Einleitung

In Deutschland werden 93,4 % der Kinder zwischen 3 und 5 Jahren in Kitas betreut. Erzieher/innen haben für Kinder Vorbildfunktion, beeinflussen möglicherweise mit ihrem eigenen Gesundheitsverhalten das von Kindern und nehmen eine Schlüsselrolle bei Interventionen zur Modifikation von kindlichem Gesundheitsverhalten ein. Ausreichende Gesundheitskompetenz (GK) ist die Voraussetzung für positive Veränderungen von persönlichem Gesundheitsverhalten und das Mitwirken an Interventionen an Kitas. Bislang ist GK aber wenig in dieser Population untersucht.

Hintergrund und Fragestellung

Die GK („health literacy“) wird im deutschsprachigen Raum als eine wissensbasierte Kompetenz für eine gesundheitsförderliche Lebensführung definiert und stellt somit eine Schlüsselkompetenz für positives Gesundheitsverhalten dar [1, 20, 21]. Auch ist die GK für eine Erfolg versprechende Umsetzung von Interventionen zur Modifikation von Gesundheitsverhalten bei Kindern im Vorschulalter auf Seiten von Erzieher/innen notwendig. So müssen Interventionsinhalte und -materialien ausreichend verstanden und bewertet werden, um sie angemessen in der Praxis einsetzen zu können.

Bezüglich des Gesundheitsstatus von Erzieher/innen wies die Erziehergesundheitsstudie von 2013 Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas von 41,2 % bzw. 17,9 % bei Erzieher/innen in Deutschland nach. Auch zeigte sich, dass adipöse im Vergleich zu normal gewichtigen Erzieher/innen insgesamt gesundheitsschädigenderes Verhalten an den Tag legten [10]. Ergebnisse einer Querschnittstudie deuten zudem darauf hin, dass Übergewicht und ein niedriges Niveau von körperlicher Aktivität (KA) auf Seiten von Erzieher/innen Risikofaktoren für kindliches Übergewicht darstellten, möglicherweise begründet durch ihre Vorbildfunktion [7, 9, 15].

In Deutschland wurde im Jahr 2018 der Nationale Aktionsplan GK ins Leben gerufen. Ziel dieses Aktionsplans ist es, Voraussetzungen für eine Verbesserung von GK zu schaffen. Hierzu zählt u. a. GK als thematischen Schwerpunkt in Bildungs- und Lehrplänen von Kitas zu verankern [19]. Eine weitere Möglichkeit ist die GK von Erzieher/innen im Rahmen von Multikomponenteninterventionen zur Gesundheitsförderung im Kitasetting mit zu adressieren. Ein Beispiel für eine entsprechende Intervention ist das vom AOK Bundesverband entwickelte Programm „JolinchenKids – Fit und gesund in der Kita“. JolinchenKids ist ein modular aufgebautes Programm zur Förderung einer ausgewogenen Ernährung, KA und seelischen Wohlbefindens bei 3‑ bis 6‑jährigen Kindergartenkindern unter aktiver Elternbeteiligung. Ein weiterer Fokus liegt auf der Gestaltung gesundheitsförderlicher Rahmenbedingungen in Kitas und der Förderung der Gesundheit von Erzieher/innen.

Im Rahmen der JOKITA-Studie, einem cluster-kontrollierten Trial an 62 Kitas in Deutschland, wurden die gesundheitlichen Auswirkungen des Programms bei 3‑ bis 6‑Jährigen an Kitas über den Zeitraum von einem Jahr untersucht [22, 23]. Hierbei wurden GK und Gesundheit(sverhalten) von in den Interventionskitas (IKs) tätigen Erzieher/innen, die die Intervention über den Zeitraum von einem Jahr umsetzten, mit der in den Wartelistenkontrollkitas (WKs) tätigen Erzieher/innen verglichen. Hier erfolgte die Implementierung der Intervention nach Abschluss der Folgeerhebung.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Rekrutierung der Kitas

Die AOK stellte sowohl Kontaktinformationen für Kitas, die in 2016 mit der Programmumsetzung beginnen wollten, als auch für die WKs bereit [22]. Eine Zufallsauswahl der Kitas bekam einen Screeningfragebogen zur Erfassung struktureller Merkmale von Kitas zugesandt. Anhand dieser Kriterien wurden auf Bundeslandebene Pärchen von IKs und WKs gebildet. Insgesamt nahmen 29 IKs und 33 WKs teil [23].

Intervention JolinchenKids – Modul „Erzieherinnengesundheit“

Im Rahmen des „Erzieherinnenmoduls“ wurde Erzieher/innen eine Broschüre mit Informationen zu einer gesunden Lebensweise und Gesundheitsverhalten im Kitaalltag bereitgestellt (www.jolinchen.de). Darüber hinaus erhielten sie Anregungen an Kurs- und Beratungsangeboten ihrer regionalen AOK sowie an einem 2‑tägigen Workshop mit dem Titel „Fit im Job“ teilzunehmen.

Fragebogen

Erzieher/innen erhielten zu Baseline und nach 12 Monaten einen Fragebogen zum Selbstausfüllen.

Soziodemografische Merkmale

Alter und Geschlecht, Größe und Gewicht, Berufstätigkeit, Staatsangehörigkeit, Geburtsland und Dauer des Aufenthalts in Deutschland wurden anhand von Items aus dem Gesundheitsfragebogen für 18- bis 64-Jährige der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) erfasst [16]. Ausgehend von Größe und Gewicht wurde der Body Mass Index (BMI) berechnet und Kategorien gebildet (<18,5 = Untergewicht, 18,5–24,9 = Normalgewicht, 25,0–29,9 = Übergewicht, ≥30,0 = Adipositas). Diese wurden anschließend in die beiden Kategorien Unter‑/Normalgewicht bzw. Übergewicht/Adipositas zusammengefasst [25].

Gesundheitskompetenz

Die GK wurde anhand des HLS-EU-Q16 [8] erfasst. Die Berechnung des allgemeinen GK-Scores erfolgte nach dem von den Skalenentwicklern empfohlenen Verfahren [17]. Die einzelnen Items wurden zunächst binarisiert, indem jeweils die beiden äußeren Antwortkategorien (1 = „sehr einfach“ und „ziemlich einfach“, 0 = „ziemlich schwierig“ und „sehr schwierig“) zusammengefasst wurden. Schließlich wurde der allgemeine GK-Score als Summenscore der 16 binären Items berechnet. Befragten mit >2 fehlenden Werten wurde kein Scorewert zugewiesen. Nach den vorgeschlagenen Grenzwerten für den HLS-EU-Q16 [17] werden drei GK-Level unterschieden: ausreichend (Score 13–16), problematisch (Score 9–12) und inadäquat (Score 1–8).

Selbstwirksamkeit

Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung wurde nur zu T0 anhand einer Skala von 10 Items erhoben [11]. Der individuelle Testwert ergibt sich durch das Aufsummieren aller 10 Antworten (Range: 10–40).

Gesundheitszustand, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Stress

Der allgemeine Gesundheitszustand wurde mit einem Item des DEGS [16] und gesundheitsbezogene Lebensqualität anhand der „short form 12“ (SF-12) erfasst ([24]; Range: 0–100, höhere Werte entsprechen einer höheren Lebensqualität). Stresserleben wurde anhand von 4 Items der Cohen-Stress-Skala erfasst ([4]; Range: 0–16, höhere Werte entsprechen einem höheren Stressniveau).

Gesundheitsverhalten

Das Bewegungsverhalten wurde anhand zweier Items des Gesundheitsfragebogens für 18- bis 64-Jährige des DEGS erfragt [16]. Zusätzlich wurden drei Bereiche von KA anhand von Items des Baecke-Fragebogens erhoben [2]: während der Freizeit, während der Arbeit und Sport insgesamt [13]. Es wurde ein Arbeits- (7 Items) und ein Freizeitaktivitätsindex (6 Items) gebildet (Range: 1 [nie]–5 [immer]). Sport insgesamt wurde dichotomisiert ausgewertet. Die Ernährung wurde in Anlehnung an die Ernährungspyramide des AID-Infodienstes [3] und die Interventionsziele von JolinchenKids erfasst. Die folgenden binären Variablen zur Bestimmung der Zielerreichung (bzw. Nichterreichung) wurden gebildet: >5 Gläser Wasser und ungesüßte Getränke/Tag, ≥5 Portionen Obst und Gemüse/Tag. Raucherstatus wurde erfasst und dichotomisiert (ja/nein). Das Wissen über und die Inanspruchnahme von Gesundheitsuntersuchungen wurde erfragt.

Statistische Analysen

Für Antworten aus dem Fragebogen bzw. die daraus abgeleiteten Scores und Skalen wurden entsprechend deskriptive Statistiken (Mittelwert und Standardabweichung [STD] bzw. Anzahl und Prozentangaben) für beide Erhebungszeitpunkte getrennt nach IKs und WKs berechnet. Für die folgenden Outcomes wurden logistische Regressionen berechnet, um Veränderungen über die Zeitpunkte (unabhängig von Gruppe), Unterschiede zwischen Erzieher/innen an IKs und WKs (unabhängig von Zeit) und Interventionseffekte zu bestimmen: KA pro Woche, Konsum von Obst und Gemüse und von ungesüßten Getränken/Tag, Inanspruchnahme des Gesundheits-Check-ups, subjektiver Gesundheitszustand, Stress, gesundheitsbezogene Lebensqualität, Raucherstatus, Gewicht. Analysen erfolgten anhand der SAS 9.3-Software [18].

Ergebnisse

Soziodemografische Merkmale

Insgesamt wurden die Angaben von 132 Erzieher/innen zu T0 sowie von 94 zu T1 ausgewertet. Die soziodemografischen Merkmale Geschlecht, Alter und BMI sind in Tab. 1, stratifiziert nach Erhebungszeitpunkt und Gruppenzugehörigkeit, dargestellt. Zu T0 wiesen knapp 38 % an WKs und 40 % an IKs Übergewicht bzw. Adipositas auf. Zu T1 sank der Anteil an Übergewicht bzw. Adipositas auf 33 % an IKs.

Tab. 1 Soziodemografische Merkmale

Teilnahme am Modul „Erzieher/innengesundheit“

Insgesamt zeigte sich, dass Kitas eher die Module wählten, die sich an die Kinder richteten und weniger das Modul „Erzieher/innengesundheit“. Fünf der 29 IKs (16 %) gaben im Rahmen von computerunterstützten Interviews, deren Ergebnisse hier nicht weiter berichtet werden, an, das Modul „Erzieher/innengesundheit“ ausgewählt zu haben.

Gesundheitskompetenz

Die meisten Erzieher/innen wiesen einen ausreichenden GK-Score auf (IKs: 43 %; WKs: 52 %). Einen problematischen GK-Score hatten 32 % der Erzieher/innen an IKs und 23 % an WKs, einen inadäquaten GK-Score 11 % bzw. 13 %.

Selbstwirksamkeit

Zu T0 lag die Selbstwirksamkeit der Erzieher/innen im mittleren Bereich, d. h. bei 19 an IKs und 20 an WKs.

Gesundheitszustand, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Stress

Detaillierte Ergebnisse zum Gesundheitszustand sind in Tab. 2 dargestellt. Rund 90 % der Erzieher/innen an IKs und WKs berichteten zu beiden Erhebungszeitpunkten einen guten bis ausgezeichneten Gesundheitszustand. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität lag im mittleren Bereich für sowohl körperliche als auch mentale Gesundheit an IKs und WKs. Der Mittelwert für Stress lag an IKs mit ca. 9 leicht höher als an WKs mit 8, aber insgesamt bei beiden Gruppen im mittleren Bereich (Range: 0–16).

Tab. 2 Gesundheitszustand und Inanspruchnahme von Check-ups

Gesundheitsverhalten

Veränderungen im Gesundheitsverhalten waren v. a. beim Rauchverhalten zu beobachten: Zu T0 gaben 35 % der Erzieher/innen an IKs und 32 % an WKs an, derzeit zu rauchen. Zu T1 waren es 27 % und 20 % an IKs und WKs. Außerdem stieg der Anteil an Erzieher/innen, die die empfohlenen 5 Portionen Obst und Gemüse/Tag konsumierten von <10 % auf 15 % in IKs an. Detaillierte Ergebnisse sind in Tab. 3 aufgeführt.

Tab. 3 Gesundheitsverhalten

Interventionseffekte bei Erzieher/innen

Aufgrund fehlender Angaben und einer daraus resultierenden geringen Fallzahl in den verschiedenen Kategorien für die z. T. binären Outcomes konnte die Berechnung von Zeit‑, Gruppen- und Interventionseffekten nur für die zwei Outcomes (gesundheitsbezogene Lebensqualität und Stress) erfolgreich durchgeführt werden. Hier zeigten sich keine Interventionseffekte. Insgesamt waren an IKs im Vergleich zu WKs höhere Werte für Stress zu verzeichnen, unabhängig vom Erhebungszeitpunkt (p < 0,05, adjustiert für Alter, Geschlecht, Urbanität der Kita, BMI, KA).

Diskussion

In der JOKITA-Studie wurde erstmalig GK in einer Stichprobe von Erzieher/innen aus 14 Bundesländern in Deutschland erhoben. Dabei wies etwa die Hälfte der Erzieher/innen an IKs und WKs eine ausreichende, ein Viertel eine problematische und ein Viertel eine inadäquate GK auf. Insgesamt ließen sich hier keine wesentlichen Unterschiede zur Ausprägung der GK in der deutschen Gesamtbevölkerung feststellen. Jordan und Hoebel beobachteten in der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) 2013 eine ähnliche Verteilung [12].

Eine sukzessive Implementierung des Moduls „Erzieher/innengesundheit“, welches ca. 6 Monate nach T0 noch relativ wenig implementiert wurde, könnte möglicherweise zu einer Verbesserung der GK beitragen. Ziel sollte sein, den Anteil der Erzieher/innen mit problematischer bzw. inadäquater GK möglichst weiter zu minimieren. Allerdings wurde GK in der JOKITA-Studie nur zum Zeitpunkt der Basiserhebung erfragt. Die Ergebnisse des Prä-Post-Vergleichs zur Inanspruchnahme von Gesundheits-Check-ups, hier näherungsweise als Ersatzmaß für GK zu T1 gedeutet, geben allerdings Hinweise darauf, dass ein höherer Anteil an Erzieher/innen an IKs über Gesundheits-Check-ups informiert war als an WKs. Allerdings nahmen sie solche Check-ups über den Zeitraum von einem Jahr nicht häufiger wahr.

Der selbstberichtete Gesundheitsstatus von Erzieher/innen war insgesamt nach Selbsteinschätzung i. d. R. gut oder sehr gut. Positive Entwicklungen zeigten sich bei der Folgeerhebung in der beschreibenden Auswertung in Bezug auf Übergewicht/Adipositas insbesondere in den IKs. Im Vergleich zu einer anderen Studie [10], die eine Prävalenz von rund 60 % für Übergewicht und Adipositas bei Kindergärtner/innen (n = 313) zeigte, war die Prävalenz hierfür mit rund 40 % in unserer Stichprobe deutlich niedriger.

Dagegen wiesen Erzieher/innen an IKs im Vergleich zu solchen an WKs höhere Werte für Stress auf, unabhängig vom Erhebungszeitpunkt. Im Vergleich zu einer italienischen Studie unter Erzieher/innen, in der bei ca. der Hälfte der Stichprobe Symptome für Burnout zu verzeichnen waren [5], zeigte unsere Stichprobe allerdings eine relativ gute Lebensqualität.

Insgesamt waren sehr deutliche positive Veränderungen hinsichtlich einer sinkenden Raucher/innenquote in IKs und WKs zu verzeichnen. Für Frauen ähnlichen Alters in der mittleren Bildungsgruppe, in die auch Erzieherinnen fallen, wird bundesweit auf Basis der GEDA 2014/2015 ein Anteil von 36,7 % berichtet [6]. Der niedrige Obst- und Gemüsekonsum verbesserte sich zwar an IKs deutlicher, blieb aber insgesamt auf geringem Niveau, entsprechend dem ähnlich niedrigen Anteil für Frauen bundesweit [14].

Fazit für die Praxis

  • Die Gesundheitskompetenz (GK) ist ähnlich verteilt wie in der deutschen Gesamtbevölkerung, kann aber im Rahmen der Ausbildung oder von Interventionen zur Gesundheitsförderung im Kitasetting weiter gestärkt werden.

  • Maßnahmen zur Förderung der GK scheinen vielversprechend, müssen allerdings weiterhin implementiert und evaluiert werden.

  • Erzieher/innen in unserer Studie weisen mehrheitlich einen guten Gesundheitszustand auf.

  • Interventionsbedarf zur Verbesserung von Gesundheitsverhalten besteht insbesondere in Bezug auf das Ernährungs‑, Bewegungs- und Rauchverhalten von Erzieher/innen.