Zusammenfassung
Altersvorsorgeentscheidungen gehen häufig mit der Inanspruchnahme von Finanzberatung einher. Der Beitrag argumentiert, dass sich Sparwillige dabei in dem Dilemma befinden, dieser Beratung im Allgemeinen zu misstrauen, gleichzeitig aber faktisch auf sie angewiesen zu sein. Wir zeigen am Entscheidungsverhalten zur Riester-Rente, dass dieses vertrauenstheoretisch komplexe Dilemma mithilfe spezifischer Beziehungskonstruktionen bearbeitet wird. Empirisch kombinieren wir einen quantitativen Zugang in Form von Quer- und Längsschnittmodellen (fixed-effects) des SOEP und SAVE Datensatzes (Zeitraum: 2004–2010) mit einer in-depth-Analyse von 18 problemzentrierten Interviews. Unsere Befunde sind: 1. Vorsorgeentscheidungen werden meist über eine bereits bestehende Beziehung zum Berater getroffen. 2. Je weniger alternative Ressourcen verfügbar sind, desto stärker ist der Rückgriff auf diese Beziehung. 3. Berater nutzen den Beziehungsrahmen, um den Vertragsabschluss anzuregen. Die qualitativen Befunde verweisen 4. auf verschiedene Konstellationen der Einbettung von Beraterbeziehungen: Typologisch unterscheidbar sind dabei Treuhandverhältnisse, Zweckbündnisse oder passable Ad-hoc-Kooperationen. Im Ergebnis erweist sich die häufig vorherrschende Vorstellung von privater Altersvorsorge als atomistisch-rationale Zukunftsplanung als Illusion.
Abstract
Financial advice given by consultants is crucial for retirement saving decisions. We argue that those willing to save are facing a dilemma since there is a widespread mistrust towards the financial industry while financial advice is indispensable for coping with complexity in the decision process. Exploring the case of the state-subsidized Riester-pension in Germany, we show that savers construct personal relationships with the advisor to deal with this complex dilemma in terms of theories on trust. Using a mixed-method design embracing both quantitative techniques—cross-sectional as well as longitudinal (fixed-effects) approaches—and qualitative evidence, we shed new light on old age saving decisions. In detail, the exploitation of longitudinal surveys (of GSOEP and the German SAVE Panel 2004–2010) and of 18 problem-centred interviews provides the following findings: (1) Retirement saving decisions often rely on pre-existing relationships to financial advisors. (2) The less alternative resources available, the more savers rely on these relationships. (3) Financial advisors use their existing relationships to sell pensions. (4) The qualitative material unveils different patterns concerning the decision-making process which are trusteeship, strategic alliance, and acceptable ad-hoc collaboration. Altogether, the widespread idea of private retirement saving resulting from an atomistic and rational planning of the future is an illusion.
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Notes
Der Einfachheit halber verwenden wir im Weiteren die männliche Form zur Bezeichnung beider Geschlechter.
Bei der Riester-Rente werden Sparverträge durch staatliche Zulagen und Steuererleichterungen gefördert. Es handelt sich um kapitalgedeckte, marktabhängige Finanzprodukte, bei denen, abgesehen von Nominalbestandsgarantien sowie möglicher Mindestverzinsungen, offenbleibt, welche Erträge sie im Ruhestand bieten können (im Überblick: Oehler 2009).
Wir rekurrieren auf Befunde eines Forschungsprojekts, das wir mit Unterstützung des Forschungsnetzwerks Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung zwischen 2010 und 2013 durchgeführt haben. Danken wollen wir an dieser Stelle Lea Heyer, die an den qualitativen Erhebungen wesentlich beteiligt war. Die Ergebnisse des Projekts sind ausführlich dokumentiert in Bode und Wilke (2014).
Den Terminus des sozialen Katalysators verwenden wir in pragmatischer Absicht; die mit dem Begriff geweckte Assoziation zu Vorkehrungen, mit deren Hilfe problematische Stoffe in unproblematische transformiert werden, erscheint aber durchaus passend.
Ausgeblendet wird im Weiteren die umfangreiche betriebswirtschaftliche Forschung zu Beratungseffekten. Diese fragt unter anderem, ob beratene Kunden ein effizienteres Portfolio haben, wie Beratung hinsichtlich ihres Ziels (Produktabschluss) optimiert werden kann (z. B. Mayer-Vorfelder 2011) oder welche Eigenschaften ein „überzeugender“ Berater auf sich vereinen muss (Bonaccio und Dalal 2006).
Die Interviewten wurden gebeten, den Weg zum Vorsorgeprodukt nachzuzeichnen und Erfahrungen im Umgang mit Beratern zu schildern. Die Beziehung zum Berater wurde demnach von den Vorsorgesubjekten thematisiert.
Das Material wurde, Bezug nehmend auf die Rolle von Beratung, dahin gehend analysiert, wie 1) der Beratungskontakt zustande gekommen ist, 2) Berater und die Beziehung zu ihnen charakterisiert werden und 3) die Probanden ihre „Beratergeschichte“ rekapitulieren.
Lediglich beim hier nicht weiter thematisierten Alter zeigt sich ein umgekehrt u-förmiger Zusammenhang. Der Hochpunkt der Alterskurve liegt bei 41 Jahren.
Insofern erscheint auch plausibel, dass finanzielle Gespräche mit Verwandten keine vergleichbare Wirkung haben, da diese als nur wenig neue Informationen liefernde starke soziale Beziehungen im Sinne Granovetters (1973) eingestuft werden können.
Zur Stichprobe gehören nunmehr alle befragten Personen, die unmittelbar oder mittelbar zulagenberechtigt sind: Ausgeschlossen wurden daher Befragte (oder sofern vorhanden der Partner), die eines der folgenden Merkmale aufwiesen: Selbstständige/Freiberufler, Rentner, Personen mit Minijob, nicht arbeitslos gemeldete Nicht-Erwerbstätige.
Formal lässt sich das Modell darstellen als ein normales Logitmodell, erweitert um den individuenspezifischen Fehlerterm αi (Giesselmann und Windzio 2012, S. 143): \( P\left( {{y_{it}} = 1|x;\;{\alpha _{i(FE)}}} \right) =\frac{1}{{1 + \exp ( - ({\alpha _{i(FE)}} + \beta '{x_{it}}))}} \).
Diese Beobachtung ist dann stark ausgeprägt, wenn bereits eine längere Beziehung zum Berater besteht. Dort werden Provisionsinteressen im Kontext der Entscheidungsfindung besonders häufig ausgeblendet.
Eine erschöpfende Typologisierung (mit Sättigungseffekten im Sample) scheint aufgrund der immensen Vielfalt von Vorsorgekonstellationen in der Tat äußerst voraussetzungsvoll und ist hier auch nicht beabsichtigt.
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Bode, I., Wilke, F. Orientierungsprozesse im Vertrauensdilemma. Beziehungskonstruktionen in Beratungen zur privaten Altersvorsorge. Köln Z Soziol 66, 371–396 (2014). https://doi.org/10.1007/s11577-014-0278-1
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