Zusammenfassung
Die Niere kann infolge einer akuten oder chronischen Intoxikation geschädigt werden, und die eingeschränkte Nierenfunktion ist evtl. das erste Symptom der Intoxikation, was auch für plötzliche Störungen des Säure-Basen-Haushalts zutrifft. Die Niere kann aber auch ein wesentliches Organ zur Toxinelimination sein, z. B. bei Salizylatintoxikation, und spezifische Interventionen wie die Gabe von Bikarbonat können die renale Salizylatelimination exponentiell steigern. Eine weitere Schnittstelle von Nephrologie und Toxikologie ist die sekundäre Toxinelimination durch extrakorporale Verfahren. Dank neuer Entwicklungen auf den Gebieten der Dialysator- und Adsorbertechnologie können hier im Gegensatz zur konventionellen Dialyse weit mehr Toxine entfernt werden. Gegenwärtig wird die häufig auf Kasuistiken beruhende Evidenz strukturiert erfasst, ausgewertet und internetbasiert präsentiert. Bei Intoxikationen ist der internistisch und intensivmedizinisch breit ausgebildete Nephrologe gefordert.
Abstract
The kidneys can be injured as the result of chronic or acute intoxication and impaired renal function may be the first organ manifestation of an intoxication, which also applies to sudden abnormalities in the acid-base balance. The kidneys can also be important in the elimination of toxic substances, such as in salicylate poisoning where renal elimination can be exponentially enhanced by infusion of bicarbonate thus alkalizing the urine. Secondary toxin elimination by extracorporeal treatment represents another point where nephrology and toxicology meet. Current developments, such as high cut-off point (HCO) membranes and membrane adsorber technology have been added to the armamentarium for detoxification. Currently, the available evidence, often based on case reports, is recorded, evaluated and presented on an internet-based platform. All these aspects require well-trained nephrologists with a broad experience in internal and intensive care medicine.
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Interessenkonflikt
S. Herget-Rosenthal und J. T. Kielstein geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Redaktion
C. Erley, Berlin
M. Haubitz, Fulda
U. Heemann, München
J. Hoyer, Marburg
CME-Fragebogen
CME-Fragebogen
Im Rahmen eines nephrologischen Konsils wird Ihnen ein normotoner suizidaler Patient mit folgender kapillärer BGA vorgestellt: pH 7,14, pCO2 21,3 mmol/l, HCO3 - 7,0 mmol/l, Kalium 4,05 mmo/l, Natrium 145 mmol/l, Chlorid 117 mmol/l, Glukose 7,0 mmol/l, Laktat 14,9 mmol/l). Welche der nachfolgenden Differenzialdiagnosen ist die wahrscheinlichste?
Ketoazidose
Laktatazidose
Vergiftung mit Ethylenglykol
Vergiftung mit Salicylaten
Vergiftung mit Methanol
Welche Maßnahme führt bei einer Vergiftung mit Acetylsalicylsäure zu einer erheblichen Steigerung der renalen Ausscheidung?
Gabe von Acetylcystein
Harnalkalisierung durch Natriumbikarbonat
Gabe von Insulin und Glukose
Aktivkohle (1 g/kg Körpergewicht) per os
Pharmakologische Hemmung der Alkoholdehydrogenase durch Fomepizol
Welche Manifestationen der akuten Nierenschädigungen durch Intoxikationen finden sich nicht?
Akutes Nierenversagen durch Tubulusschaden
Renale tubuläre Azidose Typ 2
Hypokalzämie
Thrombotische Mikroangiopathie
Postrenale Obstruktion
Welche Aussage ist richtig?
Forcierte Diurese sollte bevorzugt bei hypovolämen Patienten angewendet werden.
Die Kontrolle der Blutgase während der Urinalkalisierung ist wichtig, um eine reflektorische metabolische Azidose früh zu erkennen.
Urinalkalisierung verhindert die Myoglobinfreisetzung und damit die Entstehung der Rhabdomyolyse.
Urinalkalisierung kann zur Hypokaliämie führen.
Forcierte Diurese und Urinalkalisierung werden als Maßnahmen zur sekundären Toxinelimination meist kombiniert.
Valproat hat im therapeutischen Bereich eine Proteinbindung von ca. 95 %. Welche Aussage zur Bedeutung der Hämodialyse im Fall einer Valproatvergiftung trifft zu?
Hämodialyse ist unwirksam, da Valproat proteingebunden ist.
Hämodialyse kann nur über einen Dialyse-Shunt durchgeführt werden.
Hämodialyse kann Valproat bei einer Vergiftung entfernen, da die Toxikokinetik von Valproat nicht der Pharmakokinetik der Substanz entspricht.
Bei einer Hyperventilation des Patienten mit Valproatintoxikation kommt es zur respiratorischen Azidose, die eine Entfernung des Valproats durch die Dialyse verhindert.
Bei Vergiftungen wird in der Regel eher eine Hämoperfusion (Aktivkohlekapsel) durchgeführt.
Welche Aussage zu Toxidromen ist falsch?
Anticholinerge Syndrome sind typisch auch für Toxine, die akute Nierenschädigungen verursachen.
Methamphetamineinnahme kann ein halluzinogenes Syndrom verursachen.
Toxidrome sind Konstellationen von klinischen Symptomen und Befunden, häufig auftretend bei Intoxikation durch bestimmte Substanzen oder Substanzklassen.
Das sympathikomimetische Syndrom ist gekennzeichnet durch erhöhte Körpertemperatur, Hyperreflexie und Mydriasis.
Bei Intoxikation mit einer unbekannten Substanz helfen Toxidrome, die Substanzklasse einzugrenzen.
Was trifft nicht zu?
Die Wirksamkeit extrakorporaler Therapieverfahren zur Toxinelimination basiert auf niedriger Evidenz.
Meist findet sich eine Latenz sowohl zwischen der Toxinaufnahme und dem Auftreten erster Symptome als auch zwischen diesen Symptomen und den Zeichen der renalen Schädigung.
Eine Vielzahl von Pflanzen, pflanzlichen Produkten und Nahrungsergänzungsmitteln mit akut nephrotoxischen Eigenschaften kann direkt, durch Verwechslungen oder Kontaminationen mit Schwermetallen toxisch wirken.
Chemische Grundsubstanzen und Genussmittel sind für mehr als 60 % der Intoxikationen verantwortlich, Medikamente nur für einen geringeren Prozentsatz.
Empfehlungen der EXTRIP-Arbeitsgruppe zu extrakorporalen Therapien von Intoxikationen sind hilfreich für die klinische Praxis und entsprechen der höchsten aktuellen Evidenz.
Unter einer 4-stündigen Dialyse mit HCO-Dialysator geling es Ihnen, bei einem Patienten mit Amitryptilinintoxikation den Serumspiegel von 205 auf 163 µg/l zu reduzieren. Welche Aussage zur Dialysabilität von Amitryptilin trifft damit zu?
Amitryptilin ist bei Verwendung eines HCO-Dialysators gut dialysabel.
Amitryltilin ist nicht dialysabel.
Die Dialysabilität einer Substanz kann nicht allein aus dem Abfall der Serumspiegel unter der Dialyse ermittelt werden.
Um die Dialysabilität von Amitryptilin zu beurteilen, muss das an die Dialysemembran gebundene Amitryptilin bestimmt werden.
Eine klinische Besserung geht dem Abfall des Amiryptilinspiegels meist voraus.
Was sollten Sie nicht tun?
Denken Sie früh bei akuter Nierenschädigung unklarer Genese an Intoxikationen.
Nehmen Sie rasch mit der Giftinformationszentrale Kontakt auf, um zu entscheiden, ob Sie eine primäre Giftelimination durchführen und wenn ja, welche.
Erfragen Sie Art des Toxins bzw. der Toxine, die eingenommene Dosis und die Zeitdauer seit der Einnahme.
Bei Intoxikierten prüfen und ggf. stabilisieren Sie initial die Vitalfunktionen. Dazu gehört insbesondere die Sicherung der Atemwege.
Ein vager Verdacht auf ein Toxin reicht meist nicht aus, Maßnahmen zur sekundären Giftelimination einzuleiten. Hierfür wird in der Regel der toxikologische Nachweis der Substanz benötigt.
Welche Aussage trifft zu?
Hämoperfusion eliminiert Toxine mit niedrigem Molekulargewicht und geringem Verteilungsvolumen effektiver als Hämodialyse.
Hämodialyse verdrängt den Einsatz der Hämoperfusion wegen der Möglichkeit zur längeren Therapie, der geringeren Komplikationsrate und der breiteren Verfügbarkeit.
Chelatoren werden bei normaler Diurese mit Hämodialyse kombiniert, um deren therapeutische Wirksamkeit zu steigern.
Bei Intoxikation und gleichzeitiger Elektrolyt- oder Säure-Basen-Störung bzw. Überwässerung sollte die Indikation zur Hämodialyse streng gestellt werden.
Ethanol-, Ethylenglykol- und Methanolintoxikation unterscheiden sich wesentlich sowohl in Bezug auf die Säure-Basen-Störung, die Präzipation von Oxalatkristallen im Urin und das Antidot als auch hinsichtlich der Toxinelimination durch Hämodialyse.
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Herget-Rosenthal, S., Kielstein, J.T. Nephrologie trifft Toxikologie. Nephrologe 11, 73–86 (2016). https://doi.org/10.1007/s11560-015-0035-0
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11560-015-0035-0