbüßen, schützt die Perspektive auf langfristige Veränderungen das Buch insgesamt vor diesem Schicksal. Bei der Darstellung der Veränderungen öffentlicher Kommunikation ist der Blick nicht nur auf den Bereich des Journalismus, sondern auch auf den der Unterhaltung positiv hervorzuheben, bietet er doch besonders leicht Anknüpfungspunkte für die Diskussion mit Studierenden. Der Lehrbuchcharakter bringt es allerdings auch mit sich, dass gelegentlich verschiedene Konzepte oder deskriptive Modelle vorgestellt werden, ohne zu diskutieren, wie diese sich zueinander verhalten und wie es um ihre Kompatibilität bestellt ist. Das betrifft beispielsweise die Rede von „soziotechnischen Kernsystemen“, die offenbar verdeutlichen soll, dass man es bei der digitalen Transformation nicht mit irgendeinem soziotechnischen Veränderungsprozess zu tun hat, sondern mit einem, der gesamtgesellschaftlich besonders wichtig ist. Hier ist der Verweis auf Smartphone-Hardware, -Software und -Routinen der Verwendung zwar eine nützliche Illustration, die aber das Fehlen einer allgemeinen Definition dessen, was ein soziotechnisches System zu einem „Kernsystem“ macht, nicht ausgleichen kann.

Trotzdem ist das Buch auch für ein nichtstudentisches Fachpublikum durchaus interessant, insbesondere mit Blick auf die digitale Transformation der Öffentlichkeit. Hier wird unter Bezugnahme auf die soziologische Systemtheorie eine eigene theoretische Position angedeutet, die sich Befürchtungen über eine Fragmentierung der Öffentlichkeit entgegenstellt und die anhaltende Bedeutung von Massenmedien oder Leitmedien betont. Dabei sind eine Reihe von Formulierungen allerdings mehrdeutig, sodass unklar bleibt, ob die These des Autors nun ist, dass die traditionellen journalistisch geprägten Massenmedien weiterhin relevant bleiben werden oder es lediglich auch künftig „massenhaft rezipierte Inhalte“ (S. 169) geben wird. Ob und inwiefern das einen Unterschied macht, bleibt unklar, sodass hochaktuelle Fragen zur Kuratierung von Informationen gar nicht thematisiert werden. Der Versuch, Social Media und Massenmedien auf unterschiedlichen Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion – Meso und Makro – zu verorten und daraus eine komplementäre Koexistenz statt Konkurrenz abzuleiten, übergeht, was zuvor konstatiert wurde, nämlich, dass „einige vielbeachtete Social-Media-Angebote eine ähnliche Position“ (S. 173) wie Massenmedien einnehmen können. Suggeriert wird, dass die Unterscheidung zwischen Influencer-Arena und massenmedialer Arena klar ist, obwohl reichweitenstarke Influencer sich kaum noch auf Many-to-many-Dynamiken stützen, sich durchaus auch zu politischen Themen äußern und die in Redaktionen verfügbaren Metriken zunehmend spezifische Bezugsgrundlagen für die Einschätzung der Popularität von Inhalten schaffen. Es bleibt abzuwarten, ob das Buch die Folgen der digitalen Transformation für die Möglichkeit und Funktionsweise von Massenmedien nicht doch unterschätzt. Der Hinweis, dass eine polykontexturale Gesellschaft auf synthetisierende Leistungen der Massenmedien oder funktionale Äquivalente angewiesen sei (S. 194), lässt hier zum einen zu viel offen und wendet den Äquivalenzfunktionalismus zum anderen seltsam optimistisch. Das Vorhandensein eines gesellschaftlichen Bezugsproblems heißt schließlich nicht, dass sich quasi-automatisch eine gesellschaftliche Problemlösung einstellen und Bestand haben wird.

Insgesamt handelt es sich bei dem Buch aber um eine sehr gut verständliche Einführung, die Leserinnen und Leser, die sich einen Überblick über Aspekte der digitalen Transformation verschaffen wollen, mit großem Gewinn lesen werden und die auch für bereits länger am Thema Interessierte wertvolle Anregungen enthält.