FormalPara Cabanas, Edgar, und Eva Illouz:

Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht. Berlin: Suhrkamp 2019. ISBN: 978-3-518-46998‑9. 243 Seiten. Preis: € 15,–.

Der Psychologe Edgar Cabanas und die Soziologin Eva Illouz präsentieren in ihrem Buch eine umfassende Kritik an der von positiven Psychologen und Ökonomen dominierten Glücksforschung. Die Autoren kritisieren, dass die Glücksforschung Menschen zu gehorsamen „Psychobürgern“ (S. 136) formt, indem sie das, was der Neoliberalismus als wünschenswert erachtet, als gültige Tatsachen behandelt. Zugleich ermögliche sie einer zunehmend technokratischen Politik, moralische und ideologische Problematiken „objektiv“ anhand ihres Nutzens für das Glück zu beurteilen. Die Glücksforschung wird von den Autoren als ideologisch, ethnozentrisch und paternalistisch kritisiert. Sie ignoriere die historischen, sozialen und kulturellen Umstände, die Verteilung von Glück in der Gesellschaft und die Machtgefüge, in die es eingebettet ist. Große Teile der Glücksforschung werden von den Autoren als banal oder „gesunder Menschenverstand in psychologischem Jargon“ (S. 206) zusammengefasst. Sie beruhten auf Vereinfachung, teils tautologischen, teils widersprüchlichen Grundannahmen und zeigten methodologische Schwächen. Die enge Verbindung von Glücksforschung und nicht wissenschaftlichen Akteuren trage zu einer Ausbreitung der Anforderungen und Konsequenzen des modernen individualistischen Glücksverständnisses in allen Lebensbereichen bei. Der so vermittelte Zwang zur permanenten Selbstoptimierung produziere eine eigene Form des Leids.

Zu Beginn des Buches wird der Wandel des Glücksbegriffs vom zufälligen Schicksal zum anstrebenswerten Merkmal des neoliberalen Individuums beschrieben und das Glück als wissenschaftliche Kategorie generell infrage gestellt. Im ersten Kapitel beschreiben die Autoren, wie die Etablierung des objektiven Glücks als Fortschrittsmaß die Verhandlung moralischer Themen verunmöglicht. Die Entdeckung des gesunden Menschen durch die positive Psychologie trage maßgeblich dazu bei, dass sich ihre Begriffe und Ideen nicht nur in anderen Wissenschaftsdisziplinen, sondern auch in der Öffentlichkeit verbreiten, wodurch Nichtexperten eine wissenschaftliche Legitimation erhalten und die Grenzen zur Populärwissenschaft verwischen. Da die Menschen laut der Glücksforschung unfähig seien, ihr Glück selbst zu beurteilen, entwickeln positive Psychologen und Glücksökonomen Instrumente zur Quantifizierung des „objektiven Glücks“, welches dann vorhandene Fortschrittsmaße ersetzt und Massenkonsum als Ausdruck des guten Lebens legitimiert. Probleme wie Korruption, Diskriminierung und soziale Ungleichheit sind demnach nur insoweit relevant, wie sich ihr Schaden in „Glückseinheiten“ messen lässt.

Die Autoren führen aus, dass die enge Verbindung von Glück und Individualismus nicht nur dem Einzelnen die Verantwortung für sein Glück anlastet, sondern ihn zugleich von der Verbesserung seiner sozialen Umstände abhält (Kapitel 2). Die scheinbare Objektivität des Glücks unterstütze die neoliberale Tendenz, strukturelle Probleme in psychologische Problemlagen zu übersetzen und die Verantwortung somit auf das Individuum abzuschieben. Die Gleichsetzung von Glück und Individualismus zieht schwerwiegende psychologische Folgen für den Einzelnen nach sich, der sich neben Sinnverlust und Einsamkeit mit dem Selbstvorwurf konfrontiert sieht, nie glücklich genug zu sein. Zugleich wird das Glück vom Sozialen getrennt: Nicht nur halte die narzisstische Selbstbeschäftigung den Einzelnen davon ab, sich für politischen und sozialen Wandel einzusetzen; eine Verbesserung der Lebensumstände könne laut der Glücksforschung auch keinen nennenswerten Beitrag zur Glückssteigerung leisten.

Daran anschließend wird die Legitimation des modernen Arbeitskraftunternehmers durch die Umkehr der Maslow’schen Bedürfnispyramide dargelegt (Kapitel 3). Wo zuvor Arbeitsplatzsicherheit als Voraussetzung für Selbstverwirklichung im Beruf galt, wird im Neoliberalismus die Unsicherheit des Marktes auf das Individuum abgewälzt und die Selbstverwirklichung als notwendige Bedingung der (vermeintlichen) Sicherheit vorgelagert. Der Glücksforschung zufolge ergibt diese Verkehrung der Bedürfnispyramide Sinn, da glückliche Menschen Eigenschaften wie Autonomie, Optimismus und Resilienz besitzen, um die stetig steigenden wirtschaftlichen Anforderungen zu erfüllen. Als Unternehmer ihrer selbst identifizieren sich glückliche Arbeitnehmer so sehr mit ihrem Beruf, dass die Interessen des Unternehmens ihre eigenen werden, sie sich selbst kontrollieren, optimieren, vermarkten und ausbeuten und sogar die Verantwortung für (negative) Outcomes übernehmen – inklusive der schädlichen psychologischen Folgen.

Im Folgenden beschreiben die Autoren, wie die Kommodifizierung des Glücks als Teil eines auf Glücksstreben orientierten Lebensstils den neoliberalen Psychobürger hervorbringt (Kapitel 4). Glück als Maß eines gelungenen Lebens wird laut der Glücksforschung erreicht, wenn Menschen aufblühen, d. h. wenn die Kontrolle über ihre Emotionen und das Verfolgen ihrer authentischen Fähigkeiten mit persönlichem Wachstum einhergeht. Glückswaren und -dienstleistungen unterstützen die Menschen beim Training ihres Selbststeuerungsmuskels und Entdecken ihrer authentischen Persönlichkeit. Sie machen das Individuum zum Selbsttherapeuten, der vollen Zugriff auf seine quantifizierbare und transparente Psyche hat, und produzieren so die objektiv messbare und allein auf Positives ausgerichtete Authentizität des Psychobürgers, der seinen Wert von seiner Funktionalitätsoptimierung abhängig macht. Wer nicht alle Lebensbereiche permanent kontrolliert, überwacht und optimiert, gerät in Verdacht, psychisch defekt zu sein.

Abschließend beschreiben die Autoren, wie die Normierung des Glücks zu Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Missständen und zu Gleichgültigkeit gegenüber individuellem Leid führt (Kapitel 5). Indem Glück zur Norm erklärt wird, verschiebt sich der Anspruch an ein funktionales und gesundes Leben von der Abwesenheit negativer Zustände zum aktiv-positiven Pol, wodurch Inaktivität und negative Emotionen pathologisiert werden. Die Glücksforschung deutet so Unglück und Trauma zu Herausforderungen um, an deren Bewältigung resiliente Menschen wachsen. Dieses Denken führt zu Konformität und Akzeptanz des Status quo, es verunmöglicht Gesellschaftskritik und legitimiert Repression. Für den Einzelnen wird Unglück und Leid zu etwas Selbstgewähltem und Beschämendem.

Die Autoren schließen ihr Werk mit der Forderung nach einem kritischen Glücksbegriff, der Leid und negative Emotionen beinhaltet, da diese Grundlage für utopisches und gesellschaftskritisches Denken, sozialen Zusammenhalt und kollektives Handeln sind, welche sozialen Wandel erst ermöglichen.

Das Buch stellt ein Gegengewicht zur von den Autoren kritisierten populärwissenschaftlichen Selbstoptimierungsliteratur dar, das es vermag, die Kritik an einem Wissenschaftsfeld anhand von Alltagsbeispielen für eine breite interessierte Öffentlichkeit anschaulich zu machen. Der Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Debatte bleibt hingegen marginal – nicht zuletzt, da die Autoren kaum über die Argumentation aus Cabanas’ Aufsatz „Psychobürger“ (in Illouz „Wa(h)re Gefühle“, ebenfalls Suhrkamp) hinausgehen. Auch dort wird bereits eine Monokausalität von Glücksforschung zu neoliberaler Ausbeutung und staatlicher Vernachlässigung konstatiert, welcher der Glücksforschung eine fragwürdige Allmacht zuschreibt. Diese Verkürzung entzieht der notwendigen Debatte um die unstrittig problematische ökonomische Anschlussfähigkeit und Verwertbarkeit der Glücksforschung die sachliche Grundlage. Dass sich das Buch in Teilen wie eine persönliche Abrechnung mit dem Gründer der positiven Psychologie, Martin Seligman, liest, eine generelle Ablehnung quantitativer Sozialforschung mitschwingt und bis zuletzt unklar – und damit beliebig – bleibt, was genau die Autoren zur Glückforschung zählen (und was nicht), lässt selbst berechtigte Kritik in einem tendenziösen Licht erscheinen. Konkrete Ideen und Vorschläge an die Sozialwissenschaften, wie z. B. die Fundierung der Indikatoren durch qualitative Forschung und theoretische Rückbindung, bleiben abgesehen von der pauschalen Forderung nach einem „kritischen Glücksbegriff“ aus. Dass die Autoren schließlich die zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse – insbesondere auch aus ihren eigenen Disziplinen – ausblenden, die sich dem Glück durchaus aus einer Ungleichheitsperspektive nähern und den Blick explizit auf gesellschaftliche Verhältnisse und individuelle Lebensbedingungen legen, ist eine vertane Chance.