Die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre wird vielfach als Erfolgsgeschichte aufgefasst, dokumentiert u. a. in der Entwicklung der Studierendenzahlen oder der zunehmenden Internationalisierung des Fachs. So ist die BWL zu einem der größten Fächer an Universitäten und Fachhochschulen geworden; ihre Absolventen erreichen einflussreiche Positionen in Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Verbänden. Allerdings gibt es seit längerer Zeit Kritik von Management-Wissenschaftlern wie von Vertretern der Unternehmenspraxis, an der Ausbildung, ihren Inhalten und Wissensgrundlagen, aber auch an den Kompetenzen, den Werthaltungen und der Persönlichkeit von Absolventen betriebswirtschaftlicher Studiengänge. Dabei wird u. a. hinterfragt, warum Unternehmens- und Wirtschaftsethik (UWE) in die betriebswirtschaftliche Forschung und Ausbildung kaum integriert ist. Lange hat sich die Betriebswirtschaftslehre durchaus bewusst nicht mit ethischen Fragen auseinandergesetzt und auf das von Max Weber formulierte Konzept der Wertfreiheit wissenschaftlicher Aussagen berufen. Die führenden Vertreter der bis Ende des vorigen Jahrhunderts bestimmenden Hochschullehrergeneration äußerten sich immer wieder ablehnend oder zumindest skeptisch gegenüber Unternehmensethik als einer betriebswirtschaftlichen Teildisziplin.

Dies hat sich in den vergangenen 2 Jahrzehnten deutlich geändert. In der Forschung gibt es zahlreiche Vertreter, die den Bezug zur Ethik als Wissenschaft suchen und sich mit moralischen Problemen in der Forschung und Lehre explizit auseinandersetzen. Auch der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) hat die Bedeutung dieses Themas erkannt, das durch die Finanz- sowie Wirtschaftskrise und deren Folgen in jüngerer Zeit zusätzlichen Auftrieb erhielt. So organisierte die Kommission Wissenschaftstheorie (WK WISS)u. a. zwei Workshops zur Integration unternehmens- und wirtschaftsethischer Fragen in die Lehre. Die Ethic Education-Workshops (2008 in Berlin und 2009 in München) setzten an der „Ausbildungslücke“ an.Footnote 1 Dagegen war die Kommissionstagung 2010 in Berlin dem Thema „Ethik in der betriebswirtschaftlichen Forschung“ gewidmet. Der methodische Rahmen zu dieser „Forschungslücke“ reichte von theoretischen Entwürfen bis zu empirischen Arbeiten. Einige der Beiträge des vorliegenden Sonderheftes sind auf Vorträge dieser Tagung zurückzuführen. Schließlich zeigt sich die wachsende Relevanz des Themas Ethik nicht zuletzt in einer institutionellen Anpassung: die WK WISS wurde im Jahre 2010 zur Kommission „Wissenschaftstheorie und Ethik in der Wirtschaftswissenschaft“ (WK WEW) erweitert und nimmt nun diese Fragen noch intensiver in ihre Arbeit auf.

Auf diese Entwicklungen ist auch die Initiative für das vorliegende Special Issue zurückzuführen. Es ist ein Beleg dafür, dass Vertreter des Faches aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln heraus die Forschung zur Unternehmensethik vorantreiben. Diese wird nur dann eine wirkliche Verankerung in der Betriebswirtschaftslehre erreichen, wenn sie in ihren verschiedenen Bereichen aufgegriffen wird. Deshalb erscheint es uns gut, dass nachfolgend unternehmensethische Probleme im Hinblick auf das Verhalten von und in Organisationen, die Besteuerung, aber auch für unternehmerische Kooperationen mit Nicht-Regierungsorganisationen sowie grundlegende Annahmen der Ökonomik angesprochen werden.

So befasst sich Tanja Rabl mit der ethischen Beurteilung des Verhaltens von Aktoren in organisationalen Korruptionsfällen. Hierbei wird die Rolle von Kontextfaktoren auf die Beurteilung im Rahmen einer sog. Vignettenstudie analysiert, die eine Entschlüsselung normativer Strukturen bei der Bewertung von Situationen mit komplexen Merkmalskonstellationen erlaubt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass ethische Bewertungen eines bestimmten Verhaltens von einer hohen Situativität geprägt sind. Die Autorin extrahiert eine Reihe solcher Kontextvariablen und diskutiert die Implikationen für die Korruptionsvermeidung.

In Organisationen kommt es jedoch nicht nur unter bestimmten Bedingungen zu „Korruptionsepisoden“ im Sinne eines kurzzeitigen Abweichens von Effizienz und Verlässlichkeit. Vielmehr – so die These von Günther Ortmann – weisen heute Unternehmen häufig verschiedene institutionelle Merkmale auf, die es ihnen ermöglichen, systematisch einen hohen Einfluss auf Recht und Politik zu nehmen, Moral zu verdrängen und Legitimität zu produzieren. Die eingenommene Perspektive des Autors verweist damit eindrucksvoll auf mögliche Problemfelder einer positiven Ökonomik.

Das Thema „Moral“ spielt auch im Beitrag von Ute Schmiel eine zentrale Rolle. Die Autorin untersucht in ihrem Beitrag, ob eine „Steuermoral“ für den Einzelnen vorteilhaft ist. Sie legt dabei ein weites Begriffsverständnis von Steuermoral zugrunde, das neben einem Verzicht auf Steuerhinterziehung gleichsam einen Verzicht auf bestimmte Sachverhaltsgestaltung umfasst und Steuerzahlung als Bestandteil eines fiktiven Gesellschaftsvertrags illustriert. Auf der Basis eines solchen Gesellschaftsvertrags – so die Schlussfolgerung der Autorin – kann eine Steuerzahlung unabhängig von möglichen Sanktionierungsnachteilen bei ihrer Aufdeckung auch vorteilig aus dem Grunde sein, da sie eine Beeinträchtigung des Gesellschaftsvertrags verhindert.

Dominik van Aaken setzt sich mit der begrenzten Eignung ökonomischer Ansätze für ethisch-normative Urteile auseinander. In deren Betonung individueller Freiheit sieht er eine grundlegende Wertung, aus der sich weitere Wertungen im Sinne einer normativen Ökonomik ableiten lassen. Nach seiner Argumentation folgt aus dieser Basiswertung, dass Verträge von Unternehmen nur dann ethisch gerechtfertigt sind, wenn sie auf einem freiwilligen Einverständnis beruhen. Dazu müssen sie eine Reihe von Anforderungen erfüllen, anhand derer sich ihre Legitimität in einer globalisierten Welt beurteilen lässt.

Schließlich studieren Nicco Graf und Franz Rothlauf, warum und wie NGOs Kollaborationen zu Unternehmen nutzen könnten, um ihre Ziele (besser) erreichen zu können. Ausgehend von heterogenen Ressourcenpositionen der beteiligten Kooperationspartner wird auf der Grundlage der ‚resource-based view‘ analysiert, wie eine Zusammenarbeit zu Wettbewerbsvorteilen führen kann. Neben offensichtlichen Vorteilen, die sich aus einer Legitimierungsfunktion ableiten lassen, werden hier systematisch weitere Vorteilskategorien hervorgehoben. Ferner leiten die Autoren mögliche Treiber und Bedrohungen für den Erfolg solcher Kollaborationen ab.

Wir hoffen, dass die Aufsätze in diesem Heft Anregungen für weitere Forschungsarbeiten zur Unternehmensethik liefern und auch dazu beitragen, deren Probleme stärker in der Lehre aufzugreifen.