In dieser Ausgabe von Der Nephrologe wird unter unterschiedlichen Aspekten das Thema „Proteinurie“ behandelt. Die Proteinurie ist eines der zentralen Themen der Nephrologie. Bereits im 18. Jahrhundert wurde die gesteigerte Ausscheidung von Eiweiß im Urin von Patienten als Ausdruck einer schweren Erkrankung gewertet. Richard Bright hat dann im 19. Jahrhundert den Zusammenhang zwischen gesteigerter Ausscheidung von Eiweiß und chronischer Nierenerkrankung fest etabliert. Untersuchungen von Hermann Senator und anderen zeigten dann gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dass bereits kleine Mengen von Eiweiß im Urin für die Nierenerkrankung, darüber hinaus aber auch als Anzeichen für die Erkrankungen anderer Organe von Bedeutung sein können. Heutzutage ist das Symptom der Proteinurie eines der wichtigsten diagnostischen Kriterien für Nierenerkrankungen. Wir wissen, dass die vermehrte Eiweißausscheidung im Urin nicht nur diagnostisch wichtig ist, sondern selbst zur Schädigung der Tubuli und damit zur Progression von Nierenerkrankungen beitragen kann. Elektrophoretische Analysen der Proteine im Urin haben unser Verständnis bezüglich des Ursprungs der Eiweiße verändert. Klinisch-experimentelle Untersuchungen zeigen, dass verschiedene Eiweißmoleküle besonders deletäre Wirkungen auf die Niere ausüben können. Trotz der Bedeutung der Proteinurie und des langjährigen Einsatzes in der Diagnostik und als Therapiekontrolle ist unser Verständnis über die Mechanismen der Proteinurie und die Bedeutung verschiedener Eiweiße im Urin nach wie vor begrenzt.

Trotz einer Vielzahl von Untersuchungen ist letztlich nicht geklärt, welche zellulären und molekularen Mechanismen für die Entstehung der Proteinurie verantwortlich sind. In den letzten Jahren stand vor allem die Funktion der Podozyten für die Pathogenese der Proteinurie im Vordergrund. Bei genetischen Erkrankungen kommt es zur Störung der Podozyten und zu massiver Proteinurie. Auch bei anderen Nierenerkrankungen scheinen Podozyten eine wichtige Rolle zu spielen. Noch vor wenigen Jahren waren es hauptsächlich die Veränderungen der Basalmembran, die für die Proteinurie verantwortlich gemacht wurden. Es ist inzwischen offensichtlich, dass auch das Endothel und die darüber liegende Glykokalyx zur Proteinurie aus dem Glomerulus beitragen. Ob es jedoch eine „podozytäre“ und eine „endotheliale“ Form der Proteinurie gibt, ist unklar. Im Beitrag von Haller und Mitarbeitern wird versucht, darauf eine Antwort zu geben.

Dem Zusammenhang von zellulären und molekularen Veränderungen in Blutgefäßen einerseits und dem Auftreten der Proteinurie andererseits kommt eine besondere Bedeutung für die Prognose kardiovaskulärer Erkrankungen zu. In der sog. Steno-Hypothese wurde postuliert, dass die Permeabilitätstörung in den Kapillargefäßen der Niere bei unterschiedlichen Erkrankungen wie Diabetes mellitus etc. sich nicht nur auf die Niere beschränkt, sondern dass eine solche Störung auch in anderen Kapillargebieten des Körpers vorliegt und dort möglicherweise für die Entstehung von chronischen Organschäden verantwortlich ist. Schmieder und Bramlage berichten in ihrem Beitrag über diesen Zusammenhang zwischen Albuminurie und kardiovaskulären Erkrankungen. Sie stellen die epidemiologischen Zusammenhänge dar und entwickeln aus klinisch-experimentellen und experimentellen Befunden die Bedeutung der Mikroalbuminurie für die Diagnostik und die Therapiekontrolle bei Herz- und Gefäßerkrankungen. Auf diesem Gebiet werden zurzeit große Kontroversen ausgetragen. Die Frage, ob das Auftreten von Spuren von Eiweiß im Urin bedeutsam ist und therapeutisch angegangen werden soll, ist ungeklärt. Eine offene Frage ist, ob die Albuminurie ein diagnostisches Kriterium ist oder ob sie als frühes Zeichen eines Endorganschadens betrachtet und entsprechend therapiert werden soll.

Die Proteinurie ist einer der entscheidenden diagnostischen Marker für entzündliche Nierenerkrankungen.

Nach Analyse des Urins, Blutuntersuchungen und Ultraschall werden diese Patienten in der Regel biopsiert. Die Diagnose basiert auf der histologischen Einteilung der Erkrankungen. Bei vielen Glomerulonephritiden sind in den letzten Jahren neue Erkenntnisse zur Entstehung dieser Krankheiten publiziert worden. Insbesondere bei fokaler sklerosierender Glomerulonephritis sowie bei Minimal-Change-Glomeruloneprhitis werden genetische Veränderungen für die Störungen, vor allem in den Podozyten, verantwortlich gemacht. Es stellt sich die wichtige Frage, ob und welches genetische Screening bei Patienten mit diesen Formen der Glomerulonephritis vorgenommen werden soll. Kollegin Jungraihtmair beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dieser wichtigen Problematik, erläutert die bislang vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und zieht daraus Schlussfolgerungen für den Einsatz des genetischen Screenings in der Praxis. Inwiefern die Klassifizierung der Glomerulonephritiden wichtig ist für deren Therapie, ist ein offenes Problem. Besonders in der Nephrologie fehlen häufig große randomisierte Interventionsstudien mit denen die Wirksamkeit einer Therapie belegt werden kann. Insbesondere stellt sich die Frage, ob eine immunsuppressive Therapie bei manchen Glomerulonephritisformen sinnvoll ist. Ein besonderes Problem in diesem Zusammenhang ist die Therapie bei primärer fokal-sklerosierender Glomerulosklerose und Miminal-Change-Erkrankung im Erwachsenenalter. Kronbichler und Mitarbeiter behandeln das spezielle Thema Rituximab bei diesen Formen der Glomerulonephritis und stellen in einer Übersicht den Stand der Forschung sowie die daraus resultierenden Empfehlungen für die Praxis dar.

Zwei weitere wichtige Themen werden ebenfalls im vorliegenden Heft behandelt. Es wurde bereits erwähnt, dass die Art der ausgeschiedenen Proteine für die Pathogenese der Nierenerkrankung von Bedeutung ist. Neuwirt und Mitarbeiter berichten über die Wirkung der Leichtkettenproteinurie auf die Niere bei hämatologischen Erkrankungen insbesondere in Bezug auf die Störungen der tubulären Funktionen. Diese Analyse zeigt über ihr eigentliches Thema hinausgehend, wie wichtig es ist, die spezifischen Interaktionen von Proteinen mit den Tubuluszellen zu analysieren, um aus diesen molekularen Beziehungen Schlussfolgerungen bezüglich Pathophysiologie und Pathogenese und natürlich auch für die Therapie zu ziehen.

Das letzte Thema beschäftigt sich mit den Auswirkungen des massiven Eiweißverlusts auf die Homöostase der Patienten. Beim sog. nephrotischen Syndrom kommt es zu einer Reaktion des Körpers, bei welcher versucht wird, den Verlust von Eiweiß zu kompensieren. Diese Dysregulation der Homöostase führt zu charakteristischen Veränderungen mit einer Reihe von klinischen Problemen. Huber und Keil fassen den Stand des Wissens zum nephrotischen Syndrom zusammen und stellen die klinischen Indikationen sowie das Vorgehen bei Patienten mit nephrotischem Syndrom dar.

Die hier behandelten Apekte der Proteinurie können keine umfassende Darstellung der Thematik liefern. Eine ganze Reihe von Fragen wird zurzeit diskutiert. Sollen neben der Analyse der Albuminurie, der Gesamtproteinausscheidung und der elektrophoretischen Auftrennung von Molekülen andere neue diagnostische Verfahren wie die Proteomanalyse des Urins mittel Massenspektroskopie eingesetzt werden? Muss man, um die Pathogenese von Nierenerkrankungen bei Proteinurie zu verstehen, sekundäre Veränderungen der Proteine wie Glykosylierung etc. analysieren? Sind die ersten frühen Veränderungen in der Permeabilität der Kapillaren als Krankheitsphänomen zu verstehen, und sollen diese therapiert werden? Wird es uns gelingen, die spezifische Wirkung von Proteinen auf die Tubuluszellen besser zu verstehen und damit nicht nur durch Reduktion der Proteinurie, sondern auch durch spezifische molekulare Interventionen die Entstehung der Progression von Nierenerkrankungen zu verhindern?

Die Beiträge in dieser Ausgabe versuchen, den Stand unseres Wissens bezüglich Pathophysiologie und klinischer Bedeutung der Proteinurie zusammenzufassen und sie verständlich darzustellen. Insbesondere ist es das Ziel, die klinische Relevanz der zugrunde liegenden Mechanismen herauszuarbeiten. Für die noch offenen Fragen bieten die Beiträge eine gute Basis für weitere klinische und klinisch-experimentelle Forschung.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre!

Prof. Dr. med. Hermann Haller

Prof. Dr. med. Gert Mayer