Unternehmensethik findet in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre (BWL) zunehmend Beachtung. Ließ sich vor nicht allzu langer Zeit noch argumentieren, sie spiele in der betriebswirtschaftlichen Forschung keine ernstzunehmende Rolle, ist dieser Vorwurf angesichts jüngerer Entwicklungen kaum noch zu halten. In führenden betriebswirtschaftlichen Zeitschriften sind in den letzten Jahren zahlreiche Artikel sowie Sonderhefte speziell zu Unternehmensethik, Nachhaltigkeit sowie Corporate Social Responsibility erschienen, aktuelle Forschungsergebnisse werden auf betriebswirtschaftlichen Tagungen präsentiert und diskutiert. Eine wichtige Rolle kommt hierbei dem Verband der Hochschullehrer für BWL (vhb) zu, der mit mehreren Arbeitstagungen, einem Symposium im Rahmen der Pfingsttagung 2010 sowie mit der Wahl des Themas „Nachhaltigkeit“ für die kommende Jahrestagung unterstreicht, welchen Stellenwert er dem Thema beimisst.

Während also diese Problematik in der Forschung an Prominenz gewinnt, ist umstritten, welche Rolle Unternehmensethik in der Lehre spielen sollte. So gibt es nur wenige hierauf speziell ausgerichtete Lehrstühle, in den Standard-Curricula betriebswirtschaftlicher Studiengänge fristen unternehmensethische Lehrveranstaltungen ein Nischendasein, und das Thema wird nur in den wenigsten Lehrbüchern sowie Lehrveranstaltungen zu Grundlagenfächern wie Finanzierung, Organisation, Rechnungswesen oder Marketing berücksichtigt. Zusätzlich erschweren die engeren zeitlichen und inhaltlichen Spielräume in den gerade eingeführten Bachelor-Studiengängen die Aufnahme neuer Inhalte in die Lehrpläne.

Diese Situation steht in gewisser Diskrepanz zum Selbstverständnis der Betriebswirtschaftslehre. Die meisten Vertreter des Faches verstehen diese als eine anwendungsorientierte wissenschaftliche Disziplin, die zukünftige Verantwortungsträger in Unternehmen auf komplexe Entscheidungen vorbereiten soll. Das impliziert, dass im BWL Studium Kompetenzen geschult werden sollen, die später letztlich zu besseren Entscheidungen führen.

Unternehmensethische Skandale wie etwa die jüngeren Verstöße gegen Datenschutz, das Verhalten einiger Akteure in der Finanzkrise und nicht zuletzt die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko offenbaren eindrücklich, dass Entscheidungsträger in Unternehmen neben Grundkenntnissen in den betriebswirtschaftlichen Standardfächern auch über Kompetenzen verfügen müssen, die sie zum Umgang mit moralischen Problemen befähigen. Damit wird deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit unternehmensethischen Fragestellungen dort wichtig ist, wo viele der zukünftigen Entscheidungsträger ausgebildet werden: in Hochschulen, insbesondere in den betriebswirtschaftlichen Fakultäten. So wie Studierende der BWL Investitionsrechenverfahren und Marketing-Instrumente kennen lernen, sollte ihnen auch Wissen über Besonderheiten unternehmensethischer Problemstellungen und Lösungsmöglichkeiten vermittelt werden.

Vor diesem Hintergrund wurde 2008 erstmals an der Humboldt Universität zu Berlin der „Ethics Education Workshop“ organisiert. Dessen zweites Treffen fand im Juni 2009 an der BWL-Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München statt. Zweck der sehr gut besuchten Tagung war es, Ziele, Inhalte sowie Methoden der unternehmensethischen Hochschullehre zu diskutieren. Ihre Vorträge lieferten eine Grundlage für die im vorliegenden Sonderheft veröffentlichten Beiträge, die im Nachgang zu dem Workshop eingereicht und begutachtet wurden. Dieses Special Issue der Zeitschrift für Betriebswirtschaft reiht sich damit in die Bemühungen ein, der Unternehmensethik in der BWL weiter zur Geltung zu verhelfen.

Die ersten drei Beiträge widmen sich der Frage, welche Rolle Unternehmensethik in der Lehre spielen kann und soll. Den Beginn macht Michael Albert, der aus Sicht der Unternehmenspraxis drei zentrale Themenfelder skizziert, in denen Studierende der BWL wirtschafts- und unternehmensethisches Wissen erhalten sollten. Auch Ingo Pies, Markus Beckmann und Stefan Hielscher sehen in der Vermittlung von Kompetenzen die zentrale Aufgabe von Unternehmensethik in der Hochschullehre. Vor dem Hintergrund ihres „ordonomischen“ Ansatzes unterscheiden sie eine Wirtschaftsethik für wettbewerblich verfasste Marktwirtschaften, eine Unternehmensethik für korporative Akteure sowie eine Prozessethik für Verfahren der New Governance und leiten hieraus strategische Management-Kompetenzen ab, die bei zukünftigen Führungskräften geschult werden können. Den dritten Beitrag zur Behandlung von Unternehmensethik in der Lehre liefern Dominik van Aaken, Hans-Ulrich Küpper und Philipp Schreck. Basierend auf einer Unterscheidung wissenschaftlicher Aussagen nach deren Begründbarkeit sehen sie die Hauptaufgabe der Unternehmensethiklehre darin, Studierenden jenseits von Wertevermittlung eine Vielfalt an Theorien, Konzepten und Instrumenten vorzustellen, die ihnen bei der Handhabung moralischer Probleme in der unternehmerischen Praxis Anhaltspunkte bieten können.

Die anschließenden drei Forschungsbeiträge verdeutlichen die methodische Breite unternehmensethischer Forschung. Zunächst widmen sich Nick Lin-Hi und Andreas Suchanek aus ordnungsethischer Perspektive der Frage nach dem Verhältnis von Gewinn und Moral sowie den Integrationsmöglichkeiten seitens des Managements im Konfliktfall. Thomas Kuhn und Jürgen Weibler setzen sich kritisch mit der Idee eines „Business Case for Corporate Social Responsibility“ auseinander und argumentieren für die Notwendigkeit einer ethischen Legitimation unternehmerischen Handelns über die ökonomische Logik hinaus. Den Abschluss des Sonderhefts bildet ein Artikel von Hans-Ulrich Küpper und Kai Sandner, in dem sie den Bezug zwischen einer aktuellen Entwicklung der agency-theoretischen Forschung und der Unternehmensethik aufzeigen. Die Gestaltung von Anreizsystemen auf der Basis von Principal-Agent-Modellen erreicht durch die Berücksichtigung sozialer Präferenzen eine bessere Realitätsnähe. Dadurch wird nicht nur eine Verbindung zu moralischen Prinzipien wie Altruismus hergestellt, sondern werden auch teilweise überraschende Wirkungen sichtbar, welche für die unternehmensethische Analyse bedeutsam sind.

Die Dringlichkeit unternehmensethischer Probleme ist schwer zu bestreiten. Deshalb ist die BWL auf einem guten Weg, wenn sie diese zunehmend aufgreift und in ihrer Forschung sowie Lehre nach Wegen sucht, um zu deren Lösung beizutragen. Dieses Special Issue ist wie zahlreiche andere Bemühungen innerhalb der BWL ein weiterer Versuch, die mit dieser Thematik verbundenen Fragestellungen voranzubringen. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, zukünftige Entscheidungsträger besser auf jene unternehmensethischen Herausforderungen vorzubereiten, die aller Voraussicht nach nur wenigen von ihnen im Berufsalltag erspart bleiben werden.