Nur eine genaue Glukosemessung erlaubt eine genaue Therapie. Ein Diabetologe erklärt, warum Arzt und Patient auf der Suche nach dem richtigen Blutzuckerwert manchmal regelrechte Detektive sein müssen.

Woran liegt's, wenn bei einem Diabetiker "plötzlich alle Werte spinnen?" Für Arzt und Patient beginnt dann eine Spurensuche mit offenem Ausgang, denn bei der Blutzuckermessung gibt es viele Variablen, die Einfluss auf die Messung nehmen können.

Dazu können neben Verunreinigungen der Hand z.B. Abweichungen innerhalb oder auch außerhalb des Toleranzbereichs der ISO-Norm bei der Messung durch das Gerät oder auch Störsubstanzen im Blut beitragen, die wiederum das Messergebnis verfälschen. Nach der Norm DIN EN ISO 15197:2015 sind Abweichungen von 15% nach oben und unten vom tatsächlichen Wert erlaubt, im niedrigen Normbereich darf es Abweichungen von plus minus 15 mg/dl geben.

Glücklich ist Diabetologe Dr. Oliver Schubert-Olesen mit diesen Unschärfen nicht. "Ich gehe doch auch nicht zum Tischler und bestelle einen ein Meter langen Tisch mit einer Toleranz von 15 Zentimetern nach oben oder unten! Ich will dann auch einen Tisch von einem Meter geliefert bekommen", erläutert Schubert-Olesen, der im niedersächsischen Buxtehude eine große Diabetologen-Praxis betreibt, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

figure 1

© Alexander Raths / stock.adobe.com

Sind es wirklich 94 mg/dl? Es gibt viele Variablen, die Einfluss auf die Blutzuckermessung haben.

Vier von 18 halten die Norm nicht

Tatsächlich werden die relativ hohen Toleranzen, die die Norm den Herstellern der Geräte einräumt, nicht einmal von allen Geräten auf dem Markt eingehalten, hat eine Studie von Forschern um Stefan Pleus vom Institut für Diabetes-technologie an der Universität ergeben [1]. Demnach halten vier von 18 auf Messgenauigkeit getesteten Geräten die Vorgaben der Norm nicht ein.

"Viele Geräte sind Schätzgeräte, wir brauchen aber Messgeräte", so Schubert-Olesen. Vor allem dann, wenn es um Werte um die oder unter 100 mg/dl geht, seien Messungenauigkeiten "kritisch zu sehen". Ob es jetzt - "rein aus der Praxis gesehen" - 127 oder 128 mg/dl sind, das sei egal.Aber je genauer die Werte seien, desto besser zielgerichtet könne die Therapie eingesetzt werden. Bei relativ streng eingestellten Diabetikern komme es sehr auf die Genauigkeit der Messgeräte an, betont er. Da empfehle er dann auch gelegentlich den Austausch des Geräts, wenn sich beim Messen in der Praxis größere Abweichungen ergeben.

Das nächste Problem für die Messgenauigkeit sind Störsubstanzen, vor allem Arzneimittel wie ASS oder L-Dopa. Aber auch Ascorbinsäure kann zu Messungenauigkeiten führen.

Störungen im Lipidstoffwechsel können ebenfalls zu Abweichungen bei den Blutglukosewerten führen, etwa hohe Triglyceride, weiß der Diabetologe. "Dann ist es gut, wenn man ein Gerät hat, das mit möglichst vielen Substanzen auf Interferenzen getestet worden ist", sagt Schubert-Olesen. Er selbst habe auch nicht alle möglichen Störsubstanzen im Kopf, obwohl er sich als Diabetologe ständig damit beschäftige.

Abgleich in der Praxis

Möglichen Störungen kommt die Praxis dann auf die Schliche, wenn z.B. der gemessene HbA1c-Wert nicht zu den vom Patienten gemessenen Blutzuckerwerten passt. Oder wenn der vor Ort mit dem Gerät der Praxis gemessene Wert stark von dem Wert im Messgerät abweicht. Störungen bei der Messung des Blutzuckers können auch durch Verunreinigung der Hände entstehen: "Ich empfehle den Patienten daher immer, den zweiten Tropfen nach dem Stechen für die Messung zu verwenden, weil der erste Blutstropfen manchmal verunreinigt ist", so Schubert-Olesen.

Er habe es erlebt, dass allein vom Anfassen ungeschälter Orangen der Wert um 100 mg/dl nach oben abgewichen sei. Manchmal sei im Tagesablauf ein Händewaschen vor dem Messen einfach nicht möglich, dann könnten kontaktlos messende Geräte die Lösung sein.

Doch das Ende der Suche ist selbst nach Klärung der Händehygiene manchmal nicht erreicht: Sind die Teststreifen vielleicht feucht, oder zu warm - oder zu kalt. Auch das könne eine Fehlerquelle sein.

Und selbst das hat Schubert-Olesen bereits erlebt: Bei einem Patienten seien die Werte einmal regelrecht nach oben geschossen, dauerhaft. "Am Ende stellte sich heraus, dass das Insulin in der Kühlkette zur Apotheke offenbar zeitweise eingefroren worden war - und daher wirkungslos." Manchmal müssen Diabetologen und ihre Patienten echte Detektive sein.

1. doi: 10.1136/bmjdrc-2019-001067