FormalPara Streeck, Wolfgang:

Zwischen Globalismus und Demokratie. Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus. Berlin: Suhrkamp Verlag 2021. 538 Seiten. ISBN 978-3-518-42968‑6. Preis: € 28,–.

Wolfgang Streeck widmet sich in seinem Buch dem Verhältnis von Globalisierung und Demokratie. Ausgangspunkt ist die These, dass sich der demokratische Kapitalismus in einer Sackgasse befinde: Nachdem die neoliberale Hegemonie, die sich vor allem ab den 1990er-Jahren in der Hyperglobalisierung wirtschaftlich und institutionell entfaltet habe, durch Krisen und demokratische Widerstände zum Stillstand gekommen sei, gehe es nun weder nach „vorne“ – in eine weitere Vertiefung der internationalen Supra- bzw. Superstaatlichkeit – noch „zurück“ in den demokratischen Nationalismus. Der demokratisch-kapitalistische Globalisierungspfad befinde sich also in einer Pattsituation, die Streeck umfassend aus historisch-institutionalistischer Perspektive beleuchtet. Er spricht sich für die Suche nach einem Ausweg nach „unten“ aus, d. h. in die souveräne, kleine bis mittlere Nationalstaatlichkeit, um Demokratie weiterhin (bzw. wieder) möglich zu machen. Das Buch schließt damit unmittelbar an Streecks Frankfurter Adorno-Vorlesungen zur Krisensituation des demokratischen Nationalstaats an (Streeck 2015). Es liest sich ein wenig wie eine umfassende Antwort auf Habermas’ damalige Kritik, Streeck wolle zurück in die europäische „Kleinstaaterei“ (Habermas 2013). So macht sich Streeck nun den Begriff der Kleinstaaterei zu eigen und stellt ihn sowohl der imperialen „Großstaaterei“ als auch dem neoliberalen Globalismus (beide hängen für ihn untrennbar zusammen) gegenüber.

Nach einem einleitenden Problemaufriss, in dem die Pattsituation beschrieben wird, lässt sich die Analyse durch zwei prominente Denker leiten: Polanyi und Keynes. So steht die Einhegung kapitalistischer Wirtschaft durch gesellschaftliche, demokratische Institutionen im Mittelpunkt des Interesses. Das erste Kapitel legt die „doppelte Krise“ des neoliberalen Globalisierungsweges dar: einerseits die krankende Weltwirtschaft, andererseits die auf halbem Wege in die globalisierte Form abgedriftete Nationalstaatlichkeit, deren herrschende Klassen nicht „zurück“ wollen und angesichts gesellschaftlicher Widerstände auch nicht weiter auf ihrem globalistisch-imperialen Weg gehen können. Mit Gramsci gedacht befinden wir uns damit im postneoliberalen Interregnum – „eine orientierungslose Übergangszeit“ (S. 23). Kapitel zwei widmet sich der normativen Dimensionierung von Demokratie. Anhand der Beispiele Schottlands, Kataloniens und Deutschlands wird die (multi-)nationale Staatlichkeit „vermessen“. Ihre Begrenzung, gemessen an ihrer schieren Größe, aber auch an ihrer gesellschaftlichen Heterogenität, wird im Ergebnis als Schlüsselfaktor für funktionierende Demokratie benannt. Diese Diagnose überzeugt vor allem im Hinblick auf die erfolgreiche Bearbeitung des Klassenkonflikts auf nationalstaatlicher Ebene, geht dabei aber wenig auf andere Konfliktlinien ein, die in europäischen Nationalstaaten kaum erfolgreich bearbeitet wurden (z. B. Rassismus oder gesellschaftliche Naturverhältnisse).

Kapitel drei und vier legen dar, wie es aus Streecks Sicht daher demokratisch gerade nicht funktionieren kann, nämlich über den derzeit dominanten Weg des Neoliberalismus in die global governance (Kap. 3) und die technokratische Suprastaatlichkeit der EU (Kap. 4). Beide werden als demokratiefeindliche, imperiale Projekte scharf kritisiert. Global governance sei sowohl eine „technokratische Utopie“, als auch ein Mittel zum Zwecke der Errichtung eines neoliberalen Imperiums unter Dominanz überdimensionierter Staaten (USA, zunehmend China) und weltweit integrierter Wirtschaft. Die EU wird noch etwas leidenschaftlicher zerpflückt, indem zum einen ihre Strategie der Abschirmung neoliberaler Wirtschaftspolitik vor demokratischer Einflussnahme als „imperial“ charakterisiert und zum anderen die aus Streecks Sicht zum Scheitern verurteilte Tendenz der politischen Eliten zur Heiligsprechung der EU als Integrationsmotor und Friedensgarant angeprangert werden (EU als „verkitschtes Marktprojekt“).

Das fünfte Kapitel diskutiert die demokratische Möglichkeit eines Auswegs aus dem Patt: durch friedvolle, kooperative, souveräne, demokratische Kleinstaatlichkeit. Streeck nennt sein normatives Konzept den „Keynes-Polanyi-Staat“. Dieser könne den zum Globalismus zerrenden Kapitalismus gesellschaftlich erfolgreich einbetten, indem eigene Produktionskapazitäten zurückgewonnen, Grenzen vor zu viel Freihandel und Migration (wieder) aufgebaut und die politische Kontrolle über eigenes Geld wiedergewonnen würden. Streeck, der die meiste Zeit des Buches pessimistisch angesichts der multiplen Krisenlagen schreibt, wird hier am Ende optimistisch. Der Keynes-Polanyi-Staat sei in der Lage, fünf zentrale Zukunftsaufgaben zu meistern, um die gesellschaftliche Kontrolle über die kapitalistische Wirtschaft zu gewinnen (oder diese gar abzulösen – das bleibt offen): die Verkürzung von Lieferketten, den Aufbau einer protektionistischen, „wirtschaftspatriotischen“ Gesellschaft mit einem Fokus auf Binnenwachstum (Produktion und Konsum weitestgehend im Inland), die Bereitstellung grundlegender kollektiver Güter und den allmählichen Aufbau nichtkapitalistischen Kapitals durch „nationale Bankensysteme, regionale Sparkassen und sektorale Genossenschaftsbanken“ (S. 471).

Streecks Diagnose und Plädoyer für den Ausweg nach „unten“ sind spannend und haben überzeugende Momente. Letzten Endes kann mich jedoch sein Kernargument für den Keynes-Polanyi-Staat als einzige demokratische Option nicht überzeugen. Dies liegt vor allem in der nicht schlüssigen Zwangsläufigkeit des Nationalstaats für die Demokratie. Muss nicht vielmehr die Dimension der Staatlichkeit selbst immer wieder auf ein Neues zum Bestandteil demokratischer Prozesse werden können – gerade im dynamischen Kapitalismus, gerade angesichts hochproblematischer nationalstaatlicher Grenzregime, die ständig ausschließend und gewaltsam sind? Gleiches gilt für den Grad der Heterogenität von Nationen, die Streeck ab einem gewissen Maß pauschal als Demokratieproblem bewertet. Mir scheint, dass die Gefahren der nationalstaatlichen Demokratie, wenn diese zu stark vereinfacht als Norm der Souveränität einer plebejischen Mehrheit verstanden wird, zu wenig beleuchtet werden. Minderheiten, deren Kämpfe nicht durch das Arbeit-Kapital-Verhältnis (allein) strukturiert sind, finden etwa kaum Beachtung. People of Colour, Flüchtende, Immigrierte und als migrantisch oder queer wahrgenommene Bevölkerungsgruppen – um nur einige typische Beispiele für Ausgrenzungen in vermeintlich homogenen Nationalstaaten zu nennen – mögen in internationalen Menschenrechtsinstitutionen durchaus soziale und nicht nur (neo-)liberale Aspekte erkennen, die vor allem Abwehrmöglichkeiten gegen nationalstaatliche Gewalt ermöglichen. Auch Umweltbewegungen mögen sich durch globale, skalenpolitische Bemühungen durchaus Alternativen zum konservativen Establishment ihrer nationalstaatlichen Demokratien erhoffen. Das linke Projekt des Kleinstaats, so scheint mir, wird in der Anleitung von Keynes und Polanyi zu einseitig auf die Einhegung des Kapital-Arbeit-Konflikts konzentriert. Die Analyse müsste der doch teils brutalen Materialität der Diskurse über die vermeintliche Notwendigkeit nationaler Homogenität auf differenziertere Weise Raum bieten. Stattdessen scheint es diesen Diskursen auf seltsame Weise undifferenziertes Futter zu bieten. So wird etwa nach einer soziologischen Definition der „Nation“ als historisch gewachsene Erfahrungs- und Verständigungsgemeinschaft auf der nächsten Seite leichtfertig „Abstammung“ (S. 173) als Merkmal angeführt – also doch wieder Blut und Gene. Streeck meint das nicht so biologistisch (siehe S. 182). Aber er ist zu leichtfertig, denn der Nationalstaat ist doch nach wie vor für viele ausgemachte Ursache von Ausgrenzung und Gewalt – und damit als alleiniger Träger von Demokratie ungeeignet. Streeck hätte hier genauer arbeiten sollen – gerade weil, wie er richtig anmerkt, der Nationalismusdiskurs in Deutschland in Teilen rassistisch, exkludierend und aggressiv ist (S. 21).

Damit zusammenhängend liegt eine Schwäche des Buches in der Diagnose der global governance. Sind nicht viele Elemente des Regierens jenseits des Nationalstaats hoch umstritten – Gegenstand von Kämpfen anstatt bereits ausgemachte (zum Scheitern verurteilte) Sache? Nicht alles wird international tatsächlich im neoliberalen Gleichklang durchgetrommelt. Ist daher nicht auch politische Gestaltung jenseits des Nationalstaats notwendig? Das hätte der Autor akribischer zeigen können; stattdessen muss man eher zwischen den Zeilen lesen, was Streeck denn eigentlich jeweils genau meint, wenn er global governance sagt. Mir scheint, dass er es mit dem Begriff so hält wie mit der „Globalisierung“: Eigentlich meint er im Wesentlichen die neoliberalen oder imperialen Ausprägungen. So scheint es, als könne gar nicht wirklich politisch umkämpft sein, was jenseits des Nationalstaats an politischer Steuerung und Regulierung stattfindet. Das ist schade, denn so mag weder die Aussage überzeugen, dass der Neoliberalismus und imperiale Staatlichkeit bereits zum Scheitern verurteilt seien, noch kann die Dimensionalität von Staatlichkeit als entscheidende politische Drehschraube richtig überzeugen. Wären nicht auch friedvolle, keynesianisch geprägte internationale Institutionen oder transnationale Kämpfe zur Anfechtung heute neoliberaler Programme als wichtige Ergänzungen zum Nationalstaat denkbar, ja vielmehr nötig, angesichts der institutionellen Behäbigkeit der bereits fortgeschrittenen politischen Globalisierung, die noch lange nicht stillsteht? Die internationalisierten Strukturen lassen sich nicht einfach wegwünschen. Ein letzter Kritikpunkt: Der starke Fokus der Diagnose auf die EU und die zu wenig differenzierte Betrachtung der Rolle Chinas sowie die Begrenztheit der Gültigkeit der Analyse für viele andere Staaten, vor allem im Globalen Süden, hätte stärker ausgeflaggt werden sollen.

Davon abgesehen ist Streecks Analyse in vielen Teilen überzeugend und angesichts der vieldimensionalen Krisenhaftigkeit nationalstaatlicher Demokratien begrüßenswert offen für mögliche Optionen hinaus aus dem demokratiefeindlichen Neoliberalismus. Vor allem schafft es Streeck durch seine politikökonomische Brille die demokratischen Fragen systematisch als Fragen der kapitalistischen Gesellschaften zu behandeln – ein hoher Mehrwert für die Debatte.