FormalPara Brinkmann, Heinz Ulrich, und Karl-Heinz Reuband (Hrsg.):

Rechtspopulismus in Deutschland. Wahlverhalten in Zeiten politischer Polarisierung. Wiesbaden: Springer VS 2022, 452 Seiten. ISBN: 978-3-658-33786‑5. Preis: € 54,99.

Deutschland war lange Zeit ein Sonderfall unter den westeuropäischen Demokratien, da es keine etablierte rechtspopulistische Partei auf nationaler Ebene gab. Dies hat sich mit dem Aufkommen der Alternative für Deutschland (AfD) grundlegend geändert. In ihrem Gründungsjahr 2013 noch an der Fünfprozenthürde gescheitert, konnte die AfD bei der Europawahl 2014 erstmals einen bundesweiten Erfolg erzielen und Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden. Ursprünglich noch wirtschafts- und kulturkonservativ sowie dezidiert europaskeptisch, aber nicht dezidiert populistisch positioniert, schwenkte die Partei unter rasch wechselnder Führung rasch nach rechts und wurde zu einer etablierten rechtspopulistischen Partei, der 2021 der Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag gelang und die zumindest zeitweise in allen Landesparlamenten vertreten war oder ist. Dies hat in der deutschen Politikwissenschaft zu einem Boom der Forschung zu rechtspopulistischem Wahlverhalten geführt. Dabei weist die AfD in vielerlei Hinsicht ein für rechtspopulistische Parteien typisches Profil auf. Die Partei lehnt Zuwanderung ab, tritt für eine Verschärfung des Asylrechts ein, versucht den Islam zu problematisieren und ist generell nationalkonservativ eingestellt. Insofern stellen sich mit Blick auf den Erfolg der AfD die gleichen Fragen wie mit Blick auf den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in anderen Ländern. Es überrascht daher nicht, dass die AfD ein Fall ist, der auch in der internationalen Forschung häufig behandelt wird. Eine Besonderheit des deutschen Falls sind die großen regionalen Unterschiede in den Wahlergebnissen, die in jüngster Zeit in den Fokus der Forschung gerückt sind: In Ostdeutschland ist die Partei bei Wahlen deutlich stärker als in Westdeutschland.

Der von Heinz Ulrich Brinkmann und Karl-Heinz Reuband herausgegebene Sammelband „Rechtspopulismus in Deutschland. Wahlverhalten in Zeiten politischer Polarisierung“ widmet sich vor diesem Hintergrund den Ursachen des Erfolgs der AfD und sucht diese in den internationalen Forschungskontext einzuordnen. „Die Beiträge des Bandes greifen zentrale Aspekte des wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurses über Rechtspopulismus und Wahlverhalten auf. Und sie liefern aktuelle Befunde auf der Basis empirischer Studien“, so die Zielsetzung des Bandes in den Worten der Herausgeber (S. 7). Dazu versammeln die Herausgeber einige der profiliertesten Forscherinnen und Forscher Deutschlands im Bereich Rechtspopulismus und konnten mit Russell Dalton und Cas Mudde auch zwei namhafte, international renommierte Autoren zu den Themen Polarisierung (Dalton) und Populismus (Mudde) als Autoren gewinnen.

Die ersten drei Kapitel des Teils „Rechtspopulismus und gesellschaftlicher Wandel“ spannen den thematischen Bogen und verorten den deutschen Fall. Dalton und Berning berechnen in ihrem Beitrag einschlägige politische Polarisierungsmaße zur internationalen Einordnung Deutschlands (S. 13–35). Mudde weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen deutschen Ländern zu einer nachhaltigen Verschiebung migrationspolitischer Positionen nach rechts geführt hat (S. 37–54). Der nächste Teil mit dem nicht ganz treffenden Titel „Politisierung und Polarisierung“ beginnt mit einem Beitrag von Verkamp und Bischoff (S. 57–83) zur Frage, ob negative Parteiidentifikationen zur Wahl motivieren. Schäfer und Reinl zeigen, dass sich der Wahlerfolg der AfD bei der Bundestagswahl 2017 nur kurzfristig positiv auf die äußerst niedrige Demokratiezufriedenheit ihrer Anhängerinnen und Anhänger ausgewirkt hat (S. 85–109). Scheufele (S. 111–134) reichert seinen Literaturbericht zur kommunikationswissenschaftlichen Populismusforschung mit einigen nachdenkenswerten Thesen an.

Im Teil „Wahlen und Wahlverhalten“ präsentieren zunächst Jung und Jung (S. 137–161) einige interessante Ergebnisse zu den wirtschaftspolitischen Einstellungen der AfD-Anhängerinnen und -Anhänger. Manow und Schwander (S. 163–191) zeigen, dass sowohl in West- als auch in Ostdeutschland die Angst vor Statusverlust zur Wahl der AfD führt. Allerdings ist diese Angst in Ostdeutschland aufgrund der Massenarbeitslosigkeit in der Transformationsphase der 1990er-Jahre stärker ausgeprägt, sodass die AfD dort eine breitere Unterstützung erfährt. Klein, Kühling und Springer (S. 193–225) untersuchen, wie sich die Wählerschaft der AfD parallel zur programmatischen Entwicklung der Partei verändert hat und stellen fest, dass sie mittlerweile dem klassischen Wählerprofil rechtspopulistischer Parteien entspricht. Kroh, Fetz und Jacobsen (S. 227–253) betonen die Kontinuität in der Unterstützung der noch vergleichsweise jungen Partei. So zeigt sich, dass die Identifikation mit einer anderen rechtsextremen Partei auch generationenübergreifend ein wichtiger Prädiktor für die Wahl der AfD ist.

Im Teil „Lokale Kontexte, Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Protests“ erweitert Reuband den Blick auf den Rechtspopulismus in Deutschland, indem er eine Befragung von Teilnehmenden der sogenannten PEGIDA-Proteste vorstellt (S. 257–297). Richter, Salheiser und Quent analysieren die lokalen Kontextbedingungen der Wahlerfolge der AfD in Thüringen (S. 299–333). Best und Salheiser konzentrieren sich in einer ähnlichen Studie ebenfalls auf Thüringen, fokussieren aber auf rechtspopulistische Einstellungen in der Bevölkerung anhand der Daten des „Thüringen Monitors“ (S. 335–367).

Der Abschnitt „Migration und Integration“ beginnt mit einem Beitrag von Angeli und Otteni, der der Frage nachgeht, welche Rolle der stark gestiegene Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern im Jahr 2015 für die Wahl der AfD spielt (S. 371–393). Während der vorgenannte Beitrag mit aggregierten Daten arbeitet, nutzen Kühnel und Leibold Daten des ALLBUS, um die Bedeutung von Einstellungen zur Migration für das individuelle Wahlverhalten herauszuarbeiten (S. 395–421). Im Kontext von Migration und Integration stellen die sogenannten Russlanddeutschen eine besondere Gruppe dar, der eine besondere Affinität zur AfD zugeschrieben wird. Doerschler und Panagiotidis bestätigen dies mit Daten des ALLBUS (S. 423–452).

Zu den Stärken des Bandes gehört zweifellos, dass er die relevantesten Erklärungen für den Erfolg der AfD in einem Band zusammenfasst und um einige neue Perspektiven ergänzt. Kritisch anzumerken ist, dass der Klappentext und die Einleitung teilweise mehr versprechen, als der Band letztlich halten kann. Dies betrifft die Ankündigung, dass der Band „Prozesse und Potenziale gesellschaftlicher Polarisierung untersucht und neue Perspektiven eröffnet“ (Klappentext). Es hat den Anschein, als sei der Hinweis auf das Thema Polarisierung das, so ließe sich spekulieren, dem Populismus als Modethema der Wahl- und Einstellungsforschung über kurz oder lang den Rang ablaufen könnte, auf Wunsch des Verlags erst spät ergänzt worden. Die Einleitung der Herausgeber streift das Thema jedenfalls nur am Rande und verzichtet auf eine präzise Begriffsbestimmung. Lediglich das Kapitel von Dalton und Berning geht dezidiert, aber auch umfassend auf das Thema ein. Eine weitere Stärke des Sammelbandes ist der Anspruch, trotz des deutschen Sonderfalls die AfD in Deutschland nicht als Fall sui generis zu betrachten, sondern als Ausdruck des transnationalen Phänomens eines erstarkenden Rechtspopulismus zu verstehen und zu erklären. Dies gelingt vor allem in der Einleitung, aber auch in den meisten anderen Kapiteln sehr gut. Die Einbettung des deutschen Falles in die internationale Entwicklung und Literatur wird jedoch in einzelnen Kapiteln nicht immer erfüllt. Einige Beiträge nehmen kaum Bezug auf den internationalen Forschungsstand zum Rechtspopulismus. Insgesamt bietet der Sammelband einen sehr guten Überblick über die Forschungsstränge zur AfD und zum Rechtspopulismus und kann allen an diesem Themenkomplex Interessierten zur Lektüre, insbesondere auch als Einstiegslektüre, empfohlen werden.