FormalPara Falkenberg, Jonathan:

Taylors Agenten. Eine arbeitssoziologische Analyse mobiler Assistenzsysteme in der Logistik. Baden-Baden: Nomos 2021. ISBN: 978-3-8487-8274‑1. 287 Seiten. Preis: € 59,–.

Avancierter Technikeinsatz ist ein bestimmendes Strukturmerkmal der modernen Industrieentwicklung seit dem 19. Jahrhundert, die von Wirtschaftshistorikern gern nach Basiserfindungen periodisiert wird. Gegenwärtig wird die Digitalisierung für das charakteristische Merkmal gehalten und die „Industrie 4.0“ für das sie kennzeichnende Projekt. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die dieser Entwicklung gewidmet wird.

Jonathan Falkenbergs Dissertation mit dem marktfreundlichen, aber weniger zutreffenden Obertitel „Taylors Agenten“ ist aus einem Forschungsprojekt zum „Wandel der Industriearbeit – Industrie 4.0“ an der TU Dortmund hervorgegangen. Der Gegenstand mag entlegen und speziell erscheinen; er wird im Buch aber thematisch breiter dargestellt, als es der erläuternde Untertitel vermuten lässt. Der Untersuchungsbereich wird tief ausgeleuchtet und ist geeignet, die Einsatzmöglichkeiten digitaler Technik, deren organisatorische und qualifikatorische Implikationen und den sich bietenden arbeitspolitischen Gestaltungsspielraum exemplarisch zu analysieren.

Über die inter- und intrabetriebliche Logistik sind in den letzten Jahren eine Reihe von Aufsätzen und empirischen Studien erschienen, unter denen die von Falkenberg eine gewichtigere ist. Das Sammeln und Verteilen von Gütern ist nur ein Teilbereich der Logistik, aber von ziemlicher Relevanz, wenn man bedenkt, dass sich die Logistik insgesamt zur drittgrößten Wirtschaftsbranche in Deutschland entwickelt hat. Man kann daran auch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel ablesen. Er reicht vom vermehrten Warentransport, z. B. durch den Versandhandel (Stichwort: Amazon), bis zu den logistischen Folgen der Spezialisierung, Internationalisierung und Auslagerung von Kompetenzen (verringerte Fertigungstiefe) bei den industriellen Finalproduzenten, z. B. in der Autoindustrie, wenn Teile oder ganze Baugruppen von Zulieferbetrieben direkt an das Montageband gebracht werden („just-in-sequence“). All das verleiht der Logistik ein größeres Gewicht.

Ein Kernbereich der Güterlogistik ist die Kommissionierung, das heißt die Zusammenstellung der Güter, die aus einem Hochregallager entnommen und für einen Kundenauftrag zu einer transportfähigen Einheit in der richtigen Menge, der vorgegebenen Zeit und in der richtigen Qualität zusammengefügt werden. Für diese und direkt assoziierte Tätigkeiten weist die Statistik 2018 ca. 1,5 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus, davon 2/3 Un- und Angelernte (Falkenberg, S. 147). Das Kommissionieren gehört zu den Einfacharbeiten, von denen man immer wieder vorhergesagt hat, dass sie zumindest in der Industrie einmal der Rationalisierung (Technisierung/Automatisierung) anheimfallen würden. Über die Gründe für ihre bemerkenswerte Persistenz, wenn auch in modifizierten Formen, hat unter anderem Hartmut Hirsch-Kreinsen einige Studien vorgelegt, auf die sich auch der Autor bezieht.

Auf den in diesem Bereich tätigen Arbeitskräften lastet ein hoher Zeitdruck (z. B. 24 h-Lieferversprechen) bei gleichzeitig geforderter großer Zuverlässigkeit (zur Vermeidung von Retouren bei Konsumwaren oder weil die gelieferten Baugruppen in der vorgesehenen Reihenfolge direkt am Band verbaut werden sollen). Während einerseits die Nutzung des Flexibilitätspotenzials der menschlichen Arbeitskraft für die vielen unterschiedlichen Greifvorgänge immer noch preiswerter ist als die Vollautomatisierung, erlauben andererseits die standardisierten, repetitiven Arbeitsvorgänge eine Technisierung mittels Hilfsinstrumenten, durch die der Datenfluss mit dem Produkttransport verknüpft und dieser beschleunigt und kontinuisiert wird.

Der Verfasser untersucht diese Entwicklungen anhand von fünf Intensivfallstudien und vier Kurzfallstudien in Klein‑, Mittel- und Großbetrieben aus verschiedenen Industrie- und Dienstleistungsbereichen, ergänzt um Experteninterviews. Die Intensivfallstudien, bestehend aus Interviews mit dem Management, Betriebsräten und Beschäftigten sowie je einer Betriebsbegehung, werden ausführlich vorgestellt. Das Buch überzeugt durch die reichen, gut aufbereiteten empirischen Befunde, den ausführlichen Gang durch die Literatur bis hin zur aktuellen Forschungslage. Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis und viele kapitel- und abschnittsbezogene Zusammenfassungen erleichtern auch die selektive Lektüre. Die Kapitelgliederung dagegen ist nicht geschickt. Nach vorn, gleich hinter die Einleitung, hätte der Verfasser die Vorstellung der Logistikbranche (jetzt Kap. 5) platzieren sollen und an dessen Stelle, also nach hinten, das Methodenkapitel (jetzt Kap. 3), denn es bildet mit dem empirischen Bericht (Kap. 6) eine Einheit. In zwei weiteren Kapiteln werden der inhaltliche Schwerpunkt Arbeitskontrolle (Kap. 2) und die verschiedenen technischen Assistenzsysteme erläutert (Kap. 4), von deren Einsatz in der Praxis später berichtet wird. Weil die Überprüfung der „Zeitdiagnose: Digitaler Taylorismus“ eine der Intentionen des Buches ist, fällt bei allen diesem Thema gewidmeten Passagen auf, dass dies nur empirisch geschehen soll. Eine theoretische Diskussion über die kategoriale Eignung des diffusen Konzepts „Taylorismus“ für die empirische Analyse führt der Verfasser nicht, noch sucht er nach Alternativen; der hier naheliegende Name Henry Ford wird nirgends erwähnt.

Unter technischen Assistenzsystemen werden Geräte verstanden, die den Kommissionierern mitgegeben werden (z. B. Tablets) oder die sie am Körper tragen (z. B. Smartwatches, Datenbrillen oder Kopfhörer). Gegenüber der früheren Praxis der Kommissionierung über Papierlisten erlaubt die akustische oder visuelle Übermittlung der Art, Anzahl und Reihenfolge der aus den Regalfächern herauszunehmenden Produkte anhand von Kennziffern durch ihre elektronische Verknüpfung mit der zentralen Datenverwaltung eine Steuerung und Echtzeitkontrolle des gesamten Vorgangs. Ihr Einsatz standardisiert den Ablauf, beschleunigt den Entnahmeprozess, führt damit zur Arbeitsverdichtung und verringert den Handlungsspielraum. Die individuelle Leistung (Entnahmevorgänge pro Schicht) erhöht sich durchschnittlich um ca. ein Drittel, gleichzeitig vermindert sich die Fehlerquote. Der Verfasser konstatiert: „Dennoch schlagen die Betriebe nicht den Pfad eines digitalen Taylorismus ein“ (S. 255). Denn die Auswirkungen dieser Veränderungen und ihre Nachteile für die betroffenen Beschäftigten hängen – wie immer in der betrieblichen Arbeitspolitik – von der Größe und Prosperität des Betriebs, vom Einfluss der Mitbestimmung (Betriebsrat) und von der spezifischen Unternehmenskultur ab. Es finden sich im Sample der Studie Beispiele für kompensatorische Maßnahmen (Flexibilisierung, Arbeitsanreicherung oder Leistungsbegrenzung), die die gestiegenen Belastungen zumindest abmildern, und es gibt keinen umfassenden Kontrollzugriff. Mit diesen Ergebnissen widerspricht der Verfasser den aus der negativen Praxis von Amazon abgeleiteten Prognosen (S. 254 f.).

Wenn der Verfasser auch die empirische Relevanz der These vom „digitalen Taylorismus“ als allgemeine Tendenz bestreitet, sein affirmatives Verhältnis zum Taylorismus selbst gibt er nicht auf. Und das ist ein Problem, das über seine Arbeit hinausweist. „Zentraler Bezugspunkt der Logistik ist der Materialfluss“ (S. 130) schreibt er zutreffend und um ihn am Laufen zu halten, müssen die menschlich verursachten Friktionen zuverlässig beseitigt werden. Daher wird der Mensch, die lebendige Schnittstelle im Daten- und Güterstrom, auf dessen stützende Kognition und Feinmotorik noch nicht verzichtet werden kann, technisch soweit ausgestattet, dass er kongruent zum technischen System agiert. Wenn der Verfasser aber „mobile Assistenzsysteme als Taylors Agenten“ bezeichnet (S. 252), übersieht er, dass Taylor solche „Agenten“ nie „beschäftigt“ hat. In dessen eher handwerklichem Konzept der Mobilisierung von Geschick und Kraft zur Erzielung individueller Höchstleistung war die Technik sekundär, weshalb er in der Industrie auch kaum Erfolg hatte. Ganz anders verhielt es sich mit Henry Fords Ideen. Seine technikdeterminierte Fließproduktion ist das einflussreichste Rationalisierungskonzept des 20. Jahrhunderts gewesen und hat seit den 1920er-Jahren in den USA und 30 Jahre später in Europa für Jahrzehnte die betriebliche Praxis der standardisierten Massenfertigung bestimmt, dann später die Lean Production bei Toyota und anderswo beeinflusst. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es auch jetzt wirkmächtiger ist als der abgenagte Knochen Taylorismus, auf dem die Arbeitssoziologen schon so lange herumkauen, ohne ihm auch nur ein Gran analytische Substanz noch abzugewinnen. Leider hatte der Verfasser nicht den Mumm, ihnen den Knochen wegzunehmen. Die Gelegenheit war günstig.

Das Buch ist gut und auch für Nichtsoziologen verständlich geschrieben. Gelegentlich merkt man aber doch, dass auch die großen Wissenschaftsverlage ihr Lektorat abgeschafft haben.