Nowotny, Joanna, und Julian Reidy: Memes: Formen und Folgen eines Internetphänomens. Bielefeld: transcript Verlag 2022. 260 Seiten. ISBN 978-3-8376-6124‑8. Preis: € 25,–.

Obgleich nicht mehr nur allein in der Internetkultur allgegenwärtig, sondern längst auch in anderen Medien oder auch der politischen Kommunikation angekommen, fehlt es gerade im deutschsprachigen Raum bislang an dezidierten, umfangreicheren Publikationen zur kommunikativen Gattung der Memes. Die vorliegende Monografie erörtert diese als Charakteristikum digitaler Kultur und liefert zugleich eine Momentaufnahme kontemporärer digitaler Gemeinschaften (sowie in ihnen schwelender Kulturkämpfe), womit sie sich einerseits beispielsweise neben Angela Nagles „Digitale Gegenrevolution“ aus dem gleichen Verlag einreiht. Andererseits werden gerade durch die Verortung einzelner Memes in spezifischen, einander häufig exkludierenden Gemeinschaften die Eckpunkte eines neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit anschaulich vor Augen geführt, wie er in seit 2021 neu entfachten Debatten diskutiert wird.

Memes als digital reproduzier- und variierbare, polyseme Informationseinheiten, die prinzipiell modular, modifizierbar, archivierbar sowie zugänglich sind, erlauben es, Rückschlüsse auf digitale Kultur im Allgemeinen sowie auf konkrete digitale (Sub‑)Kulturen im Speziellen zu ziehen. Darum befassen sich Nowotny und Reidy nicht nur mit grundlegenden Funktionsweisen verschiedentlich ausgeprägter memetischer Kommunikationstypen (auch in ihren Gemeinsamkeiten mit und Unterschieden zu anderen populären Formaten wie beispielsweise dem Comic). Sondern sie nutzen diese vor allem auch als Material, um Ideologien und Mechanismen spezifischer digitaler Gemeinschaften freizulegen, sowie die Beschaffenheit einer sich durch Referenzialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität auszeichnenden „Kultur der Digitalität“ (auf das gleichnamige Buch Felix Stalders wird durchgehend Bezug genommen) an konkreten Beispielen zu verdichten: „Memes etablieren komplexe Verweisstrukturen. Sie sind verankert auf bestimmten Plattformen mit bestimmten technischen Gegebenheiten und ideologischen Prägungen, sie nehmen Bezug auf andere Iterationen desselben Memes sowie auf andere Meme-Subgattungen, sie verankern sich darüber hinaus in der Kunst- und/oder Filmgeschichte und anderen kulturellen Kontexten, und sie können ein relativ esoterischer Ausdruck einer Ingroup sein – oder von zwei Ingroups, die ironisch mit Fremd- und Selbstzuschreibungen spielen. Ihre referenzielle Funktion macht sie zu beispielhaften Artefakten innerhalb der Kultur der Digitalität“ (S. 33).

Insbesondere die Inhaltsanalyse konkreter Memes geht mit methodischen Herausforderungen einher, da Referenzen, Traditionen, Andeutungen, Familienähnlichkeiten mit anderen Memes und implizite Konnotationen bei „Eingeweihten“ entsprechende Saiten unmittelbar zum Klingen bringen können, während die Explikation sich dann oftmals besonders schwierig gestaltet. Die Autorin und der Autor empfehlen im Rahmen eines methodischen Exkurses eine sich überschneidende Kombination formalästhetischer Aspekte mit Kontext- und Rezeptionsanalysen, die auch beispielsweise vorangegangene Iterationen des jeweiligen Memes, seinen sozialen Entstehungskontext sowie Wurzeln in analogen Kontexten (beispielsweise Humor- oder Folkloretraditionen) einbezieht, was mehr oder weniger die Grundlage der exemplarischen Meme-Analysen der Monografie bildet.

Die Notwendigkeit dieser Rekonstruktionsarbeit und die dabei entstehenden Schwierigkeiten legen zugleich auch die in Memes fungierenden Exklusionsmechanismen offen, da diese ja auch von Nutzerinnen und Nutzern ohne historischen Kennerblick kaum zu erfassen sind. Die Verwendung von Memes kann darum zur Folge haben, Nichtwissende zu exkludieren oder diejenigen in die Irre zu führen, die die ironischen Ebenen nicht vollständig entblättern können. Der in einer Gruppe etablierte Kanon verwendeter und als bekannt vorauszusetzender Memes stärkt auf diese Weise Identität nach innen und zieht Grenzen nach außen. Besonders in ihren geschmacklosesten Ausprägungen wird mittels ihres Gebrauchs eine „Insider-Wagenburg“ gegen die „Normies“ errichtet, sodass Memes durch das Eindringen in den Mainstream für die Eingeweihten entvalorisiert und entscheidender Distinktionsfunktionen beraubt werden können.

Dabei sind Memes ihrer Struktur nach (beispielsweise hinsichtlich Geschlechterstereotypen oder rassistischer Vorurteile) häufig eher konservativ; sie können Subversion gerade unterlaufen, indem sie die Grenzen zwischen Ablehnung und Affirmation im Graubereich der Ironie verschwimmen lassen. Memes weisen also die allen kulturellen Artefakten inhärenten Ambivalenzen auf: Sie können Normen und Vorstellungen des Normalen reproduzieren, ebenso aber perpetuieren, sie können sich widerständig geben, zugleich den Status quo stabilisieren, sie können gleichermaßen Teil des Kanons sein wie auch Kritik an diesem vermitteln. Sie tragen Spuren der Ideologie jener Kultur (oder vermeintlichen Gegenkultur), aus denen sie hervorgegangen sind und können diese zugleich entlarven; sie erlauben Partizipation bei ironischer Distanz. „So sind memes zugleich randständig und omnipräsent, nerdig und trendy, subkulturell und breitenwirksam, Exempel kultureller ‚Singularität‘ und ästhetischer ‚Standardisierung‘“ (S. 168, Hervorhebungen im Original). Dieses ambivalente Verhältnis von Affirmation und Subversion steht im Mittelpunkt eines Exkurses über das „Trollen“, welches gerade auch aus den Arsenalen der breiten Alltagskultur schöpft und – jedenfalls in bestimmten Formen – gerade nicht auf der Unterscheidung zwischen Normalität und Störung basiert, sondern Subversion bisweilen performativ inszeniert, um das „Normale“ umso vehementer zu bekräftigen.

Diese Mechanismen bleiben nicht ohne Folgen für beispielsweise politische Bereiche, wie die Autoren mit Blick auf den Sturm auf das Kapitol feststellen. Memes transportieren politische Botschaften, evozieren eigene Formen von Aktivismus (hier werden Kampagnen wie #freethenipple angeführt), können gesellschaftliches Engagement durch Interpassivität aber auch ins Leere laufen lassen, deliberative Praxis und Konsensbildung stören oder gar sabotieren (beispielhaft sei hier „Pepe the Frog“ genannt, eines des wohl bekanntesten politischen Memes).

Insgesamt ist „Memes“ eine überfällige und gelungene Mischung aus erkenntnisreicher Meme-Analyse und kenntnisreicher Einführung in jene digitalen Kulturen, die sich mit ihrer Hilfe und um sie herum gebildet haben. Die enge Verschränkung von Internetkulturen mit memetischer Kommunikation lässt es vermutlich auch kaum zu, Memes und spezifische digitale Kulturen getrennt voneinander zu betrachten. Durch den das Buch über dominierenden Fokus auf Felix Stalders „Kultur der Digitalität“ gerät bisweilen vielleicht ein wenig zu sehr in den Hintergrund, dass viele der beschriebenen Muster – beispielsweise kulturelle Referenzialität oder das Verhältnis von Reproduktion und Variation – dominante, aber eben nicht alleinige Merkmale des Digitalen sind. Darum wäre der Rückgriff auf weitere soziologische Konzepte interessant gewesen – neben dem traditionsreichen soziologischen Begriff der „Gemeinschaft“ beispielsweise Gabriel Tarde, dessen Beschreibungen von Nachahmung und Innovation (unter anderem durch sich überlagernde Nachahmungsmuster) auch eine Blaupause für die beständige Rekombinationen von Meme-Schablonen (wie beispielsweise das 4chumblr-Bild) bilden könnten. Einen stärkeren Einbezug hätten zudem – gerade aufgrund der immer wieder adressierten unterschiedlichen Plattformen als Geburtsorte spezifischer Memes – auch ökonomische Plattformlogiken und deren technische Gestaltung verdient, was in der vorliegenden Monografie nur angerissen wird und Fragen für zukünftig auf sie aufbauende Forschung offen lässt. Die konkreten Meme-Analysen geraten hier und da ausschweifend und deskriptiv, driften bisweilen in das Erklären trivialer Witze ab, sind aber insgesamt erhellend, assoziationsreich und treffen vor allem den Kern der jeweils zugrunde liegenden digitalen Kulturen. Zudem liegt die Notwendigkeit dieser breiten Darstellung und Explikation einzelner Memes und ihrer Historie ja gerade in den Exklusionsmechanismen memetischer Kommunikation begründet, durch welche die Konsensfiktion eines durch Medienkonsum gemeinsam geteilten Wissens über die Welt ein weiteres Mal am Digitalen zerschellt und die Zerfaserung der digitalen Öffentlichkeit in verschiedene isolierte, sich durch eigene, mühsam zu erarbeitende Codes abgrenzende digitale Subkulturen und Gemeinschaften zutage tritt. Darum macht das Buch das Wesen der Öffentlichkeit unter digitalen Bedingungen greifbar, insofern Memes einerseits Online- und Offline-Aktivismus verschränken können, an der Bildung „öffentliche[r] Gegenöffentlichkeiten“ (S. 172) partizipieren, andererseits aber vor allem in mehr oder minder abgeschlossenen Communities zirkulieren, die Nichteingeweihte außen vorlassen. Alles in allem stellt die Monografie also eine sehr lesenswerte Ergänzung zu den aktuellen Debatten rund um diesen neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit dar; vor allem dort, wo deren klassische Funktionen durch destruktiven Einsatz memetischer Kommunikation und andere Formen des Trollens mehr und mehr gestört zu werden scheinen.