1 Hintergrund

Angesichts der sozialen und politischen Polarisierung in Deutschland rücken Ängste, Sorgen und Deprivationsgefühle verstärkt in den Mittelpunkt soziologischer Gegenwartsdeutungen (z. B. Rippl und Baier 2005; Decker et al. 2016; Decker und Brähler 2018; Lengfeld 2017). So werden soziale Konflikte sowie rechtspopulistische und demokratieskeptische Einstellungen häufig durch die Erfahrung mangelnder Anerkennung und sozialer Abwertung erklärt, insbesondere mit Blick auf Ostdeutschland (exemplarisch Pollack 1997; Reiser et al. 2018). Auch für die migrantische Bevölkerung wird von Anerkennungsdefiziten und alltäglichen Abwertungserfahrungen ausgegangen (Foroutan und Kubiak 2018). Schließlich zeichnen diverse Gegenwartsdiagnosen ein Bild der deutschen Gesellschaft, in dem speziell die unteren Schichten, aber durchaus auch Teile der Mittelschicht, vermehrt von Statussorgen geplagt werden und unter sozialer Geringschätzung leiden (Neckel 2008; Bude 2014). Die „Krise der Anerkennung“ (Reckwitz 2018, S. 432 f.) gilt als fundamentales Problem unserer Zeit.

Der Fokus bisheriger Analysen liegt auf eher theoretischen Arbeiten und empirisch vor allem auf kollektiven Defiziterfahrungen, etwa erlebter Benachteiligung (SVR-Integrationsbarometer 2018a), negativer Stereotypisierung (Kaase 1995; Kleinert und Krüger 2000) oder kollektiver Abwertung (Foroutan et al. 2019), die zu individuellen Geringschätzungsgefühlen führen können, aber keinesfalls müssen. Dagegen wissen wir soziologisch überraschend wenig darüber, inwieweit sich die Menschen auf persönlicher Ebene im alltäglichen Gesellschaftsbetrieb geringschätzt fühlen (siehe aber die Arbeiten von Delhey et al. 2017; Delhey und Steckermeier 2019). Über soziale Wertschätzung – die positive Seite des gegenseitigen Taxierens und Bewertens – liegen unseres Wissens keine bevölkerungsrepräsentativen Erkenntnisse vor. Diese Forschungslücke ist umso erstaunlicher, geht die Soziologie doch axiomatisch davon aus, dass die Menschen nicht nur Geringschätzung vermeiden möchten, sondern explizit nach Wertschätzung streben (Veblen 1934).

Vor diesem Hintergrund verfolgt der vorliegende Beitrag drei Ziele:

  1. 1.

    die Häufigkeit individueller Erfahrungen der Wert- und Geringschätzung sowie ihrer begleitenden Umstände zu erkunden (Phänomenbeschreibung),

  2. 2.

    die soziale Verteilung dieser Erfahrungen zu analysieren (sozialstrukturelle Differenzierung) und

  3. 3.

    ihre Konsequenzen für Individuen und Gesellschaft auszuloten (Folgen).

Hierzu stellen wir erstmals Ergebnisse aus einem eigens erstellten Befragungsmodul des Innovationssamples des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-IS) von 2016 vor. Diese Umfragedaten sind in mehrerer Hinsicht besonders: Sie ermöglichen es, neben Geringschätzung auch Wertschätzung zu untersuchen, und liefern erstmalig Informationen über die Umstände dieser Erfahrungen, insbesondere über die sozialen Orte und wahrgenommenen Gründe. Darüber hinaus ermöglichen es die Daten, detailliert zu untersuchen, wie sich Wert- und Geringschätzung sozialstrukturell verteilen und wie sie sich auf das subjektive Wohlbefinden und die Demokratiezufriedenheit auswirken.

Motiviert durch aktuelle Debatten und Gesellschaftsdiagnosen klärt der Beitrag aus sozialstruktureller Perspektive die Bedeutung sozioökonomischer Faktoren (vertikale Schichtmerkmale) sowie soziokultureller Zugehörigkeiten (Ost-West sowie Migrationshintergrund). Hinsichtlich der Folgen interessiert uns maßgeblich, inwieweit bestehende Unterschiede zwischen sozialstrukturellen Gruppen in der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben und dem politischen System in Deutschland durch unterschiedliche Wert- und Geringschätzungsbilanzen erklärt werden können.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: In Abschnitt 2 widmen wir uns zunächst den Konzepten von Wert- und Geringschätzung und diskutieren Erwartungen über deren mögliche soziale Strukturierung und Konsequenzen. Abschnitt 3 beschreibt die Daten, Abschnitt 4 die empirischen Ergebnisse. Abschließend stellen wir im Fazit einige Überlegungen zum Verhältnis von individuellen und eher kollektiven, diskursiv-medialen Abwertungserfahrungen an, aus denen sich Anregungen für weitere Forschung ergeben (Abschnitt 5).

2 Wert- und Geringschätzung

2.1 Phänomenbeschreibung und sozialstrukturelle Differenzierung

2.1.1 Phänomenbeschreibung

Wert- und Geringschätzung durch andere gehören zu den zentralen Erfahrungen im menschlichen Leben. Sie bezeichnen positive oder negative Bewertungserfahrungen, die wir im Umgang mit den Mitmenschen zwangsläufig machen oder zu machen glauben. In einschlägigen soziologischen Wörterbüchern (exemplarisch Endruweit et al. 2014) finden sich gleichwohl keine Stichworteinträge zu diesem Begriffspaar. Soziologisch prominenter ist der Begriff der sozialen Anerkennung, der häufig synonym mit Wertschätzung verwendet wird. Auf der Ebene individueller Interaktionen wird damit die positive Bewertung einer Person oder deren Tuns durch die soziale Umwelt bezeichnet. Der Bezug auf die Person unterscheidet Anerkennung von Prestige, das sich auf Rollen, meist die berufliche, bezieht und gleichsam äußerlich bleibt. Dieses Verständnis von Anerkennung als individueller Wertschätzung liegt dem vorliegenden Beitrag zugrunde. Allerdings hat Anerkennung noch eine zweite, aus dem Kommunitarismus stammende Bedeutungsdimension, und zwar die der Zubilligung von Ansprüchen marginalisierter Kollektive durch die Mehrheitsgesellschaft oder den Staat (siehe grundlegend Honneth 1992; Taylor 2009). Diese Form gesellschaftlicher Anerkennung ist im öffentlichen Diskurs dominant, steht aber nicht im Fokus der vorliegenden Untersuchung. Als Kehrseite von Anerkennung findet man prominent das Konzept der Abwertung, dem eine ähnliche Uneindeutigkeit zu eigen ist: einerseits die individuelle Erfahrungen von Herabsetzung durch andere in konkreten Situationen (was wir als Geringschätzung bezeichnen), andererseits als Verweigerung von Ansprüchen marginalisierter Kollektive durch die Mehrheitsgesellschaft oder den Staat (was nicht unser Thema ist).

Im Folgenden untersuchen wir Wertschätzung als subjektiv positiv empfundene, Geringschätzung als negativ empfundene Statuserfahrung, die jeweils aus der alltäglichen Wechselwirkung mit anderen, beispielsweise über soziale Vergleiche oder in konkreten Interaktionssituationen, hervorgehen kann (Delhey und Steckermeier 2019, S. 108). Wertschätzung bezeichnet dabei die ganze Bandbreite individueller sozialer Anerkennung, von der kleinen Belobigung bis zur tiefen Ehrerbietung. Als eine davon getrennte Dimension bezeichnet Geringschätzung ein breites Spektrum individueller sozialer Abwertung, von der subtilen Nichtbeachtung bis zur offenen Herabwürdigung. Beide Dimensionen sind konzeptionell-analytisch zunächst zu unterscheiden, denn nicht geringgeschätzt zu werden bedeutet nicht automatisch, Wertschätzung zu erfahren und umgekehrt.

Eine weitere Klarstellung betrifft das Verhältnis von kollektiven und individuellen Erfahrungen. So ist es zwar prinzipiell möglich und auch wahrscheinlich, dass Aspekte der kollektiven Anerkennung und Abwertung die individuellen Wert- und Geringschätzungsgefühle beeinflussen. Nichtsdestoweniger können positive und negative Erfahrungen auch ohne Bezug auf Gruppenzugehörigkeiten entstehen. Indem der vorliegende Beitrag die individuellen Erfahrungen in den Mittelpunkt stellt, gelingt es, die gesamte Bevölkerung in den Blick zu nehmen – und nicht nur diejenigen Kollektive, die im Forschungsprozess ex ante als marginalisiert definiert worden sind.

Auf theoretischer Ebene hat sich die Soziologie immer wieder mit dem Thema der Wert- und Geringschätzung beschäftigt. Für den „homo sociologicus“ (Dahrendorf 1958, 1958) sind Bewertungen durch die soziale Umwelt von erheblicher Bedeutung. In diesem Sinne beschrieb schon Thorstein Veblen in der „Theorie der feinen Leute“ (Veblen 1934) die modernen Menschen als fixiert auf ihren sozialen Status und ihre Außenwirkung: „[T]he usual basis of self-respect is the respect accorded by one’s neighbours. Only individuals with an aberrant temperament can in the long run retain their self-esteem in the face of the disesteem of their fellows“ (Veblen 1934, S. 30). Eine grundlegende und wachsende Außenorientierung attestierte auch David Riesman. In Ermangelung von Traditionsbewusstsein oder eines inneren Wertekompasses müssten sich die modernen Menschen ständig an den Signalen der anderen ausrichten, was eine permanente Beunruhigung („anxiety“) zur Folge habe (Riesman 1950, S. 22). Pierre Bourdieu schließlich beschreibt soziale Wertschätzung als symbolisches Kapital, dessen Verlust im Extremfall den „sozialen Tod“ bedeuten kann. Anerkennung durch die soziale Welt sei demnach nicht einfach ein zusätzlicher Gewinn auf der Basis anderer Kapitalsorten, sondern grundlegend für die soziale „Daseinsberechtigung“ (Bourdieu 2001, S. 309 f.). Die Relevanz ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals ergibt sich demnach entscheidend daraus, inwieweit diese Kapitalformen in konkreten Gesellschaften und spezifischen Feldern für soziale Wertschätzung sorgen und Geringschätzung entgegenwirken.

Während in der Sozialtheorie insgesamt eine positive Setzung im Zentrum steht (Wertschätzung, Anerkennung, Respekt), konstatieren neuere Gesellschaftsdiagnosen und -analysen einen Mangel an sozialer Anerkennung. Zugespitzt könnte man sagen: Aktuell zeichnet die Soziologie das Bild einer Abwertungsgesellschaft, sei es aufgrund wachsender Ungleichheit und Prekarisierung (Nachtwey 2016), einer „kalten“ neoliberalen Erfolgskultur (Neckel 2008) oder der Benachteiligung und symbolischen Exklusion marginalisierter Gruppen (Foroutan und Kubiak 2018). Negative Statuserfahrungen seien daher an der Tagesordnung – bis weit in die Mittelschichten hinein (Bude 2014; kritisch dazu Lübke 2019; Delhey und Steckermeier 2019), zumindest aber für bestimmte Segmente der Bevölkerung wie berufliche Modernisierungsverlierer (Neckel 2008), die Ostdeutschen oder Menschen mit Migrationshintergrund.

Auch empirisch erforscht die Soziologie überwiegend negative Statuserfahrungen, teilweise allerdings mit einem sehr spezifischen Fokus auf kollektiven Diskriminierungserfahrungen. Aus analytischer Perspektive stellt aber nicht jede Geringschätzung auch eine Diskriminierung dar, letztere ist vielmehr die stärkste Form von Geringschätzung aufgrund askriptiver Merkmale. Werden die Menschen direkt nach Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv oder eines spezifischen Merkmals befragt, so berichtet etwa ein Drittel in Deutschland von einer Diskriminierungserfahrung in den letzten zwei Jahren (Beigang et al. 2017, S. 94) bzw. ein Fünftel innerhalb des letzten Jahres (European Commission 2015, S. 8). Für die in diesem Artikel angestrebte Phänomenbeschreibung sind daher aus explorativer Perspektive insbesondere zwei Aspekte von Interesse: das Ausmaß persönlich erfahrener Geringschätzung, wenn die Befragten im Forschungsprozess nicht explizit als Angehörige einer benachteiligten Gruppe oder als Träger eines bestimmten Merkmals adressiert werden, sowie die Anerkennungsbilanz, also das Verhältnis von Wert- und Geringschätzung. Unsere Vermutung ist, dass diese Bilanz für weite Teile der Bevölkerung positiv ausfällt – auch weil man weiß, dass Inferioritätsgefühle in Deutschland kein Massenphänomen sind (Delhey und Steckermeier 2019).

Darüber hinaus liegen bislang keine bevölkerungsrepräsentativen Informationen darüber vor, an welchen sozialen Orten und aufgrund welcher Gründe Menschen sich wert- und geringgeschätzt fühlen. In Anlehnung an die Unterscheidung von System und Lebenswelt (Habermas 1987) erkunden wir daher, in welchem Ausmaß die Menschen Wert- und Geringschätzung in privaten (Familie und Freizeit) und in öffentlichen (Arbeit, Institutionen, Geschäfte usw.) Kontexten erfahren und ob das auslösende Moment eher in erworbenen (Arbeit, Einkommen, Wissen, Auftreten) oder in askriptiven (Alter, Religion, Geschlecht, Herkunft usw.) Personenmerkmalen gesehen wird. Dabei erwarten wir, dass die privat-lebensweltlichen Bereiche mit ihren partikularistisch-diffusen Rollenerwartungen (vgl. Parsons und Shils 2017) mehr positive und zugleich weniger negative Alltagserfahrungen ermöglichen als die öffentlich-systemischen Bereiche mit ihren universalistisch-spezifischen Rollenerwartungen.

2.1.2 Sozialstrukturelle Differenzierung

Wenn soziale Anerkennung die von ego empfundene Wertzuschreibung durch andere ist, kann diese sowohl durch vertikale Ungleichheiten strukturiert sein als auch „horizontal“ durch nominale Unterschiede. Erstere stellen für sich bereits ein „Besser“ und „Schlechter“ dar, beispielsweise Bildung, Einkommen oder Lebensstandard; letztere werden in der gesellschaftlichen Praxis oftmals in eine solche Rangordnung überführt (vgl. Blau 1977), wie das Beispiel ethnischer Hierarchien zeigt (Hagendoorn 1993). In der aktuellen Diskussion spielen beide Strukturierungsmöglichkeiten eine Rolle.

Die sozioökonomische Dimension

Traditionell hat die Soziologie das Thema der sozialen Geringschätzung mit der Klassenlage und anderen Aspekten der sozialen Ungleichheit verknüpft. Inferioritätsgefühle zählen demnach zu den „hidden injuries of class“ (Sennett und Cobb 1972). In neueren Arbeiten vermuten Wilkinson und Pickett (2010, S. 40) ebenso einen unmittelbaren Bezug zwischen vertikalen Statusmarkern und Statusängsten wie Nachtwey (2016) in seiner Diagnose der „Abstiegsgesellschaft“. Während in der „regressiven Moderne“ eine Statussicherung für die mittleren Schichten unter hohem Aufwand noch einigermaßen möglich sei, gelinge dies den unteren Schichten nicht mehr: Sie fühlen sich „ausgegrenzt, deklassiert, diskriminiert – und hoffnungslos“ (Nachtwey 2016, S. 169). Mit besonderem Blick auf kulturelle Veränderungen kommt Neckel (2008) zu einem ähnlichen Schluss: In der „Erfolgskultur“ der Marktgesellschaft werde Leistung in Erfolg umgedeutet und berufliche und materielle Statussymbole zum alleinigen Gradmesser für Ansehen. Parallel dazu breite sich im öffentlichen Diskurs eine Gewinner-Verlierer-Semantik aus, die den Statusniederen das Selbstwertgefühl nehme: „Während die Gewinner ökonomisch, sozialräumlich und symbolisch mittlerweile eine Parallelgesellschaft bilden, endet für Verlierer die Zugehörigkeit beim persönlichen Misserfolg, der ebenso individuell zu verantworten wie sozial ausschließend ist“ (Neckel 2008, S. 174).

Empirisch zeigt sich, dass Inferioritätserfahrungen einen deutlichen sozialen Gradienten nach vertikalen Schichtmerkmalen aufweisen, insbesondere nach Arbeitslosigkeit, Bildung, Einkommen und Beruf (Delhey et al. 2017; Delhey und Steckermeier 2019). Auch weitere sozialstrukturanalytische Arbeiten belegen die Relevanz dieser klassischen vertikalen Parameter, z. B. für die Wahrnehmung sozialer Ausgrenzung (Böhnke 2015), für negative Emotionen wie Angst und Ärger (Rackow et al. 2012) oder die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz (Lengfeld und Ordemann 2017). Entsprechend ist aus theoretischer wie empirischer Perspektive zu erwarten, dass das Gefühl, wert- oder geringgeschätzt zu werden, eng mit vertikalen Parametern der sozialen Schichtung verbunden ist. Der Wirkmechanismus kann dabei in den Schichtmerkmalen selbst bestehen (z. B. Geringschätzung aufgrund eines geringen Einkommens oder Wertschätzung aufgrund eines hohen Bildungsabschlusses) oder über schichtspezifische Lebensstile, z. B. Wohnverhältnisse, Kleidungstile oder Hobbys, vermittelt sein. Ob für die soziale Wertschätzung ein spiegelbildlicher vertikaler Gradient charakteristisch ist, ist bislang noch nicht erforscht worden.

Die soziokulturelle Dimension

Neben sozioökonomischen Benachteiligungen rücken zunehmend auch kulturelle Marginalisierungen in den soziologischen Fokus (vgl. Reckwitz 2018, S. 439). Dies erweitert den Blick auf soziokulturelle Zugehörigkeiten. Über die sozioökonomische Ressourcenausstattung hinaus stellt hier die symbolische Exklusion, im Extremfall Diskriminierung und Rassismus, den maßgeblichen Wirkmechanismus dar, durch den identitäre Zugehörigkeiten eigenständige Erfahrungen der Geringschätzung prägen können (siehe Kubiak 2017; Foroutan et al. 2019). Im aktuellen deutschen Kontext wird diese Argumentation vor allem auf die ostdeutsche Wohnbevölkerung angewandt: „Symbolische Ausschlüsse“, „fehlende Anerkennung“, „Einschluss in ein negatives Stereotyp“, die „Lebenserfahrung des Nicht-wirklich-Dazugehörens“ – so wird das Lebensgefühl der Ostdeutschen dreißig Jahre nach der Wende beschrieben (Foroutan und Kubiak 2018, S. 93–98). Laut einer Umfrage fühlt sich etwa ein Drittel der Ostdeutschen (35 %) als „Bürger zweiter Klasse“ (Foroutan et al. 2019, S. 22), wodurch eine alte Debatte aus den 1990er-Jahren (siehe Walz und Brunner 1997; Brunner und Walz 1998; Pollack 1997; Delhey und Böhnke 2000) wieder sozialwissenschaftliche Aktualität erlangt hat.

Auch im Diskurs um Migration ist soziale Abwertung und Geringschätzung ein prominentes Thema (Foroutan und Kubiak 2018). Aktuellen Studie zufolge fühlt sich ein Viertel der türkischstämmigen Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen diskriminiert (SVR-Integrationsbarometer 2018b, S. 17) und mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland möchte nicht, dass eine muslimische Person in die Familie einheiratet (Canan und Foroutan 2016, S. 5). Als Reaktion auf Abwertung und fehlende Anerkennung entstünden, so wird argumentiert, bei der migrantischen Bevölkerung wie bei den Ostdeutschen abweichende Identitäten und Selbstdefinitionen, die soziale Konflikte befeuern und die Unterstützung der gesellschaftlichen Ordnung schwächen. Bisweilen wird sogar argumentiert, dass die Lage beider Gruppen strukturell unmittelbar vergleichbar sei (z. B.: „Der ‚Ossi‘ als symbolischer Ausländer“, siehe Pates und Schochow 2013; oder „Ostmigrantische Analogien“, siehe Foroutan und Kubiak 2018; Foroutan et al. 2019).

Die bisherige Forschung bestätigt die Erwartung einer starken sozialen Abwertungserfahrung als Individuum allerdings nur bedingt. So sind Inferioritätsgefühle in Ostdeutschland im Zeitverlauf zurückgegangen, sodass im Jahr 2016 erstmals kein Ost-West-Unterschied mehr besteht (Delhey und Steckermeier 2019), während Personen mit Migrationshintergrund sich in Deutschland nach wie vor etwas häufiger geringgeschätzt fühlen als die autochthone Bevölkerung (Delhey und Steckermeier 2019). Eine andere Studie findet keine Unterschiede im sozialen Wohlbefinden zwischen Personen mit türkischem Migrationshintergrund und dem Rest der Bevölkerung (Kuhnt und Wengler 2019). Auf diese Diskrepanz zwischen relativ hohem individuellen Wohlbefinden und dem Gefühl, als Kollektiv (hier: mit türkischem Migrationshintergrund) dennoch „Bürger zweiter Klasse“ zu sein, weist eine Studie der Universität Münster hin (Pollack et al. 2016, S. 3, 7). Angesichts dieser Forschungsergebnisse ist es also keineswegs ausgemacht, dass Menschen mit Migrationshintergrund und die ostdeutsche Wohnbevölkerung sich auch individuell in hohem Maße geringeschätzt (und wenig wertgeschätzt) fühlen.

2.2 Die Folgen von Wert- und Geringschätzung

2.2.1 Lebenszufriedenheit

Wie geschildert geht die Soziologie und Sozialtheorie, von Veblen bis Bourdieu, geradezu axiomatisch von der herausragenden Bedeutung von Wertschätzung für das Individuum aus. Ebenso definieren klassische und neuere Ansätze der sozialpsychologischen und soziologischen Wohlfahrtsforschung wie die Bedürfnispyramide (Maslow 1943), die Triade des Wohlergehens von Haben, Lieben und Sein (Allardt 1993) oder die Basisgüter des guten Lebens (Skidelsky und Skidelsky 2013) soziale Wertschätzung als unverzichtbaren Baustein eines gelingenden Lebens. Dies macht die Lebenszufriedenheit, die summarische subjektive Bewertung der eigenen Lebensqualität (Campbell et al. 1976), zum idealen Lackmustest dieser Annahme. Wenn es für die Menschen so zentral ist, wertgeschätzt zu werden, muss sich dies in der Lebenszufriedenheit niederschlagen. Dass Inferioritätsgefühle mit einer geringeren subjektiven Gesundheit und Lebenszufriedenheit einhergehen, wurde mittlerweile in ländervergleichenden Studien empirisch nachgewiesen (Layte und Whelan 2014; Delhey und Steckermeier 2016, 2019). In ähnlicher Weise senken auch Exklusionsgefühle die Lebenszufriedenheit spürbar (Böhnke 2006).

Die Auswirkungen von Wertschätzung sind dagegen bisher weit seltener untersucht worden, unseres Wissens nach insbesondere noch nicht in einer gemeinsamen Analyse mit Geringschätzung. In Anlehnung an die in der Ökonomie und Psychologie einflussreiche Theorie der Verlustaversion (grundlegend Kahnemann und Tversky 1979) ist zu erwarten, dass Geringschätzung die Lebenszufriedenheit stärker beeinträchtigt als Wertschätzung diese hebt. Gleichwohl erwarten wir aus theoretischer Sicht einen eigenständigen und substanziellen Effekt von Wertschätzung auf die Lebenszufriedenheit. Darüber hinaus überprüfen wir, inwiefern die unterschiedlichen sozialen Anerkennungsbilanzen – der Mix aus Wert- und Geringschätzung einer Person – die bekanntermaßen geringere Lebenszufriedenheit der unteren Schichten und der Ostdeutschen (Schupp et al. 2013; Priem und Schupp 2014) erklären kann.

2.2.2 Demokratiezufriedenheit

Die Folgen von Wert- und Geringschätzung müssen sich aber keineswegs auf die eigene Lebensqualität beschränken. Von ganz unterschiedlichen methodologischen Positionen kommend sehen sowohl Honneth (Sozialtheorie) als auch Wilkinson und Picket (Epidemologie) weitverbreitete soziale Anerkennung als Merkmal einer guten Gesellschaft, nicht nur eines gelingenden Lebens. Mit Blick auf demokratische Gemeinwesen argumentieren politische Philosophen, dass die Stärke einer Demokratie auch davon abhängt, dass sich die Menschen als Gleiche begegnen und wahrnehmen (Miller 1999). Genau an diesem Punkt setzt die aktuelle Debatte in Deutschland um Abnutzungserscheinungen der Demokratieunterstützung an. Gerade mit Blick auf die Entwicklung in Ostdeutschland, aber auch für untere Schichten und „Modernisierungsverlierer“ wird auf fehlende Anerkennung als Erklärung für Politikverdrossenheit, Demokratieunzufriedenheit und die Empfänglichkeit für Rechtspopulismus rekurriert (zur Übersicht siehe Rippl und Baier 2005; exemplarisch Decker und Brähler 2018).

Aus diesem Grund erkunden wir auch die Auswirkungen von Wert- und Geringschätzung auf die Demokratiezufriedenheit. Die empirische Sozialforschung hat wiederholt auf die niedrigere Demokratiezufriedenheit in Ostdeutschland (z. B. Fuchs und Roller 2013; Pickel 2015) und bei den unteren Schichten hingewiesen. Zudem lassen die Ansätze, mit denen die politische Soziologie Demokratie(un)zufriedenheit erklärt – beispielsweise über sozioökonomische Unterprivilegierung, das Gefühl relativer Deprivation oder eine bewusste Abgrenzungsidentität (vgl. Pickel 2015; Delhey und Böhnke 2000) – durchaus einen Einfluss von Wert- und Geringschätzungserfahrungen vermuten. Wir erwarten daher, dass empfundene Geringschätzung mit einer niedrigeren Demokratiezufriedenheit einhergeht, Wertschätzung mit einer höheren. Auch hier ist in Anlehnung an das Theorem der Verlustaversion mit einer stärkeren negativen Wirkung der Geringschätzung zu rechnen. Und schließlich stellt sich, wie bei der Lebenszufriedenheit auch, die Frage, inwieweit die soziale Anerkennungsbilanz zu Unterschieden in der Demokratiezufriedenheit, etwa zwischen den Schichten oder im Ost-West-Vergleich, beiträgt.

Zusammenfassend ergeben sich für den empirischen Teil unseres Artikels die folgenden Forschungsfragen:

Phänomenbeschreibung

Wie stark sind Wertschätzung und Geringschätzung gegenwärtig in der deutschen Bevölkerung ausgeprägt? In welchen Situationen (lebensweltlich oder systemisch) und warum (erworbene oder zugeschriebene Merkmale) fühlen sich die Menschen wert- oder geringgeschätzt?

Sozialstruktur

Wie verteilen sich Wert- und Geringschätzung sozialstrukturell, und welches Gewicht haben vertikale Positionsmerkmale (Bildung, Einkommen, Erwerbsstatus) im Vergleich zu soziokulturellen, d. h. regionalen oder ethnischen, Zugehörigkeiten (ostdeutsche und migrantische Bevölkerung).

Folgen

Welche Auswirkungen hat das Gefühl der Wert- und Geringschätzung für die Lebenszufriedenheit und die Demokratiezufriedenheit? Inwieweit tragen Anerkennungsbilanzen zu Zufriedenheitsunterschieden zwischen den Schichten, zwischen Ost und West sowie zwischen autochthoner und migrantischer Bevölkerung bei?

3 Daten und methodisches Vorgehen

Die folgenden Analysen basieren auf Daten aus dem Innovationssample des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-IS; Wagner et al. 2007). Die SOEP-Hauptbefragung untersucht seit 1984 Haushalte in Deutschland. Das 2011 gestartete Innovationssample ermöglicht es, spezielle Fragemodule in die jährliche Befragung zu integrieren (Richter und Schupp 2015). Ein solches Modul konnten wir im SOEP-IS 2016 zum Thema Alltagserfahrungen der Wert- und Geringschätzung (Modul: „Status Confidence and Anxiety“) platzieren. Das SOEP-IS ist eine Zufallsstichprobe und kann als repräsentativ für die deutsche Wohnbevölkerung gelten.Footnote 1 Für das Innovationssample 2016 wurden 4106 Haushalte mit 7715 Personen befragt, allerdings beantworten nicht alle Personen alle Module. Unser Modul wurde von 3580 Personen beantwortet. Nach der Entfernung von Fällen mit fehlenden Werten (insgesamt 4,5 %) liegen uns vollständige Informationen für 3420 Personen vor.Footnote 2

In dem Befragungsmodul wurde die Erfahrung von Wert- und Geringschätzung mit je zwei Fragen erhoben, die auf 7‑stufigen Skalen (1 = trifft überhaupt nicht zu bis 7 = trifft voll zu) beantwortet werden konnten:

  • Geringschätzung:

    • Manchmal habe ich das Gefühl, dass das, was ich tue, von anderen nicht wertgeschätzt wird (GS 1).

    • Manchmal habe ich das Gefühl, dass andere auf mich herabsehen (GS 2).

  • Wertschätzung:

    • Manchmal mache ich die Erfahrung, dass andere wertschätzen, was ich tue (WS 1).

    • Manchmal geben mir andere das Gefühl, erfolgreich zu sein (WS 2).

Denjenigen Befragten, die solche Erfahrungen erlebt haben – der Schwellenwert wurde mit >3 auf der Skala so gelegt, dass alle Befragten, die das Item nicht eindeutig ablehnen, um eine detaillierte Bewertung gebeten wurden –, wurden weiterführende Fragen zur Situation, zur Person und zur möglichen Ursache gestellt, wobei jeweils Mehrfachantworten möglich waren.Footnote 3

3.1 Abhängige Variablen

Die vier Items weisen eine klare zweidimensionale Struktur auf, wie eine explorative Faktorenanalyse ergab (Tab. 1). Wert- und Geringschätzung sind demnach eigenständige Erfahrungen, die nur schwach negativ miteinander korrelieren (r = −0,115, p < 0,000). Dies ist bereits ein erster wichtiger Befund: Wer häufig negative Erfahrungen macht, dem mangelt es nicht automatisch an Wertschätzung und umgekehrt. Dementsprechend verwenden wir für die folgenden Analysen jeweils einen Mittelwertindex für Wert- und Geringschätzung mit einem Wertebereich von 1 (gering) bis 7 (sehr stark; siehe Tab. 5 im Anhang).

Tab. 1 Dimensionale Struktur der Alltagserfahrungen

Um die Auswirkungen der Alltagserfahrungen zu beurteilen, untersuchen wir in weiteren Analyseschritten zusätzlich die zwei abhängigen Variablen der Lebenszufriedenheit („Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig, alles in allem, mit Ihrem Leben?“) sowie der Demokratiezufriedenheit („Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht?“), gemessen jeweils auf einer Skala von 0 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden).

3.2 Erklärende Variablen

Als zentrale erklärende Variablen untersuchen wir als Indikatoren für die vertikale soziale Schichtung den Bildungsgrad (vereinfachte Kategorien nach CASMIN [Comparative Analysis of Social Mobility in Industrial Nations]), den Erwerbsstatus, das Haushaltsnettoeinkommen (kategorisiert) sowie den Besitz von Wohneigentum (siehe Tab. 5 im Anhang). Theoretisch wird häufig angenommen, beispielsweise in den Arbeiten von Nachtwey und Reckwitz, dass zwischen den Berufsgruppen die eigentlichen Unterschiede, z. B. hinsichtlich Abwertung, Marginalisierung, Prekarität usw., bestehen. Um dies abzubilden, verwenden wir die Berufsklassifikation nach Oesch (2006), die eine vertikale Differenzierung (nach Qualifikationsniveau) und eine horizontale Differenzierung (nach Arbeitslogik: interpersonell, technisch, organisational, selbstständig) ermöglicht (zur Kategorisierung siehe Weber-Menges und Vester 2011). Insgesamt zeigt sich, dass die Berufsgruppen eher Einfluss auf die Wertschätzung als auf die Geringschätzung haben. Die detaillierte Aufschlüsselung nach Qualifikationsniveau ergab, dass die höher Qualifizierten mehr Wertschätzung erfahren. Aufgeschlüsselt nach Arbeitslogik finden sich hingegen nur bei den Selbstständigen deutliche (positive) Effekte. Multivariat sind die Effekte der Berufsgruppen aber schwach, es zählt eher die Integration in den Arbeitsmarkt überhaupt, insbesondere die Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Da die detaillierte Berufsklassifikation die Erklärungskraft unserer Modelle über den Erwerbsstatus hinaus nur marginal erhöht (Steigerung des R2 unter 0,5 Prozentpunkten), berichten wir die Werte der Berufsgruppen nur deskriptiv im Anhang (siehe Tab. 9).

Die regionale Herkunft aus Ostdeutschland bestimmen wir über den aktuellen Wohnort (Referenz: Westdeutschland).Footnote 4 Eine weitere Variable weist einen Migrationshintergrund zu (Referenz: kein Migrationshintergrund), wenn die Person selbst oder mindestens ein Elternteil eine andere Staatsbürgerschaft als die Deutsche aufweist oder die Person selbst oder mindestens ein Elternteil in einem anderen Land als Deutschland geboren wurde (siehe Tab. 5 im Anhang).

3.3 Kontrollvariablen

Als Kontrollvariablen berücksichtigen wir das Alter (in Jahren), das Geschlecht (Referenz: weiblich), die Haushaltsgröße (Anzahl der Personen im Haushalt), den Familienstatus („verheiratet/Partnerschaft“, Referenz: alleinstehend) sowie die Anzahl der Kinder unter 16 Jahren im Haushalt (siehe Tab. 5 im Anhang).

4 Empirische Ergebnisse

4.1 Phänomenbeschreibung und sozialstrukturelle Differenzierung

4.1.1 Phänomenbeschreibung

Laut unseren Befragungsdaten erfahren die Menschen in Deutschland insgesamt ein hohes Maß an Wertschätzung und ein deutlich geringeres Ausmaß an Geringschätzung (Abb. 1). Die Wertschätzungserfahrungen haben im Bevölkerungsdurchschnitt einen Indexwert von 4,9, die Geringschätzungserfahrungen von 2,9 (jeweils auf einer Skala von 1 bis 7). Verwendet man den Skalenwert 3 als Schwelle (alle Befragten, die das Item nicht eindeutig ablehnen), so berichten 93 % (N = 3182) der Befragten von Wertschätzung, aber nur 52 % (N = 1768) von Geringschätzung. Diese insgesamt positive Anerkennungsbilanz gilt auch für die unterste Einkommensgruppe (85 % Wertschätzung zu 54 % Geringschätzung), für die ostdeutsche Wohnbevölkerung (92 % zu 51 %) und für die Personen mit Migrationshintergrund (93 % zu 57 %). Einzig bei der Gruppe der Arbeitslosen fallen die Geringschätzungserfahrungen fast so stark aus wie die der Wertschätzung (86 % zu 74 %), aber die Bilanz ist immer noch positiv. Tabelle 6 im Anhang schlüsselt die Anerkennungsbilanzen nach sozialstrukturellen Merkmalen auf.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Alltagserfahrungen (N = 3420, gewichtet, Fehlerindikator: 95 %-Konfidenzintervall). WS 1 wertgeschätzt, WS 2 erfolgreich gefühlt, GS 1 nicht wertgeschätzt, GS 2 auf mich herabgesehen

Insgesamt ist die Familie mit Abstand der wichtigste soziale Ort, an dem Wertschätzung erfahren wird; der Arbeitsplatz ist die am zweithäufigsten genannte Kategorie, die Freizeitaktivitäten der dritthäufigste (Abb. 2). Geringschätzungserfahrungen werden dagegen zuvorderst am Arbeitsplatz, aber oft auch in der Familie gemacht. Insgesamt überwiegen damit wie erwartet bei den Wertschätzungserfahrungen die privat-lebensweltlichen Kontexte, bei den Geringschätzungserfahrungen die öffentlich-systemischen, sind aber jeweils keineswegs auf diese beschränkt. Fasst man die eindeutig lebensweltlichen Situationen – also Familie und Freizeit – zusammen, hat eine große Mehrheit von 92 % der Befragten dort Wertschätzung erfahren. Demgegenüber haben nur 69 % der Befragten Wertschätzung im systemischen Kontext von Arbeit, Öffentlichkeit, Institutionen oder Geschäften erfahren.

Abb. 2
figure 2

Wert- und Geringschätzung nach Situationen (alle Angaben gewichtet, Mehrfachantworten möglich)

Spiegelbildlich verhält es sich bei der Geringschätzung: Dreiviertel der Befragten (74 %) haben in mindestens einem öffentlich-systemischen Kontext Geringschätzung erlebt, während nur etwas mehr als die Hälfte (54 %) eine solche Erfahrung in einem privat-lebensweltlichen Kontext gemacht hat.

In Abb. 3 sind die von den Befragten wahrgenommenen Gründe aufgeführt. Die tendenziell erworbenen Merkmale Wissen, Arbeit und Auftreten werden mit großem Abstand als Gründe für Wertschätzung angenommen. Fasst man diese mit dem Einkommen zu einer Kategorie „erworbene Faktoren“ zusammen, geben 93 % der Befragten an, aufgrund mindestens einer dieser Gründe Wertschätzung erlebt zu haben. Zugleich sind diese erworbenen Merkmale für 67 % der Befragten aber auch die Hauptquelle für Geringschätzung. Zugeschriebene Merkmale wie Alter, Religion, Geschlecht, regionale und ethnische Herkunft sowie sexuelle Orientierung werden insgesamt seltener (zusammengefasst 18 % für Wert- und 21 % für Geringschätzung) als vermutete Ursache angegeben – und deutlich seltener als in Erhebungen, in denen direkt nach negativen Erfahrungen als Angehörige eines Kollektivs gefragt wird (vgl. z. B. SVR-Integrationsbarometer 2018b, S. 49). Religion und regionale Herkunft werden sogar geringfügig häufiger als Gründe für Wertschätzung angegeben als für Geringschätzung. Der recht hohe Anteil an den Antworten „Sonstiges“ oder „Weiß nicht“ (zusammen 39 %) gerade bei negativen Erfahrungen verweist jedoch darauf, dass die Ursachen für Geringschätzung bisweilen diffus und von den Befragten schwer zu entschlüsseln sind.

Abb. 3
figure 3

Wert- und Geringschätzung nach Ursachen (alle Angaben gewichtet, Mehrfachantworten möglich)

Die in der Gesamtbevölkerung seltenere Nennung zugeschriebener Merkmale als angenommene Geringschätzungsgründe schließt nicht aus, dass diese für bestimmte Personengruppen häufiger vorkommen und in ihrer diskriminierenden Wirkung auch hoch relevant sind. Wir haben Ersteres in detaillierten Auswertungen für ausgewählte sozialstrukturelle Kategorien überprüft (nicht abgebildet): So erfahren insbesondere die jüngste Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen (27,2 %) und die älteste Gruppe der über 65-Jährigen (26,8 %) Geringschätzung aufgrund des Alters (mittlere Altersgruppen: 25–34: 16,1 %; 35–49: 6,1 %; 50–65: 9,7 %). Frauen erleben häufiger als Männer Geringschätzung aufgrund des Geschlechts (10,4 % zu 0,6 %), Personen mit Migrationshintergrund häufiger als der Rest der Bevölkerung aufgrund der ethnischen Herkunft (10 % zu 0,4 %) oder aufgrund der Religion (4,7 % zu 0,8 %). Ost- und Westdeutsche unterscheiden sich dagegen nicht hinsichtlich der Geringschätzung aufgrund der „regionalen Herkunft“, ein in beiden Landesteilen sehr selten genannter Grund (jeweils unter 2 %).

4.1.2 Sozialstrukturelle Differenzierung

Bereits die bivariaten Zusammenhänge (nicht dargestellt) lassen vermuten, dass Wert- wie Geringschätzung systematisch nach vertikalen Positionsmerkmalen „geschichtet“ sind, und zwar in der erwarteten Richtung. Demgegenüber lassen sich einige weitverbreitete Annahmen bezüglich soziokultureller Unterschiede schon deskriptiv nicht belegen: So unterscheiden sich weder Ostdeutsche noch Personen mit Migrationshintergrund hinsichtlich der individuellen Alltagserfahrungen vom Rest der Bevölkerung.Footnote 5

Die multivariaten Regressionsanalysen bestätigen diese Eindrücke. In beiden Modellen – jeweils eines für die Wert- und eines für die Geringschätzung – zeigt sich die positive Wirkung von Bildung und Einkommen einerseits sowie die negative von Arbeitslosigkeit andererseits (Tab. 2). Im Vergleich zu Erwerbstätigen erfahren Arbeitslose weniger Wert- und mehr Geringschätzung, jeweils etwa einen halben Skalenpunkt. Ähnlich verhält es sich beim Einkommen, wobei sich dieses stärker auf die Wertschätzung auswirkt als auf die Geringschätzung. Bei ersterer gilt: Die höchste Einkommensgruppe (ab 5000 €) fühlt sich stärker wertgeschätzt, die unterste (unter 1300 €) weniger, während sich die mittleren Einkommensgruppen ähneln. Bei der Geringschätzung gibt es dagegen nur einen unteren Schwellenwert: Personen aus Haushalten mit sehr niedrigem Einkommen (unter 1300 €) erleben deutlich häufiger Geringschätzung, alle anderen Einkommensgruppen unterscheiden sich kaum. Bei der formalen Bildung zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Während die Wertschätzung mit jeder Bildungsstufe ansteigt, geht nur eine sehr hohe Bildung (mindestens Hochschulabschluss) mit einer signifikant verringerten Geringschätzungserfahrung einher. Auch der Besitz von Wohneigentum wirkt sich positiv auf die Wertschätzung aus, und zumindest tendenziell dämpfend auf die Geringschätzung. Dies alles belegt die Relevanz vertikaler Positionsmerkmale.

Tab. 2 Erklärung der Alltagserfahrungen durch sozialstrukturelle Faktoren

Ein auffälliges Muster zeigt sich bei Personen, die aufgrund der Rente aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind: Sie sind weniger von Geringschätzung betroffen als Erwerbstätige, erfahren aber auch weniger Wertschätzung als diese. Ost-West-Unterschiede sowie Unterschiede aufgrund eines Migrationshintergrundes finden sich auch in den multivariaten Modellen nicht, weder für Wert- noch für Geringschätzung. Wichtiger als diese beiden Zugehörigkeiten ist der Partnerschaftsstatus (eine feste Partnerschaft erhöht die erfahrene Wertschätzung) sowie Geschlecht und Alter (Männer und Ältere fühlen sich weniger geringschätzt). Die Erklärungskraft der Modelle ist zwar insgesamt gering: 10 % der Varianz in der Geringschätzung und nur 6 % in der Wertschätzung werden erklärt. Eine möglichst hohe Varianzaufklärung war hier allerdings auch nicht das Ziel, sondern vielmehr die Einschätzung der Erklärungskraft quasi „objektiver“ sozialstruktureller Faktoren, insbesondere der Vergleich vertikaler und horizontaler Ungleichheiten. Der springende Punkt ist hier der Nachweis, dass das Gefühl von Wert- und Geringschätzung vor allem eine Frage der vertikalen Position in der Gesellschaft ist, weniger eine Frage der soziokulturellen Zugehörigkeit.

4.2 Die Folgen von Wert- und Geringschätzung

Im letzten Analyseschritt wenden wir uns nun den Folgen von Wert- und Geringschätzung zu. Dazu untersuchen wir jeweils einen Indikator für die individuellen (Lebenszufriedenheit) sowie die gesellschaftlichen Folgen (Demokratiezufriedenheit).

4.2.1 Lebenszufriedenheit

Die Erfahrungen von Wert- und Geringschätzung beeinflussen unabhängig voneinander signifikant und substanziell die Lebenszufriedenheit, jeweils in der erwarteten Richtung (Tab. 3). Modell 1 berichtet zunächst nur den Einfluss der sozialstrukturellen Erklärungsvariablen, Modell 2 fügt die Alltagserfahrungen hinzu. Die deutlich gesteigerte Erklärungskraft (Erhöhung des R2 von 8 auf 17 %) von Modell 2 verdeutlicht die Relevanz der Alltagserfahrungen. Wert- und Geringschätzung beeinflussen die Lebenszufriedenheit stärker als der Partnerschaftsstatus und Arbeitslosigkeit, zwei bekanntermaßen wichtige Einflussgrößen (Böhnke und Delhey 2013; Eichorn 2013; Priem und Schupp 2014). Wertschätzung zu erfahren beeinflusst interessanterweise die Lebenszufriedenheit stärker zum Positiven als Geringschätzung zum Negativen, entgegen dem Theorem der Verlustaversion. Ansonsten bestätigt die Analyse bekannte Befunde einer nach Einkommen „geschichteten“ Lebenszufriedenheit sowie einer etwas geringeren Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland (z. B. Schupp et al. 2013; Priem und Schupp 2014). Demgegenüber unterscheidet sich die migrantische Bevölkerung in ihrer Lebenszufriedenheit nicht vom Rest der Gesellschaft. Zu beachten ist, dass sich die Effekte des Haushaltseinkommens sowie der Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung von Wert- und Geringschätzung spürbar abschwächen (aber dennoch eigenständig signifikant bestehen bleiben), während der negative Effekt des ostdeutschen Wohnorts unverändert bleibt. Mit anderen Worten: Die geringere Zufriedenheit in Ostdeutschland wird nicht durch Unterschiede in der individuellen Wert- oder Geringschätzung hervorgerufen.

Tab. 3 Erklärung der Lebenszufriedenheit durch Alltagserfahrungen und sozialstrukturelle Faktoren

4.2.2 Demokratiezufriedenheit

Die Bedeutung der individuellen Alltagserfahrungen für die Lebenszufriedenheit ist naheliegend, aber beeinflussen sie auch die Einstellung zum politischen System? Tatsächlich finden wir empirisch bedeutsame Effekte der Wert- und Geringschätzungsgefühle für die Demokratiezufriedenheit, und zwar unabhängig von Einkommen, Bildung, Erwerbstätigkeit und anderen soziodemographischen Erklärungsfaktoren (Tab. 4). Obgleich die Zunahme an Erklärungskraft durch die Berücksichtigung von Wert- und Geringschätzung in Modell 2 im Vergleich zu Modell 1 bei der Demokratiezufriedenheit geringer ausfällt als bei der Lebenszufriedenheit, was bei einem öffentlichen Lebensbereich zu erwarten war, üben die persönlichen Bewertungserfahrungen dennoch signifikante Effekte auf die Demokratiezufriedenheit aus. Diese wird geringfügig stärker durch Geringschätzung (wie erwartet resultierend in geringerer Demokratiezufriedenheit) als durch Wertschätzung (resultierend in höherer Demokratiezufriedenheit) beeinflusst.

Tab. 4 Erklärung der Demokratiezufriedenheit durch Alltagserfahrungen und sozialstrukturelle Faktoren

Betrachtet man die Indikatoren der vertikalen Position, so wächst die Demokratiezufriedenheit deutlich mit Bildung und Einkommen, und diese Effekte bleiben auch unter Berücksichtigung von Wert- und Geringschätzung signifikant. Lediglich der Effekt eines geringen Einkommens schwächt sich stark ab, sodass die signifikant geringere Demokratiezufriedenheit der unteren Einkommensgruppe teilweise durch deren schlechtere soziale Anerkennungsbilanz (mehr Geringschätzung, weniger Wertschätzung) erklärt werden kann. Die ostdeutsche Wohnbevölkerung ist mit der Demokratie unzufriedener als die westdeutsche; dieser Unterschied besteht unabhängig von sozialstrukturellen Merkmalen und lässt sich auch nicht durch Erfahrungen der individuellen Wert- und Geringschätzung erklären. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund unterscheidet sich hinsichtlich der Demokratiezufriedenheit in beiden Modellen nicht vom Rest der Bevölkerung.

5 Diskussion und Fazit

Wertschätzung und Geringschätzung sind grundlegende Erfahrungen menschlichen Lebens und werden in der Öffentlichkeit sowie der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Erklärung sozialer Probleme und sogar politischer Spannungen in der Gesellschaft herangezogen. Während Wertschätzung und soziale Anerkennung im Mittelpunkt vor allem theoretischer Arbeiten stehen, zielen aktuelle Gesellschaftsdiagnosen und empirische Studien vor allem auf Geringschätzung und soziale Abwertung spezifischer sozialstruktureller Gruppen ab, v. a. der unteren Schichten, der ostdeutsche Wohnbevölkerung und von Personen mit Migrationshintergrund.

Anhand originärer, bevölkerungsrepräsentativer Umfragedaten aus einem eigens zu diesem Zweck erstellten Modul im Innovationssample des Sozio-oekonomischen Panels (2016) hat die vorliegende Studie einen empirischen Beitrag zu diesen aktuellen Diskussionen geleistet. So haben wir empirisch untersucht, wie häufig, wo und warum die Menschen Erfahrungen der persönlichen Gering-, aber auch der Wertschätzung machen; wir haben ferner gezeigt, wie diese sozialstrukturell verteilt sind und welchen Einfluss sie auf die Lebenszufriedenheit und die Demokratiezufriedenheit der Menschen haben.

Empirisch zeigt sich, dass die Menschen in Deutschland insgesamt ein hohes Maß an Wertschätzung erleben, insbesondere in privat-lebensweltlichen Bezügen, aber auch am Arbeitsplatz. Geringschätzungserfahrungen werden seltener und überwiegend in öffentlich-systemischen Zusammenhängen gemacht. Die soziale Anerkennungsbilanz ist damit insgesamt positiv, selbst für strukturell benachteiligte Gruppen. Insofern ist die „Krise der Anerkennung“ (Reckwitz 2018) – zumindest auf der Ebene alltäglicher und persönlicher Erfahrungen – kein Phänomen, das die gesamte Gesellschaft betrifft.

Das Ausmaß, in dem sich die Menschen wert- und geringgeschätzt fühlen, ist gleichwohl sozial ungleich verteilt. Insbesondere das Geringschätzungsempfinden weist einen sozialen Gradienten auf, und zwar in erster Linie entlang vertikaler Merkmale wie Bildung, Einkommen, Erwerbsstatus und Wohneigentum, was frühere Studien bestätigt (Delhey et al. 2017; Delhey und Steckermeier 2019). Diese Strukturierung verweist auf den Charakter der deutschen Gesellschaft als Wissens‑, Konsum- und Arbeitsgesellschaft. Wer in diesen drei Dimensionen nicht „mithält“, erfährt systematisch mehr Geringschätzung und weniger Wertschätzung.

Während in einigen neueren soziologischen Arbeiten und in der öffentlichen Diskussion die Geringschätzung insbesondere von Ostdeutschen und der migrantischen Bevölkerung hervorgehoben wird, finden wir auf persönlicher Ebene keine solchen Unterschiede in den vorliegenden Daten – aus unserer Perspektive ein bemerkenswerter Befund. Dieser widerlegt natürlich nicht mögliche kollektive Abwertungs- oder gar Diskriminierungserfahrungen dieser Gruppen, etwa durch Stereotypisierung im öffentlichen Diskurs oder in der medialen Berichterstattung. Er zeigt aber, dass von kollektiv-gesellschaftlicher Benachteiligung nicht umstandslos auf individuell-soziale Geringschätzungserfahrungen geschlossen werden kann. Wesentlich relevanter als die soziokulturellen Zugehörigkeiten sind die Parameter der vertikalen Schichtung nach Einkommen, Bildung und Erwerbsstatus einerseits und die mikrosoziale Integration in Partnerschaft und Familie andererseits. Von den askriptiven Merkmalen ist insbesondere das Alter relevant: Die Älteren fühlen sich aber insgesamt weniger geringgeschätzt als Jüngere, was angesichts der Debatte um (wachsende) Altersdiskriminierung (z. B. Rothermund und Mayer 2009) und des demografischen Wandels ein relevanter Befund ist – obgleich, wie von uns gezeigt, die erfahrene Diskriminierung aufgrund des Alters tatsächlich insbesondere die älteren und jüngeren Altersgruppen betrifft.

Das Gefühl, wert- oder geringgeschätzt zu werden, wirkt sich erkennbar darauf aus, wie zufrieden die Menschen mit ihrem eigenen Leben und der Demokratie sind. Bei der Lebenszufriedenheit ist hervorzuheben, dass Wertschätzung sogar etwas stärker wiegt als Geringschätzung, was dem ökonomisch-psychologischen Paradigma der Verlustaversion (Kahneman und Tversky 1979) widerspricht. Die Menschen, so unsere zentrale Folgerung, möchten nicht nur Geringschätzung vermeiden, sondern auch Wertschätzung erlangen. Unter dem Blickwinkel des Erhalts einer hohen Lebenszufriedenheit lässt sich weiterhin die ermutigende Erkenntnis gewinnen, dass Erfahrungen der Geringschätzung durch solche der Wertschätzung ausgeglichen werden können.

Bedeutsam ist weiterhin der Nachweis, dass Wert- und Geringschätzung auch eine gesellschaftspolitische Relevanz haben, weil sie auf die Demokratiezufriedenheit ausstrahlen. Dies bestätigt Überlegungen, nach denen ein gewisses Maß an sozialer Gleichheit, verstanden im Sinne eines egalitären Umgangs der Menschen untereinander, notwendige Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens ist (Miller 1999). Anders formuliert: Ein wertschätzender Stil des sozialen Miteinanders stärkt die Demokratieunterstützung.

Unsere Beschäftigung mit der Lebens- und Demokratiezufriedenheit war nicht zuletzt durch die Frage motiviert, ob Wert- und Geringschätzung die bekanntermaßen geringere Zufriedenheit unterer Schichten sowie der ostdeutschen Bevölkerung zumindest teilweise erklären können. Für die unteren Schichten ist dies in der Tat der Fall, für die ostdeutsche Bevölkerung hingegen nicht. Im innerdeutschen Vergleich finden wir zwar das bekannte Bild einer geringeren Zufriedenheit in den östlichen Bundesländern; der entscheidende Punkt aber ist, dass die von uns adressierten Wert- und Geringschätzungsgefühle diese Ost-West-Zufriedenheitslücke nicht erklären können. Entsprechend muss zukünftige Forschung stärker Faktoren wie historische Transformationserfahrungen, Unterschiede in der Sozialisation oder kollektive Deprivationsempfindungen berücksichtigen, um die bestehenden Differenzen in der Lebens- und Demokratiezufriedenheit zu erklären. So verweist Kubiak (2017) auf die Möglichkeit, dass kollektive Abwertungserfahrungen über mediale Diskurse vermittelt werden. Insbesondere die Erforschung der Persistenz von Transformationserfahrungen im Zuge der Wiedervereinigung und die Wirkung öffentlicher Diskurse scheinen uns daher vielversprechende Forschungsfelder zu sein. Unterschiede in den gegenwärtigen individuellen Anerkennungsbilanzen können angesichts unserer Befunde jedenfalls als Erklärung weitgehend ausgeschlossen werden.

Wir halten fest: Positive Alltagserfahrungen der Wertschätzung sind in Deutschland insgesamt weiter verbreitet als negative Erfahrungen der Geringschätzung. Beide beeinflussen unabhängig voneinander die Lebens- und Demokratiezufriedenheit. Die Kombination aus unterdurchschnittlicher Wert- und überdurchschnittlicher Geringschätzung trifft vor allem die unteren Schichten und insbesondere die Arbeitslosen, aber nicht die ostdeutsche Wohnbevölkerung oder Personen mit Migrationshintergrund. Angesichts des anhaltenden Diskurses um soziale Anerkennungsdefizite gerade dieser beiden Gruppen ist dies aus unserer Sicht ein durchaus bemerkenswerter Befund. Wer sich für die ungleiche Verteilung von Wert- und Geringschätzung im alltäglichen gesellschaftlichen Miteinander interessiert, ist zumindest für Deutschland gut beraten, sich stärker der sozioökonomischen Ungleichheit zu widmen als der soziokulturellen Unterschiedlichkeit.