FormalPara Thieme, Frank:

Sterben und Tod in Deutschland. Eine Einführung in die Thanatosoziologie. Wiesbaden: Springer VS 2019. 223 Seiten. ISBN: 978-3-531-18873‑7. Preis: € 27,99.

Diskurse um den Tod und das Lebensende sind in der deutschen Soziologie keine Marginalie mehr. Dies stellen die zahlreichen, thematisch breit gefächerten Publikationen unter Beweis, die in den letzten Jahren dazu erschienen sind. Die Bandbreite reicht von theoretischen Abhandlungen bis zu aktuellen Studien über Sterben, Tod und Trauer.

Dagegen sind Einführungen zur Thanatosoziologie, welche sich auch für Lehrveranstaltungen eignen, rar. Zu nennen ist hier die Publikation von Klaus Feldmann „Tod und Gesellschaft“, in erster Auflage im Jahr 2005 und in zweiter Auflage 2010 erschienen. Frank Thieme hat nun unter Mitarbeit von Julia Jäger im Jahr 2018 ein weiteres Einführungswerk zur Thanatosoziologie mit dem Titel „Sterben und Tod in Deutschland“ publiziert. Er beabsichtigt, mit seinem Werk eine Lücke in der Einführungsliteratur zur Thanatosoziologie zu schließen.

Das Werk von Frank Thieme ist in sechs Kapitel unterteilt. Kapitel 1 leitet in die Thematik ein, indem es den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod und gängige Todesdeutungen vorstellt. Sterben und Tod hinsichtlich der Sterblichkeitsverhältnisse, der Todesarten, der Feststellung des Tods und Grenzfälle, Todesursachen, Sterbeorte, die Wahrnehmung von Sterben und Tod sowie grundsätzlichen Überlegungen zum Sterben und die Diskurse über Sterbehilfe sind die Themen des zweiten Kapitels. Angereichert wird die Darstellung dieser Themen mithilfe von Statistiken und zahlreichen Begriffserläuterungen. Dieses Kapitel nimmt auch den größten Umfang des Einführungswerks ein. In Kapitel 3 wendet sich Thieme der Geschichte von Sterben und Tod zu. „Der lange Weg zum langen Leben“ wird unter dem Fokus des „epidemiologischen Übergangs“, das heißt unter dem Wandel der Todesursachen und ihrem Einfluss auf die Verlängerung der Lebenszeit, betrachtet. Der Zusammenhang von „Trauer und Gedenken“ bildet das Thema des vierten Kapitels, wobei neben der Normierung von Trauer auch die Individualisierung von Trauer mit dem Phänomen der öffentlichen Trauer kontrastiert wird. In Kapitel 5 ist das Thema die Bestattungs- und Friedhofskultur. Es beinhaltet die aktuellen Formen der Bestattung, die rechtlichen Regelungen sowie die Geschichte der Bestattungskultur. Ein Fazit und Ausblick in Kapitel 6 fasst den Status quo zusammen und nimmt die künftige gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit Sterben und Tod in den Blick. Zu jedem Kapitel ist ein ausführlicher Anhang mit Literatur- und Internetverweisen angefügt. Seine Datenbasis schränkt Thieme auf Deutschland ein, da diese Daten seiner Ansicht nach in demografischer Hinsicht typisch für die westliche Zivilisation sind.

Jedes Kapitel beginnt mit einer Erläuterung der Fachbegriffe, welche dann zu aktuellen Trends in Beziehung gesetzt und durch empirische Daten belegt werden. Es folgen ein historischer Rückblick auf die genannte Problematik und anschließend die Interpretation der Daten auf der Basis soziologischer Theorien. Thieme setzt auch eigenes Datenmaterial ein, welches er in einer empirischen Studie zum Wandel der Bestattungskultur 2012/13 erhoben hat. Die Studie ist 2016 unter dem Titel „Bestattung zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ im Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes erschienen. Diese Forschungsergebnisse finden vor allem im Kapitel 5, das sich mit dem Bestattungswesen und der Friedhofskultur beschäftigt, ihre Verwendung. Vor allem das Thema von Unterkapitel 5.5 „Bestattung heute“ wird mit Datenmaterial aus dieser Studie veranschaulicht. Zum Beispiel werden die Pluralisierung und die soziostrukturellen Aspekte der Bestattungsformen dargelegt.

Da sich das Einführungswerk von Thieme ausdrücklich an Dozenten und Studierende richtet, sei ein hochschuldidaktischer Blick auf das Werk erlaubt. Ich selbst habe turnusgemäß in den Wintersemestern von 2013 bis 2018 Thanatosoziologie an der Universität Koblenz-Landau für Bachelorstudierende gelehrt und werde die Thematik zum Wintersemester 2019 an der Universität Bonn weiterführen. Die Thanatosoziologie gehört im Lehrbetrieb zu den materialen oder speziellen Soziologien. Es hängt jedoch vom Interesse des einzelnen Dozierenden ab, ob diese Disziplin überhaupt gelehrt wird. Der Zuspruch von Studierenden ist nach meiner Erfahrung groß. Die Beweggründe, sich auf die Thanatosoziologie einzulassen, sind persönliche Erfahrungen mit dem Tod von Angehörigen oder Freunden, aber auch pädagogische oder kultursoziologische Interessen.

Was erwarten Dozenten und Studierende von einem Lehrbuch der Thanatosoziologie? Zunächst natürlich eine komprimierte Darstellung der Themenfelder und Diskurse des komplexen Themenfelds Thanatosoziologie sowie die Nachvollziehbarkeit der dargestellten Problematik. Da die Thanatosoziologie Teil des großen Felds der Thanatologie ist, sollten auch interdisziplinäre Bezugnahmen nicht fehlen. Außerdem sollte ein Lehrbuch zu dieser Thematik neugierig machen auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Dimensionen von Sterben, Tod und Trauer.

Frank Thieme hat sein Lehrbuch als eine Art Kompendium gestaltet, in dem Themen- und Problemfelder, aber auch Fachbegriffe komprimiert erläutert werden. Die kategoriale Aufgliederung in Kapitel 2 erleichtert die Vorbereitung und den Einstieg in das komplexe Feld von Sterben und Tod. Dies gilt auch für Kapitel 3, welches die Geschichte von Sterben und Tod thematisiert. Deutlich werden in diesem Kapitel die Paradoxien der modernen Gesellschaft im Umgang mit dem Tod. So hat die Verlängerung der Lebenszeit und in Folge die Verschiebung des Todeszeitpunkts ins hohe Alter durch Fortschritte in der Medizin nicht verhindert, dass der gewaltsame Tod in Kriegen oder durch strafrechtliche Sanktionen politisch legitimiert ist und der Tod in gewagten Abenteuern und in Extremsportarten in Kauf genommen wird. Das Kapitel 4 „Trauer und Gedenken“ fällt dagegen vergleichsweise dünn und unsystematisch aus. So werden aktuelle Diskurse und Theorien der Trauerforschung vermisst. Es fehlt zum Beispiel eine kritische Auseinandersetzung mit den Trauerphasenmodellen, die inzwischen durch das sogenannte duale Prozessmodell der Trauer des Forscherteams Margret S. Stroebe und Henk Shut abgelöst wurden. Des Weiteren wäre auch das Konzept der Continuing Bonds erwähnenswert, welches die Soziologen Dennis Klass, Phyllis Silverman und Stefen Nickman den Loslösungsforderungen der psychoanalytischen Tradition entgegenhalten. Normierungsprozesse des Trauerns finden zwar Beachtung, jedoch werden Konzepte wie das Gefühlmanagement der Soziologin Arlie Hochschild oder das Konzept der Disenfranchiesed Grief von Kenneth Doka nicht diskutiert. Auch die aktuellen Auseinandersetzungen hinsichtlich der Aufnahmen von Trauer in den DSM 5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) oder in den ICD 11 (International Classification of Diseases) sollten gerade auch unter dem Fokus der Stigmatisierung Betroffener Beachtung finden. Gut geraten ist dagegen Kapitel 5 über die Bestattungs- und Friedhofskultur. Studierende erhalten hier einen guten Einblick in die Thematik. Hervorzuheben ist besonders der Abschnitt 5.5, der interessantes Datenmaterial zu aktuellen Trends in der Bestattung liefert. Da Einführungsliteratur allerdings auch Vorbildcharakter für wissenschaftliches Arbeiten hat, wäre es für die Zielgruppe der Studierenden angemessen, aus der Primärliteratur zu zitieren, so sollten Berger und Luckmann oder Heidegger nicht über Sekundärliteratur zitiert werden.

Für den Einsatz in der Lehre ist meine Empfehlung, das Einführungswerk von Feldmann aufgrund seiner Ausführlichkeit und Systematik als Grundlage für die Vorbereitung von Seminaren weiter zu verwenden und Thiemes Einführungswerk vor allem als Kompendium ergänzend hinzuzunehmen.