Bei Tinnituspatienten sollte man immer auch an psychische Probleme denken, das bestätigen die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie aus den Niederlanden. Die Teilnehmer hatten sogar dann ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Ängste und Schlafstörungen, wenn das Ohrgeräusch gar nicht als besonders störend empfunden wurde. Ein Kausalzusammenhang ließ sich allerdings nicht beweisen.

Dass Menschen mit Tinnitus oft auch unter psychischen Problemen wie Depressionen und Ängsten leiden und außerdem besonders häufig Schlafstörungen haben, wurde bereits in mehreren Studien mit ausgewählten Patientengruppen deutlich. Aber wie sind die Zusammenhänge in der breiten Bevölkerung, vor allem auch im Zeitverlauf, und welche Rolle spielt dabei das Hörvermögen? Zur Klärung dieser Fragen hat das Team um Dr. Berthe C. Oosterloo vom Erasmus Medical Center der Universität Rotterdam die Daten der Rotterdam Study ausgewertet, und zwar gleich zweifach, in Form einer Querschnitt- und als Longitudinalstudie.

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Von Depressionen bis Schlafstörungen: Tinnituspatienten hatten in einer validierten Befragung deutlich schlechtere Werte als gesunde Probanden.

20% hatten Ohrgeräusche

An der Querschnittstudie nahmen 5.418 Frauen und Männer im Alter über 40 teil. Davon gaben 2% Tinnitussymptome an, die sie als störend empfanden. Knapp 20% hatten zwar Ohrgeräusche, diese waren nach eigener Auskunft aber nicht so stark, dass sie den Alltag in irgendeiner Form beeinträchtigten.

Schlechtere Ergebnisse in validierten Fragbögen

Alle Teilnehmer bekamen validierte Fragebögen zu Depressionen, Angstsymptomen und Schlafstörungen vorgelegt: die Center for Epidemiologic Studies Depression Scale (CES-D), die Subskala für Angst der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-A) und den Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI). In allen drei hatten Patienten mit "störenden" Tinnitussymptomen signifikant schlechtere Werte als Teilnehmer ohne Tinnitus, aber auch als diejenigen mit nicht störenden Ohrgeräuschen.

Überraschenderweise waren auch die Unterschiede zwischen der Gruppe mit nicht störendem Tinnitus und der Gruppe ohne Ohrgeräusche signifikant, und zwar in allen drei Fragebögen, mit schlechteren Ergebnissen jeweils für die erste Gruppe.

Eine weitere Auswertung widmeten Oosterloo und Kollegen dem Einfluss des Hörvermögens. Auch hier fiel das Ergebnis anders aus als erwartet: So galt der Zusammenhang zwischen Tinnitus und psychischen Störungen sowohl bei Schwerhörigkeit (um mindestens 25 dB verringerte Hörleistung) als auch bei normalem Hörvermögen. In letzterem Fall war die Assoziation sogar noch etwas stärker. Warum, können die Forscher nicht erklären. Schwerhörigkeit gilt gemeinhin als Risikofaktor für die Entwicklung eines Tinnitus. "Es könnte sein, dass bei Menschen ohne Hörprobleme andere neuronale Pfade an der Entstehung von Tinnitus beteiligt sind und dass diese sogar stärker mit psychischen Störungen verknüpft sind", so Oosterloo et al.

Mehr auf psychische Probleme achten!

Im Rahmen der Longitudinalstudie gelang es den Forschern nicht, einen Kausalzusammenhang nachzuweisen. Im Verlauf von median viereinhalb Jahren ergab sich keine signifikante Assoziation. Immerhin zeichnete sich bei den insgesamt 975 Teilnehmern ein Trend zu höheren Werten in allen drei Fragebögen für die Teilnehmer mit jeglichem Tinnitus (störend oder nicht störend) ab. Innerhalb der Tinnitusgruppe veränderten sich die Werte im Beobachtungszeitraum jedoch kaum.

Oosterloo und ihr Team ziehen insgesamt den Schluss, dass bei Tinnituspatienten in der primärärztlichen Praxis deutlich mehr auf psychische Probleme geachtet werden sollte, und zwar auch dann, wenn sich die Patienten durch die Ohrgeräusche gar nicht nennenswert beeinträchtigt fühlen.

Oosterloo BC et al. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2021; https://doi.org/10.1001/jamaoto.2021.1049