In seinem 20. Geburtsjahr hat ACE2 („angiotensin-converting enzyme 2“) traurige Berühmtheit erlangt. Während es in einem normalen Jahr etwa 150 Einträge in Pubmed einfährt, sind es im ersten Halbjahr 2020 schon fast 900. Es wird damit wohl das meistzitierte Protein in 2020. Der Grund ist seine Ausbeutung als Rezeptor durch SARS(„severe acute respiratory syndrome“)-CoV(„coronavirus“)-2, den Erreger der COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie. ACE2 wurde im Jahr 2000 von zwei Gruppen unabhängig voneinander als Homolog von ACE entdeckt [1, 8]. Während ACE zwei proteolytisch aktive Zentren mit je einem gebundenen Zinkatom aufweist, hat ACE2 nur eines (Abb. 1). Allerdings ist auch nur eine Hälfte von ACE2 homolog zu ACE, die andere Hälfte ist homolog zu Collectrin, was auf eine Genfusion in der Evolution von ACE2 hindeutet. Die Collectrindomäne bringt ACE2 eine weitere von der Proteasefunktion unabhängige Eigenschaft ein, auf die weiter unten eingegangen wird.

Abb. 1
figure 1

Struktur von ACE2 („angiotensin-converting enzyme 2“): Die Proteasedomäne von ACE2 hat im Gegensatz zum homologen ACE nur ein aktives Zentrum mit einer Zinkbindestelle (HEMGH). Der C‑terminale Teil von ACE2 ist homolog zu Collectrin und an der Aminosäureaufnahme im Darm beteiligt. Das Spike-Protein von SARS(„severe acute respiratory syndrome“)-CoV(„coronavirus“)-2 bindet an 2 Stellen an ACE2. ACE2 kann durch verschiedene Proteasen nahe der Membran gespalten und damit freigesetzt werden (AS Länge des Proteins in Aminosäuren)

ACE2 als Protease

ACE2 trägt seinen Namen insofern zurecht, als es, wie ACE, Angiotensin(Ang)-Peptide umsetzt (Abb. 2). Wie bei ACE ist Ang I ein Substrat, ACE2 erzeugt aber nicht Ang II wie ACE sondern Ang(1–9), denn es ist eine Monocarboxypeptidase, die nur eine C‑terminale Aminosäure von Peptiden abspaltet, im Gegensatz zu ACE, das als Dicarboxypeptidase zwei abspaltet [1, 8, 9]. Die für das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) wichtigere Aktivität von ACE2 ist allerdings die Verkürzung von Ang II zu Ang(1–7). Mit dieser Reaktion wird ACE2 zu einem entscheidenden Stellglied des RAAS, da das vasokonstriktive und gewebeschädigende Ang II zum vasodilatatorischen und gewebeschützenden Ang(1–7) umgebaut wird [6]. Die Bildung von Ang(1–7) geschieht lokal im Gewebe, wo das Peptid dann mit seinem Rezeptor Mas interagiert und oft gegensätzliche Wirkungen zu Ang II an seinem AT1-Rezeptor (Angiotensin-II-Rezeptor Subtyp 1) hervorruft. Die unterschiedlichen enzymatischen Eigenschaften von ACE und ACE2 führen auch dazu, dass ACE-Inhibitoren keinen Effekt auf die Aktivität von ACE2 haben. Die pharmakologische Beeinflussung von ACE2 zielt im Gegensatz zu ACE auf dessen Aktivierung ab, da das Enzym ja Ang II abbaut. Allerdings sind bisher nur sehr unspezifische Aktivatoren bekannt, und nur rekombinant hergestelltes ACE2 wurde klinisch getestet, um die Aktivität bei Lungenerkrankungen zu steigern [5].

Abb. 2
figure 2

Angiotensinmetabolismus und ACE2 („angiotensin-converting enzyme 2“): Nach Bildung von Angiotensin (Ang) I aus Angiotensinogen durch Renin wird entweder Ang I durch ACE in Ang II oder durch ACE2 in Ang(1–9) gespalten. Ang(1–7) entsteht dann durch Verdau von Ang(1–9) durch ACE oder von Ang II durch ACE2. Neprilysin (NEP) setzt direkt Ang I in Ang(1–7) um. Ang II interagiert mit dem AT1-Rezeptor (Angiotensin-II-Rezeptor Subtyp 1; AT1), Ang(1–7) mit dem Rezeptor Mas mit oft gegensätzlichen physiologischen Effekten

Es wird, wohl wegen des Namens, sehr oft vergessen, dass ACE2 neben Angiotensinen auch andere aktive Peptide umsetzt, wie Apelin-13 und desArg9-Bradykinin [9]. Es ist deshalb deutlich weniger bekannt, welche physiologischen und pathophysiologischen Funktionen ACE2 dadurch ausübt. Apeline sind in der Herzentwicklung und für die Regulation des Gefäßtonus von großer Bedeutung, und desArg9-Bradykinin aktiviert den inflammatorischen Arm des Kallikrein-Kinin-Systems, sodass anzunehmen ist, dass ACE2 auch über die Inaktivierung dieser Peptide eine relevante Rolle bei Herz-Kreislauf- und anderen Erkrankungen spielt.

Funktion von ACE2 in der Niere

Zahlreiche Veröffentlichungen unterstützen eine wichtige Rolle der ACE2/Ang(1–7)/Mas-Achse für die Nierenfunktion [6]. ACE2 wird entlang des proximalen Tubulus in der Nierenrinde gefunden, ist aber wohl nicht das einzige Enzym, das in der Niere Ang(1–7) generieren kann; die neutrale Endopeptidase (auch Neprilysin [NEP]) genannt), die durch die neue Medikamentenklasse der ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren; Kombination aus AT1-Rezeptor- und NEP-Inhibitor) geblockt wird, ist in diesem Organ auch aktiv (Abb. 2). Die ACE2/Ang(1–7)/Mas-Achse spielt bei Nierenerkrankungen eine protektive Rolle. ACE2-defiziente Mäuse entwickeln im Alter spontan eine Glomerulosklerose. Darüber hinaus sind diese Tiere anfälliger für ischämie-, reperfusions- und diabetesbedingte Nephropathie. Infusion von rekombinantem ACE2 in Mäusen verhindert diese Schäden. Eine chronische Hemmung von ACE2 mit dem spezifischen Inhibitor MLN-4760 führt sowohl bei gesunden als auch bei diabetischen Mäusen zu glomerulären Schäden und Albuminurie.

Aufgrund des Mangels an zugelassenen spezifisch wirkenden Arzneimitteln gibt es noch keine interventionellen Studien zu Nierenerkrankungen beim Menschen, die die Effekte der ACE2/Ang(1–7)/Mas-Achse klinisch belegen könnten. Da ACE2 in Plasma und Urin von Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen unterschiedlicher Genese erhöht ist, scheint diese Achse aber auch bei Patienten – wahrscheinlich kompensatorisch – aktiv zu sein.

ACE2 als Aminosäuretransportprotein

Die Homologie des C‑terminalen Teils von ACE2 zu Collectrin (Abb. 1) wurde eingangs schon erwähnt. Collectrin ist in der Niere verantwortlich für die Stabilität und die Membranständigkeit des Transporters B0AT1 (SLC6A19), der Aminosäuren aus dem Primärharn wieder in den Kreislauf zurücktransportiert. B0AT1 kommt auch im Darmepithel vor und ist dort für die Aufnahme von Aminosäuren aus der Nahrung zuständig; dort gibt es aber kein Collectrin. Im Darm übernimmt ACE2 dessen Funktion als Stabilisator und Shuttle zur Membran [7]. Mäuse, denen ACE2 fehlt, haben auch kein B0AT1 mehr im Darm und entwickeln deshalb eine partielle Aminosäuredefizienz, die Hartnup-Krankheit. Sie haben hauptsächlich zu wenig von der essenziellen Aminosäure Tryptophan im Blut, was sekundär auch zu einer Defizienz des Tryptophanmetaboliten Serotonin in Blut und Gehirn führt, wie wir vor einigen Jahren festgestellt haben [4].

Wie es evolutionär zu dieser Doppelfunktion – Protease und Aminosäuretransporter – von ACE2 kam und ob diese beiden Funktionen irgendwie zusammenhängen, ist noch unklar.

ACE2 als Coronavirusrezeptor

Die dritte Funktion von ACE2 wird dem Molekül von einigen Coronaviren aufgezwungen, die es als Eingangspforte in Wirtszellen missbrauchen. Interessanterweise benutzen Coronaviren nicht nur ACE2, sondern auch andere membranständige Proteasen (MERS [„Middle East respiratory syndrome“]: Dipeptidylpeptidase IV, HCoV-229E [humanes Coronavirus 229E]: Aminopeptidase N), aber es ist unklar, warum die Proteasefunktion der Rezeptoren für das Virus vorteilhaft sein könnte. Unmittelbar nach Ausbruch der SARS-Epidemie 2002 wurde gezeigt, dass SARS-CoV‑1 ACE2 als Eingangspforte nutzt, und es begannen Untersuchungen, die die Interaktion von ACE2 mit dem Spike-Protein (S-Protein) des Virus näher charakterisierten. So konnte gezeigt werden, dass eine zweite Protease, nämlich TMPRSS2 (transmembrane Serinprotease 2), in diese Interaktion involviert ist, das S‑Protein durch Spaltung aktivieren kann und ihm damit die Aufnahme in die Zelle ermöglicht [2]. In einigen Publikationen wurde auch gezeigt, dass TMPRSS2 auch ACE2 spaltet und es damit eigentlich von der Zelle freisetzen sollte (Abb. 1). Obwohl man erwarten müsste, dass diese Freisetzung die Virusinfektion verhindert, war das Gegenteil der Fall: Das Virus wurde danach besser aufgenommen. Die Erklärung dafür wird sich möglicherweise durch die neuen Daten zur Struktur von ACE2 ergeben, die in den letzten Monaten als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie erhoben wurden, denn es war schon wenige Wochen nach Ausbruch der Erkrankung in China klar, dass das verantwortliche Virus, SARS-CoV‑2, auch wieder ACE2 als zellulären Rezeptor nutzt [3]. Die neuen Studien zeigten, dass ACE2 als Dimer auf der Zelloberfläche vorliegt [10]. Es wäre also denkbar, dass die Spaltung durch TMPRSS2 nur eines der beiden Monomere trifft und der Komplex aus ACE2 und dem Virus über das zweite Monomer weiter in der Membran verankert bleibt, eine Konformationsänderung durchmacht und dadurch erst dem Virus die Fusion mit der Zelle erlaubt, aber das ist bisher Spekulation. Generell verdanken wir COVID-19 einen großen Wissenszuwachs über ACE2, z. B. einen Überblick über seine Expression in verschiedensten menschlichen Zelltypen. Der wichtigste Zelltyp für die Infektion mit SARS-CoV‑2 ist die alveoläre Typ-2-Zelle im Lungenepithel, dessen Befall die schweren Verläufe der Erkrankung bedingt. Aber auch Epithelzellen der oberen Atemwege exprimieren ACE2, was oft zu fast symptomlosen Infektionen führt, die aber dennoch hochansteckend sind. Eine direkte SARS-CoV-2-Infektion der Niere ist trotz ACE2-Expression in diesem Organ noch nicht sicher nachgewiesen worden, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass bisher auch noch keine infektiösen Viren im Blut gefunden wurden. Die bei COVID-19-Patienten beschriebenen Nierenschäden sind wahrscheinlich sekundär und durch die Entgleisung des Immun- und des Gerinnungssystems bei der Erkrankung ausgelöst.

Die Rolle des RAAS bei COVID-19 wird seit Beginn der Pandemie diskutiert. Insbesondere wurde erwogen, RAAS-Blocker-Behandlungen bei Patienten auszusetzen, weil publiziert worden war, dass diese Substanzen in Tiermodellen die Expression von ACE2 erhöhen und damit dem Virus mehr Angriffsfläche bieten. Dies wurde aber in Folgestudien nicht bestätigt, und fast alle klinischen Erfahrungen mit COVID-19-Patienten sprechen für eine protektive Wirkung von RAAS-Blockern bei COVID-19. Deshalb empfehlen auch alle relevanten Fachgesellschaften, RAAS-Blocker bei COVID-19 nicht abzusetzen. Die protektive Wirkung der RAAS-Blocker könnte darauf hinweisen, dass es bei COVID-19 zu einer verstärkten Wirkung von Ang II kommt, weil das abbauende Enzym ACE2 zumindest in der Lunge durch Zerstörung der exprimierenden Zellen verschwindet. Deshalb laufen zurzeit klinische Studien mit rekombinantem ACE2 an COVID-19-Patienten, zum einen um die verlorene Ang-II-metabolisierende Aktivität zu ersetzen, aber auch um das Virus vor der Bindung an die Zelle abzufangen – ein Konzept, das zumindest in kultivierten menschlichen Organoiden erfolgreich getestet wurde [5]. Darüber hinaus wird gerade weltweit versucht, mit Antikörpern, Peptiden, Aptameren und Kleinmolekülen die Bindung des SARS-CoV-2-S-Proteins an ACE2 und damit die Infektion zu blockieren. Ein großes Problem dieser Studien ist, dass sie wohl erst neue potenzielle antivirale Medikamente liefern, wenn die Pandemie vorüber ist. Ein Mangel an Patienten könnte dann klinische Studien unmöglich machen, sodass wir erst bei der nächsten Pandemie, die durch Coronaviren ausgelöst wird, welche wieder ACE2 als Rezeptor nutzen, die Entwicklung der Medikamente zu Ende führen können.

Fazit für die Praxis

  • ACE2 („angiotensin-converting enzyme 2“) ist eine zu ACE homologe Protease, die aber Angiotensin II nicht generiert, sondern abbaut. Es gibt noch keine zugelassenen Medikamente, die die Aktivität von ACE2 beeinflussen. ACE-Inhibitoren hemmen ACE2 nicht.

  • ACE2 ist essenziell für die Aminosäureaufnahme im Darm.

  • ACE2 ist der Rezeptor für SARS(„severe acute respiratory syndrome“)-Coronaviren und deshalb eine wichtige Zielstruktur für antivirale Medikamente. Weil ACE2 bei COVID-19 („coronavirus disease 2019“) herabreguliert wird, sollten zur Begrenzung der dadurch erhöhten Angiotensin-II-Effekte RAAS(Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)-Blocker nicht abgesetzt werden.