FormalPara Röcke, Anja:

Soziologie der Selbstoptimierung. Berlin: Suhrkamp Verlag 2021. 257 Seiten. ISBN: 978-3-518-29930‑2. Preis € 20,–.

Anja Röcke bearbeitet in ihrem Buch das Phänomen der Selbstoptimierung, das seit einigen Jahren die Soziologie beschäftigt. Die Debatte wurde wesentlich durch Ulrich Bröcklings Buch Das unternehmerische Selbst (Suhrkamp 2007) angestoßen und Optimierung daraufhin vor allem als gesellschaftliches Anforderungsmuster vor dem Hintergrund einer Ökonomisierung des Sozialen beforscht. Jüngst erschienen zudem Analysen z. B. von Uwe Vormbusch zum Selftracking als neuester Ausprägung einer technisch induzierten Form der Selbstoptimierung.

In Übereinstimmung mit aktuellen gesellschaftstheoretischen Analysen, wie z. B. von Andreas Reckwitz, geht die Autorin davon aus, dass die Ausweitung und Normalisierung von Selbstverbesserungsidealen Ausdruck eines spätmodernen Wertekanons westlicher Gesellschaften ist, der auf dem Streben nach Selbstverwirklichung, Leistung und Erfolg fußt, welches wiederum durch die Intensivierung von Mobilität und Konkurrenz dynamisiert wird. Zudem betrachtet sie Selbstoptimierung nicht als anthropologische Konstante, sondern als Ausdruck und Ergebnis einer bestimmten Gesellschaftsformation.

In der Absicht, kulturkritische Vereinseitigungen zu vermeiden, will sie einen analytischen Ansatz liefern, der es ermöglicht, Selbstoptimierungspraktiken in der Breite zu erfassen und dafür ein klares begriffliches Werkzeug für weitere theoretische, auch empirische, Untersuchungen bereitstellen. Zugleich erarbeitet sie einen genealogischen Zugriff auf Selbstoptimierung, um die semantischen Kraftfelder, aus denen die spätmoderne Form der Selbstoptimierung erwachsen sind, offenzulegen.

In einem durch Fragen angeleiteten und konzentrierten Schritt-für-Schritt-Verfahren und mit klarer Sprache erarbeitet sie eine Typologie selbstoptimierender Praktiken, stellt eine Ideengeschichte entlang der Begriffe Bildung, Fortschritt und Rationalisierung zusammen, arbeitet auf Basis kultursoziologischer Theorien den analytischen Kern von Selbstoptimierung und Selbstoptimierungspraktiken heraus und spitzt am Ende unter Zuhilfenahme bestehender gesellschaftstheoretischer Angebote den gesellschaftlichen Stellenwert der Selbstoptimierung zeitdiagnostisch zu.

Mit dem Ziel einer heuristischen Bestimmung von Selbstoptimierung unterscheidet sie in Kapitel III vier Typen: Befolgung spezifischer Handlungsanleitungen, Konsum spezifischer Stoffe, Beeinflussung der körperlichen Erscheinung sowie technisch basierte Formen der Vermessung. Zudem wird das Phänomen, wie schon die Selbstverwirklichungspraktiken, im Kontext der Individualisierungsdebatte und in Einklang mit aktuellen Arbeiten zur investigativen Statusarbeit, vorrangig als Mittelschichtspraxis gefasst.

Bevor sie sich diesen Praktiken näher widmet, erarbeitet sie die Grundlagen der spätmodernen Formen der Selbstoptimierung entlang einer genealogischen Spurensuche. Hier finden sich einige spannende Aspekte, die Impulse für weitere Forschung liefern. So beginnt die historische Herleitung z. B. mit der Autosuggestion, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigentlich einen präventiven und kurativen Gedanken verfolgte und keine Selbstoptimierung als Überschreitung des Normalen darstellt. Doch heute wird der Ansatz als Methode zur Selbstoptimierung angepriesen. Zudem zeigt sie erste moderne Menschenprogrammideen im Rahmen sozialistischer Konzepte zur eugenischen Züchtigung auf. Diese werden auf antike Konzeptionen zur Reproduktion des idealen Staates zurückgeführt. Auch bei der Selbstoptimierung finden sich antike Vorbilder, etwa bei den olympischen Spielen oder im Bereich des Anti-Aging. Entscheidend für die Moderne ist jedoch die Ausweitung von Optimierungsvorstellungen, die erst mit der Konzeption von Fortschritt möglich werden. Dies wird zusammen mit klassischen Bildungs- und Rationalisierungskonzeptionen in Kapitel IV straff, zielführend und mit klaren Abgrenzungen zum heutigen Verständnis von Selbstoptimierung sehr nachvollziehbar dargelegt.

Mit dem Ziel, die individuellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen der Selbstoptimierung in der Spätmoderne zu erarbeiten, bedient sie sich in Kapitel V vor allem kultursoziologischer Ansätze mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Mit Michael Makropoulos wird etwa auf der individuellen Ebene eine Verschiebung der Selbstverwirklichung zur Selbstentfaltung sowie zu einer antizipatorischen Sozialisation diagnostiziert, die auf den Überlegungen von David Riesman zum außengeleiteten Charakter basieren. Diese Außenleitung wird mit dem Ansatz der polyvalenten Anschlussfähigkeit von Hannelore Bublitz auf Dynamiken der Selbstoptimierungen im Kontext der medialen Selbstdarstellung übertragen.

Die zuvor herausgearbeiteten Aspekte werden zum Zwecke einer sozialtheoretischen Bestimmung von Selbstoptimierung in Kapitel VI in abstrakterer Form wieder aufgegriffen. Zum Kern der Selbstoptimierung gehört dementsprechend ein instrumenteller, d. h. rational kalkulatorischer Zugriff auf das Selbst und die Orientierung an stetiger Verbesserung. Hiermit wird Selbstoptimierung vor allem gegen Praktiken der Selbstsorge abgegrenzt. Sie hat zudem Verbesserbarkeit oder Mängelbeseitigung zum Ziel und basiert auf der Logik der permanenten Überbietung. Darüber hinaus ist sie auf die Generierung eines Mehrwerts bezogen und hat keine moralisch-sittliche Vervollkommnung zum Ziel. Konkretisiert werden diese Aspekte durch die sozialtheoretische Bestimmung der Struktur von Selbstoptimierungspraktiken. Dabei werden Zielkonflikte, eine offene Prozesslogik und die Spannung zwischen Autonomie und Heteronomie als weitere Kennzeichen bestimmt.

Die Kernaufgabe ist, hier einen Analysezugang zu finden, um der vereinseitigten kulturkritischen Bezugnahme auf Selbstoptimierung zu entgehen. So plädiert sie in Abgrenzung zu Selbstverdinglichungsansätzen etwa bei Hartmut Rosa mit Michael Makropoulus dafür, den rational kalkulierenden Zugriff auf das Selbst zunächst als eine Form der Versachlichung zu verstehen. Zugleich will sie die emotionale Involviertheit und die Selbstwirksamkeitserfahrungen der Subjekte berücksichtigt wissen. Verdinglichungen entlang der kapitalistischen Prinzipien des Warencharakters und der Profitmaximierung würden damit eher einen Extremfall der Selbstoptimierung darstellen. Um bestimmen zu können, ob Selbstoptimierung tatsächlich eine autonome Praxis ist, geht Röcke jedoch davon aus, dass zwischen selbstgewollter Selbstoptimierung und Kontextzwang eindeutig unterschieden werden kann. Hier stellt sich die Frage, ob die Autorin nicht den zuvor gewählten subjektivierungstheoretischen Grundlegungen zum Selbst (S. 180) widerspricht.

Auch zeigt sich, dass zur Unterscheidung von Selbstbestimmung und Fremdzwang kontextspezifische Zusatzannahmen zu den jeweils aktuellen Entfaltungswegen von Optimierungsdruck nötig sind, wie es z. B. im Rahmen der Arbeiten zum Aktivierungsregime gemacht wird. Damit verbunden ist auch die Frage nach der empirischen Überprüfbarkeit von verdinglichter Selbstoptimierungspraxis. Hier erstaunt ein wenig, dass Röcke die empirische Forschung in dem Bereich nicht berücksichtigt. Um die Vorteile des eigenen analytischen Zugriffs zu demonstrieren, wäre eine zumindest beispielhafte Bezugnahme wünschenswert gewesen.

Resümierend stellt die Autorin fest, dass Selbstoptimierung weder auf der Ebene der Lebensführung noch in der Gesellschaft eine zentrale Praxis darstellt. In der Absicht, eine zeitdiagnostische Zuspitzung zur Gestalt der Selbstoptimierung zu liefern, argumentiert sie mit Bezugnahme auf unterschiedliche gesellschaftstheoretische Konzeptionen (etwa von Denis Hänzi oder Cornelia Koppetsch), dass die Selbstoptimierung momentan eher in Richtung einer Heteronomie tendiert und sich vor allem unter den Bedingungen der Coronapandemie in einer Begrenzung des Aufwands als in der Logik der Steigerung zeigt.

Röcke leistet insgesamt mit ihrem Buch einen vor allem sozialtheoretisch interessanten Beitrag zur analytischen Bestimmung von Selbstoptimierungspraktiken. Sie präpariert ganz im Sinne einer „Soziologie der Selbstoptimierung“ in einem multidimensionalen Zugriff Voraussetzungen und Folgen aus bestehenden Theorien sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene heraus und liefert eine Heuristik, die für jede weitere Forschung in diesem Feld eine gute Orientierungshilfe bietet.