Die Entdeckung der DNA-Doppelhelix im Jahr 1953 und die komplette Sequenzierung des humanen Genoms 2003 erweckten große Erwartungen in der personalisierten Medizin. Die klinikorientierte Grundlagenwissenschaft gewährt uns z. T. sehr detaillierte Einblicke in die Karzinogenese gastrointestinaler Tumoren. Es wurden genetische Alterationen in verschiedenen Onkogenen und Tumorsuppressorgenen identifiziert und das Mehrschrittmodell der Karzinogenese wurde am Beispiel des Kolonkarzinoms etabliert. Heutzutage sind für die meisten Tumorentitäten Mutationen in Schlüsselsignalwegen identifiziert. Darüber hinaus werden Tumoren heute als komplexe Gewebe verstanden, die aus verschiedenen Zelltypen bestehen. Durch die zunehmend detaillierte molekulare Charakterisierung von Tumoren wird uns deren molekulare Heterogenität immer mehr bewusst. Die Komplexität wird dabei einerseits durch das Wirtsgenom, andererseits durch erworbene genetische Veränderungen in den Tumorzellen bestimmt. Dass Tumoren unterschiedlich auf bestimmte Therapieformen ansprechen, wird durch dieses Verständnis klar. Dass Patienten unterschiedliche Nebenwirkungen durch die Therapieprotokolle erleiden, ist ebenfalls offensichtlich.

Bei gastrointestinalen Tumoren lässt sich häufig eine Überexpression von Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren nachweisen. Die epidermalen Wachstumsfaktorrezeptoren EGFR und ErbB2 sind dabei häufig in Tumoren des Gastrointestinaltrakts hochreguliert. Herr Dr. Belle und Prof. Ebert zeigen in ihrem Artikel, wie sich ErbB2 als Zielstruktur für die Therapie des metastasierten Magenkarzinoms qualifiziert.

Frau Prof. Reinacher-Schick diskutiert die Datengrundlage für die risikoadaptierte adjuvante Therapie des Kolonkarzinoms. Während die Leitlinie der DGVS beim Befall regionärer Lymphknoten (UICC III) den Empfehlungsgrad A für die Chemotherapie mit Folfox oder Capox ausspricht, hat diese Therapie im Stadium II auch bei Patienten mit Risikofaktoren keinen Stellenwert. Liegen Risikofaktoren vor, sollte eine adjuvante Therapie mit 5-FU erfolgen. Für Patienten ohne Risikofaktoren besteht eine „Kann“-Empfehlung. Eine Besonderheit beim Kolonkarzinom sind Patienten mit hochgradiger Mikrosatelliteninstabilität. Diese Tumoren unterscheiden sich bezüglich der genetischen Veränderungen von Tumoren, die mikrosatellitenstabil sind. Tumoren mit hochgradiger Mikrosatelliteninstabilität weisen eine höhere Infiltrationsdichte mit Lymphozyten auf und haben eine deutlich günstigere Prognose. Eine MSI-Untersuchung könnte daher diese Subgruppe des Kolonkarzinoms im Stadium II identifizieren.

In der metastasierten Situation des Kolonkarzinoms ist die personalisierte Therapie heutzutage schon etabliert. Für die Therapieentscheidung müssen KRAS-Mutationen bestimmt und Mutationen in weiteren Signalmolekülen wie PI3-Kinase und BRAF analysiert werden. Dies erläutert Herr Dr. Ettrich in seinem Artikel.

GIST-Tumoren sind im Gegensatz zu den anderen gastrointestinalen Tumoren monogenetische Erkrankungen mit aktivierenden Mutationen in der Stammzellfaktor-Rezeptortyrosinkinase oder der PDGFR-α-Kette. Herr Priv.-Doz. von Bubnoff bespricht in seinem Artikel aktuelle Therapieansätze mit Tyrosinkinase-Inhibitoren.

Entscheidend für die personalisierte Therapie sind Biomarker mit prädiktivem Wert für den Nutzen eines bestimmten Therapieprotokolls. Es geht darum vorauszusagen, ob das Medikament wirkt oder nicht. Darüber hinaus kann die wirkungslose Therapie für den Patienten schädlich sein. Ein weiterer Aspekt sind die Therapiekosten.

Wir stehen mit diesen Möglichkeiten ganz am Anfang. Wir sind davon überzeugt, dass mit Hilfe von Hochdurchsatz-Sequenzierungsverfahren das Tumorgenom in wenigen Jahren routinemäßig vor der Therapie analysiert werden wird. Die Kosten für die Analyse der Genome werden im Vergleich zu den Therapiekosten verschwindend gering sein. Die erfassbare Heterogenität in den einzelnen Entitäten wird deutlich zunehmen, damit wird die Gruppengröße der Subentitäten kleiner. Prospektive randomisierte Phase-III-Studien werden dann schwieriger durchführbar sein. Da die Zulassungsbehörden weiterhin sehr harte Kriterien an die Einführung neuer Medikamente stellen werden, bedarf es einer besseren Vernetzung, um diese wichtigen Studien durchführen zu können.

Wir glauben, dass der Gastroenterologe die Prinzipien der Molekular- und Zellbiologie mit der Aufdeckung zell- und gewebsspezifischer Genexpressionsmuster, die ja nicht nur für die Tumortherapie, sondern auch für wichtige andere Bereiche wie z. B. die Behandlung der Hepatitis C gelten, kennen und einordnen lernen sollte. Die Beiträge dieses Heftes zeigen einmal mehr, wie Grundlagenforschung diagnostische und therapeutische Konzepte beeinflussen und entscheidende Weichenstellungen in deren Weiterentwicklung bewirken kann.

Roland M. Schmid

Jürgen F. Riemann