FormalPara Bahr, Amrei, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon:

#IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland. Berlin: Suhrkamp Verlag 2022. 144 Seiten. ISBN: 978-3-518-02975‑6. Preis: € 13,–.

„Das akademische Leben ist also ein wilder Hazard.“ (Max Weber, Wissenschaft als Beruf, 1919)

Am Anfang stand ein kurzer Zeichentrickfilm auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das auffallend einfach gehaltene („Das ist Hanna ...“), sprachlich eher unsensible („damit nicht eine Generation alle Stellen verstopft ...“) und dann auch wieder gelöschte Erklärvideo zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) war im Sommer 2021 der Anlass einer regen Debatte auf Twitter. Unter dem Hashtag #IchBinHanna machten insbesondere jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrem Ärger Luft, nicht nur mit Blick auf das WissZeitVG und eine PR, welche offensichtlich die notwendige Augenhöhe vermissen ließ, sondern auch auf andere manifeste Probleme im Arbeitsfeld Wissenschaft (unbezahlte Überstunden, Vereinbarkeitsprobleme, persönliche Abhängigkeiten, Erfahrungen von Machtmissbrauch und Diskriminierung usw.). Die Debatte wurde in Podcasts und Blogs, aber auch in klassischen Massenmedien breit aufgenommen, und sie hat wohl auch nennenswerten Anteil an der Tatsache, dass gute Vorsätze zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft in den Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung gelangt sind. Es bleibt abzuwarten, was dies konkret bedeutet; aktuell wird ein Referentenentwurf aus dem BMBF für eine Reform des WissZeitVG erwartet. In jedem Fall lässt sich die Initiative auch als ein Fallbeispiel zeitgenössischer medialer Kommunikation lesen.

In dem vorliegenden schmalen Band liefern Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon, die #IchBinHanna seinerzeit initiiert haben, nun wesentliche Hintergrundinformationen. Dabei geht es weniger um die Twitter-Debatte selbst, deren Geschichte ist schnell erzählt, sondern vielmehr um grundlegende Defizite im deutschen Wissenschaftssystem, welche Gegenstand der Debatte waren und sind. Der Text ist pointiert formuliert, aber durchgängig mit Fußnoten und weiterführenden Literaturangaben versehen. Im Anschluss an eine kurze Einleitung, in der die Geschichte von #IchBinHanna kurz zusammengefasst wird, besteht das Buch aus drei Teilen.

Der erste Teil beleuchtet in historischer Perspektive die Entwicklung der gesetzlichen Regelung von Befristungen im Wissenschaftsbereich. Man erkennt die längere Vorgeschichte der aktuellen Diskussion. Das 2007 in Kraft getretene und 2016 novellierte WissZeitVG ermöglicht im Wissenschaftsbereich die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne besonderen Sachgrund, aber in zeitlichen Grenzen. Es ist als Versuch einer Vereinheitlichung seinerzeit geltender Befristungsregeln oder als Reaktion auf deren praktische Auswüchse zu verstehen. Lehrreich ist hier vor allem auch der Hinweis auf die Kontinuität von Argumenten in der begleitenden Diskussion („Innovationsfähigkeit erhalten“).

Der zweite Teil stellt die Befristungsthematik in den Kontext bestehender Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems, insbesondere vor dem Hintergrund von populären Steuerungsideen des New Public Management. Relevante Querverbindungen kommen zur Sprache. Es geht um Drittmittelabhängigkeit und Kurzatmigkeit der Forschung, aber auch Dinge wie Kapazitätsregelungen für die Studiengänge oder die in Deutschland typische Verquickung von organisationalen und akademischen Rollen (Betreuer, Vorgesetzter, Prüfer). Wichtig ist auch die angesprochene Thematik der sozialen Ungleichheit. Einhundert Jahre nach Max Weber gilt noch immer, dass nicht jeder für die Unsicherheiten der akademischen Karriere gleich gut gerüstet ist; in irgendeiner Hinsicht sozial Schwächere unterliegen einem besonderen Risiko, das Handtuch zu werfen. Man könnte durchaus auf einige Dinge noch genauer eingehen, etwa die Konsequenzen expansiver Promotionsförderung oder das Beamtenrecht, bei welchem sich (Versicherungs- und Versorgungs‑)Unterschiede zwischen befristeten und unbefristeten Positionen besonders deutlich zeigen und welches in Kombination mit den föderalen Strukturen zu eigentümlichen Konstellationen von Mobilitätschancen und biografischen Zeitfenstern (Altersgrenzen) führt. Auch die Situation von Lehrbeauftragten im Hochschulsystem wäre noch einmal ein eigenes Thema. Die Breite der Darstellung hat allerdings ohnehin Vor- und Nachteile: Einerseits lassen sich Interdependenzen und das Beharrungsvermögen institutioneller Strukturen gut verstehen. Andererseits gerät der ursprüngliche Fokus etwas aus dem Blick. Das Buch reiht sich hier ein in vorhandene Kritiken des aktuellen Wissenschaftsbetriebs, etwa eines „akademischen Kapitalismus“ im Sinne von Richard Münch, oder auch eher lebensweltliche Beschreibungen des „alltäglichen Wahnsinns“ an den Hochschulen, wie man sie allmonatlich in Zuschriften an Professionsorgane wie Forschung & Lehre nachlesen kann. Dabei finden sich bisweilen pauschalisierende Formulierungen wie (hier in Bezug auf Forschungspraxis und -organisation) „die Fassade zählt mehr als das, was dahintersteckt“ (S. 61). Viele der angesprochenen Probleme sind primär systemisch zu verstehen, etwa als Probleme der Produktion von Kollektivgütern, nicht unbedingt als Versagen einzelner Akteure. In diesem Sinne findet sich hier eine Spur zu viel Schuldzuweisung an einzelne Statusgruppen. Natürlich gibt es Privilegien, für die Öffentlichkeit nicht nur bei Professorinnen und Professoren, die kritisch zu hinterfragen sind. Vor allem aber hat die Wissenschaft als Ganzes gesellschaftlich viel zu verlieren oder zu gewinnen, und interne Verteilungskämpfe lenken eher davon ab.

Der dritte Teil schließlich stellt einige Lösungsansätze vor oder verweist auf solche von anderer Seite. Er ist recht knapp, soll allerdings auch eher Auftakt einer Debatte als ihr definitives Fazit sein. Erneut wird deutlich, dass eine Reform des Wissenschaftssystems an mehreren Stellschrauben gleichzeitig drehen muss. Es geht um (Befristungs‑)Recht, aber auch Finanzierung, Personalstruktur und Rekrutierung. Insbesondere machen sich die Autorinnen und der Autor für eine Entkoppelung von wissenschaftlicher Weiterbildung, Entfristung und Berufung stark, anders gesagt für verstärkte Möglichkeiten für Dauerstellen außerhalb der Professur und damit auch jenseits eines breiten Tenure Tracks. Zum anderen geht es um biografisch deutlich frühere Zeitpunkte, an denen die Betreffenden Klarheit über eine dauerhafte Perspektive im Wissenschaftssystem bekommen können, sodass sowohl eine Familienplanung möglich ist als auch eventuelle berufliche Alternativen rechtzeitig entwickelt werden können. Zudem zeigt sich, mit welchen Transaktionskosten ein Systemwechsel in der Praxis verbunden sein kann. So könnten unvermittelt eingeführte Befristungsverbote die Beschäftigungsperspektive (einer bestimmten Kohorte) von prekär Beschäftigten zunichtemachen. Derartige Effekte werden bei großen Reformentwürfen bisweilen vergessen.

Die hier angestoßene Debatte lässt sich unter unterschiedlichen Blickwinkeln bewerten. Die Prekarität wissenschaftlicher Arbeit ist zunächst einmal eine Frage von Corporate Responsibility, Sozialpolitik oder auch einfach der Gerechtigkeit. Die Interessen der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Mindestmaß an Absicherung und biografischer Planbarkeit sind zweifellos legitim, und dies erklärt sicherlich auch die überwiegend positive Rezeption dieser Position in den Medien. Es ist aber gut, dass es das Buch nicht bei einer entsprechenden Skandalisierung belässt. Schließlich geht es auch um Fragen der Funktionalität der Wissenschaft als Institution, die gerne als Argumente für den breiten Einsatz von Befristungen angeführt werden. Ja, das Positionssystem muss langfristig für nachrückende Kohorten offenbleiben und die Qualifikationserfordernisse sind anspruchsvoll. Kontinuierliche Betreuung und Erfahrungswissen sind aber gerade für Langzeitvorhaben unverzichtbar, zu hohe Personalfluktuation ist da dysfunktional. Und die Hochschulen oder der, um im Jargon zu bleiben, Wissenschaftsstandort Deutschland insgesamt stehen in nennenswerten Konkurrenzbeziehungen, sei es mit privatwirtschaftlichen Arbeitgebern oder international. Nicht nur in der Soziologie haben viele Kolleginnen und Kollegen aus der jüngeren Generation inzwischen Positionen mit langfristiger Perspektive im benachbarten Ausland inne. Internationalität ist erwünscht – allerdings nicht, wenn sie die Form eines asymmetrischen Brain Drain annehmen sollte.

Die mit dem Band verbundene Diskussion macht auch einen bedenklichen Aspekt deutlich, der Wissenschaftsdebatten insgesamt zu durchziehen scheint. Insbesondere wenn es um Verteidigung des Bestehenden geht, verlaufen diese oft ziemlich empiriefrei. Nicht jeder beruft sich auf fragwürdige Lebensweisheiten („... mir auch nichts geschadet“), aber um Glaubenssätze handelt es sich häufig doch. Es ist bemerkenswert, dass gerade die Wissenschaftspolitik auf eine breite Evidenzbasierung ihrer Entscheidungen verzichtet. Und das ist nicht allein der Politik anzulasten. Über die institutionellen Bedingungen „guter“, nicht nur kurzfristig erfolgreicher Forschung und Lehre (und Selbstverwaltung!) etwa wissen wir jenseits von Drittmittelstatistiken, bibliometrischen Analysen und Messungen studentischer Zufriedenheit tatsächlich recht wenig. Für ein Fach wie die Soziologie ist das nicht nur in professioneller, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht ein Problem.

Auch wenn sie glaubwürdig sind, stellen subjektive Erfahrungsberichte für die Forschung zunächst einmal (lediglich) Daten dar, welche interpretiert und eingeordnet werden müssen. Sie können hilfreich für wissenschaftlich begründete Aussagen sein, sie selbst sind diese aber noch nicht. Zumindest strukturell-deskriptive Information ist zunehmend verfügbar, dargestellt etwa im Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (2021 in jüngster Auflage erschienen). Weitere (Längsschnitt‑)Daten zu wissenschaftlichen Karrieren sind im Aufbau. Hilfreich sind zudem Informationen zu demografischen Aspekten, welche für konkrete Karrierechancen oft entscheidend sind. Inzwischen wurde auch das novellierte WissZeitVG evaluiert; danach ist beispielsweise die durchschnittliche Vertragslaufzeit in den letzten Jahren nur leicht angestiegen. Dass der vorliegende Band selbst keine empirische Studie ist, kann man ihm nicht vorwerfen. Er wird im Klappentext als „Streitschrift“ beworben. Das ist er wohl auch. Allein, und auch das ist in der Diskussion um die zugrunde liegende Initiative deutlich geworden, viele sich sachlich gebende wissenschaftspolitische Beiträge kommen kaum ausgewogener daher. Dies spricht für das vorliegende Buch, aber auch für unterentwickelte Diskurse im Bereich der Wissenschaftsorganisation – was wiederum den hier beschriebenen Impuls noch relevanter macht.