Gesundheitsförderung und Prävention ist ein sehr heterogenes Feld. Es umfasst sowohl die Stärkung von Ressourcen, die positiv zur Gesundheit der Bevölkerung beitragen, als auch die Minderung von Gefahren, die Krankheit verursachen. Nicht nur das Individuum steht im Fokus, sondern auch die Prozesse und Strukturen der Gesellschaft, die die Gesundheitschancen der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen. Gesundheitsfördernde und präventive Maßnahmen sind vielfältig und häufig vielschichtig. Sie reichen von Aufklärungsbroschüren und Kursen bis hin zu breit gefassten Programmen auf kommunaler oder Landesebene.

Um Gesundheitsförderung und Prävention gegenstandsangemessen zu untersuchen, benötigt die Gesundheitswissenschaft unterschiedliche Ansätze und Methoden, wie sie bei den über 60 Projekten des Förderungsschwerpunkts Präventionsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vielfältig eingesetzt werden. In dem Zeitraum von 2004–2012 haben die geförderten Einrichtungen aus Wissenschaft und Praxis nicht nur an den eigenen Fragestellungen, sondern auch an zentralen Querschnittsaufgaben gearbeitet: an neuen Vorgehensweisen und Zugangswegen für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention, an Beweisen für die Wirkung dieser Maßnahmen (Evidenzbasierung), an Konzepten und Methoden der Evaluation und Qualitätssicherung und an der Entwicklung von neuen Forschungsansätzen und Instrumenten, die den Anforderungen der Prävention und Gesundheitsförderung Rechnung tragen.

Einige der geförderten Forschungsprojekte haben sich mit dem relativ neuen Ansatz der Partizipativen Gesundheitsforschung befasst. Die im Rahmen des förderschwerpunktbezogenen Metaprojektes „Kooperation für nachhaltige Präventionsforschung“ (KNP) eingerichtete Arbeitsgruppe „Partizipative Gesundheitsforschung“ trug neben dem Ausbau des Netzwerks gleichen Namens in Deutschland zu einer Weiterentwicklung der Methoden bei [3].

Partizipative Gesundheitsforschung bedeutet eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Praxiseinrichtungen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern, um gemeinsam neue Erkenntnisse zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung zu gewinnen. Besonders bei sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen hat sich die Partizipative Gesundheitsforschung bewährt, um innovative Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die die Auswirkungen sozialer Determinanten von Gesundheit lindern sollen [4].

Sie ist Teil der Partizipativen Sozialforschung, deren Ursprünge u. a. in der Aktionsforschung liegen. Nach einer kurzen Blütezeit Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Aktionsforschung im deutschsprachigen Raum kaum eine weitere Ausbreitung gefunden [1, 2]. Andernorts hat sich die Aktionsforschung jedoch weiterentwickelt, beispielsweise in angloamerikanischen, skandinavischen und lateinamerikanischen Ländern. Es entstanden verschiedene Formen der Partizipativen Sozialforschung, die trotz aller Vielfalt zwei Merkmale gemeinsam haben:

  1. 1.

    Erkenntnisgewinn wird unmittelbar mit der Entwicklung und Erprobung neuer Handlungsmöglichkeiten verknüpft, um die Lebensumstände und Arbeitsweisen der Beteiligten zu verbessern.

  2. 2.

    Wissenschaft und die Menschen, deren Leben oder Arbeit im Mittelpunkt der Forschung stehen, kooperieren auf Augenhöhe, um möglichst alle Phasen eines Forschungsprozesses gemeinsam zu konzipieren und durchzuführen. In diesem Sinne ist die Forschungsarbeit partizipativ.

International werden verschiedene Begriffe für diesen Forschungsansatz verwendet, die zum Teil auf unterschiedliche regionale oder disziplinäre Traditionen zurückzuführen sind, z. B. community-based participatory research, collaborative research, action research, interactive research. Diese Vielfalt steht auch für den Zustand dieses recht jungen Wissenschaftsfeldes, das seine Konsolidierungsphase noch nicht erreicht hat.

In der Partizipativen Sozialforschung sind bisher zwei Forschungsschwerpunkte erkennbar:

  • Praxisforschung (practitioner research), die von Praktikerinnen und Praktikern selbst (mit oder ohne Unterstützung wissenschaftlicher Einrichtungen) konzipiert und umgesetzt wird, um die eigene Praxis zu verbessern.

  • Gemeinschaftsforschung (community-based research), in deren Mittelpunkt (sozial benachteiligte) Menschen stehen, die von Angeboten des Sozial- und Gesundheitswesens profitieren sollen. Forschungsziel ist, diese Menschen zu unterstützen, ihre eigene Lebenslage zu erforschen und dabei Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die diese Lage positiv verändern (oft in Zusammenarbeit mit Praxiseinrichtungen).

Im Gesundheitsbereich hat sich die Partizipative Sozialforschung besonders stark etabliert, vor allem bei der Gestaltung von Maßnahmen, die im Sinne der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Menschen abzielen, um deren Gesundheitslage positiv zu beeinflussen. Partizipative Forschungsdesigns sind aber zunehmend auch in anderen Bereichen der Gesundheitswissenschaften zu finden (z. B. in der Versorgungsforschung), um die Strukturen und Angebote des Gesundheitswesens stärker an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen.

In diesem Schwerpunktheft werden anhand der Ergebnisse aus partizipativ angelegten Forschungsprojekten Möglichkeiten und Herausforderungen der Partizipative Gesundheitsforschung beschrieben und reflektiert. Die Beiträge greifen sowohl Elemente aus der Praxis- als auch aus der Gemeinschaftsforschung auf.

  • Der erste Artikel von Michael T. Wright führt in das Thema ein. Anhand eines Ausschnitts aus einem vor kurzem veröffentlichten Positionspapier der International Collaboration for Participatory Health Research (ICPHR) werden einige der zentralen Merkmale der Partizipativen Gesundheitsforschung vorgestellt. Die ICPHR ist eine internationale Arbeitsgemeinschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, die wissenschaftliche Grundlage der Partizipativen Gesundheitsforschung zu klären und Gütekriterien für diese Form von Forschung zu formulieren.

  • Der Beitrag von Sven Brandes und Ina Schaefer zeigt die Chancen und Herausforderungen der Partizipativen Gesundheitsforschung als Ansatz für partizipativ angelegte Evaluationen in der Gesundheitsförderung und Prävention auf. Die Autor/inn/en beziehen sich dabei auf die breite Diskussion über partizipative Evaluation in anderen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens.

  • Andrea Wolff und Ralf Rütten befassen sich am Beispiel von Sportvereinen mit den Möglichkeiten der Partizipativen Gesundheitsforschung in der Zusammenarbeit mit freiwilligen Vereinigungen. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit haben sie kooperative Verfahren entwickelt, die alle Phasen der Forschung begleiten.

  • Gesine Bär widmet sich der Anwendung der Partizipativen Gesundheitsforschung in der Untersuchung von gesundheitsfördernden und präventiven Strategien auf der kommunalen Ebene. Sie unterscheidet zwischen wissenschaftlicher Begleitung, partizipativer Evaluation und partizipativer Forschung und zeigt auf, welche Folgen jeder der drei Ansätze für den Forschungsverlauf und das Forschungsergebnis hat.

  • Stefan Nickel und Kollegen untersuchen mit der Partizipativen Gesundheitsforschung ebenfalls die kommunale Gesundheitsförderung und Prävention. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Kapazitäts- und Strukturbildung. Sie stellen Möglichkeiten und Grenzen dar, die sie bei der Anwendung des partizipativen Forschungsansatzes beobachtet haben.

  • Hella von Unger und Kolleg/inn/en stellen in ihrem Artikel die Stärkung von Gemeinschaften (community development) durch die Partizipative Gesundheitsforschung am Beispiel einer Studie zur HIV-Prävention mit Mi­grantinnen und Migranten in den Mittelpunkt. Individuelle Kompetenzentwicklungsprozesse und die Weiterentwicklung von Community-Strukturen durch Vernetzung, peer-basierte Angebote und die Gründung von Mi­grantenselbstorganisationen werden beschrieben.

  • Petra Wihofszky zeigt in ihrem Beitrag, wie in der Planung der Gesundheitsförderung und Prävention in Stadtteilen die Verbindung zwischen einem expertenorientierten Top-down-Vorgehen und einem partizipativen Bottom-up-Verständnis realisiert werden kann. Dazu trägt die Partizipative Gesundheitsforschung wesentlich bei.

  • Michael T. Wright und Kolleg/inn/en haben einen neuen Ansatz in der Qualitätsentwicklung für Einrichtungen der Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt: Partizipative Qualitätsentwicklung. Methoden und Konzepte aus der Qualitätsentwicklung und aus der Partizipativen Gesundheitsforschung wurden zusammengeführt, um den neuen Ansatz zu konzipieren und zu erproben.

  • Silke Kirschning schildert neuere Entwicklungen in der Rehabilitationsforschung, die die Teilhabe der Nutzerinnen und Nutzer der Angebote des Rehabilitationssystems betonen und eine Zusammenarbeit mit Selbsthilfe vorsehen. Sie diskutiert, was diese Entwicklungen für den Einsatz der Partizipativen Gesundheitsforschung in der Rehabilitationsforschung bedeuten.

Mit dem vorliegenden Schwerpunktheft möchten wir Einblicke in die aktuelle Praxis der Partizipativen Gesundheitsforschung in der Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland ermöglichen und zugleich einen Anstoß zur Weiterentwicklung und Diskussion dieses neuen wissenschaftlichen Ansatzes geben. Die Partizipative Gesundheitsforschung ist noch im Werden begriffen. In den kommenden Jahren sind deutliche und produktive Entwicklungen zu erwarten, mit erheblichem Nutzen für Wissenschaft, Praxis und Politik zugunsten der Gesundheit der Bevölkerung.

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