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Low-Cost-Hypothese und Rationalität

Eine neue theoretische Herleitung und einige Implikationen

Low-Cost-Hypothesis and Rationality

A New Theoretical Derivation and some Implications

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KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Es wird ein elementares mikroökonomisches Modell präsentiert, welches Einstellungen beinhaltet und die Ableitung der Low-Cost-Hypothese für den Fall einer kontinuierlichen Verhaltensvariable gestattet. Ähnlich wie es Best und Kroneberg (2012) für den Fall einer binären Verhaltensvariable gezeigt haben, impliziert unser Modell, dass die Low-Cost-Hypothese nicht über Regressionsmodelle getestet werden sollte, in denen explizit Interaktionsterme zwischen Einstellungsstärke und Kosten der Einstellungskonformität aufgenommen werden. An zwei Anwendungsbeispielen aus der Umweltsoziologie – Zahlungsbereitschaft für Biodiversität in Wäldern und Spendenbereitschaft im Tierschutz – wird illustriert, dass die LCH gemäß dieser gängigen Teststrategie scheitern kann, obwohl sie sich anhand unserer theoretisch fundierten Teststrategie bewährt.

Abstract

We present a basic microeconomic model that includes attitudes and implicates the Low-Cost-Hypothesis for the case of a continuous behavioral variable. Similar to arguments by Best and Kroneberg (2012) with respect to a binary behavioral variable, our model implies that the Low-Cost-Hypothesis should not be tested via regression models that explicitly include interaction terms between attitude strength and costs of attitude conformity. By two applications from environmental sociology – willingness to pay for forest biodiversity and donations for animal protection – it is demonstrated that this best practice approach of testing the Low-Cost-Hypothesis might result in its rejection, while the hypothesis is actually confirmed by our theoretically derived testing strategy.

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Notes

  1. Ajzen und Fishbein (1977, S. 895) kritisieren in etwa die Studie von LaPiere dahingehend, als dass er nicht nach den Einstellungen gegenüber dem speziellen Pärchen gefragt habe, das ihn begleitet hat, sondern nach der Einstellung gegenüber Chinesen im Allgemeinen. Nimmt man diesen Kritikpunkt ernst, läuft dies augenscheinlich darauf hinaus, dem Einstellungskonzept beinah jede prädiktive Kraft abzusprechen.

  2. Das Konzept der Substitutionselastizität misst inwiefern eher Komplementarität oder Substituierbarkeit zwischen den Gütern vorliegt. Von einer Tendenz zur Komplementarität spricht man, wenn eine Elastizität zwischen 0 und 1 vorliegt, Elastizitäten größer 1 deuten auf Substituierbarkeit hin. Die Cobb-Douglas-Funktion hat gerade eine Substitutionselastizität von 1.

  3. In der Mikroökonomik spricht man davon, dass sich der marginale Effekt einer Preiserhöhung auf die Nachfrage zerlegen lässt in einen kompensierten Preiseffekt und in einen Einkommenseffekt.

  4. Die Aussagen sind im Einzelnen: (1) „Es beunruhigt mich, wenn ich daran denke, unter welchen Umweltverhältnissen unsere Kinder und Enkelkinder wahrscheinlich leben müssen“, (2) „Wenn wir so weiter machen wie bisher, steuern wir auf eine Umweltkatastrophe zu“, (3) „Wenn ich Zeitungsberichte über Umweltprobleme lese oder entsprechende Fernsehsendungen sehe, bin ich oft empört und wütend“, (4) „Es gibt Grenzen des Wachstums, die unsere industrialisierte Welt schon überschritten hat oder sehr bald erreichen wird“, (5) „Nach meiner Einschätzung wird das Umweltproblem in seiner Bedeutung von vielen Umweltschützern stark übertrieben“, (6) „Es ist immer noch so, dass die Politiker viel zu wenig für den Umweltschutz tun“.

  5. Die Aussagen sind im Einzelnen: (1) „Es beunruhigt mich, wenn ich daran denke, wie wir heutzutage mit Tieren umgehen.“, (2) „Wenn ich Zeitungsberichte über Tierquälerei lese oder entsprechende Fernsehsendungen sehe, bin ich oft empört und wütend.“, (3) „Wenn wir weiter so machen wie bisher, wird das Leiden der Tiere unerträglich.“, (4) „Es ist noch immer so, dass die Politiker viel zu wenig für den Tierschutz tun.“, (5) „Das Streben nach wirtschaftlichem Wachstum geht zu Lasten der Tiere.“, (6) „Die Problematik des Tierschutzes wird in seiner Bedeutung von vielen Tierschützern stark übertrieben.“, (7) „Zugunsten des Tierschutzes sollten wir alle bereit sein, unsere Lebensgewohnheiten umzustellen.“, (8) „Wissenschaft und Technik werden Fragen des Tierschutzes so lösen, ohne dass wir unsere Lebensweise ändern müssen.“, (9) „Tierschutzmaßnahmen sollten auch dann durchgesetzt werden, wenn dadurch Arbeitsplätze verloren gehen“.

  6. Diese Darstellung vereinfacht das Modell von Braun und Franzen (1995) und passt die Notation an, um es leichter mit unserer Konzeption vergleichen zu können. Die innere Logik des Formalismus bleibt davon unberührt.

  7. Mit der Sprechweise von „mechanischen Gründen“ ist Folgendes gemeint: In unserem Modell folgt der Haupteffekt der Einstellungen und auch die LCH aus dem Optimierungskalkül, welches der formale Ausdruck der Rationalitätsannahme ist. Bei Braun und Franzen (1995) folgt der Haupteffekt der Einstellungsstärke und mithin die LCH nicht aus dem Optimierungskalkül, sondern allein aufgrund der Annahme, dass sich das Ausmaß einstellungskonformen Handelns linear auf die soziale Anerkennung niederschlägt.

  8. Dieses Problem hängt damit zusammen, dass Braun und Franzen (1995) die Restriktionen des Entscheiders in Termen des sozialen Einkommens spezifizieren und entsprechend der Preis sozialer Anerkennung ein exogener Parameter ist. Hier nicht berichtete Analysen einer Modellvariante, in der der Preis einstellungskonformen Handelns exogen ist und die sozialen Restriktionen abgeleitet werden, zeigen, dass in diesem Fall weder der Haupteffekt der Einstellungen noch die LCH folgen. Mit anderen Worten: Dass dieses Modell die Ableitung der LCH in dem beschriebenen Sinne gestattet, ist wesentlich dadurch bedingt, dass der Preis einstellungskonformen Handelns als nicht unabhängig von der Stärke der Einstellung konzipiert ist.

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Danksagung

Andreas Diekmann ist für die Anregung zu danken, den Grundgedanken dieses Beitrags zu publizieren.

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Correspondence to Andreas Tutić, Thomas Voss or Ulf Liebe.

Anhang

Anhang

In diesem Appendix diskutieren wir die beiden alternativen mikroökonomischen Rekonstruktionen der LCH (Diekmann 1998; Braun und Franzen 1995).

Jochen Diekmann (1998) greift nicht auf die Theorie des Konsumentenverhaltens, sondern auf ein Kalkül, wie man es aus der Unternehmenstheorie oder auch der Industrieökonomik kennt, zurück. In seinem Ansatz wählt der Entscheider \(x_{1}\geq 0\) und \(x_{2}\geq 0\) so, dass er seine Zielfunktion

$$U(x_{1},x_{2})=u(x_{a})- c_{1}\left (x_{1}\right )- c_{2}(x_{2})$$

maximiert. Dabei gilt \(x_{a}=x_{1}+x_{2}.\) Die Vorstellung ist, dass es zwei Handlungsweisen \(x_{1}\) und \(x_{2}\) gibt, die eine Einstellung des Entscheiders umsetzen, aber mit unterschiedlichen Kosten verbunden sind. Diekmann (1998) geht von steigenden und abnehmenden Grenznutzen einstellungskonformen Handelns aus, d. h. \(\frac{du}{dx_{a}}>0\) und \(\frac{d^{2}u}{dx_{a}^{2}}<0,\) und davon, dass die Kostenfunktionen steigend und konvex sind, d. h. \(\frac{dc_{i}}{dx_{i}}>0\) und \(\frac{d^{2}c_{i}}{dx_{i}^{2}}>0\) mit i = 1,2.

Geht man nun von einem inneren Optimum aus, d. h. \(x_{1}^{\ast },x_{2}^{\ast }>0,\) müssen die Bedingungen erster Ordnung

$$\frac{du}{dx_{a}}\left (x_{1}^{\ast },x_{2}^{\ast }\right )=\frac{dc_{1}}{dx_{1}}\left (x_{1}^{\ast }\right )=\frac{dc_{2}}{dx_{2}}\left (x_{2}^{\ast }\right )$$

erfüllt sein. Diekmann (1998) argumentiert vor diesem Hintergrund zutreffend, dass im Falle von \(\frac{dc_{1}}{dx_{1}}\left (x\right )>\frac{dc_{2}}{dx_{2}}\left (x\right )\) für alle \(x\geq 0\) (d. h., wenn \(x_{1}\) im Vergleich zu \(x_{2}\) eine „high-cost“ Handlungsweise ist, um die Einstellung zu verwirklichen) hieraus \(x_{1}^{\ast }<x_{2}^{\ast }\) folgt. Die Grenzkosten beider Handlungsweisen müssen im Optimum gleich sein. Weil beide Grenzkostenfunktionen mit dem Ausmaß der jeweiligen Handlungsweise steigen und bei gleichen Ausmaßen die Grenzkosten der ersten Handlungsweise stets über den Grenzkosten der zweiten Handlungsweise liegen, muss im Optimum das Ausmaß der kostspieligeren Handlungsweise geringer als das der günstigeren Handlungsweise sein.

Wir können dieses Ergebnis auch wie folgt formulieren: Je größer die Kosten einstellungsrelevanten Handelns, desto geringer das Ausmaß einstellungsrelevanten Handelns. Dies entspricht der Hypothese vom negativen Kosteneffekt bzw. dem Nachfragegesetz, nicht aber der LCH. An sich ist es nicht verwunderlich, dass Diekmann (1998) lediglich den Kosteneffekt aus seinem Modell, aber nicht die LCH ableitet. Denn das Modell enthält von vornherein keine Variable, die sich als die Stärke der Einstellung interpretieren lässt. Aber genau auf die Effekte der Einstellungsstärke stellt die LCH ab.

In kritischer Auseinandersetzung mit einer grafischen Begründung der LCH von Diekmann und Preisendörfer (1998) formulieren Best und Kroneberg (2012) eine Idee, wie sich die LCH dennoch aus Jochen Diekmanns Modell ableiten lassen könnte. Und zwar könnte man die Stärke der Einstellung über unterschiedliche Grenznutzenverläufe abbilden. Betrachten wir kurz diese Möglichkeit. Unsere Annahmen bezüglich der Grenzkosten von von \(x_{1}\) und \(x_{2}\) bleiben unverändert. Ferner nehmen wir

$$\frac{d\overline{u}}{dx_{a}}\left (\overline{x}_{1}^{\ast },\overline{x}_{2}^{\ast }\right )=\frac{dc_{1}}{dx_{1}}\left (\overline{x}_{1}^{\ast }\right )=\frac{dc_{2}}{dx_{2}}\left (\overline{x}_{2}^{\ast }\right )$$

an, wobei \(\frac{d\overline{u}}{dx_{a}}\left (x_{a}\right )>\frac{du}{dx_{a}}\left (x_{a}\right )\) für alle \(x_{a}\geq 0\) gilt. Die LCH würde sich ableiten lassen, wenn aus diesen Annahmen stets \(\overline{x}_{2}^{\ast }- x_{2}^{\ast }>\overline{x}_{1}^{\ast }- x_{1}^{\ast }\) folgte. Denn in diesem Fall wäre der Effekt der Stärke der Einstellung auf die Low-Cost-Handlungsweise größer als auf die High-Cost-Handlungsweise. Diese Schlussfolgerung lässt sich aber im Allgemeinen nicht ziehen. Insbesondere folgt die Ungleichung nicht im Fall linearer Grenznutzen- und Grenzkostenverläufe. Gilt beispielsweise \(\frac{dc_{1}}{dx_{1}}=1+x_{1},\) \(\frac{dc_{2}}{dx_{2}}=x_{2},\) \(\frac{du}{dx_{a}}=5- \left (x_{1}+x_{2}\right )\) und \(\frac{du}{dx_{a}}=8- \left (x_{1}+x_{2}\right ),\) so erhalten wir in den Gleichgewichten \(x_{1}^{\ast }=1,\) \(x_{2}^{\ast }=2\) sowie \(\overline{x}_{1}^{\ast }=2,\) \(\overline{x}_{2}^{\ast }=3.\) Ob sich die LCH aus Diekmanns Modell ableiten lässt, hängt mithin von der konkreten Gestalt der Funktionen u, \(u^{\prime },\) \(c_{1}\) und \(c_{2}\) ab.

Das Modell von Braun und Franzen (1995) ähnelt unserem Vorschlag deutlich stärker als der Beitrag von Diekmann (1998). Auch Braun und Franzen gehen von einer Cobb-Douglas-Nutzenfunktion aus, wobei weder die Stärke der Einstellung noch das Ausmaß einstellungskonformen Handelns dort direkt einfließen. Konkret nehmen Braun und Franzen (1995) die Nutzenfunktion

$$u(x_{\neg a},s)=x_{\neg a}^{\beta }\cdot \left (s\left (x_{a}\right )\right )^{1- \beta }$$

an, wobei s das Ausmaß sozialer Anerkennung angibt, welches als lineare Funktion des Ausmaßes einstellungskonformen Handelns konzipiert ist:

$$s\left (x_{a}\right )=c+x_{a}\left (1- \alpha \right ),$$

mit \(c>0,\) eine Konstante.Footnote 6 Zu beachten ist, dass \(\beta \in \left (0,1\right )\) bzw. \(\left (1- \beta \right )\) nicht die Stärke der Einstellung wiedergibt. Vielmehr fließt die Einstellungsstärke \(\alpha \in \left (0,1\right )\) bei der Produktion von sozialer Anerkennung vermöge einstellungskonformen Handelns ein, und zwar derart, dass sie die Effektivität, mit der sich einstellungskonformes Handeln in sozialer Anerkennung niederschlägt, negativ beeinflusst.

Entscheidend für die Konstruktion von Braun und Franzen (1995) ist nun, dass sie die Restriktionen des Akteurs direkt in Form seines „sozialen Einkommens“ angeben (vgl. unsere Fußnote 5). So gehen sie von der Gleichung

$$p_{\neg a}\cdot x_{\neg a}+p_{s}\cdot s=m+p_{s}\cdot c$$

aus. Dabei bezeichnet \(p_{s}\) den „Preis“ sozialer Anerkennung, der dieselbe Einheit wie das Einkommen m und der Preis einstellungsirrelevanter Handlungen besitzen muss. Der Term \(m+p_{s}\cdot c\) entspricht dem sozialen Einkommen, welcher das „monetäre“ Einkommen m übersteigt, weil die Akteure soziale Anerkennung in Höhe von c unabhängig von ihrem Tun sozusagen als Anfangsausstattung besitzen.

Wir können nun die Nachfrage nach sozialer Anerkennung im Gleichgewicht sofort angeben, indem wir in die Nachfragefunktion aus unserem Modell auf die offenbare Art und Weise substituieren:

$$s^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c\right )=\left (1- \beta \right )\frac{m+p_{s}\cdot c}{p_{s}}.$$

Schon hier erkennt man, dass die soziale Anerkennung im Gleichgewicht überhaupt nicht von der Stärke der Einstellung abhängt. Daraus folgt, dass aus sozusagen rein mechanischen Gründen, die in der Annahme einer linearen Produktionsfunktion von sozialer Anerkennung aus einstellungskonformem Handeln heraus begründet sind, der positive Haupteffekt der Einstellungsstärke folgt. Je größer \(\alpha,\) desto größer muss \(x_{a}^{\ast }\) sein, um die optimale soziale Anerkennung \(s^{\ast }\) zu generieren, die überhaupt nicht von \(\alpha\) beeinflusst ist.Footnote 7 Der Haupteffekt der Kosten lässt sich aus der Gleichung ebenfalls unmittelbar ablesen.

Im Gleichgewicht ergibt sich das optimale Ausmaß einstellungskonformen Handelns als lineare Funktion des optimalen Konsums sozialer Anerkennung:

$$x_{a}^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c,\alpha \right )=\frac{s^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c\right )- c}{1- \alpha }$$

Es folgt

$$\frac{\partial x_{a}^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c,\alpha \right )}{\partial \alpha }=\frac{s^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c\right )- c}{\left (1- \alpha \right )^{2}}$$

und mithin

$$\frac{\partial ^{2}x_{a}^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c,\alpha \right )}{\partial p_{s}\partial \alpha }=\frac{\partial s^{\ast }\left (\beta ,m,p_{s},c\right )/\partial p_{s}}{\left (1- \alpha \right )^{2}}<0$$

In diesem Sinne stützt das Modell von Braun und Franzen (1995) die LCH. Der formale Mechanismus lässt sich wie folgt in Worte fassen: Der Effekt der Einstellungsstärke auf das Ausmaß einstellungskonformen Handelns ist aus mechanischen Gründen eine positive lineare Funktion der optimalen sozialen Anerkennung. Entsprechend beeinflusst der Preis der sozialen Anerkennung diesen Effekt auf dieselbe Weise wie er den Konsum sozialer Anerkennung beeinflusst, nämlich negativ. Die LCH folgt mithin in diesem Modell nicht als Ausfluss einer handlungstheoretischen Konzeption, sondern sie folgt allein aus der Annahme, dass soziale Anerkennung eine lineare Funktion des Ausmaßes sozialer Anerkennung ist.

Ferner folgt die LCH in einem strengen Sinn überhaupt nicht aus dem Modell von Braun und Franzen (1995). Denn hier wird lediglich gezeigt, dass der Preis sozialer Anerkennung einen negativen Effekt auf den Einfluss der Einstellungsstärke auf einstellungskonformes Handeln hat. Zu zeigen wäre aber, dass der Preis einstellungskonformen Handelns diesen Effekt zeitigt. Was ist nun der Preis einstellungskonformen Handelns in diesem Modell? Substituiert man \(s\left (x_{a}\right )=c+x_{a}\left (1- \alpha \right )\) in die Budgetgleichung, resultiert

$$p_{\neg a}\cdot x_{\neg a}+p_{s}\cdot \left (c+x_{a}\left (1- \alpha \right )\right )=m+p_{s}\cdot c$$

und mithin

$$p_{\neg a}\cdot x_{\neg a}+p_{s}\left (1- \alpha \right )x_{a}=m.$$

Demnach beträgt der Preis einstellungskonformen Handelns \(p_{s}\left (1- \alpha \right )\) und ist damit nicht unabhängig von der Einstellungsstärke. In diesem Sinne ist die Frage – wie verändert sich der Effekt der Stärke der Einstellungen auf das Ausmaß einstellungskonformen Handeln, wenn sich die Kosten einstellungskonformen Handelns ändern – nicht sinnvoll im Kontext dieses Modells. Denn diese Frage setzt voraus, dass die Kosten einstellungskonformen Handelns unabhängig von der Stärke der Einstellung sind.Footnote 8

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Tutić, A., Voss, T. & Liebe, U. Low-Cost-Hypothese und Rationalität. Köln Z Soziol 69, 651–672 (2017). https://doi.org/10.1007/s11577-017-0489-3

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