FormalPara Korff, Svea, und Inga Truschkat (Hrsg.):

Übergänge in Wissenschaftskarrieren. Ereignisse-Prozesse-Strategien. Wiesbaden: Springer VS 2022. 160 Seiten. ISBN: 978-3-658-35716‑0. Preis: € 64,99.

Durch Debatten wie #IchBinHanna sind die prekären Beschäftigungsbedingungen, die wissenschaftliche Karrieren prägen, auch in das öffentliche Bewusstsein getreten. Vor allem die befristeten Arbeitsverhältnisse, die hohen Arbeitslasten sowie der Produktivitätsdruck unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wurden dabei stark diskutiert und Rahmenbedingungen von Wissenschaftskarrieren rückten dadurch stärker in den Fokus der Wissenschaft. Aus dem Bereich der Hochschulforschung stellt der Sammelband von Korff und Truschkat (2022) neue Studien zu dieser Thematik vor und nimmt Übergänge in Wissenschaftskarrieren in den Blick.

Bislang widmete sich die Hochschulforschung eher großen Übergängen in Form von Statuswechseln, beispielsweise durch die Promotion oder eine Berufung. Im Fokus des Sammelbandes stehen jedoch kleine Übergänge, die ebenfalls bedeutend für die wissenschaftliche Laufbahn und letztlich auch deren Fortsetzen sein können. Es werden verschiedene Ereignisse, Prozesse und Strategien, die als kritisch bezeichnet werden können, untersucht. Zwei Kapitel richten ihren Blick auf die Promotionsphase mit möglichen kritischen Ereignissen hinsichtlich der Betreuung und Finanzierung. Drei weitere Kapitel beschreiben die Arbeits- und Lebensbedingungen von Postdocs aus Sicht der Betroffenen. Es werden verschiedene Phasen sowie Selbstpositionierungen während der Postdoc-Phase identifiziert und das Thema der Vereinbarkeitsproblematik analysiert. In den letzten beiden Kapiteln wird schließlich die Bedeutung von Netzwerken und Karriereberatungsinstrumenten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgezeigt.

Anja Franz untersucht im ersten Kapitel die Bedeutung von kritischen Ereignissen hinsichtlich der Betreuung beim Abbruch von Promotionsvorhaben. Anhand von 16 problemzentrierten Interviews zeigt sich, dass der Abbruch vorher meist mit einem lang andauernden Entscheidungs- und Abwägungsprozess einhergeht. Dabei wird berichtet, dass kritische Betreuungsereignisse zwar nicht allein ursächlich zum Abbruch der Promotion führen, jedoch einen Abbruch begünstigen. Daher handelt es sich um einen wichtigen Beitrag zur bislang wenig erforschten Frage, warum Promovierende einen Abbruch vornehmen.

Im zweiten Kapitel widmen sich Jens Ambrasat und Bernd Martens instabilen Finanzierungen während der Promotionsphase. Anhand einer Sequenzdatenanalyse mit Daten des Promovierendenpanels ProFile zeigen die Autoren eine systematische Unterfinanzierung unter Promovierenden auf. Nur ein geringer Anteil kann mit einer stabilen Finanzierung die gesamte Promotionsphase abdecken, während rund die Hälfte im Laufe der Promotionszeit sogar Finanzierungslücken aufweist. Die Autoren beschreiben, dass zusätzliche Problematiken unterschätzt werden, da vor allem die Bedeutung von Kettenverträgen nicht erfasst wird und keine Informationen über Promovierende vorliegen, die ihre Promotion bereits abgebrochen haben. Um die Folgen von instabilen Finanzierungen während der Promotion in Zukunft besser erfassen zu können, regen die Autoren weitere Forschung an.

Die Postdoc-Phase wird von Julia Gundlach und Svea Korff als eine Art Warte- oder Wandelhalle hin zu einer stabileren Beschäftigungssituation und damit als relativ offener und wenig strukturierter Karriereabschnitt beschrieben. Anhand von Analysen auf Basis der Online-Befragung Chance:Postdocs 2012–2015 identifizieren die Autorinnen mithilfe von Clusteranalysen verschiedene Abschnitte innerhalb der Postdoc-Phase. Es zeigt sich, dass sich Postdocs im Laufe ihrer Karriere das Prinzip „Wissenschaft als Lebensform“ aneignen. Die Endphase zeichnet sich jedoch speziell dadurch aus, dass die Motivation für eine eigene Professur abnimmt. Wie die Autorinnen selbst beschreiben, erheben die Ergebnisse jedoch keinen Anspruch auf Repräsentativität. Dennoch wird ein interessanter Ansatz präsentiert, der einen Einblick in das Erleben der Postdoc-Phase und deren Herausforderungen aus Sicht der Betroffenen ermöglicht.

Einen weiteren Einblick in die Selbstpositionierung von Postdocs im Wissenschaftssystem gibt Navina Roman. Im Rahmen des Projekts Chance:Postdocs 2012–2015 wurden auch Gruppendiskussionen durchgeführt, wobei Postdocs ihr ambivalentes Verhältnis zur Wissenschaft hervorhoben. Auf dieses reagieren Betroffene, indem sie sich zum einen Alternativen zur Karriere in der Wissenschaft offenhalten, aber auch indem das eigentlich starke berufliche Engagement verheimlicht oder sogar ironisiert wird. Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiederum versuchen, sich nicht von ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft vereinnahmen zu lassen.

Als ein weiteres mögliches kritisches Ereignis im Laufe der wissenschaftlichen Karriere betrachten Janine Lange und Jens Ambrasat die Geburt eines Kindes. Dabei nehmen sie die Problematik der Vereinbarkeit in den Blick, indem sie die speziellen Probleme, die durch die wissenschaftliche Karriere entstehen, von allgemeinen Vereinbarkeitsproblematiken abgrenzen. Anhand von Analysen auf Basis einer Folgebefragung des Promovierendenpanels ProFile zeigt sich, dass die Arbeitsanforderungen in der Wissenschaft Vereinbarkeitsprobleme verstärken. Diese werden vor allem durch die hohe zeitliche Beanspruchung, die Mobilitätsanforderungen und die berufliche Unsicherheit erzeugt, die speziell bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu einer fehlenden Planbarkeit sowohl für das Familien- als auch das Berufsleben führen. Da sich die Befragung an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern richtet, können zwar die speziellen Probleme der Vereinbarkeit gut aufgezeigt werden, jedoch erfassen sie nicht, inwieweit sie auch ein Motiv dafür darstellen, die Wissenschaftskarriere vorzeitig zu beenden oder gar unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu einer bewussten Kinderlosigkeit führen.

Die beiden letzten Kapitel widmen sich der Bedeutung von Netzwerken und Instrumenten der Karriereberatung innerhalb wissenschaftlicher Karrieren. Dabei beschreiben Kira Nierobisch und Yvonne Kreis verschiedene Netzwerkformen und deren Bedeutung für die Gestaltung von Karriereverläufen im Wissenschaftssystem. Qualitative Experteninterviews zeigen zum einen die starke Bedeutung von Netzwerken für die wissenschaftliche Karriere auf, berichten aber auch davon, dass Netzwerkarbeit mit einem hohen Maß an Engagement verbunden ist. Ergänzend zu den Experteninterviews mit Hochschullehrerinnen und -lehrern aus Baden-Württemberg werden weitere Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Kolumbien ausgewertet, um die unterschiedliche Bedeutung von Netzwerken in Wissenschaftskarrieren zwischen den beiden Ländern verdeutlichen zu können.

Im letzten Kapitel beschreibt Patricia Graf die Unterstützungsmöglichkeiten durch Mentoring und Coaching bei der Karriereentwicklung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dazu werden zunächst Interviews ausgewertet, die mit Frauen in naturwissenschaftlichen Forschungsteams durchgeführt wurden und beschreiben, welche Faktoren bei den Wissenschaftlerinnen zu Ausstiegsgedanken führen. Anschließend wird der Potsdamer Karrierekompass als Beispiel für ein Instrument der Personalentwicklung vorgestellt, welches auf die Herausforderungen wissenschaftlicher Karrieren eingeht und dabei einen wichtigen Ansatz verfolgt. Das Programm zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Professur nur als ein möglicher Karriereweg angesehen wird und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern alternative Karrierewege aufgezeigt werden, die ihnen im Rahmen von Mentorings und Coachings nähergebracht werden.

Insgesamt verdeutlicht der Sammelband inhaltlich gut die Herausforderungen, denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im deutschen Hochschulsystem stellen müssen und greift Themen auf, welche öffentliche Debatten wie #IchBinHanna wissenschaftlich untermauern können. Indem erstmals kleine, mit kritischen Elementen versehene Übergänge in den Blick genommen werden, ergeben sich neue Forschungsperspektiven innerhalb der Hochschulforschung und politische Diskussionsgrundlagen. Vor allem die Bedeutung einer zufriedenstellenden Betreuung und einer stabilen Finanzierung während der Promotion stellen interessante Ansätze für die zukünftige Abbruchsforschung dar. Auch die Einblicke in das Erleben der Postdoc-Phase aus Sicht der Betroffenen verdeutlichen deren Herausforderungen und zeigen neue Forschungsansätze auf, zum Beispiel im Hinblick auf die Vereinbarkeitsproblematik, denen sich speziell Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen müssen. Viele der quantitativen Analysen beruhen jedoch auf Datengrundlagen, die nicht repräsentativ die untersuchten Gruppen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abbilden. Auch die durchgeführten qualitativen Interviews richten sich teilweise an spezielle Gruppen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Daher sollten die untersuchten Fragestellungen in Zukunft weiteren Analysen unterzogen werden, um die Stabilität der Ergebnisse zu überprüfen.