FormalPara Stefan Krankenhagen:

All these things. Eine andere Geschichte der Popkultur. Stuttgart: J.B. Metzler 2021. 381 Seiten. ISBN: 978-3-476-05829‑4. Preis: € 19,99.

“Fancy white gloves wears old MacHeath, dear, so there’s never a trace of red” (Sinatra/Brecht).

Obwohl es häufig heißt, die Soziologie könne sich mit allem Möglichen beschäftigen, ist ihr im Laufe ihrer Geschichte der Sinn für die Dinge etwas abhandengekommen. Insofern lohnt es, sich neueren kulturwissenschaftlichen Publikationen zuzuwenden, um zu sehen, wie es dort um die Analyse der Dinge bestellt ist. Aktuell bietet sich dazu die neueste Publikation von Stefan Krankenhagen an, der anhand der Untersuchung von „all diesen Dingen“ eine „andere Geschichte der Popkultur“ zu erzählen beansprucht. Doch, was und vor allem, wie erzählt er und was ist die Moral seiner Geschichten?

Er beschreibt etwa 150 Jahre Popkulturgeschichte und lässt sie 1876 mit „einem Skalp“ beginnen. Das Buch besteht aus einer theoretischen Einleitung und 14 weiteren Kapiteln, die je ein konkretes Ding behandeln, das zeitlich präzise mit einer Jahreszahl versehen in den Lauf der chronologischen Zeit eingeordnet wird; jedes Jahrzehnt ab 1870 ist repräsentiert und es endet 2016 mit Pokémon GO.

Dennoch darf man das Buch nicht als historische Entwicklungsgeschichte missverstehen, so, als verkörperten die Dinge jedes Jahrzehnts „Meilensteine“ des Pops. Dazu wirken die Dinge für die heutigen Leserinnen und Leser auch zu abseitig. Wer versteht auf Anhieb (seines popkulturellen Gedächtnisses), weshalb „Skalps“, „Gewehre“, „Scrapbooks“, „Bananen“, „Suppendosen“, „Brillen“ oder „ein Handschuh“ prägnante Beispiele für populäre Dinge der letzten 150 Jahre sein sollen? Denn einige davon gibt es schon viel länger. Die Auswahl der 14 Dinge ist wohl dem Blick des Autors geschuldet.

Die Kapitelüberschriften offenbaren ein theoretisches Kompositionsprinzip, das Krankenhagen konsequent durchhält: Titel, Untertitel und Bilder stehen jedem Kapitel voran. Das ist nicht nur Spielerei, sondern soll das Entscheidende vorwegnehmen: Der Titel gibt dem Ding einen Namen, die Zahl ein Geburtsjahr, der Untertitel verheißt eine theoretische Einsicht, die durch das Ding zur Logik der Popkultur erschlossen wird; und an den ersten Bildern lässt sich schon etwas Konkretes über das Ding erahnen. Insofern hat das Buch etwas von der Anordnung einer Ausstellung. So ist es der „Skalp“ des Cheyenne-Kriegers Yellow Hair im Besitz von „Buffalo Bill“, an dem Krankenhagen eine erste Relation der Popkultur erklärt: den „Doppelkörper des Stars“, in dem die reale Person William Cody und der Artist „Buffalo Bill“ eins werden. Anhand der „Kaugummis“ von 1887 lernen wir, dass der „Pop“ mit der Erwartung einhergehe „Etwas Großes wird geschehen“; Winnetous „Silberbüchse“ (1896) weist darauf hin, dass in der Popkultur „Spiele gespielt“ werden. Und so weiter.

Das vom Autor gewählte Kompositionsprinzip deutet auf theoretische Synthesen, die Analysen der Dinge leisten, wie etwa das Kapitel über „Bananen“. Seite 135 des Buches verknüpft die Jahreszahl „1923“ mit dem Titel „Bananen“ und dem Untertitel „Moderner Konsum“; darunter steht das Stockfoto „Businessmen slip banana“ von Valeriy Kachaev. Im Kapitel erfahren wir nun, dass Bananen zu Südfrüchten gehören und dass der Konsum von Südfrüchten als Luxusprodukte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nach Europa kam. Moderner (und zugleich populärer) Konsum ist also Luxuskonsum für alle. Hier darf auch gleich der Soziologe Gerhard Schulze als Zeuge auftreten: „Erst im Kontrast zur Armutsgesellschaft wird deutlich, was es heißt, in der Wohlstandsgesellschaft zu leben“ (S. 143; Schulze, 1992, Die Erlebnisgesellschaft. S. 55). Südfrüchte, Bananen oder Apfelsinen, sind populärer Ausdruck unser aller Wohlstand.

Aber warum „1923“ und „ausgerechnet Bananen“? Gab es über die 1920er-Jahre, immerhin als „Golden Twenties“ auch bekannt, nichts anderes zu erzählen als über den Schlager „Yes, we don’t have bananas“ aus eben diesem Jahr? Hätte Krankenhagen nicht einfacher sagen können: Über Schellack-Platten, Rundfunk, Film und Revuetheater etabliert sich in den Zwanzigern Populäre Kultur – die Vergnügungskultur der Massen? Freilich, das wäre nicht sehr originell und durchaus seit Längerem bekannt. Was fügen Krankenhagens Bananen dem also hinzu? Es sind drei Eigenschaften, die er anhand der Geschichten vom Bananenkonsum, Josefine Bakers Bananenrock und dem Ausrutschen auf den Bananen in Slapstick-Comedys veranschaulicht: Moderner Konsum ist populär, weil die Dinge unnütz, komisch und sexy sind. Und das verkörpert die Banane: Sie ist unnütz, weil sie nicht gegessen werden muss, sie ist komisch, weil im Slapstick meist Wichtigtuer (siehe Stockfoto „Businessmen …“) auf ihr ausrutschen und sexy, weil „die Banane geeignet [ist], um das Hinterteil eines Menschen gleichzeitig zu verbergen und zu betonen“ (S. 153). Musik wird dann populär, wenn sie zu Tänzen animiert, die „von der Körpermitte ausgeh[en]“ (S. 155) und ein „völlig neues Körpergefühl“ vermitteln.

Das „Undercover“-Theorieprogramm von Krankenhagen zur Analyse Populärer Kultur lautet demnach so: Dinge sind dann populär, wenn sie synthetisierend wirken, wie die Banane. Sie symbolisieren (gr. symbolein = verbinden) mehreres miteinander zugleich. Wenn der Autor also theoretische Aussagen anhand der Kompositionsform seiner Beschreibungen einschmuggelt, dann tut er dies auch, um „den spielerischen Charakter der Popkultur nicht aufzugeben und die Freiräume zur Reflexion, die sich noch in den banalsten Dingen bieten, … zu nutzen“ (S. 358). So gesehen ist der chronologische Aufbau des Buches eigentlich irreführend, weil jedes in ihm beschriebene Ding auf den Anfang (das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts) zurück und auf das vorläufige Ende (2020) bezogen werden könnte – so etwa bei der Banane (als Sinnbild modernen Konsums), dem Doppelkörper der Starfigur, den Scrapbooks der Fans (warum nicht „Poster“ oder „Starschnitte“) oder dem zum Höchstpreis versteigerten Handschuh von Michael Jackson.

Es ist sofort einleuchtend, dass bei einer solchen Vorgehensweise einiges verlorengehen muss, und darauf weist der Autor auch hin. Für ihn ist dies jedoch genauso unausweichlich wie es „müßig“ sei, „zu kritisieren, dass die Populäre Kultur die historischen Begebenheiten und ihre Akteure nicht adäquat wiedergebe“ (S. 47).

Was heißt dies aber für Pophistorikerinnen und Pophistoriker? Wie adäquat müssen sie Geschichten, etwa vom „Black and White“ beim Tragen weißer Handschuhe durch einen schwarzen Popmusiker, wiedergeben? Dürfen sie das vormalige Tragen weißer Handschuhe durch schwarze Popmusikerinnen im Blues, im Jazz, im Soul verschweigen? Auch wenn sie schon viel früher als „Empress of Blues“ (Bessie Smith) galten? Oder: Was wenn „King“ Michael Jackson weiße Handschuhe als Reminiszenz an „Lady“ Diana Ross trüge?

Der 2009 versteigerte und am 25.03.1983 von Michael Jackson erstmals getragene Handschuh versinnbildliche die Einsicht (die Jacksons Publikum „1982 bereits klargeworden“ sei), „dass ‚im Mainstream-Pop die Grenzen zwischen schwarz und weiß fallen‘“ (S. 270/71). Dieses Bild vom Crossover, das eigentlich nicht neu ist, würde von Michael Jackson „auf der Körperebene des Tanzes vorgeführt“, womit er ebenfalls nicht der Erste war. Dennoch vergrößere der „weiße Handschuh“ die „Sichtbarkeit dieses neuen Körpers in Black and White“ (S. 270/71). Nur: Wenn schwarz und weiß in diesem (vermeintlich) neuen Körper enger zusammenrücken, vergrößert dies nicht auch die Sichtbarkeit der Differenz und der Grenze, die doch bereits im Mainstream-Pop gefallen sein soll? Doch dieses „Un/Doing Differences“ (Hirschauer) lasse sich „nicht überwinden und nicht beenden“, sondern allenfalls „klug oder weniger klug weiterspielen“ (S. 285). Es ist wohl müßig, einen solchen Kulturkonstruktivismus danach zu fragen, woran sich erkennen lässt, ob oder wann etwas mehr oder weniger klug ist.

Krankenhagen schließt die Story von Michael Jackson mit dem Verkaufserlös dieses einen Handschuhs ab. Damit bleibt er auf der Ebene der Dinge, wenn es um Jacksons Ende geht. Aber ließe sich über seine Geschichte, über seine Versuche der kosmetisch-chirurgischen Annäherungen an ein „weißer“ Schwarz-Sein, über das „geschlagene Kind“, das einige stets in seinem Sound hören, und über sein unrühmliches Ende (das anderen Kings and Queens of Pop so gleicht) nicht einiges mehr über Popkultur und das Leiden im zwiespältigen Doppelkörper des Stars entdecken? Auch deshalb, weil sich zu untersuchen lohnt, dass und wie „weniger klug“ weitergespielt wurde – wann und wie man (nicht) abtreten sollte.