Geschäftsprozessmanagement (GPM) ist ein Forschungsgegenstand, der im Schnittbereich von Betriebswirtschaftslehre und Informatik liegt und damit ein Kernthema der Wirtschaftsinformatik markiert. Einerseits liegt dabei der Fokus auf der Erstellung von Unternehmensmodellen (bzw. Unternehmensarchitekturen) einschließlich der Repräsentation der Organisationsstruktur, der Unternehmensstrategie und der Prozesslandschaft, andererseits werden Methoden und Werkzeuge entwickelt, die den Entwurf, die Ausführung und die Analyse von Geschäftsprozessen unterstützen.

GPM wird häufig in Verbindung mit serviceorientierten Architekturen (SOA) diskutiert. GPM adressiert die Ressourcen – einschließlich der IT-Ressourcen –, die zur zielgerichteten Durchführung von Geschäftsprozessen erforderlich sind, während SOA für einen Architekturansatz steht, der eine komfortable Anpassung der benötigten Software an sich ändernde Anforderungen ermöglichen soll.

Während die gegenseitige Anreicherung von GPM und SOA eine vielversprechende Perspektive öffnet, ist sie auch mit diversen Herausforderungen verbunden. Sie machen sich zum Teil an Kommunikationsproblemen fest, die zwischen den Akteuren, die in den GPM-Lebenszyklus eingebunden sind, bestehen. Hier ist etwa an die unterschiedlichen Sprachwelten verschiedener Berufsgruppen zu denken, z. B. wenn ein IT-Experte ein Prozessmodell interpretieren muss, weil es vom Organisator unzureichend beschrieben wurde.

Dabei sind Kommunikationsprobleme nicht auf Gruppen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen beschränkt. Auch innerhalb einer bestimmten Gruppe sind terminologische Differenzen festzustellen, wenn beispielsweise Organisatoren gleiche Sachverhalte unterschiedlich benennen. Dadurch können die gemeinsame Nutzung und Wiederverwendung von Geschäftsprozessen sowie das Auffinden bereits modellierter Prozesse erheblich beeinträchtigt werden. Nicht zuletzt führt das Fehlen einer gemeinsamen Sprache zu Friktionen zwischen den Phasen des GPM-Lebenszyklus und behindert die Realisierung automatisierter Phasenübergänge.

Eine weitere Herausforderung liegt in der wirksamen Unterstützung der Flexibilität von Geschäftsprozessen. So werden etwa in vielen existierenden Workflow-Management-Systemen die benötigten Services statisch gebunden, sodass während der Laufzeit von Geschäftsprozessen eine Anpassung an geänderte Anforderungen erschwert wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Ersetzung existierender Services mit beachtlichem Aufwand und Risiko verbunden ist, solange keine standardisierten anwendungsnahen Komponenten verfügbar sind.

Die skizzierten Herausforderungen haben Forschungsaktivitäten motiviert, die darauf gerichtet sind, die Möglichkeiten von GPM durch die Berücksichtigung neuer Technologien wie Semantic Web und Web 2.0 auszuweiten.

Im Kontext sog. „semantischer Technologien“ erhält der ohnehin überladene Begriff Semantik eine weitere Facette. So wird eine Technologie verkürzt als „semantisch“ bezeichnet, wenn sie auf Ansätzen beruht, die auf eine Formalisierung von Semantik gerichtet sind, um so die Leistungsfähigkeit von Software zu steigern. In der Softwaretechnik ist die explizite Spezifikation der Semantik von Daten oder allgemein von Softwareartefakten mittels dedizierter Schemata seit langem ein wichtiges Instrument zur Reduktion von Komplexität und zur Förderung von Flexibilität. Im Unterschied dazu werden im Forschungsgebiet der sog. semantischen Technologien, das historisch in der Tradition der Künstliche-Intelligenz-Forschung steht, vorwiegend solche Sprachen eingesetzt und entwickelt, die Deduktion unterstützen. Dadurch werden ein höheres Abstraktionsniveau und gehaltvollere Spezifikationen ermöglicht.

Die Arbeiten zum Web 2.0 sind demgegenüber vor allem darauf gerichtet, die Potenziale des Internets zur Entwicklung und Pflege offener sozialer Netzwerke zu nutzen. Aus dem Blickwinkel von GPM ist dabei vor allem bedeutsam, dass die Technologien des Web 2.0 den Austausch von Informationen und damit die Kooperation in verteilten Szenarien unterstützen. Damit sind sie geeignet, die Kommunikation im Kontext von GPM zu fördern – und damit eine wirksamere Einbindung der Betroffenen in Analyse- und Entwurfsprozesse.

Zunächst war es unklar, ob semantische Technologien und solche des Web 2.0 konkurrieren oder sich ergänzen. Die Ansätze verfolgen unterschiedliche Ziele und weisen Unterschiede im zentralen Fokus auf. Während die Konzeption des Web 2.0 durch eine ausgeprägte soziale Komponente gekennzeichnet ist, also Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen fördern soll, sind semantische Technologien vor allem darauf gerichtet, die Leistungsfähigkeit von Software durch ergänzende Metadaten zu erhöhen. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Konzepte Semantic Web und Web 2.0 lassen sich Unterschiede erkennen. Der größte Unterschied liegt darin, dass das Semantic Web maschinenorientiert ist, indem maschinell verarbeitbare Information bereitgestellt wird, während sich das Web 2.0 am Menschen orientiert, indem effiziente Plattformen für die gemeinsame Nutzung von Information geschaffen werden. Das Schwerpunktthema im vorliegenden Heft ist nicht zuletzt auf die Frage gerichtet, ob und wie beide Ansätze gewinnbringend verbunden werden können.

Holschke, Rake, Offermann und Bub stellen in ihrem Beitrag eine Methode vor, die die komfortable und sichere Anpassung von Geschäftsprozessen unter Verwendung von SOA ermöglicht. Sie basiert auf semantischen Geschäftsprozessmodellen und der Differenzierung verschiedener Typen von Änderungsoperationen. Der Ansatz wird von einer Softwareplattform unterstützt und mittels einer Simulation evaluiert.

Vanderhaeghen, Fettke und Loos zeigen, wie GPM durch Technologien des Web 2.0 unterstützt werden kann. Dazu fokussieren sie auf die Konzepte „kollektive Intelligenz“ und „Selbstorganisation“, um neue Wege zur Beherrschung der Dynamik von Geschäftsprozessen aufzuzeigen. Der Ansatz wird durch eine prototypische GPM-Plattform unterstützt.

Darüber hinaus bietet das Interview mit Rudi Studer, einem der Pioniere der einschlägigen Forschung, differenzierte Einblicke in bisherige Forschungsergebnisse und deren Weg in die praktische Anwendung sowie einen anregenden Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.

Wir hoffen, dass das Schwerpunktthema in diesem Heft einen gehaltvollen Überblick über die aktuelle Forschung bietet und einen Eindruck davon vermittelt, wie die zukünftige Forschung im Schnittstellenbereich von GPM, Semantic Web und Web 2.0 dazu beitragen kann, die Effizienz von GPM weiter zu steigern. Wir danken den Gutachtern, die an der Bewertung und Auswahl der Beiträge beteiligt waren, für ihre umfangreiche und wertvolle Unterstützung. Ihnen, den Lesern, wünschen wir eine anregende Lektüre.

Das Heft wird ergänzt durch einen Beitrag außerhalb des Schwerpunktthemas. Braunwarth, Kaiser und Müller untersuchen die Frage, wie der optimale Automatisierungsgrad von Geschäftsprozessen in Versicherungsunternehmen, bezogen auf den Barwert von zukünftigen Cashflows, bestimmt werden kann.

Witold Abramowicz

Dieter Fensel

Ulrich Frank