FormalPara Kressin, Lisa:

Disziplinierung durch Methode. Zur Bedeutung der Methodenlehre für das Fach Soziologie. Bielefeld: transcript Verlag 2022. 392 Seiten. ISBN: 978-3-8376-6327‑3. Preis: € 49,–.

Die Rolle der Methoden für die Soziologie ist in den Jahren vor der Coronapandemie ein breit diskutiertes Thema der deutschsprachigen Soziologie gewesen, das für eine Reihe von Konflikten und regelrechten Schismen steht. Dazu zählt die institutionelle Abtrennung einer Sektion für Qualitative Methoden innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Aber auch die Abtrennung einer eigenen „Akademie für Soziologie“ kann durchaus in diesem methodischen Zusammenhang gesehen werden, geht sie doch auch aus der Spannung zwischen einer einheitswissenschaftlichen Methodologie und einer pluralistischen Ausrichtung hervor, wie sie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) vorherrscht. Wie die Autorin am Ende ihres Buches erwähnt, bildete diese polarisierte soziologische Debatte tatsächlich eines der Motive für ihre Wahl dieses Themas. Im Kontext derzeitiger Forschungsfelder erscheint dagegen dieses Thema auch ihr zunächst durchaus ungewöhnlich, denn es handelt sich sozusagen um eine empirische Untersuchung des empirischen Untersuchens oder genauer, um eine Untersuchung über die Hochschullehre von Methoden der empirischen Sozialforschung in der deutschsprachigen Soziologie. Es ist dabei sicherlich ein Vorteil, dass die Arbeit sich dem Thema gewissermaßen etwas vom Rand her nähert: es handelt sich um eine Dissertation einer Autorin, die nicht unmittelbar in der Auseinandersetzung verankert scheint, sich selbst nicht in eines dieser Lager verortet und ihre Beobachtungen zudem von einem Standort in der Schweiz aus macht, in der wenigstens die institutionelle Aufspaltung nicht vollzogen wurde.

Die Wahl des Themas ist schon deswegen zu begrüßen, weil es, wie sie selbst bemerkt, kaum analytische Untersuchungen zu diesem Gegenstand gibt. Am ehesten würde man solche Untersuchungen im Bereich der Hochschuldidaktik erwarten. Dort werden zwar zwischenzeitlich auch reflexive Untersuchungen durchgeführt, die das Lehren des Lehrens empirisch zum Gegenstand ihres Forschens machen. Auf entsprechende Untersuchungen im Bereich der Hochschuldidaktik der Sozialwissenschaften nimmt die Arbeit jedoch keinen Bezug, wo es zumeist aus anderen disziplinären Zusammenhängen Untersuchungen zu hier durchaus einschlägigen Aspekten, also etwa die Ausbildung eines professionellen Selbstverständnisses der Lehrenden oder der Umgang mit Rückmeldungen der Studierenden, gibt. Auch die an das Thema durchaus angrenzende Hochschulforschung spielt hier keine Rolle. Und selbst wenn die Arbeit in einer Reihe erscheint, die „Science Studies“ heißt, trägt sie nicht vorrangig eine wissenschaftssoziologische Handschrift, sondern ist in einer ausdrücklichen Weise kultursoziologisch angelegt.

Die kultursoziologische Ausrichtung wird einmal am (eigentlich eher kulturanthropologisch begründeten) Konzept der Enkulturation deutlich, das die Rolle dessen übernimmt, was im Titel etwas irreführend als „Disziplinierung“ bezeichnet wird. Denn die darin anklingende Anspielung auf Elias oder gar Foucault verhallt ungehört im Text. Es geht also nicht um eine Art Disziplinierung oder gar Zurichtung der studentischen Subjekte. Das ist schon deswegen kaum möglich, weil die studentische Perspektive bestenfalls mittelbar in den Blick gerät. Die Autorin zielt zwar auf das Wissen, das als Teil einer Lehrkultur die Disziplin ausmacht, in das die Studierenden eingeführt werden, doch geht sie dieses Thema aus der Perspektive der Lehrenden an und darin durchaus auch ihrer in Lehrinteraktionen erworbenen Wahrnehmung der Studierenden, die sie in Interviews einfängt. Daneben zielt sie auch auf die in den Syllabi sozusagen objektivierte Lehrkultur. Mit dem Fokus auf die Vermittlung des methodischen Wissens und insbesondere der sie vermittelnden Lehrpersonen geht es der Autorin allgemeiner um das, was sie als „Wissenskultur“ der Methodenlehre nennt. Dabei will sie ihre Untersuchung aber keineswegs auf die Methodenlehre beschränken, denn sie betrachtet die Methodenlehre als eine Art Identitätskern einer ansonsten pluralisierten Disziplin. Sie fragt nach der Lehrgestalt der Soziologie am Beispiel der Methodenlehre oder der „Lehrkultur als das implizite oder explizite Wissen über die Mechanismen kultureller Reproduktion, die in der disziplinären Lehre wirksam wird“ (S. 15), wobei sich die Aussagen vor allem auf die grundständige Lehre beziehen.

Die Arbeit stellt sich auch mit diesem zweiten Begriff der Wissenskultur in einen kultursoziologischen Rahmen. Sie versteht ihn für die besonderen Zwecke ihrer Untersuchung zwar auch wissenssoziologisch (mit einem sehr leisen Bezug auf Keller und Poferl) und wissenschaftssoziologisch (nach Fleck und Knorr). Auffällig ist dabei jedoch, dass sie sich vor allem an angelsächsischen Diskussionen anlehnt. Das ist durchaus überraschend, wenn etwa die in meinen Augen etwas angestaubte Bildungssoziologie Bernsteins für die Konzeptionalisierung der Wissensvermittlung herangezogen wird. An manchen Stellen ist es indes durchaus irritierend, wenn etwa ein starker Bezug auf die Wissenschaftssoziologie von Abbot genommen wird, dessen Problematisierung aber gerade der zunehmenden „Unordnung“ der Disziplinen und auch der Soziologie nicht einmal am Rande erwähnt wird. Diese Bezüge sind zwar durchaus anregend und, wie die Arbeit zeigt, fruchtbar, doch ist es keineswegs unproblematisch, wenn zur Charakterisierung der institutionellen Situation der deutschsprachigen Soziologie amerikanische Quellen angegeben werden, die keineswegs empirisch übertragbar sind (etwa was das Verhältnis der quantitativen und der qualitativen Sozialforschung oder die Rolle der interpretativen Soziologie angeht).

Das Konzept der Enkulturation als Lehre versteht sie als eine Art Wissens-Übertragungs-Modell, das davon ausgeht, dass es ein dekontextualisiertes soziologisches Wissen der Methoden gibt. Die Lehrenden mit ihrer persönlichen Kultur deuten ihre Disziplin mit ihren Kontextbedingungen und rekontextualisieren sie dann in der Lehre, die nun als Enkulturation der Studierenden verstanden wird. Dazu betrachtet die Autorin die Soziologie als eine Disziplin mit eigener soziokultureller Organisationsform, die sich durch eine eigenständige Wissenskultur auszeichnet. Während die Disziplin theoretisch durch Multikulturalismus oder „Multiparadigmatik“ gekennzeichnet sei, bilden, so die Auffassung der Autorin, vor allem die Methoden und damit auch die Methodenlehre ein „anchor object“ oder „Grenzobjekt“, das sie als Wissenschaft auszeichne. Es sei also das „Kulturobjekt“ Methoden, das der „Disziplin“ eine eigene Qualität verleihe. Allerdings stellten auch die Methoden keine einheitliche Wissensordnung dar, sondern wiesen durchaus Unterschiede auf, die unten kurz skizziert werden. Bei allen Unterschieden sei für die „Disziplin“ wichtig, dass es über all die Unterschiede der Lehre hinweg (von wertneutral bis engagiert, empirisch bis theoretisch, gesetzmäßig bis fallspezifisch) zwei „Metanormen“ gebe, durch die sich die Methoden-Lehre auszeichne: Einheit durch Einheit oder Einheit durch Vielfalt. Dies bilden auch die „Deutungsschemata“ für das Verhältnis von Disziplin und Methoden.

Ihre eigenen Methoden, die sie nach dem theoretischen Rahmen skizziert, sind durchaus selbst auch unterschiedlich und plural: Die Arbeit baut auf 22 Interviews mit Lehrenden an 17 Studienstandorten auf; daneben hat sie Lehrpläne von 66 BA- und 63 MA-Studiengängen in Deutschland, Österreich und der Schweiz herangezogen. Für ihre in vier Kapiteln gegliederte Analyse setzt sie u. a. qualitative und quantitative Textanalysen von leitfadengestützten Interviews, Syllabi und Studiendokumenten ein.

Die empirische Untersuchung zeigt dann, zunächst auf der Grundlage der Interviews, dass die „Lehrgestalt“ keinen klaren und einheitlichen Vorgaben der Disziplin folgt. Das Lehrhandeln des Studiums ist zwar an der disziplinären Rahmung der Soziologie orientiert (für die sie u. a. DGS-Richtlinien zitiert), aber vor allem abhängig von der persönlichen Kultur der Befragten, die eine Verankerung im soziologischen „Erfahrungsraum“ eint. In Ermangelung einer öffentlichen Lehrkultur müssen die Lehrenden ihre eigene „Lehrgestalt“ sozusagen mit erfinden. Dabei wird die (in den Interviews zumeist besprochene) Grundlagenlehre als Teil einer formal organisierten Lehrstruktur angesehen, die von einem sich hierarchisch aufbauenden, zeitlich nacheinander vermittelten Wissen ausgeht. Dies wird aber als wenig anschlussfähig an die Studierenden gesehen, aber auch eben als losgelöst von den Kontexten der Forschungspraxis der Soziologie.

Die analysierten Interviews stützen die These der zwei Deutungsschemata oder Normen des methodischen Wissens: des Differenzschemas und des Einheitsschemas. Die daraus folgenden Deutungskonflikte zeigen sich insbesondere zwischen den zwei Kulturen der quantitativen und qualitativen Methoden, aber auch zwischen konstruktivistischem und positivistischem Wissenschaftsverständnis und der Frage nach den gemeinsamen Grundlagen. Diese Konflikte führen zu unterschiedlichen Lösungen: einmal eben eine einheitswissenschaftliche Orientierung ausgehend von quantitativer Sozialforschung, zum zweiten dann eine Aufteilung auf der Basis gemeinsamer Grundlagenveranstaltung (hier sind die Mixed Methods verortet) und schließlich auch ihrer kategorischen Trennung.

Auf der Grundlage der in den Syllabi angegebenen Literatur werden daran anschließend fünf „methodologische Kulturen“ netzwerktheoretisch differenziert, die sich mit den interviewten Selbstdarstellungen überschneiden. Abgesehen von der Statistik, die eine Art Sonderkultur darstellt, gibt es eine einheitlich quantitative Methodenorientierung (a), eine entschieden qualitative (b), eine Orientierung, die beide als getrennt berücksichtigt (c), eine, die beide verbindet (d) und schließlich eine, die die beiden Wissenskulturen trennt (e). Dabei erweist sich das rein statistische Wissen als am meisten kanonisiert; auch die einheitswissenschaftliche Methodenlehre ist relativ stark an bestimmten Lehrbüchern orientiert, während die qualitative eine vergleichsweise große Vielfalt aufweist. Die Autorin deutet dies als Ausdruck einer „horizontalen Wissensstruktur“, während sie das quantitative Wissen als hierarchisch strukturiert ansieht (S. 338).

Insgesamt folgt die Autorin ausdrücklich den großen Linien von Lepenies, der die Soziologie als dritte Kultur verankert. Sie zeichnet sich durch eine Spannung von Einheit und Vielfalt aus und ist deswegen um Anschlussfähigkeit, aber ebenso um Distinktion bemüht. Diese Distinktion nun, so meint sie, werde durch die empirischen Methoden in ihrer (von eben genau dieser Spannung geprägten) Unterschiedlichkeit geleistet, die ihre Wissenskultur bilde.

Schon wegen des Fokus auf die Wissenskultur ist es kein Zufall, dass die Analyse deutlich wissenssoziologische Züge trägt, die insbesondere in den empirischen Teilen sehr günstig hervortreten. Dagegen zieht der mit dem umfassend kultursoziologisch definierten Ansatz mitgeführte Kulturbegriff durchaus ein Problem nach sich: Denn auch wenn es zuletzt vielerlei Versuche seiner Entsubstanzialisierung gab, unterstellt „Kultur“ semantisch leicht eine empirisch nicht nachgewiesene Geschlossenheit und Abgegrenztheit, die mit der Zentralstellung des sehr viel fluideren Wissensbegriffes vermieden werden könnte. Dieses Problem zeigt sich zum einen am Begriff der Enkulturation. Denn ob die Enkulturation der Studierenden aus der Sicht einer als abgrenzbar gedachten Disziplin und ihrer Vertreterinnen sicherlich wünschenswerte Prozess tatsächlich vollzogen wird, kann auf der Grundlage der empirischen Daten dieser Arbeit nicht entschieden werden, die ja nur die Seite der Lehrenden erforscht. Dies gilt hier umso mehr, als sich die meisten Interviewaussagen auf die frühen Phasen der Methodenlehre beschränken, also gerade nicht diejenigen in den Blick nimmt, bei denen von einer („erfolgreichen“) Enkulturation gesprochen werden könnte.

Der Kulturbegriff ist aber auch aus einem zweiten Grunde nicht unproblematisch. Denn der Blick auf die soziologisch institutionalisierte Methodenlehre suggeriert die Abgrenzbarkeit der Disziplin, die schon mit Blick auf die, wie die Autorin meint, die Identität der Disziplin tragenden Methoden selbst durchaus problematisch ist. Zwar kann die Soziologie zweifellos mit einer sehr eindrucksvollen Lehre in Methoden aufwarten, doch wird die Annahme der disziplinären Ab- und Eingrenzbarkeit der Methoden auf die Soziologie etwa dadurch geschmälert, dass sie, im Bereich der quantitativen Methodenlehre, die Statistiklehre häufig aus der (mathematischen) Statistik bezieht und mit anderen Sozialwissenschaften, wie etwa der Volkswirtschaften, teilt. Diese Interdisziplinarität kennzeichnet die Methoden ja auch im qualitativen Bereich, der schon historisch mit der Anthropologie oder Ethnologie geteilt wird und heute bis zu den Literaturwissenschaften und der Theologie reicht. Auch wenn die Soziologie bei ihrer Methodisierung sicherlich eine große Rolle gespielt hat, so steht die Ausbildung, Lehre und Forschung mit qualitativen Methoden zumindest nach den Grundveranstaltungen der Methodenlehre mittlerweile auch in einem breiten Feld, das nicht nur quer zu den Disziplinen verläuft und damit interdisziplinär ist, sondern häufig auch eine ganz entschiedene transdisziplinäre Ausrichtung bis tief in die partizipative Forschung nimmt. Übrigens ist dieses Feld auch institutionell sichtbar, etwa an den Methodenzentren, von denen im Buch leider nicht die Rede ist, wie von den verschiedenen (auch internationalen) Fachgesellschaften für Methoden, mit denen ein großer Teil der deutschsprachigen Methodenlehren auf eine höchst interdisziplinäre Weise verbunden ist. Diese internationale, inter- und transdisziplinäre Breite wirft übrigens ihren Schatten auch auf diese Arbeit, die, wie gesagt, in einer Reihe zu (ihrerseits höchst interdisziplinären) „Sciences Studies“ erscheint. Daran schließt sich auch die Frage nach der vom zitierten Abbot behaupteten postmodernen Fraktalisierung der Disziplinen und den neuen Debatten zur Entgrenzung der Soziologie in Richtung Public Sociology oder ihrer „Demarkation“ oder „Unabhängigkeit“ an. Auch wenn die Lehre der Methoden der empirischen Sozialforschung in ihren hier umrissenen Varianten zweifellos eine tragende Säule der Soziologie als einer wissenschaftlichen Disziplin darstellt, dürfte daneben m. E. gerade auch die Soziologische Theorie eine nicht unbedeutende Rolle als „Grenzobjekt“ bei dem spielen, was die traditionelle Wissenschaftstheorie als das „Demarkationsproblem“ bezeichnet hat.

Damit sollen die Ergebnisse der Arbeit keineswegs geschmälert werden. Denn diese sehr originelle, gründliche und über weite Strecken gut lesbare Dissertation wagt sich in ein bislang wenig untersuchtes Feld, das selbst nach einer Einordnung in die soziologische Forschung sucht. Das könnte, wie erwähnt, die Hochschuldidaktik der Soziologie und ihrer Methoden sein; es könnte aber auch eine empirische Wissenschaftstheorie sein, die sich nicht nur vom Lehrstuhl mit der „Logik der Forschung“ beschäftigt, sondern eher im Sinne von Bourdieus reflexiver Soziologie empirisch das untersucht, was Wissenschaft ausmacht, und zwar auch und gerade da, wo die Subjekte in die Grundlagenwissenschaft eingeführt werden. Dazu hat die Autorin zweifellos einen wichtigen Beitrag geleistet und es stimmt zuversichtlich, wenn sie selbst schon eine weitere Untersuchung der Soziologischen Theorien im Auge hat.