Zusammenfassung
Soziale Ungleichheit im Sport ist ein wichtiges Thema der Soziologie. Seit der Entstehung des modernen Sports gibt es schichtspezifische Differenzen in der Ausübung unterschiedlicher Sportarten. Die Frage ist, ob diese Differenzen heute noch bestehen und ob sich dafür andere, horizontale Dimensionen als wichtiger für die Beteiligung an Sport herauskristallisiert haben. Die vorliegende Studie untersucht diese Frage anhand der weltweiten Erhebung des International Social Survey Programme (ISSP) zum Thema „Sport and leisure time“ im Jahre 2007. Es wird die Relevanz der Schichtvariablen Bildung und Berufsposition und der horizontalen Sozialstrukturvariablen Alter und Geschlecht für 34 Länder weltweit mit Hilfe von Tabellen- und Regressionsanalysen untersucht. Die Befunde sind überraschend, ja im Hinblick auf die vorherrschenden Thesen in der deutschsprachigen Soziologie eindrucksvoll: Es sind nicht die vertikalen Dimensionen, welche an Bedeutung verloren haben, sondern die horizontalen. Der internationale Vergleich zeigt, dass die vertikale Dimension sozialer Ungleichheit im Sport die dominante bleibt. In den wohlhabenden Ländern ist nicht nur die Sportbeteiligung viel höher, die Effekte der horizontalen Dimensionen drehen sich geradezu um.
Abstract
Social inequality is a classical theme of the sociology of sports. Since modern sports have been established in nineteenth-century England, sport has been an instrument to differentiate the lower from the higher social classes. The question is if these differences have persisted till today or if new, horizontal dimensions have become more important. This study investigates this problem by re-analysing the new comparative survey “Leisure time and sports”, carried out within the International Social Survey Programm (ISSP). We investigate the relevance of two dimensions of vertical stratification, education and occupational position and of two horizontal dimensions, age and gender for 34 countries around the world by using descriptive and causal (regression) methods of analysis. The results are surprising, even enormous in view of the influential thesis that the vertical dimensions of stratification are losing in importance in favour of new, horizontal dimensions. It is not the first, but the second which today are less important. This is proved by the international comparison. Participation in sports is much higher in developed rich countries than in the poorer countries and also at this level the relevance of the horizontal dimensions is decreasing.
Notes
Da Fußball nicht ganz zu den „Kraftsportarten“ passt, wäre es besser gewesen, ihn separat zu behandeln; aufgrund der Fallzahlen wäre das jedoch nicht sehr gut möglich gewesen.
Vgl. http://www.issp.org und Haller et al. 2009. Die Thematik der Erhebung und die Leitung der ISSP- drafting group wurde von der Grazer ISSP- Forschergruppe (Max Haller und Franz Höllinger, Universität Graz, Institut für Soziologie) angeregt. In ihrem Auftrag wurde die Erhebung in Österreich (n = 1020) vom Institut für empirische Sozialforschung (Wien) durchgeführt.
In einer ersten Fassung dieses Beitrages wurde auch die passive Sportbeteiligung untersucht. Dabei ergeben sich ganz andere Zusammenhänge mit den Sozialstrukturmerkmalen, was auch verständlich ist.
Es ist ein Prinzip von ISSP, dass die Vertreter aller Mitgliedsländer (meist renommierte Soziologen und Sozialforscher) in ausführlichen wissenschaftlichen Diskussionen und auf der Basis theoretischer Papiere gemeinsam nicht nur über die Themen der Erhebung und ihre inhaltlichen Schwerpunkte, sondern auch über die Formulierung einzelner Fragen und Items entscheiden. Diese außergewöhnliche Vorgangsweise stellt einen Gegensatz dar zu einer Art Safari-Forschung, wie sie andere internationale Umfragen praktizieren. Durch diese Vorgangsweise wird sichergestellt, dass die Fragen in allen teilnehmenden Ländern Sinn machen (vgl. Haller et al. 2009).
Als Einschränkung ist zu berücksichtigen, dass das Kriterium Sportaktivität ordinal skaliert ist und eine etwas linkschiefe Verteilung aufweist Die Skala der Sportaktivität wurde zum besseren Verständnis umgepolt auf (1 = nie Sport bis 5 = täglich Sport).
Ein deutlicher Ausreißer ist Zypern, das für sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf eine sehr geringe Sportaktivität der Bevölkerung aufweist. Dafür ist vielleicht der hohe Anteil wohlhabender Ausländer verantwortlich, die ihr Kapital in Zypern angelegt haben, ohne selbst ihren Lebensmittelpunkt dort zu haben.
Allerdings besteht zwischen dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und dem Gini-Index eine hohe Korrelation, d. h. der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit in einem Land und Sportaktivität könnte z. T. durch das Bruttoinlandsprodukt zu erklären sein.
Literatur
Aust, Birgit. 1999. Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt. Umsetzung stresstheoretischer Erkenntnisse in eine Intervention bei Busfahrern. Münster: Lit.
Bässler, Roland. 1989. Freizeit und Sport in Österreich. Wien: WUV–Universitätsverlag.
Beck, Ulrich. 1986. Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Berger, Peter A., und Dirk Konietzka. 2001. Die Erwerbsgesellschaft. Neue Ungleichheiten und Unsicherheiten. Opladen: Leske + Budrich.
Bickel, Robert. 2007. Multilevel analysis for applied research. It's just regression! New York: Guilford Press.
Bouffartigue, Paul. 2004. Le retour des classes sociales. Inégalités, dominations, conflits. Paris: La Dispute.
Bourdieu, Pierre. 1982. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Breuer, Christoph. 2004. Zur Dynamik der Sportnachfrage im Lebenslauf. Sport und Gesellschaft – Sport and Society 1:50–72.
Cachay, Klaus, und Ilse Hartmann-Tews. 1998. Sport und soziale Ungleichheit. Theoretische Überlegung-en und empirische Befunde. Stuttgart: S. Naglschmid.
Cachay, Klaus, und Ansgar Thiel. 2000. Soziologie des Sports. Zur Ausdifferenzierung und Entwicklungsdynamik des Sports der modernen Gesellschaft. Weinheim: Juventa.
CIA – Central Intelligence Survey. 2012. The world factbook. Langley. Virginia: CIA
Collins, Mike. 2004. Sport, physical activity and social exclusion. Journal of Sports Sciences 22:727–740.
Cozzillio, Michael J., und Robert L. Hayman. 2005. Sports and inequality. Durham: Carolina Academic Press.
Dahrendorf, Ralf. 1966. Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen. Tübingen: Mohr.
Engel, Uwe. 1998. Einführung in die Mehrebenenanalyse. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Giulianotti, Richard, und Roland Robertson. 2009. Globalization & football. A critical sociology. New York: Sage.
Hadler, Markus. 2004. Die Mehrebenen-Analyse. Ihre praktische Anwendung und theoretische Annahmen. Österreichische Zeitschrift für Soziologie 29:53–74.
Hadler, Markus. 2007. Soziale Ungleichheit im internationalen Vergleich. Ihre Wahrnehmung, ihre Auswirkung und ihre Determinanten. Münster: Lit.
Haller, Max. 1986. Sozialstruktur und Schichtungshierarchie im Wohlfahrtsstaat. Zur Aktualität des vertikalen Paradigmas der Ungleichheitsforschung. Zeitschrift für Soziologie 15:167–187.
Haller, Max. 2003. Der Fußball und sein Publikum – ein österreichisches Problem. In Fußball und mehr… Ethische Aspekte eines Massenphänomens, Hrsg. David Neuhold und Leopold Neuhold, 73–101. Innsbruck: Tyrolia.
Haller, Max. 2006. Theorien sozialer Ungleichheit im nationalen und im europäischen Kontext. Eine wissenssoziologische Analyse. In Die Europäisierung sozialer Ungleichheit. Zur transnationalen Klasse- und Sozialstrukturanalyse, Hrsg. Martin Heidenreich, 187–229. Frankfurt a. M.: Campus Verlag.
Haller, Max. 2008. Die österreichische Gesellschaft. Sozialstruktur und sozialer Wandel. Frankfurt a. M.: Campus.
Haller, Max. 2015. Ethnic stratification and income inequality around the world: The end of exclusion and exploitation? Farnham: Ashgate Publishing.
Haller, Max, Franz Höllinger und Martin Gomilschak. 1999. Attitudes toward gender roles in international comparison. New findings from twenty countries. In New qualities in the lifecourse. Intercultural aspects? Hrsg. Rudolf Richter und Sylvia Supper, 131–152. Würzburg: Ergon.
Haller, Max, Roger Jowell und Tom W. Smith. 2009. The international social survey programme, 1984–2009. Charting the globe. London: Routledge.
Haller, Max, Markus Hadler und Gerd Kaup. 2013. Leisure time in modern societies: A new source of boredom and stress? Social Indicators Research 111:403–434.
Haut, Jan. 2011. Soziale Ungleichheiten in Sportverhalten und kulturellem Geschmack. Eine empirische Aktualisierung der Bourdieu’schen Theorie symbolischer Differenzierung. Münster: Waxmann.
Heinemann, Klaus. 1983. Einführung in die Soziologie des Sports. Schorndorf: Hofmann.
Hofmann, Jürgen. 2008. Sport und Gewalt. Eine multidimensionale Annäherung im interkulturellen Kontext. Aachen: Meyer & Meyer.
Hox, Joop J. 2002. Multilevel analysis. Techniques and applications. Mahwah: Lawrence Erlbaum.
Huizinga, Johan. 1987. Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Kerbo, Harold R. 2012. Social stratification and inequality. New York: McGraw-Hill.
Klein, Thomas. 2009. Determinanten der Sportaktivität und der Sportart im Lebenslauf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 61:1–32.
Klein, Markus, Michael Fröhlich und Eike Emrich. 2011. Sozialstatus, Sportpartizipation und sportmotorische Leistungsfähigkeit. Sport und Gesellschaft – Sport and Society 8:54–79.
Kurswechsel. 2012. Die gespaltene Gesellschaft. Der Fall Österreich. Wien: GESIS
Kurz, Dietrich, Hans-Gerhard Sack und Klaus-Peter Brinkhoff. 1996. Kindheit, Jugend und Sport in Nordrhein-Westfalen. Der Sportverein und seine Leistungen. Schriftenreihe des Kultusministeriums. Düsseldorf: Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport.
Lenski, Gerhard. 1973. Macht und Privileg. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Lüdtke, Hartmut. 2001. Freizeitsoziologie. Arbeiten über temporale Muster, Sport, Musik, Bildung und soziale Probleme. Münster: Lit.
Mansel, Jürgen, und Klaus-Peter Brinkhoff. 1998. Armut im Jugendalter. Soziale Ungleichheit, Gettoisierung und die psychosozialen Folgen. Weinheim: Juventa.
Marschik, Matthias, Rudolf Müllner, Otto Penz und Georg Spitaler. Hrsg. 2009. Sport studies. Wien: Facultas/WUV.
Nagel, Michael. 2003. Soziale Ungleichheiten im Sport. Aachen: Meyer und Meyer.
OECD. Hrsg. 2008. Growing unequal? Income distribution and poverty in OECD countries. Paris: OECD.
Pakulski, Jan, und Malcolm Waters. 1996. The death of class. London: Sage.
Quenzel, Gudrun, und Klaus Hurrelmann. Hrsg. 2010. Bildungsverlierer. Neue Ungleichheiten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Reicher, Dieter. 2013. Nationensport und Mediennation. Zur Transformation von Nation und Nationalismus im Zeitalter elektronischer Massenmedien. Göttingen: V & R unipress.
Reiterer, Albert F. 1998. Moderne Gesellschaften. Sozialstruktur und sozialer Wandel in Österreich. Wien: WUV
Schlagenhauf, Karl. 1977. Sportvereine in der Bundesrepublik Deutschland. Teil 1. Strukturelemente und Verhaltensdeterminanten im organisierten Freizeitbereich. Schorndorf: Hofmann.
Schwark, Jürgen. 2004. Die alten Herren: Fußball spielen als Lebensform. In Die lokal-globale Fußballkultur. Wissenschaftlich beobachtet, Hrsg. Dieter H. Jütting, 195–208. Münster: Waxmann.
Schwartz, Barry. 1981. Vertical classification. A study in structuralism and the sociology of knowledge. Chicago: University of Chicago Press.
Tofahrn, Klaus W. 1992. Soziologie des Betriebssportes. Lehrbuch für Sport- und Soziologiestudenten. Berlin: Duncker & Humblot.
van Tuyckom, Charlotte, und Karl G. Jöreskog. 2012. Going for gold! Welfare characteristics and Olympic success: An application of the structural equation approach. Quality and Quantity 46:189–205.
Voigt, Dieter. 1978. Soziale Schichtung im Sport. Theorie und empirische Untersuchung in Deutschland. Berlin: Bartels und Wernitz.
Washington, Robert E., und David Karen. 2001. Sport and society. Annual Review of Sociology 27:187–212.
Wehler, Hans-Ulrich. 2012. Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland. München: Beck.
Weineck, Jürgen. 2010. Sportbiologie. Balingen: Spitta.
Weiss, Otmar, und Wolfgang Schulz. 1995. Sport in space and time. Contributions to the 11th International Seminar for Sociology of Sport. Vienna: Vienna University Press.
Wilkinson, Richard G., und Kate Pickett. 2010. Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin: Tolkemitt bei Zweitausendeins.
Yeager, John. 2007. Sports – a vehicle for happiness. University of Pittsburgh. http://positivepsychologynews.com/news/john-yeager/2007011033. (Zugegriffen: 1. Juli 2014).
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Rohrer, T., Haller, M. Sport und soziale Ungleichheit – Neue Befunde aus dem internationalen Vergleich. Köln Z Soziol 67, 57–82 (2015). https://doi.org/10.1007/s11577-014-0298-x
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11577-014-0298-x