Liebe Kolleginnen und Kollegen,

"Herr Doktor, wie lange machen Sie noch?" - diese Frage höre ich fast täglich. Die stereotype Antwort ist nicht befriedigend, aber wenigstens ehrlich - ich arbeite, so lange ich gesund bin und die Kraft habe, den täglichen Praxis-Stress zu managen. Aus Patientensicht ist die Sorge um eine Nachfolge allzu verständlich. Sie konnten bisher eine Fluktuation von Ärzt*innen erleben, die sich nach erfolgreicher Einarbeitung und Aufbau eines funktionierenden Arzt-Patienten-Verhältnisses wieder verabschieden mussten. Die Gründe sind unterschiedlich - Familienplanung, Ortswechsel wegen des Partners oder schlicht der Wunsch nach einem anderen Karriereweg. Beim kollegialen Qualitätszirkel am Abend tauchen die gleichen Themen auf - wann gehst Du in Rente? Gibt es einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für die Praxis? Ist eines Deiner Kinder bereit, die Praxis zu übernehmen? Auch hier blickt man in besorgte Gesichter.

Vor dreißig bis vierzig Jahren sah die Situation völlig anders aus. Stand eine Praxis in guter innerstädtischer Lage oder auf dem Land mit 2.000 Scheinen zum Verkauf, wartete in der Verteilerbörse der regionalen KV gleich ein Dutzend Bewerber auf die Übernahme. Heute erleben wir das Gegenteil - einen Mangel an Nachwuchs, insbesondere im hausärztlichen Bereich und auf dem Land. Beispiel: Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind von 11.200 niedergelassenen Hautärzt*innen mehr als ein Drittel über 60 Jahre, fast 18% sogar über 65. Um das Versorgungsniveau zukünftig aufrecht zu halten, wird es einen erheblichen Bedarf an Nachbesetzung geben. Die Politik hat das Problem erkannt und verschiedene Maßnahmen umgesetzt. Im NRW-Landtag wurde im Januar dieses Jahres die Weiterführung des "Hausarztaktionsprogramms" mit einer jährlichen Förderung von 2,5 Millionen Euro beschlossen. Dazu gehören unter anderem die Landarztquote, die finanzielle Förderung bei Praxisübernahme in strukturschwachen Kommunen, die Zusatzqualifikation nicht-ärztlichen Personals und der Ausbau von Medizinstudienplätzen. Laut Koalitionsvertrag von CDU und Grünen ist eine Erhöhung der Zahl der Studienplätze in NRW um 20% vorgesehen.

Reichen diese Maßnahmen aus? Und als wie belastbar erweisen sich diese Instrumente in einem Umfeld von steigender Lebenserwartung und zunehmender Migration? Der Bevölkerungsanteil der über 67-jährigen wird bis zum Jahre 2040 um mehr als 40% steigen, was gleichbedeutend mit einer Zunahme chronischer Erkrankungen und Multimorbidität ist. Die Erhöhung der Medizinstudienplätze - von verschiedenen Verbänden und dem Deutschen Ärztetag gefordert - löst die Probleme kurzfristig nicht. Auch die Landarztquote ist eine eher mittelfristig ausgerichtete Strategie, die erst in zehn bis zwölf Jahren Erleichterung bringt, wenn überhaupt. Da wundert es nicht, dass die Politik auf die Idee kommt, die Grundversorgung kostengünstig durch medizinische Assistenzberufe zu sichern. Geht es nach dem Willen des BMG und Vertretern von Pflegeberufen sollen Community Health Nurses, Physician Assistants und akademisierte Physio- und Ergotherapeuten die Lücken in der Primärversorgung schließen. Als multiprofessionelle Teams würden sie Aufgaben übernehmen, die bisher allein ärztlicher Tätigkeit vorbehalten war. Es wird zwar immer wieder betont, dass die Gesamtverantwortung in ärztlicher Hand bleibt, wenn aber ärztlicher Nachwuchs fehlt, wird auch das Substitutionstabu gebrochen. "Wir müssen weg vom Faktor Arzt" - die Aussage einer NRW-Landtagsabgeordneten steht exemplarisch für dieses Denken in der Politik.

Bei aller berechtigter Klage über ärztlichen Nachwuchsmangel sollten wir uns nicht allein auf die Numerik konzentrieren. Es geht darum, die geänderten Arbeitsbedürfnisse junger Medizinerinnen und Mediziner in angepasste Versorgungskonzepte mit attraktiven Rahmenbedingungen zu übertragen. Der Wunsch nach Anstellung ist gerade bei jungen Ärztinnen groß, die Arbeitsteilung im Team erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und noch eins: Fachärztinnen und Fachärzte für Innere Medizin ohne Schwerpunkt - Allgemeininternisten - können ein bezahltes Qualifizierungsjahr in einer Allgemeinärztlichen Praxis absolvieren, sollten sie sich den direkten Schritt in die Niederlassung nicht zutrauen. Auch das sieht das Hausarztaktionsprogramm in NRW vor.

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© PHIL DERA

Dr. med. Ivo Grebe

Vorsitzender der AG Hausärztliche Internistinnen und Internisten des BDI