In der Erstanamnese bei Geflüchteten aus der Ukraine sind einige Besonderheiten zu bedenken, berichtet Hausarzt und Internist Dr. Peter Löw. Er rät: Vor allem eine mögliche Tuberkulose sollten Kollegen in den Blick nehmen.

Eine besondere Herausforderung bleibt die Betreuung von Patienten, die kein Deutsch können; wie es auch bei Flüchtlingen aus der Ukraine der Fall ist.

Nach der Erstversorgung inklusive COVID-Test in der Aufnahmeeinrichtung werden - soweit sie nicht von Freunden oder Verwandten abgeholt werden - Flüchtlinge aus der Ukraine derzeit in Gemeinschaftseinrichtungen oder Privatunterkünften untergebracht. Eine Art Eingangsuntersuchung oder andere institutionalisierte medizinische Betreuung gibt es nur in Gemeinschaftseinrichtungen, jedenfalls in Bayern, berichtet Dr. Peter Löw, Hausarzt und Internist aus Treuchtlingen.

Die medizinische Weiterbetreuung für privat Untergebrachte werde nur "empfohlen", auch in ukrainischer Sprache, so Löw.

Neu angekommene Ukrainerinnen und Ukrainer hätten nach der Flucht häufig mit stressbedingten Alltagsproblemen wie Bauch- und Kopfschmerzen zu kämpfen. Es gebe natürlich auch einzelne chronisch Erkrankte, etwa Kinder mit Diabetes, die ihre Medikation benötigen. Die Verständigung zwischen Ärzten und Geflüchteten sei in der Erstversorgung natürlich extrem wichtig. Ein guter Übersetzer sei daher kaum verzichtbar.

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© Milos Drndarevic / Zoonar / picture alliance (Symbolbild mit Fotomodell)

Spuren von Tuberkulose zu sehen? Hausärzte sollten ältere Patienten aus der Ukraine vorsichtshalber zum Radiologen überweisen.

Das weitere Vorgehen in der Praxis beschreibt Löw in Stichpunkten:

COVID-Diagnostik: Gibt es kein Schnelltest-Ergebnis, wird ein Schnelltest gemacht. Häufig sei eine MFA einen ganzen Vormittag mit Abstrichen beschäftigt. Bei negativem Testergebnis "kann ich mit einem Dolmetscher die Anamnese ganz normal führen - mit Maske, wie bei allen Patienten", so Löw.

Corona-Impfstatus: In der Ukraine liege die Impfquote gegen SARS-CoV-2 etwa bei 30%, viele Ukrainer seien nicht mit mRNA-Impfstoffen geimpft. Die neuen Empfehlungen der STIKO, die Impfstoffe wie Sputnik und Sinovac anerkenne, seien insoweit sehr hilfreich: Mit einer 1-2-3-Regel könne er sich sehr gut behelfen, sagt Löw: Mit drei Aktionen - Impfung(en) in der Ukraine, Erkrankung, Impfung mit mRNA-Impfstoff - gelte ein Patient als geboostert. Die Klärung des Impfstatus erfolge über die Impfdokumente oder über eine Befragung. Wenn der Status nicht bekannt sei, dann erhalten Patienten eine vollständige Impfserie.

Weitere Impfungen: Die Frage nach dem Masern-Mumps-Röteln-Status sei das nächste Thema. Die Gefahr, sich damit anzustecken, sei aktuell zwar erst einmal nicht sehr groß, aber eine MMR-Auffrischimpfung sei doch angezeigt. Mit einem Abstand von 14 Tagen nach der COVID-Impfung könne der MMR-Lebendimpfstoff gegeben werden. Zur COVID-Impfung direkt dazu geben könne man die Totimpfstoffe Tetanus, Diphtherie, Polio, Pertussis als Vierfachimpfung.

Tuberkulose: Die Tuberkulose(Tb)-Inzidenz in der Ukraine liege bei 70 bis 75 Infizierten auf 100.000 Einwohner und damit zehnmal höher als in Deutschland. Zwar würden die Säuglinge in der Ukraine mit einem BCG-Impfstoff geimpft, der schütze aber nicht vollständig gegen eine Ansteckung, sondern nur vor einem generalisierten Verlauf. Deswegen sei in Bayern festgelegt, dass zumindest Ältere in Gemeinschaftseinrichtungen zum Ausschluss einer Tb einen Röntgen-Thorax bekommen sollen. Eine solche Röntgen-Reihenuntersuchung habe es vor Ort bereits bei einer Gruppe älterer Flüchtlinge gegeben. Bedenken gegen diese Diagnostik hätten die Menschen zumindest nicht geäußert, berichtet Löw. Bei Jüngeren und bei Schwangeren könne über den Interferon-Gamma-Release-Assay der Tb-Status geklärt werden.

Besonderheiten im Labor: Bei Tb-Verdacht wird immer auch ein HIV-Test angeboten. Ist ein Gesundheitscheck indiziert, sei es zudem sinnvoll, auf Hepatitis zu screenen.

Pragmatische Fragen: Wie bei anderen neuen Patienten auch, frage er nach Vorerkrankungen, nach früherer und aktueller Medikation, nach Erkrankungen in der Familie sowie aktuellen Allgemeinsymptomen, erklärt Löw.

Traumatisierte Patienten: Bei den Freiwilligen seien kirchliche Träger mit dabei, die seelsorgerische Hilfe bieten können, so Löw. Bei posttraumatischen Belastungsstörungen sei es im ländlichen Raum schwer, ein professionelles Angebot durch Psychotherapeuten zu machen.

Abrechnung: Wer Flüchtlinge behandelt, sollte den Namen auch in lateinischer Schrift dokumentieren, am besten übersetzt aus dem Ausweis. Wichtig seien außerdem das Geburtsdatum und die Adresse der Einrichtung, in der der Patient untergebracht ist. Leistungsträger sei das Sozialamt. Die Leistungen werden dann nach EBM abgerechnet.

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