Seltene Erkrankungen der Leber sind definiert über eine Häufigkeit von <1:2000. Viele dieser Erkrankungen kommen regelmäßig, einige häufig, wenige gelegentlich, manche hingegen so gut wie nie in der hepatologischen Praxis vor. Das Spektrum der in der täglichen Praxis zu behandelnden hepatologischen Krankheitsbilder wird sich in Zukunft vermutlich verändern.

Seltene Erkrankungen der Leber sind definiert über eine Häufigkeit von <1:2000

In der vorliegenden Ausgabe haben wir versucht, einen praktischen Überblick über die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der seltenen und angeborenen Lebererkrankungen zu geben. Methodisch geht die Ausgabe nach Häufigkeit vor: Über die regelmäßig in der hepatologischen Praxis auftretenden Erkrankungen, nämlich die primär sklerosierende Cholangitis (PSC), die primär biliäre Cholangitis (PBC) und auch die Immunglobulin-G4(IgG4)-assoziierte Cholangitis (IAC), kommen wir zu den „Top-3-Stoffwechselkrankheiten“ Hämochromatose, Morbus Wilson und Alpha-1-Antitrypsin-Mangel. In den letzten beiden Arbeiten werden die seltenen angeborenen Cholestasesyndrome sowie die angeborenen infantilen Stoffwechselkrankheiten mit hepatischem Phänotyp besprochen.

Weltzsch et al. (Hamburg) präsentieren die neuen Erkenntnisse zu PSC, PBC und IAC. Bei der PSC wird der bislang gebräuchliche Begriff der dominanten Striktur künftig durch „hochgradige Strikturen“ mit definierter Einengung des Durchmessers des Ductus hepatocholedochus oder der beiden Hauptseitenäste um mindestens 75 % ersetzt. Bei einer „relevanten Striktur“ handelt es sich um eine Veränderung mit strikturassoziierter obstruktiver Cholestase und/oder Cholangitis. Für die seltene Differenzialdiagnose einer IAC gelten die sog. HISORt(„histology, imaging, serology, other organ involvement, treatment response“)-Kriterien, wobei mehrere Organmanifestationen und ein Ansprechen auf eine Steroidtherapie entscheidend sind. Das Bild der PBC hat sich in den zurückliegenden Jahren geändert. Mit Obeticholsäure und Bezafibrat stehen wirksame Zweitlinientherapeutika zur Verfügung. Eine Tripeltherapie ist für einige Betroffene eine reelle Option.

Frau Merle (Heidelberg) stellt die neusten Erkenntnisse zum Morbus Wilson und zur Hämochromatose vor. Nach wie vor ist die Kupferbestimmung im Lebertrockengewicht der diagnostische Goldstandard. Der „Leipzig-Score“ bietet eine gute diagnostische Genauigkeit und ist auch für Kinder validiert. In der Diagnostik des Kayser-Fleischer-Kornealrings hat die optische Kohärenztomographie (OCT) einen Fortschritt erbracht. Auch das akute Leberversagen ist überzufällig häufig mit dem Morbus Wilson assoziiert. Neben dem bewährten D‑Penicillamin stehen mit Triethylentetramin/Trientin und Zinksalzen neue therapeutische Optionen zur Verfügung. Die Trientin-Präparate TETA-2HCL sowie TETA-4HCL wurden zwischenzeitlich zugelassen und haben den Vorteil, dass sie nicht gekühlt gelagert und nur 1‑mal täglich eingenommen werden müssen. Bei der Hämochromatose etablieren sich zunehmend nicht-invasive Verfahren wie Elastographie bzw. Magnetresonanztomographie (MRT). Zur Therapiesteuerung wird zunehmend auch die morgens zu bestimmende Transferrinsättigung eingesetzt; hier sollte ein Wert von <50 % gehalten werden. Bezüglich der Non-HFE(„high Fe2+“)-assoziierten Form der Eisenüberladung wird festgehalten, dass jede manifeste Eisenüberladung unabhängig vom Genotyp mittels Phlebotomie behandelt werden sollte.

Strnad und Schrader (Aachen) beschäftigen sich mit der dritten wichtigen genetischen Stoffwechselerkrankung: dem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM). Der schwere AATM wird primär durch die homozygote PI*Z-Mutation verursacht. Die heterozygote PI*Z-Mutation ist häufig und ein prädisponierender Faktor zur Entwicklung einer Leberfibrose. Jeder Patient mit Emphysem, chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), bei Asthma mit nicht vollständig reversibler Atemwegsobstruktion, bei Bronchiektasen sowie Geschwister und Kinder von Index-Patienten sollten auf AATM untersucht werden. Dies gilt auch für Patienten mit nekrosierender Pannikulitis sowie mit c‑ANCA(antineutrophile zytoplasmatische Antikörper)-positiven Vaskulitiden. Mit Fazirsiran liegt eine neue faszinierende Therapieform vor. Patienten, die Fazirsiran erhielten, erreichten innerhalb von 1 Jahr eine Verringerung der Serumkonzentration von AAT um 90 %. Auch die hepatische Akkumulation von AAT nahm drastisch ab. Derzeit wird in Phase-III-Studien untersucht, wie sich hierunter auch die Klinik bessert. Es lohnt sich also aktuell mehr denn je, Patienten mit entsprechender Konstellation auf AATM zu testen.

Dröge und Keitel (Magdeburg) konzentrieren sich auf die angeborenen Cholestasesyndrome. Die größte Bedeutung im Erwachsenenalter haben Varianten in den Genen der Phospholipidfloppase MDR3 („multidrug resistance protein 3“; ABCB4) und der Gallensalzexportpumpe BSEP („bile salt export pump“; ABCB11). Intrahepatische Cholestasen mit Gallensäuresekretionsstörung sind durch hohe Serumgallensäuren, erhöhte Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT) und Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT) sowie normwertige oder im Vergleich zur klassischen Cholestase niedrige γ‑Glutamyltransferasen(GGT)-Werte gekennzeichnet. Bei pathogenen MDR3-Mutationen kommt es zur verminderten Phospholipidausscheidung in die Galle und damit zur Störung der Mizellenbildung. Laborchemisch findet sich neben der Transaminitis eine Erhöhung der GGT. Das Gallensteinrisiko sowie das Risiko für biliäre Fibrose und Cholangiokarzinom sind nun deutlich erhöht. Ein positiver Nutzen von Ursodesoxycholsäure (UDCA) wurde für die Cholestaseformen PFIC („progressive familial intrahepatic cholestasis“), LPAC („low phospholipid-associated cholelithiasis“) und die MDR3-assoziierten Cholestasen beschrieben. UDCA kann auch ab dem 2. Trimenon bei Schwangerschaftscholestase eingesetzt werden. Derzeit wird untersucht, ob IBAT(„ileal bile acid transporter“)-Inhibitoren bei Patienten mit hereditären Cholestasen wirken. Es handelt sich hierbei um Odevixibat und Maralixibat. Letzeres ist bereits beim Alagille-Syndrom zugelassen. Zur Pruritustherapie kann unter Beachten der Kontraindikationen Bezafibrat eingesetzt werden. Diese Substanz ist beim hepatischen Pruritus inzwischen erste Wahl.

Pädiatrische angeborene Stoffwechselkrankheiten, welche auf die Erwachsenenhepatologie zukommen, stehen im Fokus von Köhler et al. (Düsseldorf). Hierbei handelt es sich um Störungen, bei denen oft auch Late-onset-Formen, also mit Erstmanifestation beim Erwachsenen, beschrieben sind. Allein aus dem Neugeborenenscreening, das 2005 entscheidend erweitert wurde, kommen ab sofort etwa 125 Patienten pro Jahr im deutschen Sprachraum auf die Erwachsenenhepatologie zu. Die wichtigste weitere hepatische Stoffwechselerkrankung wird hierbei die zystische Fibrose (CF) sein. Die klinische Präsentation von infantilen und juvenilen Hepatopathien ist unterschiedlich: (1) Phänotyp Hepatosplenomegalie, (2) Steatosis hepatis mit Transaminitis und NASH („non-alcoholic steatohepatitis“), (3) intrahepatische Raumforderungen sowie (4) Erkrankungen, bei denen ein HCC(hepatozelluläres Karzinom)-Screening durchgeführt werden muss. Hinzu kommen (5) Patienten, die im Kindes- oder Jugendalter lebertransplantiert worden sind sowie (6) die sog. volatilen, weil jederzeit dekompensierbaren Stoffwechselkrankheiten: Hierzu zählen die Harnstoffzyklusstörungen, die Organoazidämien, die Ahornsirupkrankheit, die akuten hepatischen Porphyrien, die Glykogenosen sowie die Energiestoffwechselstörungen. In ihrer Gesamtheit werden diese zunehmend in unseren Notaufnahmen aufschlagen und sind daher nicht nur für die Hepatologie relevant.

Festzuhalten ist, dass sich nach der weitgehenden Überwindung der Hepatitis C sowie der guten klinischen Kontrolle der Hepatitis B das Bild der Hepatologie derzeit verändert. Die Seltenen rücken etwas in den Vordergrund, das Verständnis der NASH wird davon eindeutig profitieren. Neue Impulse im Gebiet sind die zu erwartenden Zentrumszuschläge für Patienten mit seltenen Krankheiten, die Aktivitäten der jeweiligen Fachgesellschaften aus Pädiatrie und Innerer Medizin, das expandierende Neugeborenenscreening sowie die innovativen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Allen gemeinsam ist ein fortgeschrittenes Verständnis des Krankheitsgeschehens auf molekularer Ebene, was die Notwendigkeit herausragender Grundlagenforschung für die Zukunft unterstreicht.

Wir sind sehr froh, dass in dieser Ausgabe Arbeitsgruppen vertreten sind, die, oft seit Jahrzehnten, wichtige originäre wissenschaftliche Beiträge auf ihrem jeweiligen Gebiet geleistet haben. Wir denken, dass die vorliegende Ausgabe deshalb den „State of the Art“ in besonderem Maße widerspiegelt.

Insofern wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen und hoffen auf eine Bereicherung Ihrer täglichen Praxis und des Erlebens der klinischen Medizin.